Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Donnerstag, 4. April 2024

#142: der eigenen Wahrnehmung vertrauen

Wir hatten nie Probleme damit, unsere DIS zu leugnen - vielleicht ein kleiner Gedanke, ganz am Rand, aber nie ein wirkliches Thema. Und dann ist letztes Jahr passiert.
Ich hab mich nie getraut, unserer alten Therapeutin zu schreiben. So oft eine Mail angefangen, ein Bitten um Existenzgrundlage oder vielleicht auch einfach nur ein bisschen Ordnung in der Verwirrung.
Aber es ist kein Notfall.
Und ohnehin. Die neue Therapeutin sagt, wir müssen lernen, unserer Wahrnehmung zu vertrauen. Wenn sie uns jetzt neu diagnostiziert, glauben wir auch nur, dass wir eine DIS haben, weil uns das irgendjemand gesagt hat. Und das nächste Mal, wenn jemand was anderes sagt, zweifeln wir wieder, dann sind wir immer abhängig von anderen Leuten. Also sitze ich da und versuche zu verstehen, warum ich mir selbst nicht vertraue. Bis sie mir auffällt, die Sache, von der ich immer denke, sie würde mich nicht belasten:

Ich kann meiner Wahrnehmung nicht vertrauen, weil sie nicht existiert. Ich erinnere mich nicht. Wenn etwas länger als ein paar Wochen her ist, könnte es genauso gut nie passiert sein. Ja, klar, ich weiß irgendwelche Informationen. Aber ich weiß sie nicht, sie stehen irgendwo in einem Tagebuch, das ich zwar irgendwie wahrscheinlich selbst verfasst habe, aber theoretisch hätte es sich auch eines Tages aus dem Nichts in meinen Schrank beamen können, ich würde mich nicht daran erinnern.
Ich weiß es auf dieselbe Art wie, dass der zweite Weltkrieg bis 1945 ging. Ich weiß das zwar insofern, dass ich die Information nicht anzweifle, aber ich war nicht dabei und wenn plötzlich die gesamte restliche Welt beschließen würde, dass der Krieg wohl doch erst 1946 aufgehört hat, dann habe ich wohl die Jahreszahl falsch im Kopf. Wenn ich mir selbst glaube, obwohl mir etwas anderes gesagt wird, ist das, als würde ich behaupten, der Himmel ist grün. Klar, es wäre schon irgendwie wahrscheinlich, dass das für mich wirklich so ist, vielleicht habe ich eine Sehschwäche, bei der Blau Grün aussieht. Aber Fakt wäre auch, dass meine Wahrnehmung trotzdem falsch ist, irgendwie defekt - und so ist das mit der DIS schließlich auch. Vielleicht nehme ich das so wahr, vielleicht auch, weil mir das wirklich gesagt wurde, aber wenn mir dann gesagt wird „nein, du hast das nicht“, mit was soll ich meine Realität bestätigen?

Samstag, 4. November 2023

#138: Meeresbiologiestudium II

Ich frage mich, wie ich dich dazu bringen kann, mich in Ruhe zu lassen. Vielleicht schreibst du mir jetzt nicht mehr, denke ich, und weiß doch selbst, wie das ist. Irgendwann ja, bestimmt. Irgendwann ja.
„Vielleicht  muss man die Wahrheit immer wieder in eure Welt hineinschreien, bis ihr sie endlich sehen könnt“, hast du geschrieben. Wie absolut hoffnungslos. Wenn du doch angekündigt hast, mir weiterhin seitenlange Briefe darüber zu schreiben, wie absolut psychisch kaputt ich bin, bis ich es endlich einsehe. Wann sehe ich es ein, deiner Meinung nach? Wenn ich mich von ruru trenne? Wenn ich wieder mit dir Kontakt haben will? Wenn ich so lange zu Therapeuten renne, bis mir irgendjemand Borderline diagnostiziert?

Ich hab mir Persönlichkeitsstörungen durchgelesen, weil ich deine Gedanken verstehen wollte, deine und die der Tagesklinik. Letztere verstehe ich jetzt besser. Scheinbar beinhaltet die Therapie von Persönlichkeitsstörungen teilweise, dass man es dem Patienten erstmal nicht sagt, weil dieser sonst die Therapie beenden würde, erstmal Vertrauen aufbaut und den Patienten dann langsam selbst zu der Erkenntnis kommen lässt, dass das eigene Verhalten nicht das Bedürfnis erfüllt, das man eigentlich hat.
Es gibt da vermutlich verschiedene Ansätze, aber das war einer, den ich gefunden hatte.

Es frisst sich in meine Gedanken.
Ich fühle mich so unglaublich belogen.
Man kann doch mit mir reden, denke ich mir.
Ich frage mich, ob alles, was meine ambulante Therapeutin jemals zu mir gesagt hat, eine Lüge war. Dass sie mich als selbstreflektiert erlebt, dass ich es merken würde, wenn ich mich missbräuchlich verhalte. Aber es war ja eine aktive Aussage, sie hätte einfach nichts sagen können, beziehungsweise einfach nur „ich finde auch nicht, dass Sie jemanden missbraucht haben“, wenn es nur um Bestätigung ginge.
Und es stimmt doch, dass ich merke, wenn ich mich missbräuchlich verhalte. Ich mache das manchmal. Ich hab dir davon erzählt, im Juni, du wolltest mir nicht glauben. „Manchmal will ich Menschen verletzen.“
Ich muss doch nicht belogen werden.

Ich verliere mich, weiß nicht, wo ich die Wahrheit herbekommen soll. Nicht von dir, deine Nachrichten sind voller Dinge, die nicht stimmen, nicht mal nur meiner Einschätzung nach, einfach so komplett random Zeug, von dem ich nicht verstehe, wie du überhaupt darauf kommst. Nicht von der Tagesklinik, die ist ja vorbei, nicht hier, mich kennt hier niemand und wenn es ohnehin Therapeuten gibt, die einen anlügen, wie soll man dann irgendjemandem vertrauen?

Aber meine ambulante Therapeutin hat ja gesagt, sie denkt, die Tagesklinik hat all diese Dinge gesagt, weil ich so unfähig bin mein Innenleben auszudrücken. Weil ich lächle und lächle und lächle und sure, ich wurde missbraucht, na ja, hier sind zwei Stichpunkte darüber und mein einziges Problem gerade ist, dass ich Aggressionsprobleme habe. Trauma-Symptome? Pfft.

Ich hab mit ihnen über chronische Schmerzen geredet, ob man eigentlich ihrer Meinung nach etwas Besseres machen kann, als alle zwei Wochen eine Voltaren zu nehmen und ansonsten damit zu leben. Woran ich merke, dass es mich so stark belastet, was genau mich so sehr belastet daran. „Ich hab nicht das Gefühl, dass es mich belastet“, meinte ich. „Aber ich habe mal zwei Wochen lang jeden Tag Schmerztabletten genommen wegen was Anderem und gemerkt, dass es mir plötzlich viel besser ging.“
Das ist mein Leben. Ich fühle mich selten allgemein belastet. Nur manchmal sind Sachen weg und ich merke, wie viel besser mein Leben plötzlich ist.

Meine Therapeutin hätte das nicht gesagt, wenn sie lügen würde, oder? Sie hätte einfach nichts sagen können. Oder „vielleicht hatten Sie einfach Pech mit der Tagesklinik“. Richtig? Richtig?

Seit Blyth habe ich das Gefühl, ich bin gefangen. Ich gehe in Therapie und ich existiere nicht. Ich bin leer, mir geht es gut und es gibt nichts zu sehen bei mir. Ich kann emotional nicht in einem Safespace funktionieren. Ich hab mal versucht, das meiner Therapeutin zu erklären, „ich kann nicht hier sitzen und Sie packen mich in Watte ein und achten darauf, mich bloß nicht zu triggern und dann gehe ich zurück in die Welt und werde getriggert, sobald ich länger als fünf Minuten mit jemandem rede und ich kann nicht lernen mit der Realität umzugehen an einem Ort, der so komplett fernab der Realität ist“. Sie hat nicht wirklich verstanden, was ich meinte.
Irgendwann habe ich sie angefleht, Verhaltenstherapie mit mir zu machen, weil mir das was bringt, weil da der Großteil der Therapie in der realen Welt stattfindet. Es hat so lange gehalten bis ich zum ersten Mal geweint habe, weil ich getriggert war. „Deswegen halte ich das nicht für sinnvoll.“
Ich hab mich so verloren gefühlt. Es hat mir doch was gebracht, ich habe doch was gelernt.
Wir waren zurück bei den Gesprächen, die ich nicht führen konnte.

Ich hab nicht das Gefühl, dass es so schwierig ist. Ich brauche diesen Safespace am Anfang, vielleicht drei Monate, weil ich so viel Angst habe. Aber entweder mir wird das nicht gegeben oder ich werde nie daraus entlassen. Vielleicht kommuniziere ich so schlecht, was ich brauche, denke ich mir. Vielleicht kann ich das lernen. Vielleicht ist es nächstes Mal anders. Jedes Mal.

Ich hab meiner Therapeutin öfter gesagt, dass die Therapie mir nichts bringt, ich wollte das erklären, was wir ändern müssen, was ich brauche. Selbst nach zwei Jahren dachte sie noch, ich mache das zur Abgrenzung. „Die Therapie hilft mir nichts, also kann ich jederzeit gehen. Sie können mich nicht missbrauchen!“
Und ich wollte doch nur Hilfe. Mehr als „ich habe gerade dieses akute Problem, was sagen Sie dazu?“ Ich wollte DIS-Therapie und Trauma-Therapie und ich verstehe nur einfach nicht, was ich dafür machen muss.
Ich hab mal in den Raum gestellt, ob ich autistisch bin, weil nahezu alle meine Freunde autistisch sind und ich ja offensichtlich ein massives Kommunikationsproblem habe gegenüber jeder Person, die nicht autistisch ist. Ich sage etwas und es wird etwas komplett anderes verstanden, bei dir, bei Therapeuten, nur bei meinen Freunden nicht.
Ein Therapeut meinte, er glaubt das nicht, aus komplett dummen Gründen, aber im Grunde glaube ich es selbst nicht. Es gibt nichts, was dafür spricht, außer das.
Als ich das letzte Mal gegenüber einem Therapeuten erwähnt habe, dass ich komplett sozial unfähig bin und irgendwie nie sagen kann, was ich meine, hat er mich gefragt, warum ich in Therapie gehe. Das wäre kein Problem für Therapie. Also hab ich das ganze Trauma aus meinem Leben aufgelistet und das war plötzlich Grund genug, um 100 Stunden bewilligt zu bekommen, obwohl ich nicht mal was über Symptome gesagt habe.

Es ist für mich unverständlich, wie ich meine Probleme so klar ausdrücken kann und sie werden trotzdem so missverstanden. Ich hab versucht daran zu arbeiten, Texte darüber geschrieben, um sie in der Therapie vorlesen zu können, in der Hoffnung, vielleicht kann ich es ja schriftlich besser. Mich gefragt, ob ich einfach zufälligerweise richtig Pech mit Therapeuten habe, dass ich niemanden finde, der mich versteht. Hab mich gefragt, ob ich autistisch bin, ob es das ist, aber jedes Mal komme ich zu dem Schluss Nein. Meine Schwester wurde vor einem halben Jahr mit ADHS diagnostiziert und daraufhin wohl meine halbe Familie, hab es mir durchgelesen und klar, Konzentrationsstörungen habe ich natürlich, aber der Rest war mir vollkommen fremd. „Vielleicht ist das die Erklärung“, denke ich, immer wieder, aber es passt nicht, überhaupt nicht. Die DIS ist das Einzige, was jemals wirklich gepasst hat. Aber auch die erklärt nicht, warum ich so kommunikationsunfähig bin.

Montag, 6. Februar 2023

132

Ich war bei der Polizei, dich anzeigen. Na ja - eher aufnehmen lassen, dass du den ganzen weiten Weg von Nürnberg nach Hamburg gefahren bist, um vier Monate nach Ende der Beziehung ein Treffen und ein Gespräch zu erzwingen, das ich unmissverständlich nicht wollte. Eine Straftat ist das natürlich nicht. Das ist nur meine Absicherung, falls ich jemals durchsetzen muss, dass du mir fern bleibst.
Es war seltsam. Das Gebäude zu betreten, über das ich so oft nachgedacht habe.
„Ich möchte etwas anzeigen.“
Kurz stand ich da, während der Polizist alles aufgeschrieben hat, und habe mich gefragt, ob ich auch noch meinen Vater anzeigen sollte. Oder Blyth, wo ich schon dabei war. Es alles erzählen, in die Welt bringen, aus mir raus schreien. Ob sich die Worte dann schützend um mich legen, die ständige Erinnerung daran, dass ich nichts nichts nichts beweisen kann, endlich egal wird.
Als wäre es real geworden, weil es in irgendeinem staatlichen Computer steht.
Als hätte ich endlich Nein gesagt.

Ich hab das Gefühl, als würde ich von Innen verbrennen. Plötzlich, endlich, habe ich gelernt, wie Widerstand funktioniert. Ich hab mich vier Wochen von dir missbrauchen lassen, vier Wochen zu viel, aber es waren nur vier Wochen. Ich hab dir ein Gespräch gegeben, bin gegangen, eine Nachricht gegeben, nicht mehr und dann habe ich dir innerhalb von fünf Minuten die Tür vorm Gesicht zugeschlagen.
Unmissverständlich.
Ich will dich nie wieder in meinem Leben haben.

Vielleicht ist das der höchste Punkt, den man erreichen kann. Ein Punkt, an dem ich nicht mehr verstumme, mein Nein durchsetze, wieder und wieder und wieder und immer mehr. Vielleicht ist es für all die Neins, die ich nie gesagt habe, zu spät.
Vielleicht ist das hier Therapie. Nicht der sichere Ort der Psychologenzimmer, die Frauentraumagruppen, das Vermeidungsverhalten, in das ich gedrängt werde, das ich nie wollte. Die Welt, in der man sich selbst am allermeisten glauben muss.