Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
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Mittwoch, 2. Februar 2022

#90: Überforderung ist wichtig

Alle Psychologen sind immer furchtbar bedacht darauf, dass niemand bloß jemals überfordert wird. Überfordert sein ist schlimm. Überfordert sein ist Trauma. Wir reden nicht hierdrüber oder da drüber, das könnte alles überfordernd sein und hier sind Übungen, hier sind Ressourcen gegen Stress; bloß nie, nie, nie, nie, nie wieder Überforderung. Es kommt mir vor wie ein verdammter Witz. Mein ganzes Leben ist überfordernd. Wenn ich nie wieder Überforderung will, muss ich Suizid begehen. Daran wird keine kleine Stunde Gespräch pro Woche irgendwas ändern. Dass ich überfordert bin, ist nicht das verdammte Problem.
Das Problem ist, dass unser Gehirn hundertausende Male in traumatischen Situationen überfordert war und jetzt denkt, überfordert sein heißt, dass gleich etwas GanzSchlimmes passiert. Aber wenn wir dann einfach für immer machen, dass wir nicht überfordert sind, wie soll unser Gehirn dann genau lernen, dass Überforderung nicht gleich GanzSchlimmeDinge ist? Es macht überhaupt keinen Sinn. Da beschweren sich Psychologen immer über etwaiges Vermeidungsverhalten und dann machen sie es selber.
Es kann mir auch niemand sagen, wenn ich nur genug Stressbewältigungsstrategien habe, dass ich nie wieder überfordert sein werde. Das ist nicht wie die Welt funktioniert. Das ist nicht wie Leben funktioniert. Und dass wir alleine so viel Fortschritte in unserer Traumaverarbeitung machen, liegt ganz bestimmt nicht daran, dass wir uns von jeglicher Überforderung fernhalten und bloß nie wieder zu viel fühlen; sonst hätten wir keine Freundschaften, wir hätten keine Beziehung, keine Therapie, kein gar nichts, wir würden einsam und alleine in unserer Wohnung sitzen und traurig sein und selbst dann wären wir noch überfordert, weil wir alle drei Monate zum Arzt müssen und Untersuchungen machen, die uns triggern.  Also könnten wir nicht zum Arzt gehen. Ziemlich sicher, das wäre auch eine Form von Suizid.

Ich fühl mich wie ein verdammtes Schneeflöckchen (behandelt). Ich darf schon wieder nichts fühlen. Fühlen ist schlecht. Fühlen ist Trauma. Und wenn wir Trauma besiegen wollen, dann beinhaltet das, dass wir ein „normales“ Level von Fühlen erreichen. Ich will kein scheiß „normales Level von Fühlen“. Ich mag mich wie ich bin. Mit Gefühlsvielfalt. Gefühls(zu)vielheit. Ja, das ist überfordernd. Die Lösung ist nicht BloßNieWieder überfordert zu sein.

Wenn wir überfordert sind, denkt unser Gehirn, es passiert jetzt EtwasGanzSchlimmes. Also was denken die, was passiert, wenn dann nichts Schlimmes passiert? Wenn sogar was Gutes passiert? Wenn plötzlich jemand da ist, den es kümmert, der versucht, irgendwie zu helfen, der sofort aufhört mit WasAuchImmer? Klar, beim ersten mal denkt man vielleicht so „hm, seltsam, das war bestimmt eine Ausnahme oder die Person hat das nur gemacht, damit sie mich am Ende noch mehr verletzen kann“ oder oder oder, aber nach drei Jahren sieht das schon anders aus. Und natürlich kann man dreizehn Jahre Trauma nicht mit drei Jahren überschreiben, in denen man gut behandelt wurde. Aber es hilft. Überfordert sein hilft. Man muss sich „nur“ ein Umfeld schaffen, in dem es aufgefangen wird (ich weiß selbst, wie verdammt schwierig das ist, so was zu finden).

Ich versteh diese ganze „Traumaarbeit“ nicht. Vielleicht ist es einfach nichts für mich. Es geht die ganze Zeit so sehr um Sicherheit; also könnte das Leben jemals sicher sein. Es ist nicht sicher. Ich will damit umgehen, nicht in irgendeiner Fantasiewelt leben.
Ich versteh Therapie nicht.
Ich hab das Gefühl, ich lebe in einer komplett anderen Welt als alle anderen Menschen, die in Therapie gehen.

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