Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Freitag, 30. September 2022

#116: Weil du du bist, schneid ich dir mein Herz raus, damit es in dir schlägt, für mich.

Love Bombing, dachte ich mir, als ich dich kennengelernt hab, zurückdenkend an die Worte, die Selphy über Ray gesagt hat, damals, an die Beschreibung, die so Eins zu Eins zutraf. Aber auch: na ja, dafür kannst du ja nichts, wenn dein Leben vorher wirklich so viel unflauschiger war. Außerdem ging ja alles von mir aus. Außerdem wollte ich so sehr glauben. Dass die Person, die ich gesucht hatte und die Person, die ich gefunden hatte, ein und dieselbe sein könnten.
Ich hatte Angst. Nicht davor, vergewaltigt zu werden, sondern davor, dass du ohne mich nicht mehr klarkommen würdest.
Aber man kann ja nicht Chancen verpassen, weil man Angst hat. Das wäre sonst dieses Vermeidungsverhalten, das einem Psychologen immer einreden wollen. Außerdem hattest du mir geholfen, mit Blyth abzuschließen. Und du kanntest ihn und hast mir trotzdem geglaubt. Vielleicht hat es das besonders gemacht.
Oder möglicherweise auch einfach, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht das Gefühl hatte, dass Sex* wichtig ist.

Also hab ich es ignoriert, dass der zweite Text, den ich dir geschrieben habe, den Titel „I still don't know what happened, but all of my darkness evaporated beneath your touch. I didn't know I'd love you, until I loved you way too much“ trug; ein Zitat aus einem Gedicht, das ich ursprünglich an Blyth geschrieben hatte, vor Jahren. Und ich ignorierte, dass das zweite Lied, das ich mit dir verband, ein Lied über eine zu schnell eingegangene, von vornherein zum Scheitern verurteilte Beziehung war. Und dass das erste Mal, als du uns verletzt hattest, wir telefonieren mussten, weil du nicht damit klar kamst, ignorierte ich auch.
Immerhin war das kurz vor einer schlimmen Operation.
Da kann man mal überfordert sein.
Und vielleicht ignorierte ich den ein oder anderen Witz über meine Ängste gegenüber deiner Familie. Ich meine, es war doch auch lächerlich. Echt. Die innere Gewissheit, dass Familien grundsätzlich übergriffig sind.
Und möglicherweise ignorierte ich ebenso den Anfang davon, dass es bei jedem Ansprechen von Fehlverhalten deinerseits irgendwie plötzlich immer um meine Formulierung ging. Wie verletzt du warst, weil ich dich als „dismissive“ bezeichnet hatte oder
später dann „manipulativ“ oder
später dann „missbräuchlich“.

„Alles, was in den letzten vier Wochen passiert ist, hat Parallelen zu meiner Beziehung mit Blyth.“
Darüber haben wir nie geredet.
I guess, du hast mich angerufen. So wie jedes Mal, wenn ich ein Problem mit dir hatte, weil es dir schriftlich schwer fiel, darauf einzugehen. Nachdem ich dir eingerichtet hatte, dass du mich im Notfall anrufen kannst und mein Handy, das immer auf lautlos ist, tatsächlich auch klingelt. Am Anfang hast du immer gefragt, ob du mich anrufen darfst, wenn es kein Notfall war. I guess, irgendwann waren meine Grenzen weniger wichtig.
So wie das eine Mal, als du mich anschriebst, direkt nachdem ich gesagt hatte, ich würde gerne meine Ruhe haben. Oder das andere Mal, wo ich nicht zu dir fahren wollte, weil ich mich manipulativ behandelt fühlte und du mich selbst nach unserem Gespräch darüber noch mit mehr Gründen zutexten wolltest, warum es aber doch sinnvoll sein könnte, dass ich fahre.

Möglicherweise ignorierte ich auch, dass drei verschiedene Leute mir unabhängig voneinander mitteilten, dass ich missbraucht werde. Ich meine, was wussten die schon. Ich hab mich inmitten dieser traumatisierten Verzweiflung auch schon grauenvoll verhalten (nicht zwei Wochen am Stück) und habe auch schon Aussagen getroffen, die ich als „manipulativ“ werten würde (nicht wochenlang immer wieder) und überhaupt, du hattest dich ja entschuldigt (nachdem ich es mehrfach angesprochen hatte), also, kein Missbrauch hier, definitiv nicht.
Immerhin wurde ich noch nicht vergewaltigt!
Und dabei hattest du selber mal gesagt, ich solle meine Ansprüche etwas nach oben schrauben.

Nachdem ich Blyth wiedergesehen hatte, war ich mir so sicher, dass ich nie wieder missbraucht werden würde, weil ich es jetzt glasklar erkenne, wenn ich manipuliert werde. Und I guess, irgendwo hatte ich Recht, weil, ich erkenne es, ich sehe es ja klar und deutlich, hab es sofort gemerkt, als es Ausmaße angenommen hat, die für mein Leben schlecht sind, hab dir eine Chance gegeben, es zu ändern und bin dann, nachdem nichts passiert ist, nach einer Woche gegangen.
Aber warum tut es dann so weh?
Warum denke ich dann immer noch: aber vielleicht lag es ja wirklich am Krankenhaus, vielleicht war es wirklich vorübergehend, vielleicht, wenn ich noch ein mal hinfahre -
und überhaupt, du hast mich jemals nur dahingehend manipuliert, dass ich zu dir fahren soll, also, wenn ich das einfach mache, ist doch alles gut. Es ist nicht wie bei Blyth, wo alles scheiße war. Wenn ich einfach öfter bei dir bin, kann ich auch mehr von der Person haben, die ich gerne in meinem Leben gehabt hätte,
ich könnte es doch einfach ändern.

Ich bin nach [Ort] gefahren, um mit Blyth abzuschließen, damit es wieder ein bisschen mehr Zuhause sein kann und dann hab ich dich kennengelernt und warum
kann ich nicht dort sein ohne missbraucht zu werden,
warum ist das mein Leben,
unser Leben,
ich hab dir gesagt: „Ich würde dir vielleicht noch zwei Chancen geben, aber ich werde es den Innenkindern nicht antun, dass ich ihnen erst die eine Person wegnehme, die für sie Sicherheit bedeutet und dann bei jemandem bleibe, der sie scheiße behandelt.“

Warum ist es dann so schwer?

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