Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Mittwoch, 30. Dezember 2020

#33: Trauma, DIS und Sexualität III

Ja. Das Trauma und die Sexualität. Wie oft ich mir gewünscht habe, meinen Körper einfach abschalten zu können, der an jeder Ecke Sex erwartet. Aber wisst ihr, was auch schön ist? Es wird besser. Es geht weg. Bei ruru sind wir sicher. Auch der Körper weiß das inzwischen. ruru können wir nah sein ohne dass irgendetwas sexuelles passiert, auch stunden-, tage- oder wochenlang.

Und weil ich es immer wieder höre, möchte ich es an dieser Stelle ansprechen: wenn ihr traumatisiert seid und Sex/sexuelle Dinge mit eurem Partner tun wollt und es funktioniert nicht, obwohl ihr kommuniziert habt, dass ihr traumatisiert seid und darüber gesprochen habt, was das konkret für diese Situation bedeutet. Dass euch beispielsweise Nein sagen schwerfällt. Dass ihr anfangt, in eine Rolle zu schlüpfen, in der ihr Consent vorspielt, weil ihr das Gefühl habt, dass es so erwartet wird.
Dann liegt es nicht an euch.
Ich weiß, dass niemand mir glauben wird, weil ich mir selbst nicht geglaubt hätte in derselben Situation. Dabei will ich nicht mal sagen, dass euer Partner euer Trauma ausnutzt. Auch wenn ich glaube, dass das in den allermeisten dieser Fälle so ist. Vielleicht versteht er es einfach wirklich nicht. Oder sie. Si:er. Partner:in. Who knows.
Aber es funktioniert, irgendwo auf der Welt. Und es gibt Verständnis, irgendwo, wenn nicht hier. Das weiß ich, weil ruru existiert. Und ruru ist nicht mal traumatisiert. ruru kennt nichts davon; nicht mal die schlimmen Gedanken. ruru kann sogar Sachen falsch machen ohne sich zu hassen. Das ist für mich immer wieder befremdlich.
Und trotzdem hat ruru Verständnis. Selbst ohne meine Worte. Hört er jeden kleinen nicht komplett erfreuten Laut und fragt sofort, ob alles in Ordnung ist. Hört er jedes stumme oder überdeckte Nein, ohne dass irgendjemand es sprechen muss. Und niemals würde er von sich aus irgendetwas sexuelles anfangen, bei dem nicht vollkommen klar ist, dass wir es auch wollen.

Manchmal entschuldige ich mich, weil es mir wirklich, wirklich leidtut. Dass ich keinen Sex haben kann. Dass ich ihn manchmal nicht mal anfassen kann. Dass ich manchmal wochen- oder sogar monatelang keinen Sexualtrieb mehr habe. Dass, was auch immer gerade nicht geht, schon wieder kaputt ist. Und dann nimmt er mich in seine Arme und sagt mir, dass das nicht meine Schuld ist. Und überhaupt muss ich gar nichts, selbst wenn alles in Ordnung wäre. Und außerdem liebt er mich. Und außerdem muss ich nie wieder irgendwen anfassen, wenn ich das nicht möchte.
Und weil ruru existiert, weiß ich, dass niemand einen Partner haben muss, bei dem Grenzüberschreitungen existieren. Denn es gibt bestimmt genug rurus auf dieser Welt. Für all die Menschen, die ihre eigenen Grenzen nicht einfordern können.

Eine (traumatisierte) Freundin hat mir mal gesagt, wenn ich die richtige Person finde, dann funktioniert das alles. Dann kann ich sogar Sex haben, ganz ohne Probleme.
So einfach war das nicht. So einfach ist das nicht. Aber Recht hatte sie trotzdem: bei der richtigen Person funktioniert es. Irgendwie. Vielleicht ganz langsam, vielleicht dauert es Jahre, aber es ist nicht mehr schlimm. Bei anderen funktioniert es eben nicht. Dafür ist es eigentlich auch egal, ob diese einen missbrauchen oder nicht.
Und ich weiß: niemand, der in einer ähnlich kaputten Beziehung ist, wie wir bevor wir ruru kannten, wird das, was ich gerade gesagt habe, überhaupt annehmen können. Denn: 'diese Beziehung ist anders - da liegt es wirklich einfach an meiner eigenen Kommunikationsfähigkeit - mein Partner gibt sich definitiv Mühe, aber ich bin eben einfach unfähig.'
Aufschreiben tue ich es trotzdem. Für die eine Person, der es vielleicht doch hilft. Und sowieso gilt, auch für jede andere Situation:
Es ist nie eure Schuld.
War es nie und wird es nie sein.

Sonntag, 20. Dezember 2020

#31: Systemverantwortung

Es gibt eine Regel, dass man eine gemeinsame Verantwortung als System hat. Wenn X aus meinem System etwas falsch macht, habe auch ich für ihren Fehler gerade zu stehen.
Man kann sich das wie in einem Kommunalrat vorstellen: dort sitzen verschiedene Leute, die verschiedene Sachen wollen und wenn einer von ihnen etwas falsch macht, trifft der Fehler alle und alle müssen dafür gerade stehen. Richtig?
Nur, dass das nicht ist, wie die Welt funktioniert. Politiker, die Fehler machen, müssen in der Regel zurücktreten und dann bemühen sich alle anderen darum, zu erklären, warum sie mit dem Fehler nichts zu tun hatten.

Wir haben eine sehr andere Einstellung zum Thema Verantwortung innerhalb von Systemen.
Wenn X etwas falsch macht, dann gab es für mich keinen Weg, es zu verhindern. Ich kann nicht entscheiden rauszugehen und den Fehler zu verhindern. Ich kann nicht entscheiden, co-bewusst zu sein und X ihre Tat auszureden (oder selbst wenn hat mein Versuch keine Erfolgsgarantie). Ich kann nicht mal entscheiden, überhaupt etwas von X Verhalten mitzubekommen.

Wenn ich jetzt zu der verletzten Person gehe und mich im Namen Cirrus Floccus entschuldige, was hindert X dann daran, sich weiter grauenvoll zu verhalten? Sie muss nie mit ihren Fehlern umgehen. Sie kann einfach im Innen verschwinden und darauf warten, dass sich jemand anders um ihre Fehler kümmert, nur um dann erneut rauszukommen und weitere zu begehen, weil sie nie die Konsequenzen ihrer Handlungen spürt.
Deshalb gehen wir anders damit um.

Wenn X jemanden verletzt, behandle ich das so, als wäre die Person von Y aus unserem Freundeskreis verletzt worden - weil ich nichts gemacht habe. Wenn X nicht selbst einsieht, dass sie etwas falsch gemacht hat, werde ich mit X reden und versuchen, zwischen ihr und dem verletzten Freund zu vermitteln. Aber ich kann keine Verantwortung übernehmen. Dann fehlt sie nämlich bei X.
Und natürlich kann es sein, dass besagter Freund danach keinen Kontakt mehr zum gesamten System haben mag. Schließlich könnte X rauskommen und ihn erneut verletzen! Das muss ich akzeptieren, weil X immer noch ein Teil unseres großes Ganzen ist. Genauso wie ich die Strafe akzeptieren muss, wenn X eine Straftat begeht, weil wir in dem Moment eine Gefahr darstellen würden. Immerhin könnte X nochmals rauskommen und wieder eine Straftat begehen.
Aber das ist etwas anderes als Verantwortung und Schuld. Die gehört nämlich nicht mir und deshalb werde ich sie auch nicht nehmen. Dann fehlt sie nämlich da, wo sie eigentlich hingehört.

„Aber Lana“, höre ich irgendjemanden sagen. „Dann könnt ihr das doch total ausnutzen! Wenn X etwas falsch macht, kann sie einfach sagen, es war Z, die total selten draußen ist! Und wenn du etwas falsch machst, kannst du einfach sagen, es war X, weil die ja ohnehin scheinbar die ganze Zeit Fehler begeht!“
Ja. Ja, das könnten wir machen.
Wenn wir von jedem gehasst werden wollen, können wir das machen. Immerhin fällt es auf, wenn man Verantwortung immer nur von sich schiebt.
Wenn wir das dysfunktionalste System werden wollen, das wir jemals getroffen haben, weil sich alle untereinander hassen, können wir das machen.
In welchem Szenario wäre das eine wünschenswerte Zukunft?

Die Innenperson zu benennen, die die Verantwortung zu tragen hat, ist nicht seine Krankheit als Freifahrtsschein für schlechtes Verhalten zu nehmen. (Auch wenn das eine Möglichkeit ist.)
Sich selbst von einer Mitschuld freizusprechen, weil man nicht anwesend war, ist nicht sich als unfehlbar darzustellen. (Auch wenn das eine Möglichkeit ist.)
Sich selbst nicht die Schuld an Fehlern zu geben, mit denen man nichts zu tun hatte, ist richtig und wichtig, und heißt nicht, eigene Fehler von sich abzuweisen. (Auch wenn das eine Möglichkeit ist.)
Seine Krankheit als Freifahrtsschein zu benutzen wäre, jegliche Konsequenz für innersystemliches Fehlverhalten für sich abzulehnen.
Aber die Verantwortung? Gehört nur X.

Donnerstag, 10. Dezember 2020

#28: Warum Du (k)eine DIS haben möchtest

„Ich wünschte, ich hätte auch eine DIS“, sagte mir mal jemand, kurz nach unserer Diagnose, als wir davon erzählten und gerade erklärten, was das ist. „Dann wäre ich nie alleine.“
Mir war schon vorher erzählt worden, dass es so etwas gab: ignorante Unos, die sich 'einfach so' eine DIS wünschten, weil ihnen langweilig war und sie gar nicht wussten, was traumatisiert sein eigentlich bedeutet! Deshalb machte mich das sehr wütend und ich erzählte ihm, was er sich da gerade wünschte: schwerste Traumata in der frühsten Kindheit. So etwas wollte doch niemand. Richtig respektlos, das einfach so zu sagen! Der hatte scheinbar meinen Text über die Ursachen der DIS gar nicht erst gelesen und dachte jetzt, das wäre ein lustiges Rollenspiel!

So viel Ignoranz in einer einzelnen Person.
Mir.
Denn er erzählte: von einer Kindheit voller Trauma. Jugend voller Trauma. Alles und überall Trauma - von den Eltern, den Mitschülern, den Lehrern, dem nie Sichersein, Isoliertsein, den Flashbacks, der PTBS, den ganzen Problemen, die ich selbst kannte.
Wie schön es doch wäre, das zumindest nicht alleine erlebt haben zu müssen!

Danach hörte ich auf, auf Menschen, die sagten, sie hätten gerne eine DIS, wütend zu werden und fragte stattdessen: warum?
Und in 90% der Fälle hörte ich von Misshandlungen, schwersten Kindheits- und Jugend- und Alles-Traumata, einem Leben voller Flashbacks und PTBS und sonstigen psychischen Erkrankungen.
Wie schön das doch wäre, nur für eine Sekunde vergessen zu können!

Und ich weiß doch selbst: wir alle (in unserem System) sind uns gegenseitig so unglaublich dankbar. Dafür, einen Teil der Erinnerungen zu halten, nur einen Teil des Grauens, das ich selbst nicht erlebt haben muss, nur eine Sekunde, für die ich abschalten kann, weil jemand anders übernimmt, für die Innenpersonen, die bei Flashbacks aufpassen, da sind, beruhigen, die Personen, die vor Angst beschützen, die Personen, die die Dinge tun, die ich selbst nicht sein kann.
Wie schlimm das sein muss. Ein einzelner Mensch zu sein, mit genauso viel Trauma.
Ganz alleine in der Hölle.
Und ja: die DIS hat sehr unschöne Seiten. Amnesien oder Körperdysphorien oder einfachverschwinden, einandervermissen, nicht einfach dem Trauma entkommen können, weil irgendjemand immer zurückrennt.
Aber wir alle, als Systeme, haben doch eins gemeinsam: wir haben keine Ahnung, wie es sich anfühlt, eine schwertraumatisierte Einzelperson zu sein. Also woher nehmen wir das Recht so wütend zu sein, dass jemand sich unsere Realität wünscht? Wir haben doch keine Ahnung, ob sie vielleicht erträglicher ist.

Und ja,
es ist etwas anderes, wenn jemand wirklich nicht versteht und die DIS tatsächlich für ein lustiges Rollenspiel hält.
Aber in den wenigsten Fällen kennen wir diese Menschen überhaupt.
Also warum verurteilen wir so schnell? Wenn wir selbst uns doch Akzeptanz wünschen.
Warum machen wir so schnell zu? Wenn alles, was die Welt braucht, mehr Offenheit ist.
Warum reagieren wir mit Wut? Ablehnung? Zurückweisung?
Wenn wir doch einfach fragen könnten: Warum?