Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
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Freitag, 23. Juli 2021

#68: Missbrauch und Leugnen

Content Note: Leugnung von ritueller Gewalt.

Rituelle Gewalt existiert nicht. Das wurde mir neulich gesagt. Zum Glück stellte sich schon nach einer Minute heraus, dass es ein Missverständnis war und die Person eigentlich etwas anderes gemeint hatte. Trotzdem kräuselte sich, in dieser einen Minute, alles bei mir.
Wir sind nicht von ritueller Gewalt betroffen, aber kennen natürlich viele Systeme, die es sind. Da die meisten Systeme nicht so direkt über ihre Traumata reden, wissen wir es bei denen, die wir persönlich kennen, nicht, aber es gibt natürlich zahlreiche Systeme auf Instagram und Youtube, die betroffen sind und davon berichten.
Ich weiß, dass rituelle Gewalt existiert. Ich weiß es, weil ich weiß, wie grauenvoll Menschen sind und sein können. Ich weiß es so sehr, dass ich nie auf die Idee käme, einen Funken davon anzuzweifeln. Und dann gibt es Menschen, die einfach so nicht daran glauben. Auch wenn es hier nur ein Missverständnis war, wurde es mir dadurch zum ersten mal so richtig, richtig bewusst.

Ich weiß nicht, was ich fühle. Wut, Trauer, ich habe keine Ahnung. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, wie schön die Welt von jemandem sein muss, dass er sich nicht vorstellen kann will, dass etwas so grauenvolles existiert.
Und dann denke ich mir aber auch, ich kann es der Person ja nicht beweisen. Wenn ich sage, ich weiß das, dann klingt das vollkommen an den Haaren herbeigezogen. Ich hab ja nicht mal etwas erlebt. Vermutlich fühlt es sich an wie die eine Person, die ich vor Jahren getroffen habe, die mir weismachen wollte, dass unser Gendefekt heilbar ist. Die „wusste“ das bestimmt auch.
Das macht mich verzweifelt.
Für mein Leben spielt es keine Rolle. Ich bin nicht betroffen. Niemand bestreitet meine Lebensrealität. Aber das ekelhafte Gefühl davon, wenn man etwas erlebt hat und niemand glaubt es, das kenne ich. Und ich will nicht, dass irgendjemand das erleben muss.

Ich hab irgendwann einen Entschluss gefasst. Wenn ich denke, dass Menschen über Ereignisse lügen, dann spreche ich es nicht an, wenn ich nicht mit 100% Genauigkeit beweisen kann, dass sie es tun. Wenn die Ungewissheit zu schlimm für mich ist, gehe ich aus ihrem Leben. Aber ich werde nie, nie, nie, niemals jemanden einer Lüge bezichtigen, die ich nicht beweisen kann. Weil die Chance besteht, dass es die Wahrheit ist. Weil es, wenn es wirklich die Wahrheit ist, viel zu schlimm wäre.
Andere Menschen handhaben das nicht so. Sie reden einfach. Es ist ja nur eine Meinung. Das kann man ja ansprechen, wenn es berechtigte Zweifel gibt.
Aber es ist keine Meinung. Es ist das Absprechen einer Existenz, es ist ein metaphorisches Messer in die Seele oder ins Herz oder meinetwegen ins limbische System der betroffenen Person.
Man hat keinen Nachteil davon, einfach nichts zu sagen. Keinen einzigen. Ich werde nie verstehen, warum man dann jemandem ins Gesicht sagt, dass er lügt.
Würde man sich nur eine Sekunde vorstellen, man erzählt jemandem sein Leben und derjenige sagt 'Nein'.
Einfach so.
Hört man auf zu existieren.

Blyth hat uns gesagt, wir hätten uns alles nur eingebildet. Den Missbrauch. Das nennt man Gaslighting. Dass man jemanden dazu bringt, an seinen eigenen Erinnerungen zu zweifeln. An seiner eigenen Wahrnehmung. An seinem eigenen Leben.
Jemandem zu sagen, das, was er erlebt hat, würde nicht existieren, ist nichts anderes. Es ist derselbe Missbrauch. Es ist dieselbe Gewalt.

Gewalt ist keine Meinung.

4 Kommentare:

  1. Denke, dass es ein sehr schwieriges Thema ist. Jemanden der Lüge zu bezichtigen, kann enorm viel kaputt machen. Aber einfach schweigen? Kann anderes kaputt machen. Einen Beweis fordern, schwierig. Es gibt Dinge, die kann und will man sich nicht vorstellen, Dinge, die so absurd für einen selbst scheinen, dass sie nur gelogen sein können. Vielleicht sind sie es nicht. Wie will man das Beweisen? Was sind Tatsachen, was Wahrnehmungen, was ist Realität und was ist Illusion, Wahrheit und Lüge - eigentlich ist nichts davon absolut zu trennen. Vielleicht nicht mal existent.
    Ich glaube, grundsätzlich muss man seine Reaktion von der Person und dem Erzählten abhängig machen. Denn was kann man denn schon beweisen? Ist auf die eigene Wahrnehmung oder die Wahrnehmung eines anderen überhaupt Verlass, um etwas Gegenteiliges beweisen zu können. Schwierig. Immerzu jemanden eine Lüge zu unterstellen ist in meinen Augen genauso falsch wie immer zu schweigen.
    Aber was sind schon meine Gedanken...

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    1. Da würde mich in erster Linie interessieren, was es deiner Meinung nach bewirkt und besser macht, wenn man jemandem sagt, dass derjenige über Erfahrenes lügt.
      Also, darum geht es nämlich letztendlich. Klar, man muss (und kann!) nicht alles glauben. Und da kann man dann logischerweise auch Konsequenzen für sich draus ziehen, zum Beispiel Kontaktabbruch zu jemandem, dem man nicht vertrauen kann, weil man das Gefühl hat, dass derjenige immerzu lügt. Das haben wir auch schon gemacht. Dazu muss man ja aber der Person nicht ins Gesicht sagen, dass sie bei einer spezifischen Erfahrung lügt, sondern kann auch Worte verwenden wie "ich kann dir aus irgendeinem Grund nicht vertrauen, deshalb macht Kontakt für mich nicht so viel Sinn". Das ist halt was grundlegend anderes, weil, Vertrauen hat ja ganz viele Faktoren - eben nicht nur das Gegenüber, sondern auch eigene Erfahrungen, allgemein auch einen selbst einfach, ...
      Wenn man jetzt aber hingeht und zu der Person sagt: "Ganz ehrlich, ich glaub dir einfach nicht, dass du x erlebt hast." Dann gibt es halt das Szenario, dass sie aber die Wahrheit gesagt hat, in welchem Fall man einfach Schaden angerichtet hat und es gibt natürlich das Szenario, dass die Person tatsächlich gelogen hat. In dem Fall würde mich dann halt nur interessieren, was besser dadurch wird, dass man es ausgesprochen hat. Also, es sei denn halt, man kann sich wirklich 100% sicher sein, dass es so ist (hat dementsprechend Beweise) und spricht das aus, damit auch andere Menschen sich darüber im Klaren werden.
      Vielleicht magst du mir das einmal erläutern?
      Du sagst ja "schweigen kann anderes kaputt machen". Das seh ich halt nicht, aber ich kann ja auch Sachen übersehen.

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    2. Schweigen ist ja im Prinzip ein Schutz, um bspw. Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Auf der anderen Seite kann Schweigen natürlich auch Macht, Höflichkeit oder Verständnis usw. sein. Es ist ein Teil der Kommunikation, aber nur aus dem Zusammenhang lässt sich ja die Bedeutung des Schweigens herleiten.
      Meiner Meinung nach kann man das "nicht ansprechen" auch als eine Art des Schweigens ansehen. Das Problem ist in meinen Augen, dass es ja auch unterschiedliche Arten des Lügens gibt. Oft bauen sich Menschen ein Lügenkonstrukt um sich selbst auf, sei es aus Angst, Geltungsdrang, Schutz oder Manipulation usw.. Auch wenn es der Person so erscheint als ginge es ihr damit besser, ist dies häufig nicht der Fall. Daher denke ich, dass es angemessen ist, bei einer Person zu der man eine soziale Beziehung pflegt und diese Person einem dann wahrscheinlich etwas bedeutet, etwas sagen zu dürfen! Den Kontakt abzubrechen, ist sehr radikal. Natürlich ist es schwer zu differenzieren, wann ein Abbruch tatsächlich sinnvoll ist. Grundsätzlich denke ich aber, dass es in den meisten Fällen doch nur eine Art Selbstschutz ist, jenen man durch eine andere Form der Kommunikation, bspw. durch Worte, verhindern kann und auch sollte.
      Um auf das "Schweigen kann anderes kaputt machen" konkret einzugehen. Schweigen kann wahnsinnig wehtun, kann einem das Gefühl geben, als wäre man einer "richtigen" Konversation nicht gewachsen, als würde man nicht ernst genommen werden. Isolation, Selbstzweifel, Selbstwertverlust, Hilflosigkeit sind häufig die Folgen. Getreu dem Motto "ist doch egal, was ich sage". Außerdem ist eine solche Kommunikation ja nicht nur zwischen einem selbst und dem vermeintlichen Lügner, sondern dieser wiederum pflegt andere Gespräche mit anderen Menschen, auf deren Leben diese Erzählung einen nicht abschätzbaren Einfluss haben kann.
      Solche "Lügen" können bspw. auch triggern, ich denke, dem könnte man vorbeugen, indem man etwas sagt.

      Aber wie gesagt, ich denke nicht, dass es den einen idealen Weg gibt.

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    3. Danke für deine Sichtweise! Das seh ich tatsächlich teilweise auch ähnlich, dementsprechend fällt mir auch gerade auf, dass der Blogeintrag perspektivisch sehr beschränkt ist. Er entstand nämlich aus diesem Gedanken, dass eine wildfremde Person plötzlich behauptet, man würde lügen; meistens wegen irgendeiner Kleinigkeit (zum Beispiel, uns wurde man gesagt, dass wir bezüglich der DIS lügen, weil wir so offen darüber reden, aber halt von einer Person, die uns gar nicht kannte).
      Es ist ja schon ein gewaltiger Unterschied, ob man jemanden gar nicht kennt und nur mal zufälligerweise so 1-2 Texte von dem gelesen hat oder ob man tatsächlich mit einer Person befreundet ist. Wenn man da zum Beispiel denkt, dass die Person sich selbst anlügt, dann würde man vermutlich auch eher etwas in Richtung "bist du dir da sicher, es könnte ja auch dies und das sein" sagen oder so. Also, das "du lügst" käme nicht so aus einer ablehnenden Haltung, sondern weil man sich tatsächlich um die Person sorgt und ja auch möchte, dass es ihr gut geht.

      Bei fremden Menschen ist es nach meinem Gefühl halt einfach so, dass eine Falschbeschuldigung einfach schlimmer wäre als den eventuellen Schaden, den eine Lüge anrichten könnte. Aber je nach Situation sieht man das vielleicht auch anders. Selbst in meiner Wahrnehmung ist es zum Beispiel auch anders, ob es sich um irgendeine Person handelt, die in einer kleinen Gruppe etwas erzählt oder eine bekannte, öffentliche Person, die ganz vielen Leuten etwas erzählt.

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