Der Grund, dass unsere Bedürfnisse so (verhältnismäßig) sehr akzeptiert werden, ist nicht, dass unser Umfeld so phänomenal verständnisvoll ist; obwohl das mit Sicherheit auch ein Faktor ist. Aber der Grund ist vielmehr, dass wir jedes mal unsere Seele auf dem Tisch ausbreiten, zerhacken, anderen Menschen einen Teil zum Ansehen in die Hand drücken. Sie können erkennen: dieses Erleben ist ganz fundamental anders als mein eigenes. Und dann akzeptieren sie auch, dass man nicht damit umgehen kann, wenn Menschen sexuelle Witze machen, weil das ja logisch ist. Man ist halt irgendwie kaputt. Vergewaltigungen machen eben, dass das Thema Sex schwierig ist.
Wir kennen aber auch die Welt bevor wir Erinnerungen an Missbrauch hatten: da war es nie okay. Wir mussten uns halt einfach mit diesen (nebenbei bemerkt meist zutiefst übergriffigen) Witzen abfinden. Immerhin hatten wir keinen Grund sie schlimm zu finden - wir waren ja nicht vergewaltigt worden.
Dienstag, 1. Juni 2021
#58: Seelenstriptease
Vielleicht sind wir Teil des Problems, fiel mir neulich ein, als ich mal wieder lang und breit erklärte, warum wir eine bestimmte Sache anders machten als nicht-traumatisierte, neurotypische Menschen. Das hinge mit der DIS zusammen, deshalb bräuchten wir das so. Damit beendete ich ein Gespräch über etwas, das nur uns selbst betraf, von dem uns ständig versucht wurde einzureden, dass es falsch ist, weil es für andere Menschen nicht gut wäre. (Ja. Denn das Erleben von anderen Menschen ist nicht aus mehreren Schichten Dissoziation aufgebaut.)
Ich war frustriert. Jedes mal erkläre ich immer und immer wieder das Gleiche: dass es für mich, für uns so besser funktioniert. Akzeptiert wird es erst, wenn ich sage: "Das hängt damit zusammen, dass ich fünfzig mal vergewaltigt wurde und deshalb mein Gehirn jetzt anders funktioniert als deins."
Mir fiel auf, dass es immer dasselbe ist. Erfahrungsgemäß wäre das nicht gut, was wir tun. Erfahrungen, die auf neurotypischen Menschen aufbauen.
In meinen Gedanken stelle ich mir immer eine Welt vor, in der es anders sein kann. In der man einfach sagen kann: hey, können wir das Thema wechseln? Mich zieht dieses Thema runter. Ohne seine Lebensgeschichte zu erklären. Ohne all seine schlimmsten Erinnerungen vor teilweise komplett fremden Menschen auf den Tisch zu legen. Ohne seine Seele metaphorisch zu zerstückeln und überall zur Schau zu stellen.
Vielleicht sind wir Teil des Problems, dachte ich. Die Welt kann nur dann anders werden, wenn genug Menschen aufhören, sich dauerhaft zu erklären und trotzdem ihre Grenzen einfordern.
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