Ich fühle mich, als würde ich feststecken. Jeden Tag denke ich: wenn wir wieder laufen können. Wenn wir wieder laufen können, werde ich. * (Anmerkung: wir können laufen, auch ganz normal die meiste Zeit über, es tut aber weh.)
Es geht nicht. Ich habe das ein halbes Jahr lang gedacht und dann ging es wieder, jetzt stecken wir seit vier Monaten fest. Ich weigere mich, Hilfsmittel zu kaufen, weil wir das alles irgendwann wieder können werden. In Schlangen stehen und lange Spaziergänge machen und Rennen, mit wenig genug Schmerzen, dass man sie in Kauf nehmen kann. Seit einem Jahr tun wir nichts mehr als auf ein Leben warten, dass wir irgendwann, vielleicht, hoffentlich haben werden.
Und wenn wir uns einen Rollator kaufe oder Stützen (nicht Krücken, hab ich inzwischen gelernt) oder eine Erhöhung der Schwerbehinderung beantragen, dann sagen wir an irgendeiner Stelle auch, dass die Möglichkeit besteht, dass es nicht besser wird. Dass wir nie wieder Rennen können werden, nie wieder lange Spaziergänge machen können werden, nie wieder dieselben Coping-Strategien werden haben können, zumindest nicht ohne Hilfsmittel und das ist eben einfach nicht dasselbe. Und egal, wie sehr ich weiß, dass unser Leben so viel besser wäre, wenn wir einfach anfangen würden, damit zu leben, anstatt dagegen, anstatt auf das Ende zu warten, das nie kommt, es geht nicht. Ich fühle mich schuldig. Obwohl ich nicht mal weiß warum, obwohl es nicht mal irgendetwas gibt, von dem ich mir einreden könnte, dass ich es anders oder besser hätte machen können; ich bin mir vollkommen bewusst, dass es absolut nichts mit mir zu tun hat.
Ab irgendeinem Punkt muss man anfangen, aufzugeben. Weil man sonst nur darauf wartet, dass man irgendein Leben wiederhaben kann, das man irgendwann mal hatte, obwohl das nicht mehr geht. Weil man erst an dem Punkt, wo man sich eingesteht, dass die Möglichkeit besteht, dass alles für immer anders sein wird, anfangen kann, sein Leben so umzugestalten, dass es eben anders ist, um sich an die neuen Begebenheiten anzupassen, aber vielleicht nicht unbedingt schlechter.
Wir haben uns schon mal am Knie verletzt. Seitdem können wir keine engen Hosen mehr tragen, das Knie nicht mehr länger als ein paar Minuten anwinkeln und wir konnten jahrelang keinen Kraftsport machen oder Joggen. Wir mussten Sachen ändern. Wir mussten andere Arten finden, Sport zu machen und unseren halben Kleiderschrank ändern und es war irgendwann okay (und irgendwann konnten wir auch wieder Kraftsport machen und Joggen gehen). Und immer noch schränkt es uns an manchen Stellen ein, aber es ist inzwischen normal. Es ist auch normal geworden, dass unser rechtes Knie die gesamte Zeit wehtut. Es war nicht mehr wichtig. Es war einfach da. Es hat nicht mehr gestört.
Und klar, es ist schlimmer, dass wir jetzt nicht mehr laufen können, ohne Schmerzen zu haben. Dass wir nicht mal mehr Spazierengehen, nicht mal mehr vernünftig Kochen können oder Einkaufen oder, oder, oder, weil Stehen noch mehr wehtut. Aber es ist nicht so, als wäre das nichts, mit dem man lernen könnte, zu leben.
Aber wie findet man einen Abschluss? Es gibt immer neue Möglichkeiten. Gerade steht zur Diskussion, ob wir Rheuma haben und wenn ja, dann könnte es daran liegen, dass die Verletzung nicht vernünftig heilt und wenn wir dann Cortison nehmen, vielleicht heilt es dann doch. So geht es seit elf Monaten: in ein paar Wochen werden wir das und das ausprobiert haben und dann wird es besser. Oder dann. Oder dann. Oder dann. Vielleicht, hoffentlich, irgendwann.
Die Sache ist aber, nur, weil man sich eingesteht, dass etwas vielleicht nicht besser wird, heißt das ja nicht, dass es tatsächlich nicht besser werden kann. Als wir uns damals verletzt hatten, hat es auch zwei Jahre gedauert bis wir annährend wieder das Leben haben konnten, das wir vorher hatten. Man muss nur einen Punkt finden, an dem man aufhört, darauf zu warten und anfängt, Anpassungen zu machen. Erst dann kann sich irgendetwas ändern.
Ich spreche aus Erfahrung. Irgendwann/ irgendwo habe ich das bereits schon mal geschrieben, nur keine Ahnung wann/wo. Immer gegenanzukämpfen, Schmerzen zu verleugnen oder so tun als wäre ein Leben damit erträglich, weil es das irgendwann wieder werden könnte, tut auf Dauer nicht gut. Nur weil man sich das Leben aktuell erleichtert, heißt das nicht, dass man Heilung ausschließt. Man gesteht sich nur Hilfe im Moment ein, in dem man sie braucht. Seid gut zu euch, lindert eure Schmerzen auf jede erdenkliche Weise, versucht Therapien, Medikamente usw. - es lohnt sich. Es ist so viel Lebensqualität, die man zurückgewinnt. Wirklich!
AntwortenLöschenWeißt du, was mir bei deiner Antwort gerade auffällt? Lustigerweise hab ich mit Medikamenten überhaupt keine Probleme. Da hatten wir logischerweise Schmerzmittel ausprobiert, haben da aber zu starke Langzeitnebenwirkungen als dass es sich wirklich lohnen würde.
LöschenAber momentan steht ja auch Rheuma und damit eine vorübergehende Cortisontherapie im Raum - ebenfalls kein Problem, würde man sofort ausprobieren.
Irgendwelche Wärme- oder Kältewickel? Sofort ausprobieren. Sündhaft teure Zinkverbände? Immer her damit. (Also, nicht mehr, weil, hat nichts geholfen, aber es wurde eben ausprobiert.)
Zur Physio gehen wir ja auch momentan so 1-3 mal pro Woche und haben da kein Problem, dem Orthopäden zu sagen, dass wir ein neues Rezept haben wollen. Oder jetzt sollen wir mal so eine Bandage ausprobieren, das ist auch kein Problem hier.
Es ist wirklich einzig und alleine der Gedanke Rollator/Unterarmgehstützen! Ich glaub, das Problem ist gar nicht das "nicht eingestehen wollen, dass es vielleicht langfristig so ist", sondern eher das "ich will nicht sichtbar behindert sein".
Hm. Damit muss man sich wohl auch auseinandersetzen. Tatsächlich waren wir jetzt auch in den vergangenen zwei Wochen zwei mal beim Arzt und haben es beide Male nicht hinbekommen, nach solchen Hilfsmitteln zu fragen. Haben aber jeweils Anfang und Ende August wieder einen Termin, also, hoffentlich wird es da was. Falls die Bandage jetzt keine spontane Wunderheilung macht, aber davon geh ich mal nicht aus.
Ach ja, dass Leute sehen können, dass man krank ist, das fand ich auch immer ganz schlimm. Daher kann ich das absolut nachempfinden, dass es euch so geht.
LöschenAber wisst ihr, wie lange das interessant ist, dass jemand bspw. Unterarmgehstützen hat? Ungefähr den ersten Tag, dann nochmal nach einer bis zwei Wochen, dann nochmal nach einem ganz langem Zeitraum. Mich hat es auch tierisch genervt, dass Leute sehen konnten, dass ich nicht gesund bin, aber rückblickend betrachtet, war es eine richtige Entscheidung. Auch ich war lange auf die Stützen angewiesen und ich habe es gehasst und habe am Anfang sogar versucht, darauf zu verzichten. War keine kluge Idee.
Mein Rat an euch wäre also, über den eigenen Schatten zu springen. Das ist es wert!
Ja, ich weiß eigentlich auch, dass du Recht hast. Ich hab sogar mal versucht, den Termin beim Orthopäden vorzuziehen, weil ich dachte, dann bin ich ja gezwungen, dass zu sagen, weil er dann fragt, warum es jetzt so wichtig war, dass wir früher kommen... leider hatten die keine Termine mehr, außer halt für Notfälle, aber das haben wir ja auch nicht, also ist es jetzt doch erst in ein paar Wochen. Aber dieses mal habe ich mir einen Zettel gemacht, wo ganz genau draufsteht, was ich alles sagen & fragen möchte und ich hoffe, dass das vielleicht dabei hilft, auch bezüglich Hilfsmitteln zu fragen. Weil, dann "muss" man ja quasi alle Stichpunkte auf dem Zettel abarbeiten...
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