Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Donnerstag, 10. Dezember 2020

#28: Warum Du (k)eine DIS haben möchtest

„Ich wünschte, ich hätte auch eine DIS“, sagte mir mal jemand, kurz nach unserer Diagnose, als wir davon erzählten und gerade erklärten, was das ist. „Dann wäre ich nie alleine.“
Mir war schon vorher erzählt worden, dass es so etwas gab: ignorante Unos, die sich 'einfach so' eine DIS wünschten, weil ihnen langweilig war und sie gar nicht wussten, was traumatisiert sein eigentlich bedeutet! Deshalb machte mich das sehr wütend und ich erzählte ihm, was er sich da gerade wünschte: schwerste Traumata in der frühsten Kindheit. So etwas wollte doch niemand. Richtig respektlos, das einfach so zu sagen! Der hatte scheinbar meinen Text über die Ursachen der DIS gar nicht erst gelesen und dachte jetzt, das wäre ein lustiges Rollenspiel!

So viel Ignoranz in einer einzelnen Person.
Mir.
Denn er erzählte: von einer Kindheit voller Trauma. Jugend voller Trauma. Alles und überall Trauma - von den Eltern, den Mitschülern, den Lehrern, dem nie Sichersein, Isoliertsein, den Flashbacks, der PTBS, den ganzen Problemen, die ich selbst kannte.
Wie schön es doch wäre, das zumindest nicht alleine erlebt haben zu müssen!

Danach hörte ich auf, auf Menschen, die sagten, sie hätten gerne eine DIS, wütend zu werden und fragte stattdessen: warum?
Und in 90% der Fälle hörte ich von Misshandlungen, schwersten Kindheits- und Jugend- und Alles-Traumata, einem Leben voller Flashbacks und PTBS und sonstigen psychischen Erkrankungen.
Wie schön das doch wäre, nur für eine Sekunde vergessen zu können!

Und ich weiß doch selbst: wir alle (in unserem System) sind uns gegenseitig so unglaublich dankbar. Dafür, einen Teil der Erinnerungen zu halten, nur einen Teil des Grauens, das ich selbst nicht erlebt haben muss, nur eine Sekunde, für die ich abschalten kann, weil jemand anders übernimmt, für die Innenpersonen, die bei Flashbacks aufpassen, da sind, beruhigen, die Personen, die vor Angst beschützen, die Personen, die die Dinge tun, die ich selbst nicht sein kann.
Wie schlimm das sein muss. Ein einzelner Mensch zu sein, mit genauso viel Trauma.
Ganz alleine in der Hölle.
Und ja: die DIS hat sehr unschöne Seiten. Amnesien oder Körperdysphorien oder einfachverschwinden, einandervermissen, nicht einfach dem Trauma entkommen können, weil irgendjemand immer zurückrennt.
Aber wir alle, als Systeme, haben doch eins gemeinsam: wir haben keine Ahnung, wie es sich anfühlt, eine schwertraumatisierte Einzelperson zu sein. Also woher nehmen wir das Recht so wütend zu sein, dass jemand sich unsere Realität wünscht? Wir haben doch keine Ahnung, ob sie vielleicht erträglicher ist.

Und ja,
es ist etwas anderes, wenn jemand wirklich nicht versteht und die DIS tatsächlich für ein lustiges Rollenspiel hält.
Aber in den wenigsten Fällen kennen wir diese Menschen überhaupt.
Also warum verurteilen wir so schnell? Wenn wir selbst uns doch Akzeptanz wünschen.
Warum machen wir so schnell zu? Wenn alles, was die Welt braucht, mehr Offenheit ist.
Warum reagieren wir mit Wut? Ablehnung? Zurückweisung?
Wenn wir doch einfach fragen könnten: Warum?

1 Kommentar: