Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Mittwoch, 3. März 2021

#42: ein Monolog über Schäden

In letzter Zeit fällt es mir unglaublich schwer, irgendetwas zu schreiben. Ich habe oft Themen im Kopf und versuche sie dann, in Worte zu fassen, aber es gelingt mir irgendwie nicht. Ich lese es dann am Ende noch mal und es ist zwar ein Text über ein Thema, aber er hat irgendwie keinen Punkt. Der Text wirkt unvollständig.
Ich habe gleichzeitig sehr viele Texte von anderen Innenpersonen hier rumliegen, die ich theoretisch mal abtippen könnte (wir schreiben sehr viel in Notizbücher). Früher habe ich das gerne gemacht: die Worte von den anderen abtippen. Dann konnten sie auch mal was sagen, selbst wenn sie nicht genug draußen waren, um das alles selbst zu machen und Rechtschreibfehler zu überprüfen und die Texte so abzuändern, dass sie verständlicher sind (das muss man nicht machen - aber wir haben gelernt, dass wir oft falsch verstanden werden, wenn wir das nicht tun). Außerdem konnte ich sie besser kennenlernen dadurch. Ihre aufgeschriebenen Ansichten, aber auch Sprachstil, Wortwahl und alles weitere - ich gebe mir Mühe, selbst wenn ich Sachen verbessere, nicht Dinge rauszunehmen, die anderen Innenpersonen wichtig sind und durch meine Art, Dinge zu sagen, zu ersetzen. Dafür muss ich mich aber natürlich erstmal mit ihnen auseinandersetzen. Früher hatten wir innere Kommunikation, zumindest halbwegs. Mittlerweile ist diese ziemlich gestorben.
Darüber möchte ich schreiben, weil ich verstanden habe, warum ich diese Texte nicht abtippe. Es hängt alles zusammen.

Als wir im Prozess waren, unsere Diagnose zu bekommen, habe ich ruru davon erzählt. Das war im Oktober 2019, glaube ich. Er hat es nicht verstanden, aber erstmal so hingenommen. Ich war mir da ja auch noch selbst nicht sicher. Dann hat er Skye und Mina kennengelernt - und es verstanden. Was das heißt. Und wir haben die DIS diagnostiziert bekommen.
Am Anfang war ich mega glücklich. Dass ich traumatisiert war, wusste ich eh. Es war kein Schock für mich, dass in meiner Kindheit mehr passiert war als woran ich mich erinnerte - das hatte ich ohnehin schon mehrfach vermutet. Auch wenn ich die Ausmaße nie vermutet hatte, aber es war schlüssig für mich, meinem Vater würde eh jeder zutrauen, dass er so was macht und den Kontakt hatten wir auch schon lange abgebrochen. Stattdessen habe ich mich endlich besser selbst verstanden, weil ich mich endlich nicht mehr im Gesamtbild jeder Erinnerung, die ich hatte, verstehen musste (im Alltagssystem besteht, zumindest für mich, so gut wie gar keine Amnesie), sondern eben nur im Kontext meiner eigenen Persönlichkeit. Die anderen durfte ich kennenlernen - das war zwar teilweise seltsam und manchmal schäme ich mich auch für Verhaltensweisen, die andere Innenpersonen an den Tag legen, was vermutlich normal ist, wenn man sich einen Körper teilt, aber im Allgemeinen liebe ich Menschen. Es ist eine der schönsten Sachen für mich, Menschen kennenzulernen und Beziehungen zu ihnen aufzubauen. Andere Innenpersonen waren zwar nicht ganz so begeistert davon, aber wir alle haben diese Befreiung davon gespürt, dass wir uns endlich besser verstanden haben. Die innere Kommunikation war nach einigen Monaten einfach plötzlich da. Natürlich nicht im gesamten System, aber im Alltagssystem. Von dem Rest wussten wir damals auch noch extrem wenig.

Relativ schnell erzählten wir auch unseren Freunden davon, dass wir ein System sind. Natürlich hatten wir Angst, dass diese vielleicht ablehnend reagieren, jedoch haben wir aufgrund unserer Erkrankung durchgehend die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, so früh wie möglich abgelehnt zu werden - es ist dann insgesamt weniger schlimm. Wir nennen das 'den Müll aussortieren'. Mit 'Müll' sind an der Stelle zwischenmenschliche Beziehungen gemeint, die einem eher schaden als dass sie schön sind.
Glücklicherweise reagierten unsere Freunde fast durchweg positiv. Wenn ich mich richtig erinnere, reagierte lediglich eine Person unflauschig, zu der wir danach dann auch relativ schnell immer weniger Kontakt hatten.
Nach einigen Wochen nahmen wir deshalb ein Experiment in Angriff: wir würden auf einen Discord-Server gehen, auf denen wir fast niemanden kannten, außer so drei Personen und mal gucken, wie die darauf reagierten, wenn wir direkt bei der Vorstellung erwähnen würden, dass wir ein System sind! Die Reaktionen waren neutral bis positiv. Natürlich wurden uns viele Fragen gestellt, die teilweise auch ein wenig seltsam waren, aber insgesamt wurde es einfach akzeptiert und wir freundeten uns sogar mit einer Person von dort an (hawwu!).

Da zu diesem Zeitpunkt auch mehr traumatisierte Innenpersonen rauskamen und uns auffiel, dass wir doch sehr viel Amnesie haben und unsere innere Kommunikation auch insgesamt nicht so super war, aber wir keinen Therapeuten fanden, beschlossen wir auf einen Discord-Systemserver zu gehen, um vielleicht Tipps zu bekommen, wie man die innere Kommunikation verbessern konnte. Leider war dieser Server sehr unflauschig und uns wurde direkt nach der Vorstellung gesagt, dass wir ja gar kein System sein könnten, weil wir 'so klein' waren und 'echte Systeme' hätten alle über 10 Innenpersonen (damals dachten wir noch, wir wären ein deutlich kleineres System). Ich weiß die Grenze, die sie hatten, nicht mehr genau und uns war auch klar, dass das nicht stimmt, aber verletzend war es eben trotzdem. Daraufhin gingen wir in eine andere Community, wo wir erstmal auch ganz normal aufgenommen wurden. Als wir jedoch die Menschen dort besser kennenlernten und auch mehr von uns erzählten, erhielten wir immer mehr Rückmeldungen darüber, dass (im besten Fall) unsere Diagnose falsch war, weil es nicht sein könnte, dass man so (verhältnismäßig) gute Kommunikation nur ein paar Monate nach der Diagnosestellung hatte, vor allem ohne Therapie und dass es bei Systemen auch nie vorkommen würde, dass diese ihre Diagnose direkt einfach akzeptieren können. Im schlimmsten Fall würde uns direkt vorgeworfen, dass wir uns das alles nur ausdenken würden, um irgendwo "dazuzugehören". Wir blieben eine Weile dort, weil dort teilweise auch sehr flauschige Menschen waren und wir dachten, wir müssten uns einfach nur "gut genug erklären" und dann würden uns auch alle akzeptieren, jedoch merkten wir immer mehr, dass es uns eher schadete dort zu sein und so gingen wir nach ein paar Monaten auch dort weg.

Inzwischen ist uns aufgefallen, dass es wohl an diesen Ereignissen liegt, dass unsere innere Kommunikation so schlecht geworden ist. Und das ist wichtig, für uns. Weil es keine ungreifbare, verwirrende Veränderung mehr ist, sondern ein klares Resultat aus einer schlimmen Situation. Was es vermutlich noch verschlimmerte, war, dass wir zu dieser Zeit nach Psychologen suchten und diese uns auch oft sehr schlecht behandelten.
Natürlich ist die Kommunikation jetzt nicht besser, nur weil wir das verstanden haben und wir wissen auch nach wie vor nicht wirklich, wie wir sie denn eigentlich verbessern sollten. Auch dieser Text hat mal wieder keinen Punkt. Aber ich will auch nicht diesen Blog die ganze Zeit leer stehen lassen.

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