Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
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Donnerstag, 24. Juni 2021

#60: Ableismus

Für nicht chronisch kranke Menschen scheint es vielleicht ein Widerspruch zu sein, dass man oft medizinisch schlechter behandelt wird, je kränker man ist, aber ich habe gerade ein fantastisches Beispiel, also dachte ich, ich erläutere es mal:
wir haben seit unserer Zweitimpfung (Corona) Schmerzen im rechten Oberbauch. Die waren zwei Wochen lang extrem schlimm, wurden dann etwas besser, weggegangen sind sie aber nicht. Da bei den Impfsymptomen ja in der Regel gesagt wird, dass sie nach zwei Wochen weg sind und wir zudem nichts spezifisches zu solchen Nebenwirkungen im Internet gefunden haben, sind wir letzte Woche zum Arzt gegangen. Unsere Hausärztin war da gerade im Urlaub, weshalb wir bei einem Vertretungsarzt waren. Der Arzt hat einen Ultraschall von unserer Leber und Gallenblase gemacht, allerdings nichts festgestellt und meinte dann, wir sollen einfach mal abwarten, ob es vielleicht innerhalb der nächsten Woche weggeht und wenn nicht, nochmal zu unserer Hausärztin gehen, da diese ja auch unsere Krankheitsgeschichte besser kennt.
So weit würde das jeder nicht chronisch kranke Mensch auch erleben. Man hat eben manchmal aus seltsamen Gründen irgendwelche Beschwerden und dann gehen sie von selbst wieder weg.

Da sie aber nicht weggingen, waren wir dann heute nochmal bei unserer Hausärztin.
Das Gespräch lief in etwa so ab:
Wir: "Hallo, wir haben seit der Corona-Impfung vor über drei Wochen Schmerzen im rechten Oberbauch. Wir waren deswegen letzte Woche schon bei Ihrem Kollegen, der hatte einen Ultraschall gemacht, allerdings nichts festgestellt und er meinte, wenn es nicht besser wird, sollen wir nochmal wiederkommen."
Sie: *kramt den Bericht raus* "Also, er hatte bei Ihnen schon eine Fettleber festgestellt."
Wir: "Ja, das ist bei Mukoviszidose normal, die haben wir seit ... Jahren."
Sie: "Vermutlich kommt es einfach daher."
Wir: "Na ja, es ist aber schon auffällig, dass es eben genau seit der Impfung ist."
Sie: "Das ist wahrscheinlich einfach Zufall. Ich würde da gar nichts machen, vermutlich kommt es von der Mukoviszidose und es wäre jetzt auch echt übertrieben, ein MRT zu machen, nur weil Sie ein bisschen Schmerzen haben." (Letzteres ist ein Zitat, wollte ich noch dazusagen, weil es extrem überzogen klingt.)

Leider ist das unsere Lebensrealität. Man geht zum Arzt, weil man irgendwelche Probleme hat und wenn der Arzt nicht innerhalb von kürzester Zeit rausfinden kann, was die Ursache ist, heißt es: "Das hängt bestimmt mit dieser Krankheit zusammen, die sie haben."
Dann muss man nämlich nicht zugeben, dass man keine Ahnung hat.
Die meisten Ärzte haben ein verdammt großes Problem damit, zuzugeben, wenn sie nicht wissen, woran irgendetwas liegen könnte. Also wird dann irgendeine Krankheit rausgekramt, die man hat, an der es ganz bestimmt liegt, damit sie sich einreden können, es wäre alles gut. Je mehr Vorerkrankungen man hat, desto mehr Auswahl haben Ärzte die Symptome auf etwas zu schieben, dass vielleicht, möglicherweise irgendetwas damit zu tun haben könnte. Je mehr Vorerkrankungen man hat, desto seltener wird man über Blutabnehmen hinaus untersucht.

Ich möchte nebenbei anmerken, dass unsere Hausärztin keine Ahnung von Mukoviszidose hat. Sie weiß natürlich ungefähr, was das ist, es wird im Medizin-Studium auch behandelt, aber eben nur sehr oberflächlich. Selbst Lungenärzte haben meistens wenig Ahnung von Mukoviszidose, weshalb es extra auf Mukoviszidose spezialisierte Ärzte gibt, zu denen man alle paar Monate geht, wenn man diese Krankheit hat.
Ebenfalls haben die allermeisten Hausärzte keine Ahnung von psychischen Erkrankungen und trotzdem wird extrem schnell gesagt: "Das hat bestimmt irgendwas mit deiner PTBS zu tun." Einfach so. Klingt irgendwie logisch. Vielleicht hab ich ja ein sterbendes Immunsystem, weil ich vergewaltigt wurde. Was, HIV? Ach, das müssen wir doch nicht überprüfen! Eine Autoimmunerkrankung? Aber ihre Blutwerte sind alle in Ordnung! Das Problem wurde mittlerweile gelöst - nicht von irgendeiner:m Ärzt:in, sondern von uns in Zusammenarbeit mit Google. Aber es zeigt extrem gut, wie absurd die Diagnosestrategien von Ärzten sind, sobald man irgendetwas hat, mit dem es vielleicht, eventuell, entfernt zusammenhängen könnte. Als bräuchte man dann keine Diagnostik. Als wäre das Problem gelöst, weil es vielleicht mit irgendetwas anderem zusammenhängt, das man nicht heilen kann.

2 Kommentare:

  1. Was ihr da schildert, kenne ich aus eigener Erfahrung leider zu gut... Körperliche Symptome werden einfach sofort auf die Psyche geschoben. Bei einer Bekannten von mir ging das so weit, dass die Ärzte eine schwere neurologische Erkrankung nicht erkannt haben, weil "Das kommt sicher von den Depressionen und dem Übergewicht" und am Ende hat die Bekannte bleibende Schäden davon getragen.
    Wenn ich so darüber schreibe, merke ich wie mich das wütend macht... es kann eigentlich nicht sein, dass ich mit meinen Beschwerden nicht ernst genommen werde, dass ihr mit euren Beschwerden nicht ernst genommen werdet... da sich das wohl (leider) so schnell nicht ändert, wünsche ich euch, dass zumindest die Schmerzen bald abnehmen.
    Ganz liebe Grüße, Ria

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    1. Am besten ist eigentlich echt immer, den Ärzten komplett zu verschweigen, was man sonst noch so alles hat, aber das ist ja eigentlich auch nicht das Wahre, weil es ja theoretisch wirklich daran liegen könnte und dann kann das wiederum nicht erkannt werden. Und gerade beim Hausarzt natürlich auch nicht möglich.
      Eigentlich ist unser Körpergefühl auch ziemlich gut und wir können meistens relativ genau sagen, mit was etwas zusammenhängt und dann ist es immer so: nein, das liegt wirklich an der Psyche!
      Und wir so: Nein, glauben Sie mir... ich SPÜRE, dass es anders ist.
      Was dann natürlich erst Recht als Beweis genommen wird, dass es an der Psyche liegt, weil man ja nicht mal benennen kann, woher dieses Gefühl überhaupt kommt. Wir liegen halt bisher 100% der Zeit richtig damit, aber geglaubt wird es trotzdem nie.

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