Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Montag, 18. April 2022

#92: Bachelor of Gaslighting

Disclaimer: das „ihr“ am Ende des Textes bezieht sich ausschließlich auf (Psycho)Therapeut*innen.

Vielleicht haben wir gar keine DIS,
denke ich manchmal, wenn ich mit anderen Systemen rede.
Wenn ich mit anderen Innenkindern rede, die denken, fühlen, sprechen wie ein tatsächliches Kind - während es bei uns ziemlich offensichtlich ist, dass die Innenkinder mit einem 25 Jahre alten Gehirn leben. Sie drücken sich vielleicht einfacher aus, haben eine kindlichere Tonlage, aber:
„Wir können alle Lesen und Schreiben und Sachen durch 3 teilen. Sachen durch 3 teilen ist überlebenswichtig für unser Leben. Aber das zu erklären ist kompliziert, also möchte ich nicht. Ich könnte bestimmt auch eine Kurvendiskussion machen, wenn ich wollte. Ich find, es klingt nur komisch, dass man Kurven diskutieren muss und dass das überhaupt was mit Zahlen zu tun hat. [...] Ich möchte lieber mit Plüschtieren kuscheln und Malbücher ausmalen und Pokemon schauen - die Erwachsenenserien mag ich einfach nicht. Und die Erwachsenensachen auch nicht.“

Unsere Therapeutin stellt uns irgendeine DIS-Theorie vor, nach der der Host sozusagen eine „Phobie“ vor den anderen Innenpersonen hat. Man lehnt es ab, mit diesen in Kontakt zu treten, weil man dadurch auch erfährt, was im eigenen Leben passiert ist, von all dem Trauma, das man erlebt hat.
Ich verneine. Das ist überhaupt nicht mein Erleben. Ich bin dankbar für jede Information, für jedes „ach deshalb ist das so; deshalb habe ich mit x Probleme“. Vor der Diagnose habe ich sehr oft gesagt, dass ich mich viel zu traumatisiert fühle für das bisschen Trauma, das ich erlebt habe.
Es passte einfach nicht zusammen.
Manchmal habe ich gesagt: „Ich will mich vergewaltigen lassen, damit ich endlich einen Grund haben kann, warum es mir so schlecht geht.“
Es gab nichts Negatives an der Diagnose.
Es gab nichts Negatives daran, dass ich Dinge erfahren habe.
Es hat plötzlich alles so unglaublich viel Sinn ergeben. Als hätte ich mein Leben lang etwas gesucht und es endlich gefunden.

Ich hab das erklärt.
Skye hat einen Text dazu geschrieben.
Ich habe es nochmal in Skyes Worten erklärt.

Und trotzdem, immer wieder, wurde es mir vorgeworfen: dass ich mich selbst anlüge. Wie bei einem Verhör musste ich immer wieder beteuern, dass ich Interesse daran habe, die innere Kommunikation zu verbessern.
Letztes mal wollte ich nicht mehr darüber reden und bin der Frage dazu ausgewichen. Das wurde angemerkt. Ein Beweis dafür, dass es stimmt, dass ich es in echt gar nicht will.
„Nein. Es ist nur einfach frustrierend, dass ich jedes mal, wenn ich irgendetwas sagen möchte, einen Essay schreiben und dann dreißig Stunden darüber reden muss, bevor mir geglaubt wird.“
„Hatten Sie das Gefühl, Sie mussten dieses mal einen Essay schreiben?“
„Ja. Ich rede seit einem halben Jahr darüber. Ich beantworte ständig dieselben Fragen. Aber geglaubt wird mir erst, wenn ich anfange zu weinen und es offensichtlich ist, dass es mir richtig schlecht geht damit; es reicht nie, wenn ich einfach nur etwas sage.“

Ich wollte so sehr. Mich nicht mehr so verdammt alleine auf dieser Welt fühlen.
Wir haben versucht, andere Systeme kennenzulernen. Aber es wird immer wieder so verdammt offensichtlich. Dass gefühlt jeder viel näher an dem Bild ist, dass Therapeut*innen von Systemen haben als auch nur ansatzweise nahe unserer Erfahrungswelt.
Es fühlt sich an wie Gaslighting. Mit schlechteren Bedingungen, würde ich nur noch die ganze Zeit mich fragen, ob ich es vielleicht einfach nicht erklärt habe. Ob ich mich falsch erinnere, nie etwas gesagt habe, es vielleicht erklären wollte, aber dann eben doch nichts gesagt habe; ob ich mir die DIS ausgedacht habe; ob ich mir mein Leben ausgedacht habe. Zum Glück schicke ich ruru oft nach der Therapie eine Sprachnachricht, wo ich erzähle, wenn ich etwas erklärt habe und was die Therapeutin dazu gesagt hat. Zum Glück schreibe ich an vielen Tagen auf, was an dem Tag passiert ist. Zum Glück haben wir vor einigen Wochen angefangen aufzuschreiben, worüber wir in der Therapie reden [among other things].
Wir können uns selbst beweisen, was wir versucht haben.

Ich habe keine Lust mehr auf DIS-Therapeut*innen.
Am Anfang unserer Therapiesuche haben wir jede*n Therapeut*in gefragt, ob si*er sich mit der DIS auskennt. Die meisten haben Nein gesagt. Bei den anderen hatten wir Vorgespräche oder standen auf Wartelisten.
Inzwischen möchte ich sagen: „Bitte, wenn Sie 'Ahnung von der DIS' haben, behandeln Sie uns nicht. Das Wissen, was Sie haben, ist kompletter Müll. Es betrifft uns nicht. Ich möchte nicht all meine Zeit damit verbringen, gegen Ihre Vorstellungen anzureden, wenn wir auch einfach jemanden finden könnten, der uns glaubt.“

Im UKE wurde uns damals gesagt, wir sollen uns stationär aufnehmen lassen, um unsere Diagnose zu bestätigen. Warum?
„Weil man Sie dann über einen längeren Zeitraum beobachten kann.“
Dass wir uns geweigert haben, fühlt sich fast an wie ein Zugeständnis dazu, sich alles nur auszudenken. Terrified, irgendjemand könnte uns unsere Diagnose wieder wegnehmen, weil wir zu unauffällig sind. Man sollte den Gedanken entertainen können, dass es nicht stimmt.
Aber ich werde nicht.
Weil es so unglaublich arrogant ist zu denken, man könnte uns ein paar Wochen lang beobachten und wüsste besser über uns Bescheid, als wir selbst. Uns hat nie irgendjemand zugehört. Immer, wenn wir versucht haben, Dinge - die im Nachhinein betrachtet klar Symptome von Dissoziation/der DIS sind - zu beschreiben, wurde uns gesagt, das wären „normale Erlebnisse, die jeder Mensch hat“.
Und dann sind wir endlich angekommen.
Und plötzlich wollte man uns angeblich zuhören.
Aber wenn wir in Therapie gehen, tut es ja auch niemand.
Ich muss ein halbes Jahr erklären, dass ich keine Angst vor Informationen zu Gefühlen habe, die ich ohnehin schon fühle. Erklären und erklären, dass es mein Leben nicht schlimmer macht von Kinderpornographieringen und Blyth, Blyth, Blyth zu wissen, sondern besser, weil ich mich mein Leben lang davor nur gefragt habe, warum, und keine Antwort hatte. Und am Ende ist es trotzdem nicht genug. Am Ende muss ich weinen und schreien, um gehört zu werden.
Aber ich will nicht mehr Weinen und Schreien.
Weil ich nicht muss. Ich hätte von Anfang an nie müssen sollen.
Von Anfang an hätte man uns einfach zuhören können.
Von Anfang an hätte man uns einfach glauben können.
Von Anfang an hätte man einfach akzeptieren können, dass wir uns selbst kennen und nein, natürlich nicht perfekt, natürlich haben wir Missverständnisse oder erinnern uns falsch, aber in jedem Fall, in jedem einzelnen fiktiven Szenario auf diesem ganzen Planeten, hätten wir immer noch mehr Ahnung von uns selbst als irgendeine fremde Person es jemals haben könnte, selbst wenn wir Amnesie haben und unter ihren Augen eingesperrt wären.
Es wäre so einfach gewesen, uns einfach nur zu glauben.
Dass es nicht passiert ist, entstand aus derselben Arroganz, aus der unser Erleben jetzt nicht valide sein kann, bevor es nicht von irgendjemandem, der studiert hat, bestätigt wurde.
Ich scheiße auf euer Gaslighting-Diplom. Bachelor of Manipulation.
Ihr seid alle nicht anders als Blyth.
But go on.
Redet euch ein ihr würdet helfen, weil ihr nicht unseren Körper sondern nur unsere Gedanken fickt.
*

1 Kommentar:

  1. Der letzte Satz, uff... So wahr, so brutal, so ehrlich.
    Ich wünsche mir sehr, dass ihr verstanden werdet.

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