Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Donnerstag, 17. Dezember 2020

#30: break free and leave us in ruins

Blyth,

in meinem Handy ist ein Text an dich gespeichert, den ich nicht zuordnen kann und der nie abgeschickt wurde. Aber ich kenne deine Worte und ich verstehe nicht, wie ich eine Beziehung mit deiner Wortwahl führen konnte, ohne zu realisieren, dass nichts an uns in Ordnung war.
In meinem Kopf ist der Wunsch, nach [Stadt, wo er wohnt] zu fahren.
In meinem Kopf sind Erinnerungen und Gefühle und Gedanken an dich.
Eine Gewissheit von Dingen, die ich inzwischen weiß, aber immer noch nicht fühlen kann.
Deine Ignoranz für ein System, das du selbst benutzt hast.
"[Stadt] war zehn Jahre lang mein Lieblingsort und mein Zuhause", sage ich zu ruru, mehr an einem Wunsch hängend, als an einer tatsächlichen Erklärung. "Vielleicht will ich einfach deswegen dorthin fahren." Auf die Frage, ob ich ihn denn mitnehmen wollen würde, schweige ich, bis der Wunsch auf eine schönere Erklärung in mir mitschweigt.

Die Welt scheint weiter weg zu sein als jemals und ich versuche, nach Innen zu erklären, warum du keine gute Idee bist. Irgendjemand sagt, dass er oder sie oder wir dir gehören. Ich hole das Tagebuch raus, das wir nicht umsonst 'Missbrauchsdokumentationsbuch' genannt haben, um in unser Gehirn zu hämmern, was tatsächlich passiert ist und zu unterscheiden von dem, was du darin vergraben hast. 'Gaslighting' steht als Überschrift auf der ersten Seite von Silvester 2016. Diese Seite existiert nicht mehr; irgendjemand hat sie rausgerissen, aber ich erinnere mich weiterhin daran, sie geschrieben zu haben.

Ich weiß, dass jemand aufpasst, dass wir nichts mehr mit dir zu tun haben, aber trotzdem ist das Bedürfnis, dir zu schreiben oder zu dir zu fahren, dauerhaft anwesend. Vielleicht ist das, was passiert, wenn man versucht, ein System kennenzulernen, von dem die Hälfte aus dir besteht. Vielleicht ist das, was passiert, wenn man in Therapie geht, nachdem man bei dir in Therapie war.
Also schicke ich die Seiten aus dem roten Buch mit der schwarzen Spitze nach Innen.

'Warum willst du [Zuhause] bleiben?' Weil ich dich nicht sehen will, Blyth. Das kann ich wohl kaum sagen. Die Wahrheit in mir ist gestorben. Ich kann dich anlügen.
'Was ist denn los?' Du bist mein Albtraum. Ich will nicht von dir angefasst werden. Ich bin taub. Vielleicht hasse ich deswegen alles. Mein Körper existiert nicht mehr.

Wenn alles, was ich sage, nicht genug ist, vielleicht sollte ich dann einfach aufgeben. Dich nie mehr wiedersehen. 'Gehört das hier noch zu kuscheln?' Nein, aber wen interessiert das? Also Ja, weil du sowieso weitermachst. Ja, weil es dich ohnehin nie interessiert hat. Du glaubst ohnehin nur, was du glauben willst. Dann kannst du dir einreden, dass das alles nicht schlimm ist. Und du kannst mich berühren und küssen bis ich kotzen möchte, weil ich das ja insgeheim will. Wenn ich dir dein Verhalten vorwerfe, habe ich eben nicht genug gesagt. Weil 'Ich will dich nicht küssen' nur für eine Minute gilt. Da kommt es ja gelegen, dass ich nicht Nein sagen kann.

Wir sind nicht stabil genug für eine ambulante Therapie, hat irgendwann irgendeine Therapeutin bei irgendeinem Vorgespräch gesagt. Wir sollten lieber stationär irgendwo hingehen. Oder zumindest in eine Tagesklinik.
Mittlerweile sehe ich den Ursprung dieser Aussage.
Ja. Nichts ist mir mehr zuwider, als irgendwo in Therapie zu gehen. Und nichts ist mir mehr zuwider, als ewig dieses Leben zu führen, ohne dass sich irgendetwas verbessert. Aber an irgendeinem Punkt dachte ich, in einer Therapie fängt man mit Stabilisation an. Inzwischen begreife ich, dass das nicht ist, wie unser Leben funktioniert. Inzwischen weiß ich, dass alleine in Therapie zu gehen, Traumakonfrontation ist.
Aber auch jede Psychiatrie oder Tagesklinik würde dieses Problem nicht ändern.

Ich zähle die Tage bis zum Therapiebeginn, als wäre dieser mein persönlicher Weltuntergang. Ich habe keine Angst vor einer Vergewaltigung. Ich habe Angst vor dir.
Ich glaube, keiner der Therapeuten versteht so wirklich, was für einen riesengroßen Unterschied es macht, dass du unser Therapeut warst. Und die, die es verstehen, wollen uns nicht behandeln - weil, wie behandelt man das? Wenn ich Angst vor der Therapie aufgrund ihrer bloßen Existenz habe?
Aber es wird nicht besser, je länger wir suchen. Wir werden nicht weniger traumatisiert davon, vor jeder Therapie wegzurennen, weil sie Flashbacks macht und Instabilität und Chaos. Wir finden nicht irgendwann eine richtigere Therapeutin, bei der du plötzlich einfach nicht mehr existierst.
Das muss ich mir eingestehen, selbst wenn den Antrag für die Krankenkasse zu unterschreiben sich anfühlt wie ein Vertrag, mit dem ich bestätige, dass ich jetzt wieder nicht mehr mir selbst gehöre, sondern irgendeinem Therapeuten und in erster Linie wohl immer noch dir.

"Manchmal muss man ins kalte Wasser springen", sagt unsere Therapeutin, weil ich mir noch nie so unsicher war, die richtige Entscheidung zu treffen. Aber wir springen nicht in Wasser. Wir springen in Scherben und Trauma und Feuermeer.

there is another world in your eyes and I still live there,
sometimes. I still love you and I still feel you and I still hate
how everything turned out to be. I still feel your fingertips like raindrops, but somehow
you were poison.
My heart doesn't beat like it used to anymore and I can't breathe,
I can't breathe, I can't breathe and

there is another world in your eyes and it is on fire.
I got burned, but I still long to be touched by you.
Somehow we were lovers and somehow we were friends and
somehow we were not enough, gone,
never again.

We were slowly dying but
I still loved you till the end.

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