Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Sonntag, 5. März 2023

#133: Vom Leben selbst gehasst

„Bitte sag niemals, dass du sterben willst,
gib nie auf, solange du am Leben bist.“
Sie sagen: „Die Texte, die du schreibst, sind falsch.
Sie sollten fröhlich sein.“
Ehrlich wär's mir egal, wenn ich sterben würd,
wär nur traurig, wenn jemand, den ich liebe, stirbt.
„Ich will mich nicht so fühl'n“, sagt mein Ego.
'nen and'ren Grund gibt's nicht.

Es ist mir gleich, ob jemand stirbt, den ich nicht kenn'.
Ich hasse euch, denn das ist mittlerweile Trend.
Sie sagen: „Lasst uns trotzdem in Frieden leben.“
Als hätten wir das nie versucht.
Irgendwo, so weit weg, stirbt jemand, bildschirmnah.
Darüber schreibt jemand ein Lied, als ob's wichtig war.
Ein Junge greift ein Messer, weil diese Worte
alles war'n, was er hören wollte.

Wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst.
Wir verraten uns're Werte und was uns ausmacht,
wenn wir Lieder davon singen, wie wir selbst brutal,
jemand' töten, als wäre uns der Tod egal.
Nein, wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst,
wenn wir sagen „ich will sterben“, so als wäre das
nicht bedeutsam, als wäre dieses Leben nicht
alles, was wir haben. Ist das für uns wirklich unwichtig?

Wir haben kein Geld, also singen wir
Loblieder auf die Tatsache, dass nie etwas passiert.
Leben ist bedeutungslos, reden wir uns ein.
„Ich seh keinen Sinn, also muss es sinnlos sein.“
„Ich bin einsam.“ Dieser Satz reicht nicht,
um den Schmerz zu beschreiben, der uns innerlich auffrisst.
So schlafen wir doch lieber wortlos ein.
„Sturheit hilft.“ Nun fühlen wir uns ganz allein.

Unermüdlich schreiten wir voran,
bis wir eines Tages dann wie ein Blatt anfang'
zu verwelken, zu verrotten, hier, am Wegesrand,
bis sich schließlich niemand mehr an uns erinnern kann.
Dabei will ich doch nur, dass man mich nicht vergisst.
Will doch nur ein Leben, das mich leben lässt.
Ich will lieber träumen, wenn mir das nicht möglich ist.

Ob wir wirklich leben wollten, das war nie eine Wahl,
ob wir wirklich sterben wollen, das ist uns ganz egal.
Was wir wollen, ist falsch, machen and're Menschen klar,
ein Widerspruch,
so unsichtbar.
„Wenn dich hier nichts hält, warum bist du dann noch nicht gegang'?“
„Wenn du nicht sterben willst, dann fang endlich zu leben an!“
Red dir ruhig ein, dass Trauer dir nichts ausmacht
und dann lach weiter, allein und einsam.

Wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst,
also hassen wir, was es uns nie gegeben hat,
das Glück, von dem wir nicht wissen, was es sein soll.
Diese Welt hat uns ohnehin nie gewollt.
Nein, wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst,
wenn wir sagen „ich will gehen“, so als wäre das
nicht bedeutsam, als wäre so ein Abschied nicht
für immer. Ist unser Leben uns so unwichtig?

Das Glück und
ein Ende,
Zuwendung
und Freunde,
„das bekommt man mit Geld“, reden wir uns ein,
bis unser Leben einer Illusion gleicht.
Weißt du, morgen könnte ich sterben, einfach so.
Vielleicht ist alles, was wir tun, eh sinnlos.
Durch Tage
und Nächte,
durch Wärme
und Kälte,
unverändert stirbt irgendjemand irgendwo.
Ich brauch keine Träume oder ein' weit'ren Tag,
solang du nur weiterhin am Leben sein magst.
Das stimmt.
Das war doch
genau wofür ich diese Worte hab!

Warum nur hasst uns unser Leben so?
Sterben tun wir irgendwann doch sowieso.
Irgendwann du,
irgendwann ich,
verwelkte Blätter am Lebensrand, so unwichtig.
Trotzdem halten wir aus und uns am Leben fest,
verzweifelt ertragen wir, was immer es uns gibt.
Wir nehmen
und geben,
wehren uns
und streben,
leben, leben, leben, leben
unentwegt.

Montag, 6. Februar 2023

132

Ich war bei der Polizei, dich anzeigen. Na ja - eher aufnehmen lassen, dass du den ganzen weiten Weg von Nürnberg nach Hamburg gefahren bist, um vier Monate nach Ende der Beziehung ein Treffen und ein Gespräch zu erzwingen, das ich unmissverständlich nicht wollte. Eine Straftat ist das natürlich nicht. Das ist nur meine Absicherung, falls ich jemals durchsetzen muss, dass du mir fern bleibst.
Es war seltsam. Das Gebäude zu betreten, über das ich so oft nachgedacht habe.
„Ich möchte etwas anzeigen.“
Kurz stand ich da, während der Polizist alles aufgeschrieben hat, und habe mich gefragt, ob ich auch noch meinen Vater anzeigen sollte. Oder Blyth, wo ich schon dabei war. Es alles erzählen, in die Welt bringen, aus mir raus schreien. Ob sich die Worte dann schützend um mich legen, die ständige Erinnerung daran, dass ich nichts nichts nichts beweisen kann, endlich egal wird.
Als wäre es real geworden, weil es in irgendeinem staatlichen Computer steht.
Als hätte ich endlich Nein gesagt.

Ich hab das Gefühl, als würde ich von Innen verbrennen. Plötzlich, endlich, habe ich gelernt, wie Widerstand funktioniert. Ich hab mich vier Wochen von dir missbrauchen lassen, vier Wochen zu viel, aber es waren nur vier Wochen. Ich hab dir ein Gespräch gegeben, bin gegangen, eine Nachricht gegeben, nicht mehr und dann habe ich dir innerhalb von fünf Minuten die Tür vorm Gesicht zugeschlagen.
Unmissverständlich.
Ich will dich nie wieder in meinem Leben haben.

Vielleicht ist das der höchste Punkt, den man erreichen kann. Ein Punkt, an dem ich nicht mehr verstumme, mein Nein durchsetze, wieder und wieder und wieder und immer mehr. Vielleicht ist es für all die Neins, die ich nie gesagt habe, zu spät.
Vielleicht ist das hier Therapie. Nicht der sichere Ort der Psychologenzimmer, die Frauentraumagruppen, das Vermeidungsverhalten, in das ich gedrängt werde, das ich nie wollte. Die Welt, in der man sich selbst am allermeisten glauben muss.

Montag, 30. Januar 2023

#131: Täter

Ich dachte, September war traumatisch. Ich dachte, wie du mich behandelt hast, war traumatisch. Aber ich hab ihn nie erlebt, den Verlust von Sicherheit.
Jetzt sitze ich in rurus Wohnung. Er hat mich Samstag abgeholt, weil ich Angst hatte, die Wohnung zu  verlassen, weil ich Angst hatte, dass du immer noch da bist. Ich bin so dissoziiert, dass ich zwischendurch die Fähigkeit verliere, Sätze zu bilden. Heute morgen bin ich aufgewacht und konnte weder reden noch die Augen öffnen, wir haben mehrfach gewechselt, danach ging es.
Es ist zwei Tage her und meilenweit weg.
Wenn ich nicht stetig das Dokument mit dem Gespräch, das wir hatten, ergänzen würde, weil mir noch was einfällt, was ich vergessen habe, was gesagt wurde, falls ich es für die Polizei brauche, könnte ich mir einbilden, du wärst nie hier gewesen. Wir haben entweder eine neue Innenperson oder der Moment an sich wurde auf jemand anderen abgespalten. Bei mir ist er nicht.

Manchmal hasse ich dich und dann fühle ich nichts und irgendwie bin ich stolz auf meinen Umgang, wie schnell ich dich rausgeschmissen habe, wie schnell ich bereit war die Polizei zu rufen, wie schnell ich jeder einzelnen Person, die ich kenne, die du kennst, erzählt habe, was du gemacht hast.
Und ich sehe es fast vor mir. Wie du erklärst, dass du doch zu mir fahren musstest, weil ich dir einfach nicht zuhören wollte. Weil du mich doch einfach nicht missbraucht hast - das muss ein Missverständnis sein.

Blyth habe ich immer alles zugetraut. Aber ich kann es einschätzen, das Kühle, Berechnende. Blyth wird immer nur alles tun, was notwendig ist, und für jede andere Eventualität einen Plan haben. Aber solange wir ihn in Ruhe lassen, lässt er uns in Ruhe. Solange ich es nicht zulasse, werden wir auch nicht missbraucht.
Du hast mich nach zwei Monaten wie ein Objekt behandelt, es niemals festgestellt, kannst es immer noch nicht fassen. Wir sind seit vier Monaten getrennt, trotzdem tauchst du vor meiner Tür auf, bildest dir ein, ein Recht zu haben, zumindest auf ein paar Worte. Trotz dessen, dass wir seit zwei Monaten nicht geredet und ich dir ab November auch immer klar gemacht habe, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will.
Wie Ray, habe ich im Oktober gesagt. Menschen wie du sind die Personen, die letzten Endes gefährlich sind.