Ich hab ein Jahr lang darauf gewartet, weißt du? Hab mir eingeredet, dass eine Klinik irgendwie mein Leben wiederherstellen kann. Dass ich nicht anders bin durch dich, immer noch dieselbe Person, nur halt einmal zu viel traumatisiert. Wenn man das Trauma löst, kann ich wieder ich selbst sein.
Aber vielleicht ist es gar nicht, dass ich wütend bin wegen dir. Du bist nur eine Person und auch, wenn ich öfter im Alltag stehen bleibe und denke „ich hasse dich“, kann ich dich dennoch nachvollziehen. Die Welt ist nicht gefährlicher, weil du existierst. Vorher hätte es irgendjemanden anders gegeben. Die Menschen, die ich tatsächlich mochte, konnte ich schon immer an einer Hand abzählen und die Menge an Menschen, die ich wegen gefährlichen Kleinigkeiten kategorisch aus meinem Leben ausschließe, hat sich nie verändert. Mein Gehirn geht auch jetzt nicht davon aus, dass Menschen gefährlich sind. Es hat nur einfach keine Lust mehr auf den Verlust, der zwangsläufig mit neuen Freundschaften einhergeht.
Die Welt, auf die ich wütend bin, hatte es immer schon verdient. Es ist nur, andere Sachen waren wichtiger. Und ich nicht. Vielleicht ist es das: ich hab in den letzten Jahren gelernt Nein zu sagen. Aber zu dir habe ich es das erste Mal in meinem Leben auch wirklich getan. Nicht nur Nein, ich finde das nicht gut, was du machst, Nein, das verletzt mich, Nein, ich kann das (gerade) nicht. Ein richtiges Nein, das sich durch mein Leben zieht.
Ich lasse das nicht mit mir machen. Ich werde dich nicht in meinem Leben haben. Nein. Wenn du das nicht akzeptierst, setze ich es rechtlich durch.
Vielleicht hole ich einfach nach, was nie da sein durfte.
Weil, ich vermisse dich, trotz allem. Genau wie bei Blyth denke ich: wenn wir nie eine Beziehung eingegangen wären, hätten wir dann einfach eine funktionierende Freundschaft haben können? Wenn ich mir einfach gesagt hätte, Nein, ich gehe keine Beziehungen mit Menschen ein, die ich erst seit ein paar Wochen kenne, ich fahre nicht mal eben wochenlang zu dir, ich ändere nicht mein Leben wegen dir - hätte ich dann genauso schnell die Dinge sehen können, die unsere Beziehung unmöglich gemacht haben, aber den Abstand halten, der vielleicht bewirkt hätte, dass du mich immer noch als Menschen siehst? Dieselbe Sehnsucht nach dem, was wir vielleicht, ganz zu Anfang, mal für zwei Wochen hatten. Vielleicht könnten wir das immer noch haben, auch im Nachhinein.
Sowohl bei Blyth als auch bei dir hat es immer daran gescheitert, dass ich diesen Zustand nicht haben konnte, ohne vorher alles zu klären, was schiefgelaufen ist. Obwohl es nicht klärbar ist. Aber dennoch bin ich regelmäßig zu Blyth zurückgerannt in der verzweifelten Hoffnung, dass es vielleicht doch, irgendwie, funktioniert. Jeder Versuch erneut, nur noch ein einziger. Bei dir habe ich zum ersten Mal in meinem Leben den notwendigen Selbstwert, um mir sagen zu können, dass ich es genug versucht habe, dass es nicht klärbar ist und dass, selbst wenn es jetzt, im Nachhinein, doch klärbar wäre, ich besseres verdiene als Menschen in mein Leben zurückzulassen, für die ich schon im ersten Anlauf immer nur als Bedürfniserfüllungsobjekt wichtig war. Vielleicht würde ich dir trotzdem antworten, wenn du mir schreibst.
Vielleicht darf ich einfach endlich für länger als drei Sekunden wütend sein.
Das Problem war ja auch nie die Wut, die ich spüre. Es ist immer noch so, dass ich nur wütend durch Dinge bin, die ich schon früher nicht gut gefunden hätte. Das Problem ist das nicht Loslassen können. Das ‚es jetzt klären müssen‘, vielleicht als Ersatz dafür, dass es bei dir nicht geht. „Akzeptieren können, wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt werden kann“, haben sie es in der Klinik genannt.
Akzeptieren.
Anfangen aufzugeben.