Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Dienstag, 3. November 2020

#26: Trauma, DIS und Sexualität II

Riesige Triggerwarnung für's Thema Sex/Sexualität an dieser Stelle.

Das Trauma spürt man in jedem Moment.
Jedes Mal, wenn wir jemandem nah sind, achten wir auf Atem, Bewegungen, Geräusche. Weil wir so sehr gelernt haben, dass man uns nicht nahe sein kann, ohne Sex mit uns haben zu wollen. Dass gleich irgendetwas passiert, auf das man vorbereitet sein muss. Damit man das Nein schon minutenlang vorher im Kopf proben kann.
Früher haben wir uns immer mit Menschen angefreundet, die dann versucht haben, auszunutzen, dass wir so schlecht Grenzen setzen können. Wir haben es immer angesprochen, dass wir sexuelles Trauma haben und dass wir nicht oder nur sehr schlecht Nein sagen können, obwohl wir nichts davon wollen und bei jedem Treffen ist trotzdem irgendetwas in die Richtung passiert. Dadurch haben wir gelernt, dass jeder grundsätzlich nur Sex mit uns möchte. Und jetzt ist es so in unser Gehirn eingebrannt.

Wir können Menschen nicht körperlich nahe sein, ohne erregt zu werden. Das fühlt sich widerlich an zuzugeben, vor allem, da ein überwiegender Teil von uns tatsächlich (nicht sexuelle!) Nähe braucht. Herzlichen Glückwunsch, jetzt wissen alle unsere Freunde, was bei uns passiert, wenn wir sie kuscheln.
Aus diesem Grund werde ich nie müde zu betonen, dass Erregung nichts schlimmes ist und nichts, was man irgendwie kontrollieren kann. Erregung ist eine unbewusste Reaktion auf einen sexuellen Reiz. Und weil wir fast unser gesamtes Leben lernen durften, dass Nähe ohne Sex nicht existiert, ist Nähe für unser Gehirn mittlerweile ein Zeichen dafür, dass gleich Sex folgt. Oder eben eine Vergewaltigung. Jedenfalls etwas, was man körperlich schon mal vorbereiten muss.
Dasselbe würde passieren, wenn man jedes mal Pfefferminztee trinkt, bevor man Sex hat - und ausschließlich dann. Dann würde man irgendwann davon erregt werden, Pfefferminztee zu trinken, selbst wenn man gerade mitten in der Stadt in einem Café ist. Man findet dann weder Pfefferminztee sexuell erregend, noch will man Sex mit der Person haben, die einem den Tee gerade gemacht hat.

Es hat auch nichts damit zu tun, was passiert. Wir haben nie irgendwen von uns aus angefasst außer unsere Beziehungspartner und werden es auch nicht tun. Wenn jetzt trotzdem jemand angewidert ist und uns nicht mehr umarmen will, kann ich es trotzdem verstehen. Es ist dennoch ein Missbrauchssymptom. Es heißt, dass wir jahrelang vergewaltigt wurden. Und sonst nichts. Das muss man dazu sagen.
Zumindest muss ich es dazu sagen. Weil ich mich widerlich dafür fühle, aber nichts dafür kann und es nichts bedeutet und ich nicht widerlich bin und mich auch sonst niemand widerlich finden sollte, nur weil mein Körper traumatisiert reagiert. Dass ich es verstehen kann, ändert nichts daran, dass es eine grauenvolle Reaktion wäre.
Und ich bin fest davon überzeugt, dass es vielen Menschen mit sexuellem Trauma ähnlich geht. Es wird nur nie darüber geredet. Wir tragen alle dieselbe Scham. Nur deshalb schreibe ich es an dieser Stelle überhaupt auf.

Ich bin mir sicher es gibt viele solcher schambehafteten Symptome. Bei denen man vielleicht weiß, Ja, es ergibt Sinn, dass es entstanden ist, aber irgendwie scheint niemand außer man selbst davon betroffen zu sein. Irgendwie redet niemand darüber. Wie klingt denn das auch? Dass der Körper jeden Menschen, der zu nahe kommt, als potentiellen Sexpartner sieht. Garantiert ist nur man selbst so ganz furchtbar widerlich.
Über das hier habe ich nie geredet bis ich neulich beschlossen habe, daran zu arbeiten, dass ich so unglaublich viel Scham aufgrund der hypersexuellen Innenpersonen in unserem System empfinde. Wie soll ich jemals akzeptieren können, dass all das Trauma zu Personen in meinem Körper mit Sexsucht geführt hat, wenn ich nicht mal mich selbst annehmen kann? Also habe ich mit ruru darüber geredet. Und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass auch andere Menschen uns deswegen widerlich finden werden, zumindest ein paar. Und dann saß ich da und dachte: das kann doch nicht richtig sein. Ich bin doch bestimmt nicht die einzige Person mit sexuellem Trauma, der es genauso geht. Wir können doch nicht kollektiv abgelehnt werden aufgrund der Folgen zu vieler Vergewaltigungen.
Aber ich weiß auch: Verständnis und Akzeptanz entsteht nie in Abwesenheit von Erklärungen. Also erkläre ich jetzt. Erkläre ich für mich und uns und für jede andere Person, die ähnliche Probleme hat. Und wenn mich oder uns irgendjemand widerlich findet deswegen, dann ist das eben so. Wenn mich oder uns deswegen irgendjemand nicht mehr treffen möchte, dann ist das nicht unsere Schuld. Dann war es alleine die Entscheidung der Person. Das hat nichts mit uns zu tun.

[Fortsetzung folgt.]

4 Kommentare:

  1. So mutig und wichtig, dass du darüber schreibst. Das ist bestimmt für viele sehr hilfreich. Und ich glaube, ein Stück weit ist es auch eine normale körperliche Reaktion, erregt zu werden, wenn man einer anderen Person sehr nah kommt, auch wenn man mit dieser absolut keinen Sex haben möchte...

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    1. Soweit ich weiß geht es eigentlich weg, wenn man allgemein viel Körperkontakt hat, aber vielleicht lieg ich da auch falsch. Mir wurde es zwar so berichtet, aber möglicherweise ist es einfach jedem so unangenehm darüber zu sprechen, dass es durchweg abgestritten wird, das könnte natürlich auch sein. Aber wenn man es nicht gewohnt ist, passiert es so auch auf jeden Fall, zumindest wurde mir das schon öfter auch von nicht traumatisierten Menschen berichtet. :)

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  2. Ich habe eine Frage zu dem Text. Wenn ich es richtig verstanden habe, resultiert die Erregung aus der Nähe, da diese stets mit Sex oder nicht gewünschten Sex verbunden wird. Wenn es sich um nicht gewünschten Sex handelt, der mit der Nähe verknüpft ist, wieso entsteht dann Erregung? Warum nicht Ekel oder Angst?
    Die Reaktion möchte ich nicht anzweifeln, aber dafür umso mehr verstehen.

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    1. Ich würde vermuten, es liegt daran, dass Erregung viel "notwendiger" ist. Also, wenn man das mal so betrachtet: nur weil jemand eventuell was sexuelles initiiert, muss ich mich ja nicht zwangsläufig ekeln (also, von einem biologischen Standpunkt gesehen jetzt). Aber wenn ich nicht erregt (und damit feucht) werde, ist so eine Vergewaltigung halt sehr viel schlimmer für den Körper, weil noch eher Verletzungen entstehen. Es ist also quasi eine Notwendigkeit.
      Warum unser Gehirn dann trotzdem scheinbar gut genug versteht, dass wir nicht in Gefahr sind, dass nicht zB Angst ausgelöst wird, aber trotzdem glaubt, dass die Gefahr einer Vergewaltigung besteht, das kann ich leider nicht sagen. Du hast Recht, eigentlich ist es schon ziemlich seltsam. Vermutlich gibt es eine viel bessere Erklärung als meine, aber da müsste man vermutlich einen Psychologen zu fragen. Falls ich dran denke, kann ich das gerne mal machen, wenn das Thema aufkommt in der Therapie, aber da das vermutlich nicht gerade in naher Zukunft passieren wird, werde ich vermutlich nicht dran denken. :c Aber versuchen kann ich es ja zumindest.

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