Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Sonntag, 27. August 2023

#134: to let go

Ich hab ein Jahr lang darauf gewartet, weißt du? Hab mir eingeredet, dass eine Klinik irgendwie mein Leben wiederherstellen kann. Dass ich nicht anders bin durch dich, immer noch dieselbe Person, nur halt einmal zu viel traumatisiert. Wenn man das Trauma löst, kann ich wieder ich selbst sein.
Aber vielleicht ist es gar nicht, dass ich wütend bin wegen dir. Du bist nur eine Person und auch, wenn ich öfter im Alltag stehen bleibe und denke „ich hasse dich“, kann ich dich dennoch nachvollziehen. Die Welt ist nicht gefährlicher, weil du existierst. Vorher hätte es irgendjemanden anders gegeben. Die Menschen, die ich tatsächlich mochte, konnte ich schon immer an einer Hand abzählen und die Menge an Menschen, die ich wegen gefährlichen Kleinigkeiten kategorisch aus meinem Leben ausschließe, hat sich nie verändert. Mein Gehirn geht auch jetzt nicht davon aus, dass Menschen gefährlich sind. Es hat nur einfach keine Lust mehr auf den Verlust, der zwangsläufig mit neuen Freundschaften einhergeht.

Die Welt, auf die ich wütend bin, hatte es immer schon verdient. Es ist nur, andere Sachen waren wichtiger. Und ich nicht. Vielleicht ist es das: ich hab in den letzten Jahren gelernt Nein zu sagen. Aber zu dir habe ich es das erste Mal in meinem Leben auch wirklich getan. Nicht nur Nein, ich finde das nicht gut, was du machst, Nein, das verletzt mich, Nein, ich kann das (gerade) nicht. Ein richtiges Nein, das sich durch mein Leben zieht.
Ich lasse das nicht mit mir machen. Ich werde dich nicht in meinem Leben haben. Nein. Wenn du das nicht akzeptierst, setze ich es rechtlich durch.
Vielleicht hole ich einfach nach, was nie da sein durfte.
Weil, ich vermisse dich, trotz allem. Genau wie bei Blyth denke ich: wenn wir nie eine Beziehung eingegangen wären, hätten wir dann einfach eine funktionierende Freundschaft haben können? Wenn ich  mir einfach gesagt hätte, Nein, ich gehe keine Beziehungen mit Menschen ein, die ich erst seit ein paar Wochen kenne, ich fahre nicht mal eben wochenlang zu dir, ich ändere nicht mein Leben wegen dir - hätte ich dann genauso schnell die Dinge sehen können, die unsere Beziehung unmöglich gemacht haben, aber den Abstand halten, der vielleicht bewirkt hätte, dass du mich immer noch als Menschen siehst? Dieselbe Sehnsucht nach dem, was wir vielleicht, ganz zu Anfang, mal für zwei Wochen hatten. Vielleicht könnten wir das immer noch haben, auch im Nachhinein.
Sowohl bei Blyth als auch bei dir hat es immer daran gescheitert, dass ich diesen Zustand nicht haben konnte, ohne vorher alles zu klären, was schiefgelaufen ist. Obwohl es nicht klärbar ist. Aber dennoch bin ich regelmäßig zu Blyth zurückgerannt in der verzweifelten Hoffnung, dass es vielleicht doch, irgendwie, funktioniert. Jeder Versuch erneut, nur noch ein einziger. Bei dir habe ich zum ersten Mal in meinem Leben den notwendigen Selbstwert, um mir sagen zu können, dass ich es genug versucht habe, dass es nicht klärbar ist und dass, selbst wenn es jetzt, im Nachhinein, doch klärbar wäre, ich besseres verdiene als Menschen in mein Leben zurückzulassen, für die ich schon im ersten Anlauf immer nur als Bedürfniserfüllungsobjekt wichtig war. Vielleicht würde ich dir trotzdem antworten, wenn du mir schreibst.
Vielleicht darf ich einfach endlich für länger als drei Sekunden wütend sein.

Das Problem war ja auch nie die Wut, die ich spüre. Es ist immer noch so, dass ich nur wütend durch Dinge bin, die ich schon früher nicht gut gefunden hätte. Das Problem ist das nicht Loslassen können. Das ‚es jetzt klären müssen‘, vielleicht als Ersatz dafür, dass es bei dir nicht geht. „Akzeptieren können, wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt werden kann“, haben sie es in der Klinik genannt.
Akzeptieren.
Anfangen aufzugeben.

Sonntag, 5. März 2023

#133: Vom Leben selbst gehasst

„Bitte sag niemals, dass du sterben willst,
gib nie auf, solange du am Leben bist.“
Sie sagen: „Die Texte, die du schreibst, sind falsch.
Sie sollten fröhlich sein.“
Ehrlich wär's mir egal, wenn ich sterben würd,
wär nur traurig, wenn jemand, den ich liebe, stirbt.
„Ich will mich nicht so fühl'n“, sagt mein Ego.
'nen and'ren Grund gibt's nicht.

Es ist mir gleich, ob jemand stirbt, den ich nicht kenn'.
Ich hasse euch, denn das ist mittlerweile Trend.
Sie sagen: „Lasst uns trotzdem in Frieden leben.“
Als hätten wir das nie versucht.
Irgendwo, so weit weg, stirbt jemand, bildschirmnah.
Darüber schreibt jemand ein Lied, als ob's wichtig war.
Ein Junge greift ein Messer, weil diese Worte
alles war'n, was er hören wollte.

Wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst.
Wir verraten uns're Werte und was uns ausmacht,
wenn wir Lieder davon singen, wie wir selbst brutal,
jemand' töten, als wäre uns der Tod egal.
Nein, wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst,
wenn wir sagen „ich will sterben“, so als wäre das
nicht bedeutsam, als wäre dieses Leben nicht
alles, was wir haben. Ist das für uns wirklich unwichtig?

Wir haben kein Geld, also singen wir
Loblieder auf die Tatsache, dass nie etwas passiert.
Leben ist bedeutungslos, reden wir uns ein.
„Ich seh keinen Sinn, also muss es sinnlos sein.“
„Ich bin einsam.“ Dieser Satz reicht nicht,
um den Schmerz zu beschreiben, der uns innerlich auffrisst.
So schlafen wir doch lieber wortlos ein.
„Sturheit hilft.“ Nun fühlen wir uns ganz allein.

Unermüdlich schreiten wir voran,
bis wir eines Tages dann wie ein Blatt anfang'
zu verwelken, zu verrotten, hier, am Wegesrand,
bis sich schließlich niemand mehr an uns erinnern kann.
Dabei will ich doch nur, dass man mich nicht vergisst.
Will doch nur ein Leben, das mich leben lässt.
Ich will lieber träumen, wenn mir das nicht möglich ist.

Ob wir wirklich leben wollten, das war nie eine Wahl,
ob wir wirklich sterben wollen, das ist uns ganz egal.
Was wir wollen, ist falsch, machen and're Menschen klar,
ein Widerspruch,
so unsichtbar.
„Wenn dich hier nichts hält, warum bist du dann noch nicht gegang'?“
„Wenn du nicht sterben willst, dann fang endlich zu leben an!“
Red dir ruhig ein, dass Trauer dir nichts ausmacht
und dann lach weiter, allein und einsam.

Wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst,
also hassen wir, was es uns nie gegeben hat,
das Glück, von dem wir nicht wissen, was es sein soll.
Diese Welt hat uns ohnehin nie gewollt.
Nein, wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst,
wenn wir sagen „ich will gehen“, so als wäre das
nicht bedeutsam, als wäre so ein Abschied nicht
für immer. Ist unser Leben uns so unwichtig?

Das Glück und
ein Ende,
Zuwendung
und Freunde,
„das bekommt man mit Geld“, reden wir uns ein,
bis unser Leben einer Illusion gleicht.
Weißt du, morgen könnte ich sterben, einfach so.
Vielleicht ist alles, was wir tun, eh sinnlos.
Durch Tage
und Nächte,
durch Wärme
und Kälte,
unverändert stirbt irgendjemand irgendwo.
Ich brauch keine Träume oder ein' weit'ren Tag,
solang du nur weiterhin am Leben sein magst.
Das stimmt.
Das war doch
genau wofür ich diese Worte hab!

Warum nur hasst uns unser Leben so?
Sterben tun wir irgendwann doch sowieso.
Irgendwann du,
irgendwann ich,
verwelkte Blätter am Lebensrand, so unwichtig.
Trotzdem halten wir aus und uns am Leben fest,
verzweifelt ertragen wir, was immer es uns gibt.
Wir nehmen
und geben,
wehren uns
und streben,
leben, leben, leben, leben
unentwegt.

Montag, 6. Februar 2023

132

Ich war bei der Polizei, dich anzeigen. Na ja - eher aufnehmen lassen, dass du den ganzen weiten Weg von Nürnberg nach Hamburg gefahren bist, um vier Monate nach Ende der Beziehung ein Treffen und ein Gespräch zu erzwingen, das ich unmissverständlich nicht wollte. Eine Straftat ist das natürlich nicht. Das ist nur meine Absicherung, falls ich jemals durchsetzen muss, dass du mir fern bleibst.
Es war seltsam. Das Gebäude zu betreten, über das ich so oft nachgedacht habe.
„Ich möchte etwas anzeigen.“
Kurz stand ich da, während der Polizist alles aufgeschrieben hat, und habe mich gefragt, ob ich auch noch meinen Vater anzeigen sollte. Oder Blyth, wo ich schon dabei war. Es alles erzählen, in die Welt bringen, aus mir raus schreien. Ob sich die Worte dann schützend um mich legen, die ständige Erinnerung daran, dass ich nichts nichts nichts beweisen kann, endlich egal wird.
Als wäre es real geworden, weil es in irgendeinem staatlichen Computer steht.
Als hätte ich endlich Nein gesagt.

Ich hab das Gefühl, als würde ich von Innen verbrennen. Plötzlich, endlich, habe ich gelernt, wie Widerstand funktioniert. Ich hab mich vier Wochen von dir missbrauchen lassen, vier Wochen zu viel, aber es waren nur vier Wochen. Ich hab dir ein Gespräch gegeben, bin gegangen, eine Nachricht gegeben, nicht mehr und dann habe ich dir innerhalb von fünf Minuten die Tür vorm Gesicht zugeschlagen.
Unmissverständlich.
Ich will dich nie wieder in meinem Leben haben.

Vielleicht ist das der höchste Punkt, den man erreichen kann. Ein Punkt, an dem ich nicht mehr verstumme, mein Nein durchsetze, wieder und wieder und wieder und immer mehr. Vielleicht ist es für all die Neins, die ich nie gesagt habe, zu spät.
Vielleicht ist das hier Therapie. Nicht der sichere Ort der Psychologenzimmer, die Frauentraumagruppen, das Vermeidungsverhalten, in das ich gedrängt werde, das ich nie wollte. Die Welt, in der man sich selbst am allermeisten glauben muss.