Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
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Samstag, 9. Januar 2021

#34: Selbsthass

Donnerstag hatten wir einen Psychologen-Termin. Hätten gehabt jedenfalls. Wir haben ihn abgesagt.
Donnerstag sind wir aufgewacht und es ging uns nicht gut, ein bisschen schwindelig, ein bisschen schlecht. Mittwoch hatten wir Halsschmerzen.
Mittwoch meinte ich schon, wenn es uns Donnerstag nicht gut geht oder wir nochmal Halsschmerzen haben, sagen wir den Termin ab. Es könnte ja Corona sein.
Und trotzdem lag ich Donnerstag im Bett und mein Gehirn sagte mir: "Du bist richtig unfähig. Es geht dir nicht mal wirklich schlecht. Und wegen so was willst du einen Termin absagen? Lächerlich. Sie wird bestimmt böse auf dich sein. Du musst bestimmt auch die Ausfallgebühr bezahlen, weil du zu spät abgesagt hast. Und das alles, weil dir ein bisschen schwindelig ist? Gott, du bist so unfähig."
Ich sagte zurück: "Aber ich will doch nur niemanden anstecken." Nur war das nicht wichtig. Ich war unfähig. Es ging mir nicht wirklich schlecht, also durfte ich auch nicht absagen.
Das hörte ich so lange bis ich mir selbst ganz unsicher war. Am Ende fragte ich ruru und er meinte, ich sollte den Termin absagen. Das tat ich dann auch.
"Unfähiges Stück Scheiße", tönte es in meinem Kopf wieder. "Wegen dir wird sie böse auf uns sein. Und dann müssen wir die Ausfallgebühren zahlen. So viel Geld haben wir gar nicht. Du stellst dich total an. Als ob man krank ist, nur weil man ein bisschen Halsschmerzen hat."
"Wenn sie böse auf uns ist, weil wir niemanden mit einer potentiell tödlichen Krankheit anstecken wollen, ist sie unflauschig", sagte ich zurück. Das interessierte meine Gedanken jedoch herzlich wenig.

Ich habe Donnerstag gelernt: Selbsthass macht vor nichts und niemandem Halt. Es ist die Reaktion auf ein Verhalten, von dem man antrainiert bekommen hat, dass es falsch ist. (Zumindest in diesem Moment.)
Es ist nicht wichtig, weshalb wir etwas machen. Oder wofür. Es ist nicht wichtig, dass wir nicht wollen, dass Menschen sterben. All das interessiert Selbsthass nicht.

"Momentan ist eine gute Müllaussortierungszeit", sagte ich Mittwoch zu ruru. "Man sieht genau, wem andere Menschen wichtig sind und wem nicht."
Aber jetzt denke ich: vielleicht ist es nicht so einfach. Was hätten wir gemacht, wenn wir kein ruru gehabt hätten? Wären wir hingegangen?
Ich möchte mir einbilden, dass das nicht passiert wäre. Weil wir selber wissen, wie sich das anfühlt, eine Lungenentzündung zu haben und fast zu sterben. Weil uns Menschen so, so wichtig sind. Weil wir niemandem wehtun wollen.
Aber wir haben gelernt, dass das alles für den eigenen Gedankenprozess plötzlich unglaublich unwichtig werden kann. Hauptsache niemand ist böse auf einen. Wenn Menschen böse sind, dann passieren ganzschlimmedinge.

Vielleicht ist es nicht so einfach.
Ich weiß es wirklich nicht.
Also dachte ich, ich schreibe es mal auf.

2 Kommentare:

  1. Wie ist das, wenn Termine aufgrund schöner Umstände abgesagt werden müssen? Ist das Empfinden das gleiche?

    Hätte ruru gesagt: Termin wahrnehmen. Was wäre dann?

    Untereinander scheint es verschiedene Wahrnehmungen zu geben - vielleicht sind solche Handlungen der erste Schritt, um hinter essentiellen Entscheidungen gemeinsam stehen zu können.

    Ich finde die Absage total in Ordnung. Sogar ohne Hinblick auf mögliche Ansteckungen, sondern auch wegen des persönlichen Wohls.

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    1. Ich glaub, was bei der Situation vermutlich auch wichtig war, ist, dass wir normalerweise hingegangen wären. Wir haben an sich kein Problem damit, Zuhause zu bleiben, weil wir krank sind - nur hier war es halt so, dass es nur minimal schlecht war und den Tag vorher hatten wir halt Halsschmerzen, aber normalerweise wären wir eben gegangen und hätten auch gehen wollen.
      Ganz davon abgesehen, dass man Psychologentermine meistens selbst bezahlen muss, wenn man sie so kurzfristig absagt, wobei da eben während Corona Ausnahmen gemacht werden. Da möchte man auch alleine deswegen eigentlich nicht absagen, wenn man nicht gerade echt richtig krank ist...
      wegen schönen Umständen fände ich es ziemlich verwerflich, kurzfristig einen Termin abzusagen, an dem jemand anderes Einkommen hängt. So allgemein haben wir schon öfter wegen schönen Umständen abgesagt (dann aber eben eher so 'ne Woche vorher), weil uns zB Freunde auf Konzerte eingeladen haben, die ausgerechnet da lagen, wo wir einen Termin hatten oder so. Da ist dann auch kein Selbsthass vorhanden. Man soll ja auch ein schönes Leben leben können - das ist den Psychologen vermutlich auch wichtiger als dass man wirklich zu jedem einzelnen Termin erscheint.
      Aber leider bekommen die Psychologen halt kein Geld, wenn man einen Termin absagt und wenn es dann kurzfristig ist, können sie den freien Platz auch oft nicht mehr an wen anders loswerden. Und da Kassenpsychologen eh nicht so gut bezahlt werden, ist das dann schon ziemlich doof.

      Hätte ruru gesagt, dass wir hingehen sollen, wären wir in dem Fall vermutlich hingegangen und hätten uns danach gehasst, dass wir vielleicht Corona haben und vielleicht wen angesteckt haben. Das wollten wir irgendwie auch zeigen: Selbsthass ist total komisch und macht überhaupt keinen Sinn, weil es manchmal gar keine "richtige" Handlung gibt, für die man sich dann nicht hasst, obwohl man in diesem Fall, so ganz logisch betrachtet, auch gar nichts falsch gemacht hat. Die Psychologin meinte halt selbst auch so, dass sie das gut findet, dass wir dann absagen und so.

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