Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Donnerstag, 12. Januar 2023

#130: Altersunterschied

Wenn irgendjemand eine Beziehung mit großem Altersunterschied eingeht, werden oft Warnungen ausgesprochen. Dass die jüngere Person nur missbraucht werden wird, so etwas entsteht ja ohnehin nur, weil jemand Machtkomplexe hat, ...
Und ich verstehe es. Wirklich. Vermutlich ist das in den meisten Fällen so. Es war bei Blyth nicht anders.
Ich möchte trotzdem darüber reden, warum es das Gegenteil von hilfreich ist, so etwas zu hören. Warum es sogar schädlich sein kann.

Als wir mit Blyth zusammengekommen sind, hat er uns nicht missbraucht. Ich glaube, die meisten Beziehungen mit Tätern fangen so an - wenn Missbrauch schon an Tag 1 passieren würde, würde man vermutlich gehen.
Die Beziehung war schön. Ich weiß nicht genau wie lange, ungefähr drei Monate werden es gewesen sein. Dann hat Blyth Schluss gemacht, weil ihm „aufgefallen“ ist, dass es ja illegal für ihn ist, mit uns zusammen zu sein. Das war vermutlich ein Test - denke ich inzwischen. Ein Test, ob wir jetzt abhängig genug sind. Und ja, waren wir - wir haben sehr dafür gekämpft, ihn davon zu überzeugen, dass das egal ist, weil wir nicht darüber reden werden.
Direkt danach fing der Missbrauch an.

Unsere Freunde wussten alle von der Beziehung - außer natürlich die, die Blyth kannten oder jemand anderen kannten, der Blyth kannte, damit auch definitiv nichts herauskommen konnte. Und alle waren sich sehr einig: Der ist 20 Jahre älter, er wird dich missbrauchen. Das war das einzige Thema. Immer. Ich konnte Blyth nicht erwähnen. Sobald ich ihn erwähnt habe, hieß es, ich soll Schluss machen, er wird mich missbrauchen und so weiter und so fort.

Als Blyth dann tatsächlich angefangen hat, uns zu missbrauchen, hatte ich absolut keine Lust mehr über meine Beziehung zu reden. Vor allem nicht über so was. Ich dachte ja, ich hätte ein Kommunikationsproblem, aber ich wusste, ich würde gar nicht bei meinen Problemen ankommen, weil sofort ohnehin nur wieder von Missbrauch geredet werden würde. Also habe ich erstmal ziemlich lange gar nicht darüber geredet.

Nach einer besonders unschönen Situation einige Monate später, habe ich dann damit angefangen, weil ich doch irgendwie Hilfe brauchte. Ich beschrieb also meinen Freunden, wie Blyth mich missbraucht hatte und natürlich wurde das auch sofort angemerkt und gesagt, ich solle um Himmels Willen mit ihm Schluss machen.
Aber das kannte ich ja schon. Das sagten die immer. Nur weil er 20 Jahre älter war. Also hab ich es einfach ignoriert. Teilweise sogar gesagt, ich hätte Schluss gemacht. Teilweise einfach nicht mehr drüber geredet.
Selbst als ich dann selbst auf den Gedanken kam, es könnte Missbrauch sein, habe ich lieber mit komplett fremden Menschen darüber geredet. Weil meine Freunde mir einfach überhaupt nicht zugehört haben. Ich konnte nicht ein Wort über Blyth verlieren. Es ging sofort darum, wie er der schlimmste Mensch auf dem Planeten ist, weil er 40 Jahre alt ist.

Und ja, um ehrlich zu sein - wahrscheinlich hätte ich es auch dann nicht verstanden, wenn sich tatsächlich jemand mit mir hingesetzt und darüber geredet hätte. Wahrscheinlich wäre ich trotzdem ähnlich lange mit Blyth zusammen geblieben. Im Endeffekt kann man das nicht sagen.
Aber ich wäre nicht so verdammt alleine mit einer traumatisierenden Beziehung gewesen.
Dass Blyth 40 war, ist so verdammt egal.
Er hätte 25 sein können. Es wäre genauso traumatisch gewesen.

Hätte ich die ersten drei Monate haben können. Wäre Schluss gewesen, als Blyth Schluss gemacht hat.
Es wäre kein Missbrauch gewesen. Es ist mir egal, was irgendein Gesetz dazu sagt. Es wäre hilfreich gewesen. Es ist hilfreich gewesen. Es hat bis heute positive Auswirkungen, dass diese drei Monate existiert haben.
Das Gesetz existiert, weil es meistens nach diesen drei Monaten mit Missbrauch weitergeht. Weil Blyth nur wundervoll war, damit wir abhängig werden.

Aber ich bin mit Menschen befreundet und nicht mit einem Gesetz.
Es war nicht Missbrauch, weil Blyth 20 Jahre älter war. Es war auch nicht Missbrauch, weil Blyth unser Psychologe war. Es war Missbrauch, weil es Missbrauch war.
Ich wünschte, ich hätte in einer Welt gelebt, in der Menschen mir tatsächlich zugehört hätten.

Und ich hoffe, wenn eure Freunde mit euch über etwas reden wollen, hört ihr ihnen zu und stopft ihnen nicht den Mund mit Sorge um ihr Wohlergehen.

2 Kommentare:

  1. Kenne selbst im Umfeld Beziehungen, die mit einem solchgroßen Altersunterschied existier(t)en. Und ja, ich war immer skeptisch. Sehr skeptisch von Anfang an. Und ich habe diese Skepsis geäußert, unabhängig vom Alter, wobei auch das mich hat zweifeln lassen. In diesen Beziehungen ging es eher um das Verhalten vom Älteren zum Jüngeren, es war irgendwie immer von oben herab, ganz egal, wie liebevoll es war - nicht so wirklich auf Augenhöhe. Vielleicht wirkte es nur so, weil auch ich als Außenstehender voreingenommen war, vielleicht war es aber wirklich eine Tatsache, dass die jüngere Person, die selbst noch voll in der Entwicklung statt durch die ältere Person, die die Entwicklung abgeschlossen oder jedenfalls schon weit fortgeschritten war, durch die Erfahrungen/ Erkenntnisse der anderen Person so sehr beeinflusst wurde. Sicherlich, der Entwicklungsstand zweier Personen, die gleichen Alters sind, ist nie der Gleiche, aber grundsätzlich würde ich schon sagen, dass er ähnlich ist.
    Dass eine Beziehung mit Altersunterschied auch ohne Missbrauch bestehen kann, steht für mich außer Frage. Und dass eine Beziehung ohne Altersunterschied mit Missbrauch existiert, leider auch.
    Dennoch frage ich mich bei großen Unterschied doch eher nach den Beweggründen - auf beiden Seiten. Was ist es, dass gerade die andere Person so fasziniert, denn ich denke nicht, dass das Alter ein zu vernachlässigender Aspekt ist. Dieser Aspekt ist immer präsent, egal, wie oft mir Paare erzählen, dass es nicht so ist. Ich merke das selbst, wenn ich mit Menschen spreche, die wesentlich älter oder jünger sind, es gibt eben diesen Unterschied und dieser führt unmittelbar zu anderen (großen) Kontroversen.
    Wie gesagt, ich möchte nicht, dass Beziehungen mit Altersunterschied per se als Missbrauch abgestempelt werden, aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass andere Menschen das nicht aus einer Laune heraus tun.
    Ich unterschreibe den Satz "hört ihr ihnen zu und stopft ihnen nicht den Mund mit Sorge um ihr Wohlergehen" zu 100%. Möchte aber dennoch auch ergänzen, dass auch Sorgen geäußert werden dürfen! Denn auch das macht Freundschaft aus.

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    1. Das ist eine total wichtige Ergänzung! Das kam in dem Post deutlich zu kurz. Also, ich finde nämlich ebenfalls, dass man ansprechen sollte, wenn einem die Beziehung von einer*m Freund*in Sorgen macht. Und was ich sagen wollte, war mehr so: „Sprich über die konkreten Dinge, die dir Sorgen bereiten, nicht den Altersunterschied“. Also halt zum Beispiel die Tatsache, dass die ältere Person die jüngere von oben herab behandelt. Das passiert ja nicht wirklich wegen dem Altersunterschied, sondern die Person ist einfach unfluffig.
      Natürlich bringt ein Altersunterschied auch an sich ein Machtgefälle mit sich, das alleine besorgniserregend ist und man sollte sicherstellen, wenn die Beziehung funktionieren soll, dass man einen Umgang damit hat. Aber um das anzusprechen, muss man ja wiederum nicht direkt mit „Missbrauch“ anfangen, da es ja anfangs meistens eben kein Missbrauch ist, sondern einfach „nur“ eine gefährliche Situation.
      Also, ich stimme dir vollkommen zu! Ich glaube, das Wichtige in einer solchen Situation (als Freund*in) ist einfach die Wortwahl.

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