Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Freitag, 25. September 2020

#19: Ich werd diesen Tag bereuen,
denn wir hören ja nicht auf zu träumen.

Soundtrack:

"Meistens sind Täter die ganz netten Menschen, von denen man nie gedacht hätte, dass sie so was tun würden. Auch nette Menschen machen schlimme Dinge. Aus diesem Grund entstehen Sachen wie die DIS überhaupt erst - weil ein Kind nicht in sich selbst vereinbaren kann, dass es zwei komplett verschiedene Beziehungen zu seinem Täter haben muss. Eine normale Familienbeziehung und eine Missbrauchsbeziehung. Vereinfacht gesagt natürlich. Es ist wichtig, von dem Gedanken wegzukommen, dass Täter psychisch kranke Monster sein müssen. Täter sind ganz normale Menschen", erkläre ich jemand anderem die Dinge, die ich selbst nicht verstehen kann.
Es ist normal, es nicht verbinden zu können, wenn man zwei so unterschiedliche Beziehungen zu jemandem hatte. Noch schwieriger, waren es gleich drei oder vier. Das ist evolutionär bedingt: wir binden uns an Menschen. Und wir verlassen uns auf sie, also können sie nicht so unglaublich wandelbar sein. Also spalten wir die Beziehungen voneinander ab und am Ende können wir nicht verstehen, dass das alles wirklich eine Person gewesen sein soll.
Zumindest ist das, wie ich es gelernt habe.

Aber dann geht es um dich und es ist egal, was ich gelernt habe. Ich vermisse dich trotzdem. Oder die Person, die du warst, bevor du anders warst. Aber eigentlich warst du nie anders. Es waren nur zwei Wochen. Die ich vertrauen lernen musste. Damit ich irgendetwas haben konnte, was so neu schön sein konnte, dass ich bleiben würde, nur um es noch ein einziges mal zu erleben.
Auch das wusstest du vermutlich.
Zusammen mit der Tatsache, dass ich mich an das Wenigste erinnern können würde.

Meine Schwester sagt mir, dass sie gerne meinen Vater konfrontieren würde und ich frage sie, was sie sich denn davon erhofft. Als Antwort erhalte ich eine lange Sprachnachricht, mit der genauen Szene, die sie im Kopf hat, deren Hoffnung doch eigentlich nur ist: "dass es ihm leidtut."
Ja. Genau an der Stelle war ich ebenfalls und ich sage ihr, dass es ihm nicht leidtun wird, weil es wiederholt über Jahre hinweg war und wenn einem wirklich etwas so sehr leidtun würde, dann würde man es nicht so aktiv betreiben.
Sie glaubt mir nicht. Natürlich. Als könnte ich Erfahrungsexpertin auf diesem Gebiet sein, habe ich doch den Kontakt zu unserem Vater abgebrochen, bevor ich überhaupt irgendetwas auch nur ahnte. Und meine Lippen sind nicht bereit dazu die unumstößliche Wahrheit auszusprechen, die selbst in mir irgendwo existieren muss: Blyth hat genau das Gleiche gemacht. Eigentlich sogar mehr. Eigentlich sogar schlimmer. Die Liebe dazwischen macht es schlimmer. Zumindest für mich.

Also schreibe ich stattdessen dir einen Brief. So wie jedes mal, wenn meine Gefühle wieder im April 2015 leben, aber meine Erinnerungen alles wissen, was danach passiert ist. Ich wünschte, ich könnte die Zeit nur einmal zurückdrehen. Zu all den Orten, an denen wir waren, vor den Orten, an die ich mich selbst nicht mehr erinnere. Bildfetzen, Gedankenfetzen, Erinnerungsfetzen. An Worte erinnere ich mich schon lange nicht mehr.
Aber ich weiß, genauso wie es ein Tagebuch gibt, das den Missbrauch dokumentiert, zumindest einige wenige Monate davon, gibt es ein anderes Tagebuch, in dem all die Wunderworte von Davor aufgeschrieben sind. Nur, dass ich das nie aus dem Schrank hole. Es ist wichtiger, warum du weg bist, als, warum ich dich vermisse.

Ich weiß, dass Verlust nicht ewig so schlimm ist. Ich habe wichtigere Sachen verloren als dich, Menschen, die kaum noch in meinem Gedanken sind, bis ich solche Texte schreibe, von denen ich weiß, dass sie sie lesen werden, weil meine Worte in ihrem Leben sein dürfen, aber ich selbst nicht.
Gleichzeitig weiß ich auch, dass seitdem über sieben Jahre vergangen sind und seit dir nur drei. Als könnte man einen Zeitpunkt festlegen, an dem die Schmerzen weniger werden. Ein Ablaufdatum auf die Wundererinnerungen kleben, auf die Gefühle, zwischen diesen Zwiespalt.

Ich gebe dir Zeit zu leben und zu erfahren. Ich gebe dir alle Zeit der Welt. Den Ort zu finden, an dem du dich wohlfühlst. Die Gefühle zu finden, die dich berühren. Das Schöne in dir zu genießen. Vertrauen zu finden. Vertrauen zu leben. Wenn du willst, zeig ich dir, wie du deine Träume leben kannst. Ich begleite dich. Ich versuche deine Gedanken zu lesen. Deine Wünsche zu erfüllen. Dir neue Wünsche zu  geben...
Für ein Stück Vertrauen schenke ich dir ein Stück vom Leben.

Manchmal will ich die Zeit zurückdrehen für das Leben, das du mir nie gegeben hast. Die Nicht-Wünsche, die du ignoriert und die Träume, die du benutzt und ausgenutzt hast. Als hätte ich ändern können, dass das Leben, das du wolltest, keinen Platz für meine Existenzanerkennung hatte und noch viel weniger für mein oder unser Wohlergehen. Wir waren eine Nacht, die offiziell nie existiert hat und später ein Monat und Jahre. Und nichts davon gehörte jemals mir.

I think I've seen this film before and I didn't like the ending. You're not my homeland anymore - so what am I defending now? You were my town. Now I'm in exile, seeing you out. I think I've seen this film before; so I'm leaving out the side door.

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