Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
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Sonntag, 16. Januar 2022

#89: Trauma: Therapie VII

[13.01.2022]

Blyth hat es immer so dargestellt, wenn ich gesagt habe, dass ich nichts sexuelles möchte, als würde er den Unterschied zwischen Kuscheln und Sex nicht verstehen. Als wäre ihm das Konzept nicht-sexueller Berührung gänzlich fremd.
Und dann musste ich mich entscheiden.
Zwischen einer Welt, in der ich Umarmungen haben darf und berührt werden darf und den Körperkontakt haben darf, den ich so sehr brauche und einer Welt, in der ich keinen Sex mehr haben muss.
Das war die Darstellung. Es gab nur eine Welt gänzlich ohne Berührungen und eine Welt, in der ich Sex haben muss. Dazwischen war nichts vorhanden, nicht für ihn. Es gab nur zwei beschissene Situationen, zwischen denen ich wählen konnte.

In der Vergangenheit haben wir oft Therapien gemacht, in denen wir festgestellt haben, dass wir nicht zum Plan des Therapeuten passen. Der Therapeut hatte eine festgelegte Struktur, am Anfang bespricht man die Biografie, dann macht man Stabilisationsübungen, man redet über bestimmte Themen, mit denen traumatisierte Menschen im Allgemeinen oft Schwierigkeiten haben. Nur, dass wir mit diesen Dingen oft gar keine Schwierigkeiten hatten, aber dafür mit anderen.
Und plötzlich passte man nicht mehr in dieses System, das der Therapeut sich da überlegt hatte, also wurde man kurzerhand versucht, reinzupressen. Man hätte bestimmt doch Probleme mit dem besagten Thema, man wisse es nur selbst noch nicht oder würde es leugnen.

Dieses mal haben wir in der Therapie zum Ausdruck gebracht, dass es elementar wichtig ist, dass unsere Wahrnehmung über allem steht. Wenn wir sagen, es wäre sinnvoll, wenn wir zwei mal pro Woche Therapie haben, ist das so. Wenn wir sagen, wir haben keine Probleme mit einem bestimmten Thema, ist das so. Kein Therapeut wird uns mehr erzählen, dass unsere Wahrnehmung falsch ist - das hat Blyth zu lange gemacht.

Heute haben wir mit der Therapeutin darüber geredet, wie man die Therapie etwas mehr strukturieren könnte. Momentan ist es nämlich so, dass wir hingehen und meistens erstmal fünf Minuten lang schweigen. Manchmal gibt es natürlich irgendetwas, über das man akut reden möchte - und generell könnten wir auch einfach ein Gespräch anfangen. Aber in der Vergangenheit war es oft so, dass wir dann irgendetwas Belangloses gesagt haben, nur, damit es nicht so still ist und dann die gesamte Stunde über diese belanglose Sache geredet haben, die eigentlich überhaupt nicht wichtig für uns war. Das möchten wir gerne vermeiden - und sagen dann lieber gar nichts. Das haben wir der Therapeutin auch schon erklärt.
Wir hatten dann eben die Idee, es gibt ja bestimmt Themen, die mal wichtig zu besprechen wären, so allgemein und man könne eben eine Liste mit diesen Themen erstellen und dann können wir, wenn es nichts akut Wichtiges gibt, eben ein Thema von der Liste mitbringen. Dass das nicht geht, wurde mir erst später bewusst - ich habe immerhin selbst Dinge, über die ich einfach allgemein gerne öfter reden würde (zum Beispiel Blyth), weil ich gemerkt habe, dass mir das hilft, aber... ich könnte nie ein Gespräch darüber anfangen. Ich wüsste nicht, an welcher Stelle, wüsste generell nichts, es muss irgendwie natürlich in einem Gespräch aufkommen, damit ich überhaupt irgendetwas dazu zu sagen habe.
Jedenfalls fand die Therapeutin die Idee gut und wir haben auch gleich über mögliche wichtige Themen geredet. In diesem Kontext meinte sie dann, dass es ja auch gut ist, wenn wir die Therapie selbst strukturieren - Sie hätte davon abgesehen, irgendwelche Themen oder Ähnliches vorzugeben, weil es uns ja wichtig war, dass wir bestimmen, wie die Therapie aufgebaut wird und dass uns da nicht reingeredet wird.

Es ist dasselbe Gefühl.
Vor einem halben Jahr habe ich versucht, ihr zu erklären, was ich unter Therapie verstehe, was ich gerne hätte. Dass ich Struktur möchte, weil wir sonst einfach nur über Dinge reden, die mir gerade so einfallen, was ich genauso gut auch mit meinen Freunden machen kann. Bei mir entstand der Eindruck, dass Therapie einfach nur bezahlte Gespräche für Leute ist, die keine Freunde haben; aber da mir schon bewusst war, dass das nicht sein kann, weil andere Menschen ja durchaus auch Freunde haben, war es mir wichtig, das zu erklären, damit sich vielleicht irgendetwas ändern kann. Und weil ich es auch damals schon nicht mochte, dass am Anfang immer fünf Minuten Stille herrscht.
Ich hab damals nichts geklärt. Ich hab nur wieder und wieder darüber geredet, mich im Kreis gedreht. Die Therapeutin meinte dann, sie würde nicht mit einer vorgefertigten Struktur arbeiten, weil eben jede Person anders ist und sie müsse uns erstmal kennenlernen und wir sie ja ohnehin auch. Das fühlte sich an wie: „Es gibt noch keine Struktur, aber später können wir dann eine bauen.“ Danach fühlte es sich  geklärt an.

Jetzt fühlt es sich an, als würde ich zwischen zwei beschissenen Situationen stehen, von denen ich eine wählen kann. Entweder ich habe irgendwo Therapie, wo es absolut keine Struktur gibt, wo ich mir jegliche Struktur, die ich haben möchte, selbst aufbauen muss und dann mit dem Gefühl zurückbleibe, dass ich das eigentlich auch alles von vornherein selbst und alleine hätte machen können - oder ich habe irgendwo Therapie, wo es zwar Struktur gibt, aber uns dafür auch unsere komplette Fähigkeit zu Selbstreflexion und damit auch unsere Wahrnehmung abgesprochen wird.
Es gibt keine Mitte.
Wie verzweifelt ich bin, kann ich immer noch nicht ausdrücken.

„Aber darüber kann man ja reden. Das kann man ja klären.“
So wie schon im August und im September und im Oktober. Ich hab nicht mitgezählt, wie oft ich versucht habe zu erklären, was ich brauche. Zu oft für jegliche Regel, die ich mir diesbezüglich gestellt habe. Ich hatte und habe so sehr das Gefühl, dass die Therapeutin uns wirklich verstehen möchte und es einfach nur nicht tut. „Vielleicht, wenn ich es nur nochmal anders/besser erkläre, ...“, ist kein Gedankengang mehr, den ich haben kann. Die Hoffnung in mir ist gestorben.

Ich weiß nur nicht, was ich jetzt damit machen soll.

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