Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
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Donnerstag, 2. Juli 2020

#1: Dissoziative Identitätsstörung, multiple Persönlichkeitsstörung - Was ist das?


Laut der Theorie der strukturellen Dissoziation hat ein Kind keine feste Persönlichkeit, sondern mehrere Persönlichkeitszustände, die im Laufe der ersten Lebensjahre (spätestens des siebten Lebensjahrs, nach aktuellen Forschungen) zu einer einzelnen Persönlichkeit verschmelzen.
Erlebt ein Kind in dieser Zeit allerdings immer wieder extremen Stess (Traumata), kann es sein, dass die Existenz dieser Persönlichkeitszustände für das Überleben zu wichtig ist, als dass sie verschmelzen (integrieren) könnten. Stattdessen werden Amnesiebarrieren zwischen den einzelnen Persönlichkeitszuständen erschaffen, sodass ein Persönlichkeitzustand ganz normal zur Schule gehen kann, ohne auch nur eine Ahnung darüber zu haben, dass ein anderer Persönlichkeitszustand im selben Körper ständig schwerstem Missbrauch ausgesetzt ist.
Durch die Amnesien erlebt jeder Persönlichkeitszustand nur einen Teil des Lebens, hat nur einen Teil der Erinnerungen, Erfahrungen, etc. Dadurch entwickeln all diese Persönlichkeitszustände eine eigene Persönlichkeit (mit einem eigenen Identitätsgefühl), die sich stark von den anderen unterscheiden kann.

Vereinfacht kann man sagen, dass die Persönlichkeitsentwicklung ist, als würde man einen Kuchen backen. Die Basiszutaten für einen Kuchen sind Mehl, Milch und Eier.
Es gibt allerdings tausende Möglichkeiten einen Kuchen zu backen. Je nachdem, welche Zutaten einem das Leben gibt, entsteht im Endeffekt ein ganz anderer Kuchen! Zum Beispiel eine Erdbeertorte oder ein Schokokuchen. Selbst einen Basiskuchen kann man anders backen, es gibt zum Beispiel eine vegane Variante.
Unser Rezept für Schokokuchen beinhaltet folgende Zutaten: Weizenvollkornmehl, Leinsamen, Backpulver, Natron, Vanille, Zucker, Bananen, Kakao, Sprudelwasser, Haselnussmilch, Kakaobutter, Puderzucker, Kokosflocken.
Wir sind aber nie ein Schokokuchen geworden.

Bei der DIS funktioniert das Kuchenbacken nämlich nicht, weil das Trauma die Rührschüssel kaputtmacht. Dadurch bleibt jede Zutat erstmal alleine, aber wird dann im Endeffekt zu etwas eigenem, wenn das Leben ihm weitere Zutaten dazugibt. Zum Beispiel wird das Mehl (durch Hefe + Wasser) zu einem Brot, der Kakao wird (durch Milch + Honig) zu einer heißen Schokolade, die Bananen + Kokosflocken werden vielleicht mit Joghurt zu einem tollen Frühstück. So sind alle Zutaten Teil eines neuen großen Ganzen geworden und sie wissen (vermutlich) auch gar nicht, dass sie ursprünglich mal ein (Schoko)Kuchen werden sollten.

Der Begriff „multiple Persönlichkeitsstörung“ ist einfach nur ein sehr veraltetes Wort für dasselbe Phänomen: eine Dissoziation des Bewusstseins und ein anschließendes Dissoziiertsein verschiedener Identitäten. Die Diagnose wurde 1994 umbenannt.
In Deutschland wird sie, mit dem ICD-11, tatsächlich erst 2022 offiziell umbenannt werden, allerdings ist auch hier schon die Bezeichnung „dissoziative Identitätsstörung“ geläufiger, da die DIS keine Persönlichkeitsstörung ist und der alte Begriff somit zu Verwirrung führen kann.

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