Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
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Sonntag, 20. Dezember 2020

#31: Systemverantwortung

Es gibt eine Regel, dass man eine gemeinsame Verantwortung als System hat. Wenn X aus meinem System etwas falsch macht, habe auch ich für ihren Fehler gerade zu stehen.
Man kann sich das wie in einem Kommunalrat vorstellen: dort sitzen verschiedene Leute, die verschiedene Sachen wollen und wenn einer von ihnen etwas falsch macht, trifft der Fehler alle und alle müssen dafür gerade stehen. Richtig?
Nur, dass das nicht ist, wie die Welt funktioniert. Politiker, die Fehler machen, müssen in der Regel zurücktreten und dann bemühen sich alle anderen darum, zu erklären, warum sie mit dem Fehler nichts zu tun hatten.

Wir haben eine sehr andere Einstellung zum Thema Verantwortung innerhalb von Systemen.
Wenn X etwas falsch macht, dann gab es für mich keinen Weg, es zu verhindern. Ich kann nicht entscheiden rauszugehen und den Fehler zu verhindern. Ich kann nicht entscheiden, co-bewusst zu sein und X ihre Tat auszureden (oder selbst wenn hat mein Versuch keine Erfolgsgarantie). Ich kann nicht mal entscheiden, überhaupt etwas von X Verhalten mitzubekommen.

Wenn ich jetzt zu der verletzten Person gehe und mich im Namen Cirrus Floccus entschuldige, was hindert X dann daran, sich weiter grauenvoll zu verhalten? Sie muss nie mit ihren Fehlern umgehen. Sie kann einfach im Innen verschwinden und darauf warten, dass sich jemand anders um ihre Fehler kümmert, nur um dann erneut rauszukommen und weitere zu begehen, weil sie nie die Konsequenzen ihrer Handlungen spürt.
Deshalb gehen wir anders damit um.

Wenn X jemanden verletzt, behandle ich das so, als wäre die Person von Y aus unserem Freundeskreis verletzt worden - weil ich nichts gemacht habe. Wenn X nicht selbst einsieht, dass sie etwas falsch gemacht hat, werde ich mit X reden und versuchen, zwischen ihr und dem verletzten Freund zu vermitteln. Aber ich kann keine Verantwortung übernehmen. Dann fehlt sie nämlich bei X.
Und natürlich kann es sein, dass besagter Freund danach keinen Kontakt mehr zum gesamten System haben mag. Schließlich könnte X rauskommen und ihn erneut verletzen! Das muss ich akzeptieren, weil X immer noch ein Teil unseres großes Ganzen ist. Genauso wie ich die Strafe akzeptieren muss, wenn X eine Straftat begeht, weil wir in dem Moment eine Gefahr darstellen würden. Immerhin könnte X nochmals rauskommen und wieder eine Straftat begehen.
Aber das ist etwas anderes als Verantwortung und Schuld. Die gehört nämlich nicht mir und deshalb werde ich sie auch nicht nehmen. Dann fehlt sie nämlich da, wo sie eigentlich hingehört.

„Aber Lana“, höre ich irgendjemanden sagen. „Dann könnt ihr das doch total ausnutzen! Wenn X etwas falsch macht, kann sie einfach sagen, es war Z, die total selten draußen ist! Und wenn du etwas falsch machst, kannst du einfach sagen, es war X, weil die ja ohnehin scheinbar die ganze Zeit Fehler begeht!“
Ja. Ja, das könnten wir machen.
Wenn wir von jedem gehasst werden wollen, können wir das machen. Immerhin fällt es auf, wenn man Verantwortung immer nur von sich schiebt.
Wenn wir das dysfunktionalste System werden wollen, das wir jemals getroffen haben, weil sich alle untereinander hassen, können wir das machen.
In welchem Szenario wäre das eine wünschenswerte Zukunft?

Die Innenperson zu benennen, die die Verantwortung zu tragen hat, ist nicht seine Krankheit als Freifahrtsschein für schlechtes Verhalten zu nehmen. (Auch wenn das eine Möglichkeit ist.)
Sich selbst von einer Mitschuld freizusprechen, weil man nicht anwesend war, ist nicht sich als unfehlbar darzustellen. (Auch wenn das eine Möglichkeit ist.)
Sich selbst nicht die Schuld an Fehlern zu geben, mit denen man nichts zu tun hatte, ist richtig und wichtig, und heißt nicht, eigene Fehler von sich abzuweisen. (Auch wenn das eine Möglichkeit ist.)
Seine Krankheit als Freifahrtsschein zu benutzen wäre, jegliche Konsequenz für innersystemliches Fehlverhalten für sich abzulehnen.
Aber die Verantwortung? Gehört nur X.

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