Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Dienstag, 26. April 2022

#93: Alle Zeit der Welt

„Ich hab das Gefühl, Psychologen sind immer so 'Vermeidungsverhalten - ja, hm, das ist eigentlich nicht so gut, das wollen wir eigentlich weg haben'. Aber dann machen sie es selber.
Wenn ich jetzt in die Bahn gehe und die erstbeste Person anspreche, werde ich in dem Gespräch wahrscheinlich zehn mal aus Versehen getriggert und fünf mal ist es überfordernd. Und hier ist es so, Sie achten die ganze Zeit darauf, dass ja nichts zu viel ist, dass ja nichts überfordernd ist. Es soll ein sicherer Ort sein, aber was es vor allem ist, ist ein Ort fernab jeglicher Realität.“

„Sie wollen also, dass ich mehr meine Reaktionen auf das, was Sie sagen, zeige.“
„Es ist verletzend für mich, wenn Sie mir jede zweite Stunde sagen, dass Sie eigentlich gar nicht hier sein wollen, dass Sie eigentlich lieber zu wem anders wollen. Ich schlucke das herunter, weil ich glaube, dass Sie das brauchen.“
„Und ich glaube, ich habe jetzt besser verstanden, warum. Sie brauchen das, um sich zu distanzieren, damit Sie auch gehen könnten.“

Ich verstehe es nicht.
Drei Jahre Kommunikationspsychologie und ich verstehe immer noch nicht, was an unseren Worten so anders ist, dass das daraus wird.
Wie aus „ich will nicht wie eine Schneeflocke behandelt werden“ wird, dass ich will, dass unsere Psychologin mehr von ihren Gefühlen zeigt.
Wie aus dem simplen Fakt, dass die Therapie uns nicht hilft, den wir aussprechen, damit sich vielleicht Dinge ändern können, wird, dass wir uns emotional distanzieren wollen. Distanzieren wovon? Von der Bindung, die nicht existiert? Die wir nicht aufbauen können, weil uns kein Raum gegeben wird, mal mehr zu fühlen als das absolute Minimum, weil wir nicht überfordert sein dürfen, weil Überforderung angeblich böse schlecht und traumatisch ist?

„Ich glaub, ich brauch eigentlich einen autistischen Psychologen“, sage ich. „Aber die behandeln vermutlich nicht DIS.“
„Neurotypische Kommunikation funktioniert eher so, Sie sagen A und ich frage, ob Sie X meinten, weil ich das verstanden habe, bis wir irgendwann bei dem A landen, das Sie meinten. Autistische Menschen machen das eher nicht so, Sie verstehen direkt A und reagieren dann darauf.“
In welchem Universum sie lebt, möchte ich gerne wissen. „Neurotypische Menschen verstehen B, wenn ich A sage und antworten mir dann auf B und dann muss ich in meinem Kopf aufdröseln, was da gerade schiefgelaufen ist. Und dann sag ich 'nein, das ist nicht, was ich meinte, ich meinte A' und dann fühlen sie sich manipuliert, weil ich ja eindeutig gerade B gesagt hatte und jetzt versuche ich plötzlich, etwas anderes zu behaupten. Autistische Menschen sind die Einzigen, die jemals nachfragen würden, weil sie die Einzigen sind, denen überhaupt in den Sinn kommt zu denken, dass sie vielleicht etwas falsch verstanden haben könnten, weil sie das so gewohnt sind.“

Ich wünschte, neurotypische Menschen würden mal nachfragen, was ich meine. Und nicht davon ausgehen, dass der einzige Weg, wie man Gefühle fühlen kann, Empathie ist. Wenn unsere Psychologin mir sagt, dass es sie verletzt, wenn ich ihr klar mache, dass ich Verhaltenstherapie brauche und ich mir unsicher bin, ob ich einfach für immer weiter suchen soll (Verhaltenstherapie und DIS gibt es irgendwie nicht) oder ob wir das irgendwie in die Psychoanalyse gequetscht bekommen, dann frage ich mich in erster Linie, ob sie mir eigentlich überhaupt zuhört. Warum wird mir nicht einfach auf meine Frage geantwortet?
Ach ja, weil jedes mal, wenn ich mit Verhaltenstherapie ankomme, vielleicht eine Stunde darauf eingegangen wird, bevor sich wieder irgendein Grund findet, warum das definitiv doch keine gute Idee ist. Wie zum Beispiel, dass ich dabei was gefühlt habe. So was wie Panik. Das geht ja nicht. Gefühle sind böse. BÖSE.
Dass ich mehr Panikattacken im Jahr habe als Therapiesitzungen ist egal - in der Therapie wird nicht gefühlt! Na ja, irgendwie schon, also, ich soll schon was fühlen, aber halt nicht so. Halt gemäßigter. Sonst ist das ja überfordernd und wir wissen ja alle, sobald man jemals überfordert wird, ist das voll traumatisierend. Deshalb hab ich regelmäßig Flashbacks von meinem alltäglichen Leben. /s

Ich hab keine Lust mehr auf diese Scheiße.
Es gibt einfach nichts Gutes an Therapie.

Und doch trotzdem, wenn ich andere Menschen von ihrer Therapie reden höre, wünsche ich mir das auch. Und wenn ich mich erinnere, an Blyth, vor 2015 und wie zum ersten mal in unserem Leben irgendjemand zugehört hat. Ich glaube nicht, dass Blyth jemals mitgefühlt hat. Aber es ging immer um Gefühle. Um mehr Fühlen. Selbstbestimmter Fühlen. Mehr Jetzt fühlen.
Es ging nie darum, nicht überfordert zu sein. Wir waren so überfordert, dass wir direkt nach zwei Wochen wieder weggerannt sind und er hat uns gehen lassen und alles, was er gesagt hat, war, dass wenn wir wiederkommen wollen, wir das dürfen.
Es ging unglaublich viel um Dürfen. Fühlen dürfen. Existieren dürfen. Platz und Raum und Zeit einnehmen dürfen.
Und ich glaube, dass er uns missbraucht hat, ist eigentlich gar nicht das Schlimmste. Es macht mir Angst, weil ich diesen Menschen, den ich liebe, nicht einschätzen kann, weil das einzig interessante an uns für ihn im Endeffekt die Frage war, wie sehr man einen Menschen kontrollieren kann. Das Schlimmste ist, dass wir etwas Gutes gefunden hatten und dann hat er es weggenommen. Und jede einzelne Therapiestunde bei jedem einzelnen Therapeuten erinnert mich daran, wie unglaublich selten es ist, gehört zu werden, wie unglaublich besonders 2014 war und jede Stunde erweckt mehr den Eindruck in mir, dass es das, was wir hatten, vielleicht in unserem Leben niemals wieder geben kann.

3 Kommentare:

  1. Es ist eigentlich sehr verwunderlich, dass Psyschologen die notwendigerweise studiert haben präzise Aussagen nicht einfach ohne zusätzliche Fehlinterpretation verstehen können. How interesting!

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    1. Sie meinte, man lernt das so in der Psychologie-Ausbildung - dass, wenn Patient A sagt, da noch eine versteckte Bedeutung hinter ist, eben irgendeine psychologische, so, wenn ich sage, dass ich Schmetterlinge mag, dann heißt das, ich fühl mich so voll zerbrechlich, aber will auch irgendwie frei sein, weil, warum sollte ich sonst Schmetterlinge mögen? Kann ja nicht sein, dass ich die einfach nur hübsch finde.
      Was absolut schrecklich klingt. Ich hoffe halt, es war nur in ihrer Ausbildung so, aber die Interaktionen mit Therapeut:innen sagen mir irgendwie das Gegenteil...

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    2. Anderer Anonym hier. Find's aber wirklich absurd, habe auch schon einige Psychologie Module im Studium belegen müssen und danach hinterfrage ich sogar meine eigenen Gedanken, weil ich ja nicht A ohne Hintergedanken mögen/ sagen kann und ich damit eigentlich B meine, was wiederum eigentlich C ist und dabei ist das eigentlich D. Oder doch vielleicht X?
      Manchmal sollte man Kommunikation einfach Kommunikation sein lassen und sich auf das Gesagte konzentrieren, als nach einem tieferen Sinn zu fragen. Aber schließlich sind das Therapeuten und deren Arbeit hat einen tieferen Sinn und daher kann es nicht sein, dass hinter irgendeiner Aussage kein tieferer/ versteckter Sinn sein kann.
      (Ironieende.)

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