Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Donnerstag, 27. August 2020

#15: Das Problem mit Problemen

"Ich kann mich überhaupt nicht mit den anderen Systemen (die ich kenne) identifizieren", sage ich. "So sehr, dass es sich anfühlt, als hätte ich etwas fundamental anderes. Aber ich weiß, dass ich eine DIS habe.
Eigentlich kann ich mich nur mit den OSDD1b-Systemen, die ich kenne, identifizieren. Also, OSDD1b = DIS ohne Amnesie. Aber ich habe halt Amnesie, das weiß ich. Aber dann ist mir neulich aufgefallen, dass die alle - also, es sind auch nur zwei - zusätzlich Autismus haben."
Erwartungsvoll schaue ich ihn an. Ich möchte ernstgenommen werden und ernstgenommen werden heißt für mich in dem Fall, dass wir uns einmal ganz genau mit Autismus beschäftigen und dann gucken, welche Symptome bei uns auch vorhanden sind und darüber reden, was vielleicht andere Erklärungsmöglichkeiten für diese Symptome sein könnten, um eben zu klären, ob wir nun autistisch sind oder nicht.
Dass ich Autismus vermute, mit wesentlich mehr Gründen als dem, hatte ich ihm vorher gesagt.

"Jedes System ist eben anders", sagt er und ich fühle mich schon wieder komplett unverstanden. Vor allem, als er direkt danach sagt, wir können gar nicht autistisch sein, weil wir ja Ironie verstehen. Vollkommen außer Acht lassend, dass ein Großteil meines Freundeskreises (diagnostiziert) autistisch ist und dort nahezu jeder Ironie versteht.
Außerdem kann ich, laut ihm, zu gut kommunizieren. Dass ich zwei Jahre lang gelernt habe, Kommunikationsebenen zu analysieren, ist nicht wichtig. Dass fast niemand sonst im System das kann, auch nicht. Ich würde ja die meisten Innenpersonen noch gar nicht genug kennen, um das überhaupt einschätzen zu können.

Ich fühle mich zurückversetzt in die Zeit, in der ich versucht habe, ruru zu erklären, dass ich Amnesie habe, ohne einen Begriff dafür zu haben.
"Ich erinnere mich schon wieder nicht an gestern", meinte ich damals, immer wieder und bekam jedes mal dieselbe Antwort: "Ich erinnere mich auch oft nicht daran, was genau ich gestern gemacht habe, einfach weil es so unwichtig war. Das ist ganz normal."
Aber es war eben nicht normal. Nur konnte ich den Unterschied zwischen "heute ist Mittwoch, gestern war Dienstag und ich erinnere mich nicht mehr genau, was ich gemacht habe" und "heute ist Mittwoch, gestern war Montag und Dienstag existiert einfach nicht", nicht gut genug beschreiben.

Oder zurück zu meinem Extherapeuten, dem ich irgendwann mal versucht habe, die DIS zu erklären, ohne dass ich wusste, was das sein soll und ohne richtige Worte dafür.
"Ich kann richtig gut mit Menschen reden", meinte ich. "Aber manchmal kann ich es einfach nicht mehr. Also, ich habe keine Angst oder so, aber ich kann es einfach nicht mehr. Und dann habe ich das Gefühl, ich bin eigentlich so, aber ich schaff's irgendwie nicht, mich auch so zu verhalten." Was, im Rückblick betrachtet, wahrscheinlich eine der Aussagen war, wegen der er einen DIS-Verdacht hatte.
Aber damals hat er trotzdem gesagt, dass es ja vollkommen normal ist, dass man in verschiedenen Situationen ein bisschen anders ist. Und er hat es darauf geschoben, dass diese Situationen, in denen ich so anders war, Situationen mit einem unsicheren Umfeld waren. Und da wäre es ja ganz normal, wenn man nicht so selbstbewusst ist.
Und ich saß da und wollte mich in Luft auflösen. Weil ich das noch nie jemandem gesagt hatte und ich kannte, was er beschrieb und es war nicht das, was ich erlebte. Weil ich keinen Einfluss darauf hatte, wie ich war.
Natürlich nicht. Ich hatte ja eine DIS. Nur wusste ich das eben nicht.

Das zieht sich durch mein Leben, das ich ein Problem anspreche und es heißt dann "ach, das ist doch ganz normal, das habe ich auch manchmal, etc."
Jedes mal kenne ich diese normale, beschriebene Situation und sie ist nicht das, was ich erlebe. Nur scheine ich das einfach nicht in genug Worte fassen zu können, sodass es irgendjemand versteht. Hätte ich fast gesagt. Ein Satz, der in meiner Exbeziehung oft fiel. "Das passiert alles nur, weil ich nicht gut genug erklären kann, was ich eigentlich möchte."
Nein. Heute weigere ich mich zu glauben, dass es an mir liegt. Zu Kommunikation gehören zwei Menschen. Wenn ich so oft das Gleiche in verschiedenen Sätzen, Kommunikationsebenen und Tränen sage, liegt es nicht an mir, wenn es nicht verstanden wird.
Meine Wahrheit existiert in deiner Welt nicht.

Es gibt einen Unterschied zwischen "ein geräuschempfindlicher Mensch sein" und "wenn ich gestresst bin, kann mein Freund mich nicht mal streicheln, weil Streicheln zu laut ist".
Ja. Dass das genauso gut ein Traumasymptom sein könnte, weil auch Trauma Filterprobleme macht, ist mir bewusst. Ich wollte auch keine Autismus-Diagnose. Ich wollte nur ein Gespräch darüber, in dem es eine reale Möglichkeit sein kann oder eine Überweisung an jemanden, der mehr Ahnung davon hat.

Ich war so froh, als ich zu meinem ehemaligen Psychologen gegangen bin und meinte: "Ich glaube, dass ich möglicherweise irgendeine dissoziative Störung habe" und er direkt meinte, dass das eine reale Möglichkeit ist.
Und dann hatten wir ein Gespräch darüber, warum ich das denke und was andere Erklärungen sein könnten. Ich hatte eine lange Liste mit Symptomen und wir sind jedes einzelne durchgegangen und haben darüber geredet.
Und danach haben wir einen langen Fragebogen für dissoziative Störungen gemacht.
Und danach haben wir noch mehr geredet.
Und dann kam eine andere Innenperson raus und er meinte, damit ist es dann wohl bestätigt.
Aber in dem gesamten Gespräch hat er nie gesagt: ach, das ist doch normal.
Weil es nicht normal ist. Es war ein Problem, für mich. Selbst wenn jeder Mensch genau das gleiche erleben würde, dann wäre es trotzdem in den Moment anders, in dem ich es als Problem wahrnehme. Weil es ja normalerweise keins ist.

"Generell ist es ja auch nicht so wichtig, ob ihre Symptome vom Trauma oder von Autismus oder von etwas anderem kommen", fährt der Psychologe fort. "Sie sollten da nicht so versuchen, sich in Schubladen zu stecken. Einfach erstmal das System kennenlernen und gucken: wer ist denn da und was für Schwierigkeiten gibt es da vielleicht auch. Eine Schublade zwängt Sie nur ein in Ihrer Wahrnehmung von so etwas."
Dabei steckt man doch bereits in Schubladen. Selbst vor der Diagnose steckten wir in einer DIS-Schublade. Und ich stand mein Leben lang vor dem Schrank und ich hab nichts daraus verstanden, weil niemand mir gesagt hat, dass diese Schublade, die mir so viel erklären und so viel helfen würde, überhaupt existiert.

Und genauso geht es mir gerade wieder. Nur, dass die Schublade, die ich mir eigentlich mal angucken wollte, nicht mal in meiner Reichweite ist. Und es hilft mir auch niemand, da mal reinschauen zu können. Mehr noch: ihre bloße Existenz vor meinen Augen wird mir abgesprochen.
Fast so wie Gaslighting.
Meine Wahrnehmung ist grundlegend falsch.
Vielleicht auch ganz genauso. Ich weiß es nicht. In diesem Fall steckt keine böse Absicht dahinter.

Irgendwann finden wir einen Psychologen, der unsere Worte ernst nimmt.

Donnerstag, 20. August 2020

#14: Diagnosefindung: kein Trauma, aber DIS?

Als wir die Vermutung aufgestellt haben, dass wir eine (partielle) DIS haben könnten, wussten wir kaum von Kindheitstraumata. Ein paar Erinnerungen waren vorhanden, aber definitiv nichts, von dem ein Kind eine DIS entwickeln würde. Da es vielen Systemen ähnlich geht oder sie sich vor der Diagnose erst gar nicht an irgendwelche Kindheitstraumata erinnerten, dachte ich, ich schreibe einmal eine Art "Anleitung" für Menschen, die denken, sie könnten möglicherweise eine DIS haben, die aber keine Erinnerungen an (Kindheits)Traumata haben.
Das Beste, was man tun kann, ist tatsächlich, es bei einem Therapeuten anzusprechen.
Allerdings sollte man möglichst auf die Einstellung des Psychologen achten. Es gibt nämlich viele Psychologen, die behaupten, Systeme existieren gar nicht und wären ein soziales Konstrukt. Eine gute Anlaufstelle wäre wohl ein Traumatherapeut. Die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie hat auf ihrer Seite eine umfassende Liste von Traumatherapeuten. Ebenfalls haben Hilfsstellen für Betroffene von Gewalt häufig solche Listen, ebenso wie die kassenärztliche Vereinigung des jeweiligen Bundeslandes. Der Verein 'Vielfalt e.V.' führt zudem eine (nicht vollständige) Liste über Therapeuten, die sich mit der dissoziativen Identitätsstörung speziell auskennen.
Ein System kann man nämlich, nach jetzigem Forschungsstand, ohne Trauma gar nicht sein. (Es gibt Systeme, die sagen, dass sie kein Trauma haben. Über diese sogenannten 'endogenen Systeme' haben wir hier schon einmal geschrieben.)
Man kann aber definitiv ein System sein ohne sich an Trauma zu erinnern. Es wird eine oder mehrere Personen geben, die diese Traumaerinnerungen haben, aber durch die Amnesie kann die Existenz dieser Personen nicht bekannt sein.

Es gibt allerdings auch viele ähnliche Störungen! Es gibt die partielle DIS, bei welchen ebenfalls andere Identitätszustände existieren. (Ein Post, der die pDIS behandelt, findet sich hier.) Dies sind allerdings ebenfalls dissoziative Störungen, welche durch Trauma ausgelöst werden.

Es gibt die emotional instabile Persönlichkeitsstörung (oft Borderline genannt), die starke Identitätsunsicherheiten mit sich bringt. Diese kann ebenfalls ähnlich wie eine DIS aussehen. Deshalb werden Systeme auch häufig damit fehldiagnostiziert.
Soweit ich weiß ist Trauma für Boderline keine definitive Voraussetzung, allerdings ist Trauma bei Menschen, die Borderline haben, wohl sehr stark verbreitet.

Es gibt aber beispielsweise auch Schizophrenie! Wir haben einen Freund, der Schizophrenie hat und haben in Gesprächen mit ihm schon mehrfach festgestellt, dass die Symptome sehr ähnlich klingen wie die der DIS. Die Ursache und somit das Gefühl sind allerdings sehr, sehr anders - es kann aber trotzdem verwechselt werden. Wir haben sogar schon mal mit einer Person geredet, die Schizophrenie hatte, aber erst mit einer DIS fehldiagnostiziert wurde.
Soweit wir wissen, wird Schizophrenie zwar durch Traumata begünstigt, allerdings sind Traumata keine Notwendigkeit dafür.
(Wir haben übrigens auch schon mal mit einer Person geredet, die eine PTBS und zusätzlich Autismus hatte, was als DIS fehldiagnostiziert wurde, da die Symptome in dem Fall einer dissoziativen Störung wohl oft sehr ähnlich sind. Wobei ich nicht genau weiß, wie daraus eine komplette DIS-Diagnose entstanden ist; aber es sei erwähnt.)

Weiterhin gibt es die 'maladaptiv Daydreaming Disorder' (zu Deutsch maladaptive Tagträumstörung - einen offiziellen deutschen Begriff scheint es nicht zu geben oder wir finden ihn einfach nicht), welche durch sehr intensive Tagträume gekennzeichnet ist, die teilweise auch nicht mehr von der Realität zu unterscheiden sind. Hier kann es durchaus sein, dass es so etwas wie eine „innere Welt“ mit verschiedenen Personen darin gibt, allerdings basiert diese auf Tagträumen und nicht auf einer Bewusstseinsspaltung.

Vermutlich gibt es noch mehr ähnliche psychische Erkrankungen, die wir nicht kennen.

An letzter Stelle möchten wir erwähnen, dass verschiedene Situationen im Leben starke Identitätsunsicherheiten oder -schwankungen mit sich bringen können.
Ein Beispiel wäre die Pubertät. Teilweise weiß man in dieser Lebensphase überhaupt nicht genau, wer man ist, man probiert oft verschiedene Sachen aus, und das kann sich durchaus so anfühlen, als wäre man zwei (oder mehr) verschiedene Personen.
Auch können verschiedene Lebensereignisse zu plötzlichen, starken Wesensveränderungen führen. Das kann sich ebenfalls wie ein Persönlichkeitswechsel anfühlen, ist aber eine normale Reaktion auf extreme Ereignisse. Wenn es einen belastet, wäre an dieser Stelle aber auf jeden Fall der Besuch bei einem Psychologen ebenfalls sinnvoll, um das Ereignis zu verarbeiten und die Wesensveränderung zu akzeptieren.

Ebenfalls erwähnenswert ist, dass man, wenn man tatsächlich traumatisiert ist, in der Regel auch Traumasymptome haben wird - selbst wenn man sich nicht an Traumata erinnert. Diese können allerdings sehr konfus sein. Bei uns waren es depressive Episoden, Selbsthass, Stimmungsschwankungen, Selbstverletzung und später kamen dann sehr spezifische Albträume dazu (Traumflashbacks), wegen denen letztendlich auch die PTBS diagnostiziert wurde. (Obwohl weiterhin keine Traumaerinnerungen vorhanden waren!)
Die Symptome können aber auch sehr anders aussehen. Häufig sind beispielsweise Bindungsstörungen (entweder, dass man erst gar keine Bindungen aufbauen kann oder dass man sie viel zu schnell aufbaut), chronische Schmerzen (oft von Verspannungen), Immunschwächen mit häufigen Erkrankungen, ein sehr geringes Selbstwertgefühl, ...
Wir persönlich achten immer sehr stark darauf, wie oft sich jemand entschuldigt. Es gibt viele Menschen, die sich ständig entschuldigen - nicht als Reaktion auf Fehler sondern schon im Voraus. ("Tut mir leid, wenn ich störe, aber darf ich dich was fragen?" und ähnliche Sachen.) Diese Personen sind natürlich nicht alle traumatisiert, aber es scheint sehr häufig zu sein.
Es gibt zudem bestimmt auch viele Traumasymptome, die wir nicht kennen, da sie sehr spezifisch auf das eigene Leben angepasst sind.

Zum Schluss sei gesagt: Wenn man etwas über sich nicht versteht, ist es generell immer in Ordnung zu einem Psychologen zu gehen! Dafür braucht man kein Trauma oder massive Probleme. Genauso wie man manchmal auch mit einer sehr leichten Erkältung zum Arzt gehen würde, weil sie einfach nicht weggeht, darf man natürlich auch zum Psychologen gehen, wenn es einem psychisch nicht so gut geht, ohne dass direkt eine komplette Lebenskrise vorliegen muss.

Es sei aber ebenfalls erwähnt, dass die DIS und auch andere schwerwiegende Störungen in der Regel nicht innerhalb einer Sitzung diagnostizierbar sind. Wir wurden beispielsweise von einem Therapeuten diagnostiziert, den wir seit 1.5 Jahren kannten - und das, obwohl er den Verdacht schon relativ früh hatte, auch erst, nachdem wir selbst zusätzlich den Verdacht aufgestellt hatten.
Die meisten Systeme werden erst in Kliniken diagnostiziert und ich vermute, dass es bei anderen genannten Störungen teilweise ähnlich ist. Wenn man die Möglichkeit dazu hat, könnte also auch ein Besuch in einer Psychiatrie/Akutklinik oder in einer psychiatrischen Institutsambulanz sinnvoll sein.

Donnerstag, 13. August 2020

#13: Meeresbiologiestudium

Wisst ihr, es gibt eine Sache, in der Psychologen besonders schlecht zu sein scheinen und das ist Sachebenenkommunikation. Aber vermutlich bin ich einfach biased und das ist allgemein bei neurotypischen Menschen so. I wouldn't know. Mein Freundeskreis besteht zu 80% zu Autisten. Da herrscht Sachebenenkommunikation pur.

Für alle, die das Kommunikationsebenenmodell nicht kennen, ist hier eine Zusammenfassung.

Ich habe viele Vorgespräche (manchmal ist auch wer anders draußen, aber meistens ich).
Dort scanne ich keine Kommunikationsebenen, weil ich weiß, dass es Innenpersonen gibt, die das nicht können und es wäre unfair für diese, wenn ich einen Psychologen aussuche, mit dem sie am Ende überhaupt nicht klarkommen, weil er sie und sie ihn dauernd falsch verstehen. Ich will ja einen Psychologen fürs System allgemein finden und nicht nur für mich.
Aber jedes mal merke ich wieder: ich habe das Gefühl, die Psychologen und ich, wir kommunizieren in vollkommen verschiedenen Welten. Egal, was ich sage, es kommt nie an. Jedenfalls nicht so, wie es gemeint war. Also verbringe ich die Hälfte der Stunde damit, Dinge, die ich gesagt habe, zu erklären und am Ende habe ich immer noch nicht so wirklich das Gefühl, dass man mich verstanden hat, aber zumindest so halbwegs. Reicht - halbwegs.

Die nächste Stunde verbringe ich dann übrigens damit über all die Dinge zu sprechen, die ich in der Stunde davor nicht verstanden habe, die mich aber immer noch beschäftigen. An was anderes habe ich meistens eh keine Erinnerungen.

Ich weiß nie, ob das normal ist. Dass man 50% der Stunde damit verbringt, über Dinge zu reden, die man selbst oder der Psychologe nicht versteht. Vielleicht ist das ja, wie Therapie funktioniert. Vielleicht muss man nur einen Therapeuten finden, bei dem man es schafft, dieses Gespräch jedes mal zu führen, ohne irgendwann zu denken, dass man ihn bestimmt nervt und man lieber aufhören sollte zu reden, bis man die Therapie abbrechen muss, weil man nichts mehr sagt und er irgendwann lauter falsche Sachen denkt, wegen denen man sich zu sehr schämt.

Aber dann denke ich wieder, mit meinen Freunden kann ich ja auch reden ohne dass ich laufend jeden einzelnen Satz erklären muss. Da war es auch von Anfang an so. Dann sollte es ja bei einem geeigneten Psychologen eigentlich auch so sein, oder? (Oder ich bilde mir das ein, weil ich im Alltag zu viel Kommunikationsebenen scanne. Who knows.)

Vor allem will ich mir gar nicht ausmalen wie frustrierend die Therapie für andere Innenpersonen sein muss, weil ich im Alltag diese Probleme ja vergleichsweise wenig habe - möglicherweise wäre es bei ihnen noch viel schlimmer.

Ich wünschte, ich könnte einmal etwas sagen, ohne direkt fünf vollkommen unrelatierte Dinge angeblich mitgesagt zu haben, die ich dann alle erstmal einzeln verneinen muss und außerdem nochmal erklären muss, was ich eigentlich meine und im schlimmsten Fall denkt der Therapeut dann noch, ich bin vollkommen delusional und rede mir das selbst ein, dass seine Interpretation meines Verhaltens nicht in sein Analysemuster passt.
Immerhin kann man keine offenen Beziehungen aus anderen Gründen als 'mich sperrt das ein, weil Trauma' haben wollen (Polyamorie existiert nicht, by default). Und man kann auch nicht Blau aus anderen Gründen als Lieblingsfarbe haben, als dass man das blaue Meer so sehr mag. Und man hat definitiv eigentlich gerade gesagt, dass man Meeresbiologie studieren möchte und nicht, dass Blau die Lieblingsfarbe ist.
Ja. Letzteres ist ein komplett überzogenes Beispiel. Aber es ist genau wie ich mich immer fühle.

Was mich zum nächsten Punkt führt, den ich eigentlich gar nicht ansprechen wollte, weil er unglaublich sexistisch klang, da ich es mir selbst nicht erklären konnte: bei weiblichen Therapeuten ist das um Längen schlimmer. Bei männlichen Therapeuten werde ich meistens wenigstens noch gefragt: "Meinten Sie das nun so und so?"
Bei weiblichen Therapeuten kommt direkt die Frage zurück, warum ich denn dann nicht Meeresbiologie studiert habe und ich darf dann erstmal in meinem Kopf aufdröseln, wie zur Hölle diese Annahme schon wieder entstanden ist.
Neulich habe ich mit einem Freund darüber geredet und er hat vorgeschlagen, dass es ja vielleicht daran liegen könnte, dass von Frauen einfach viel mehr erwartet wird, dass sie alles immer automatisch verstehen (wenn es Missverständnisse mit einer Frau gibt, liegt es laut allen anderen Beteiligten immer daran, dass sie ihre Regel hat), wodurch sie den Anspruch an sich selbst entwickeln, alles immer hundert Prozent richtig verstehen zu müssen, wodurch sie automatisch so gut darin werden, dass sie dann einfach voraussetzen, dass sie Recht haben. Das passiert ja ohnehin oft, wenn man etwas gut kann: man geht von vornherein davon aus, dass man alles, was diese Sache betrifft, richtig macht. Davon bin auch ich nicht frei, nur bezieht es sich bei mir eher auf Ernährung.

Das ist aber ziemlich schlecht, wenn man bei männlichen Therapeuten auf der anderen Seite dauernd Angst hat, dass sie einen vergewaltigen.

Deshalb frage ich mich in letzter Zeit vermehrt, ob das einfach normal ist oder ob es außerhalb der DIS noch Probleme gibt, die einfach nie beachtet wurden. (Mainly Autism.)
Das kann mir hier natürlich niemand beantworten, aber zumindest kann beantwortet werden, wie das in der eigenen Therapie aussieht. Also ein paar Fragen: habt ihr grundsätzlich das Gefühl, euch mit eurem Therapeuten auf einer Gesprächsebene zu bewegen? Wie oft habt ihr das Gefühl, dass euer Therapeut euch nicht (richtig) versteht oder dass ihr ihn nicht (richtig) versteht? Und wenn das passiert, werden diese Unklarheiten oder Missverständnisse dann schnell aus dem Raum geräumt oder nehmen die Gespräche darüber einen großen Teil der Therapiesitzungen ein?

Montag, 10. August 2020

#12: Vier Seiten einer Aussage

Da ich ständig und ich meine wirklich ständig das 4-Ohren-Modell von Schulz van Thun benutze, um Dinge zu erklären (und gestern auch einen Post geschrieben habe, wo ich mich direkt darauf bezogen habe, der dann wohl die Tage veröffentlicht wird), habe ich an dieser Stelle eine Zusammenfassung darüber geschrieben. Ich hoffe, ich erkläre es einigermaßen gut.
Die letzten drei Absätze sind eher so darüber, wie wir persönlich kommunizieren.

Jeder Satz, den man sagt, hat (zu unterschiedlichen Anteilen) verschiedene Aussagen: Sachinformation, Selbstoffenbarung, Beziehung zum Gesprächspartner und Aufforderung.
Nehmen wir einen Klassiker: eine Person sagt zum Koch: "Da ist ein Haar im Essen."
Die Sachinformation ist eben einfach, dass ein Haar im Essen ist.
Die Selbstoffenbarung ist alles, was man mit der Aussage über sich selbst aussagt. Zum Beispiel, dass es einem sehr wichtig ist, dass keine Haare im Essen sind (sonst würde man es vielleicht gar nicht erst ansprechen, sondern es einfach rausnehmen); in dem Kontext vielleicht, dass einem Hygenie sehr wichtig ist. (Wobei das nur Sachen sind, die ich da gerade reinlese. Es kann natürlich auch was vollkommen anderes sein.) Man sagt aber auch so Sachen über sich aus wie, dass man die deutsche Sprache beherrscht oder dass man sehen kann (sonst hätte man das Haar ja nicht gesehen).
Die Beziehungsebene beschreibt, was man von seinem Gesprächspartner hält. Dies könnte zum Beispiel sein: "Du bist ein schlechter Koch, richtig unhygienisch, etc." (Ihr kennt bestimmt Menschen, die absolut alles persönlich nehmen - sie hören vermehrt auf der Beziehungsebene.)
Es kann natürlich auch sein, dass die Beziehung positiv ist. Das kann ich am besten an einem anderen Beispiel erklären. Manchmal sage ich zu Menschen: 'du bist immer voll nett zu mir'. Auf der Beziehungsebene sage ich eigentlich: "Danke."

Die Aufforderung heißt eigentlich Appellebene, weil Appell ein tolles Fremdwort für Aufforderung ist. Ich mag allerdings keine Fremdwörter, wenn es gleichzeitig ein deutsches Wort gibt, das genau dasselbe beschreibt.
In unserem Beispiel könnte die Aufforderung sein: "Mach das weg" oder aber auch "Hol mir eine Serviette, da ich gleich dreckige Finger haben werde, wenn ich das da rausnehme" oder "kauf dir eine Kochmütze". Es gibt noch mehr Möglichkeiten, definitiv. Manchmal ist die Aufforderung klar; im Zweifelsfall fragt man eben nach. (Oder es ist gar nicht wirklich eine Aufforderung da und man muss sich eingestehen, dass kein Kommunikationsmodell perfekt ist.)

So. Die allermeisten Menschen "bevorzugen" eine Ebene. Das heißt, wenn sie etwas sagen, haben sie bei ihrer Aussage eine Ebene im Blick und gehen erstmal davon aus, dass der Gesprächspartner ihren Satz auch auf dieser Ebene versteht. Gleichzeitig nehmen sie Botschaften auch zumeist auf dieser Ebene wahr.
Auf welcher Ebene man spricht und versteht, liegt übrigens an der Sozialisierung und teilweise auch an der Genetik.

Wir selbst sind Sachebenenmenschen. Manche mehr, manche weniger, aber größtenteils eben. Skye vermutlich am meisten. Deshalb wird Skye ständig falsch verstanden. Sie sagt nämlich nicht, dass ihr kalt ist, sondern: "Warum ist das Fenster eigentlich offen? Mir ist kalt."
Eigentlich ist das nur eine Sachinformation (als Frage, um zu überprüfen, ob andere Menschen auch wollen, dass das Fenster zu ist); ein Beziehungsebenenmensch hört jetzt aber in vielen Fällen, dass sie das voll blöd findet, dass er das Fenster nicht zugemacht hat. (Das klingt in diesem Kontext sehr negativ - aber die allermeisten Menschen sind Beziehungsebenenmenschen und würden diesen Satz dadurch niemals so formulieren, weil sie ein inhärentes Verständnis davon haben, wie das bei anderen Menschen ankommt. Dadurch funktioniert Kommunikation im Allgemeinen einigermaßen gut.)

Früher haben wir nicht wirklich verstanden, warum Menschen uns ständig falsch verstehen, aber dann hatten wir zwei Jahre lang Kommunikationspsychologie-Unterricht, wo wir diese ganzen hübschen Kommunikationsmodelle gelernt haben und dann wieder und wieder Aussagen anhand ihrer einzelnen Ebenen interpretieren mussten. In der Zeit war ich ziemlich viel draußen. Am Anfang konnte ich die Beziehungsebene absolut nicht, aber irgendwann lernt man auch so was. Dadurch kann ich das inzwischen ziemlich gut, da ich in meinem Kopf laufend Kommunikationsebenen scanne; teilweise haben Innenpersonen dieses Wissen dann auch bekommen, andere können das weiterhin nicht.

Ich nehme inzwischen also laufend alles an, was mein Gesprächspartner meinen könnte und versuche auf jede einzelne Ebene zu reagieren. Dadurch sage ich meistens ziemlich viel, aber es entstehen wenigstens bedeutend weniger Missverständnisse.

Samstag, 8. August 2020

#11: Systeme außerhalb der DIS: endogene Systeme

Es gibt Menschen, die sagen, dass man ein System sein kann ohne Trauma erlebt zu haben.
Keine Psychologen, keine Wissenschaftler, einfach nur selbsternannte Systeme, die keine Erinnerungen an Trauma oder Symptome, die auf Trauma hindeuten würden, haben.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass es sich hier ebenfalls nur um unsere ganz persönliche Meinung zu dem Thema handelt. Sie hat keinerlei wissenschaftliche Basis! (Ich weiß auch nicht, ob irgendein Wissenschaftler sich überhaupt jemals mit diesen Systemen beschäftigt hat.)

Unsere Ansicht hier ist (teilweise) sehr zwiegespalten. (Mit teilweise meine ich, es kommt darauf an, wen man fragt.)
Wir haben aber (fast) alle einen Grundsatz: Man spricht Menschen ihr Erleben nicht ab.
Also erzählen wir.

Endogene Systeme sind Systeme, die in ihrem Leben kein Trauma erlebt haben. Da sie kein Trauma haben, haben sie ebenfalls keine Amnesie - zumindest habe ich bisher kein endogenes System mit Amnesie getroffen.
Meiner Erfahrung nach sind diese Systeme meistens relativ groß. Nicht polyfragmentiert (über 100 Innenpersonen), aber deutlich größer als ein durchschnittliches DIS-System (15 Innenpersonen).
Meine Erfahrungen basieren auf einem Discordserver, auf dem wir (halbwegs) aktiv sind, der sowohl endogene als auch traumagene (also solche, die Trauma erlebt haben) Systeme akzeptiert.

Im Allgemeinen sind endogene Systeme in der Systemcommunity extrem ausgeschlossen und es scheint eine weitverbreitete und -akzeptierte Meinung zu sein, dass sie nicht existieren. Dass sie also entweder traumatisiert sind ohne es zu wissen, irgendwelche Symptome falsch deuten (und in echt kein System sind, sondern irgendeine andere psychische Erkrankung haben) oder dass sie ganz einfach lügen.
Es gibt endogene Systeme, die der Meinung sind, bei ihnen hat die Persönlichkeitsintegration als Kind einfach so nicht geklappt und solche, die ihr Vielesein auf eine andere psychische Erkrankung schieben. Zudem gibt es endogene Systeme, die ihr Vielesein durch Spiritualität erklären - Beispiele hierfür wären die Ansicht, dass das Vielesein durch ein Erinnern vergangener Leben entsteht (alle Lebenswege sind in einem Körper vereint) oder Systeme, die behaupten, ihre Anteile wären aus anderen Galaxien (oder Ähnlichem) gekommen und hätten sich an ihre Seele gebunden (sogenannte seelengebundene Systeme).
Zudem gibt es eine Praxis im Buddhismus namens Tulpamancie (ich hoffe, das heißt auf Deutsch so) bei der „Anteile“, sogenannte Tulpas, willentlich erschaffen werden. Diese Tulpas unterstehen allerdings der Kontrolle des Erschaffenden.

Letzteres werden wir hier nicht behandeln, weil es in unseren Augen etwas fundamental anderes ist.
Endogene und traumagene Systeme haben eins gemeinsam: sie haben mehrere Innenpersonen, die unabhängig von einander existieren und keinen kontrollierenden Einfluss übereinander haben (mit der Ausnahme von Wächtern!).
Tulpas existieren nicht unabhängig von einander. Der 'Host' erschafft alle Tulpas selbst und vor allem kontrolliert er sie auch. Das heißt, er kann willentlich ein Tulpa erschaffen, wenn er eins haben möchte und es auch willentlich wieder löschen, wenn er es nicht mehr haben möchte. Er kann außerdem bestimmen, wann welches Tulpa draußen ist und wann nicht. Da sehe ich persönlich den Unterschied zu Rollenspiel nicht und demnach ist es für mich auch kein System. Wenn ich trainiere, dass ich mich in Situation X auf eine bestimmte Weise verhalten möchte, die nicht meiner eigenen Persönlichkeit entspricht, dann kann ich das lernen. Vielleicht fühlt es sich an wie eine andere Person - aber ich habe mich willentlich entschieden und mir Gedanken darüber gemacht, wie diese Person funktioniert. Man kann dem ganzen einen hübschen Namen geben, aber es ist und bleibt Rollenspiel im Namen des Buddhismus. (Und damit ist absolut nichts falsch. Wenn einem das hilft, dann bitte. Aber es ist eben etwas anderes als ein System.)

Aber wie können Systeme ohne Trauma überhaupt existieren, wenn der wissenschaftliche Konsens ist, dass Systeme aus Trauma entstehen?
(Und nochmal an dieser Stelle: das ist unsere persönliche Meinung, die rein gar keine wissenschaftliche Basis hat!)

Nun, mehrere Sachen: Forschungen im Bereich der DIS (etc.) lohnen sich (finanziell!) nicht, wodurch die meisten von ihnen vermutlich durch Spendengelder finanziert werden.
Aber wer zur Hölle sollte dann Forschungen im Bereich 'Systeme ohne DIS' machen wollen? Es lohnt sich finanziell nicht und man hilft nicht mal jemandem, weil es den Personen nicht schlecht geht. Oder eben zumindest nicht „aufgrund“ ihres Vieleseins/irgendeines ursächlichen Traumas.
Aber das ist mehr so eine 'warum guckt man sich die nicht mal wissenschaftlich an'-Antwort.

Ansonsten ist es natürlich so, dass das Gehirn in der Lage ist diesen Zustand von Gespaltenheit in einer Person aufrecht zu erhalten - ansonsten könnte die DIS überhaupt nicht existieren.
Natürlich muss es einen Grund geben, warum eine Person nicht - wie biologisch vermutlich sehr geplant - zu einer Einzelidentität integriert. Nichts passiert 'einfach so'. Ich finde es aber persönlich sehr schwierig zu glauben, dass es einen einzigen Grund für Resultat X geben soll und ohne diesen Grund kann Resultat X auf keinem einzigen Weg erreicht werden.
Ja: die Integration der Persönlichkeitszustände ist etwas neuronales. Aber warum, wenn das Gehirn im Angesicht von Trauma in der Lage ist, seine neuronale Entwicklung dahingehend zu verändern, dass verschiedene Identitäten entstehen, warum sollte es dazu nicht auch zum Beispiel durch eine Genmutation, die verändert, wie sich das Gehirn in einem bestimmten Aspekt entwickelt, dazu in der Lage sein?
Die Forschung™️ ist nichts Heiliges, das sich nie irren kann. Wissenschaftler übersehen Dinge. Jeder übersieht Dinge. Das ist etwas ganz normales. Es gibt viele 'aktuelle Forschungsstände', von denen sich Jahre oder Jahrzehnte später herausstellt, dass sie falsch waren oder zumindest unvollständig.
Und wenn Menschen sagen, sie erleben etwas - wer sind wir dann, es ihnen abzusprechen?

Aber, und an dieser Stelle folgt ein großes Aber:
Das heißt noch lange nicht, dass jedes selbsternannte endogene System, das sich nicht an Trauma erinnert, kein Trauma hat oder ein System ist.

Zuallererst ist der Sinn einer DIS, das Trauma vor dem Host und sämtlichen Alltagspersonen zu verbergen. Man erinnert sich also unter Umständen gar nicht dran!
Zwar ist es in der Regel so, dass man trotzdem Traumasymptomatik aufweist, aber erstens weiß ich nicht, ob dies immer der Fall ist und zweitens ist Traumasymptomatik sehr individuell und wird unter Umständen gar nicht als solche erkannt. Ich kenne so einige Menschen, die von ihren Eltern/einem Elternteil wie Dreck behandelt wurden und starke psychische Einschränkungen haben, aber - ohne jemals überhaupt mit einem Psychologen darüber geredet zu haben - die Möglichkeit einer Traumafolgestörung vehement ablehnen. Und gerade wenn man nicht mal Erinnerungen an ein potentielles traumatisches Ereignis hat, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass man dieser Vorstellung nur noch abgeneigter wäre.

Zweitens: es besorgt mich extrem, dass die Mehrheit der endogenen Systeme, mit denen ich rede, sich altersmäßig mitten in der Pubertät befinden. Einer Phase, in die Persönlichkeit ohnehin stark schwankt und man gar nicht so genau weiß, wer man eigentlich ist und sich mal so fühlt und mal so. Ich glaube, da ist es durchaus möglich, mal etwas falsch zu interpretieren; gerade dann, wenn man in seinem Umfeld vielleicht eher ausgegrenzt ist und auf der anderen Seite eine Systemcommunity hat, die (fast) jeden ziemlich flauschig behandelt. (Man möchte gerne dazugehören und überinterpretiert dadurch seine pubertätsbedingten Identitätsunsicherheiten.)

Drittens: es ist immer möglich, Dinge, die man erlebt, falsch zu interpretieren. Das ist nichts schlimmes und passiert jedem mal. Auch wenn es verdammt schwierig ist und ich mich heuchlerisch fühle, das zu sagen, weil es mir selbst so unglaublich schwerfällt: man muss offen dafür sein, Fehler gemacht zu haben. Niemand ist perfekt und niemand muss sich selbst immer genaustens verstehen.

Was die spirituellen Systeme angeht, glaube ich nicht daran, dass es möglich ist, mehrere Seelen in einem Körper zu vereinen. Ich glaube noch nicht mal an die Existenz von Seelen.
Ich glaube aber, dass man sich das einreden kann, weil es eine schönere Erklärung ist als die Realität einer potentiellen DIS. (Und bei einer DIS kann es immerhin Innenpersonen geben, die sich als Götter oder generell außerweltliche Wesen identifizieren!)
Stört mich das deswegen? Nein. Ich glaube auch nicht an irgendeinen Gott oder irgendeine Göttin, aber ich sehe, dass der Glaube Menschen Hoffnung gibt.

Andere Menschen haben nichts mit mir zu tun.
Wenn ihnen etwas hilft, ist es ihr gutes Recht, es zu nutzen, solange es niemand anderem schadet.
Und ich werde mich nicht dazu herablassen, zu sagen, die Existenz solches Gedankenguts würde die DIS für Nicht-Betroffene unglaubwürdig machen.
Ich traue Menschen Denkvermögen zu und wenn sie ihres nicht nutzen wollen, ist das nicht die Schuld einer Religion oder irgendeines spirituellen Gedankengangs.
Wenn mir jemand nicht glaubt, dann ist das ganz alleine seine Entscheidung.

Ich würde trotzdem jedem selbsternannten endogenen System nahelegen, mal in Therapie zu gehen und sicherzustellen, dass da wirklich kein vorhandenes Trauma (oder eine gänzlich andere Störung) vorliegt.
Man kann sich noch so schöne Dinge einreden. Wenn da Trauma ist, dann wird es eines Tages zum Vorschein kommen und sich lautstark bemerkbar machen. Es wird einschlagen wie ein Blitz und alles, alles auf den Kopf stellen und durcheinander wirbeln.
Vielleicht möchte man so etwas lieber in einer Phase feststellen, in der man noch relativ stabil ist, als gerade dann, wenn alles unter und vor und hinter und neben und über einem zusammenbricht. 

Mittwoch, 5. August 2020

#10: Tell me about your dreams. We can make them memories.


make sure nobody sees you leave,
hood over your head, keep your eyes down.
tell your friends you're out for a run -
you'll be flushed when you return.
take the road less traveled by,
tell yourself you can always stop.
what started in beautiful rooms,
ends with meetings in parking lots.

Heute ist ein trauriger Tag.
Dabei war er gar nicht so schlecht. Ich durfte einen Menschen kuscheln, den ich mag. Und gerade darf ich in meinem eigenen Bett einschlafen.
Und trotzdem ist heute ein großes Loch in meinem Herzen.

Menschen denken oft, Täter sind Monster. Wenn man sie ansieht, sieht man direkt, dass sie böse sind. Allerspätestens, wenn man sie besser kennenlernt.
Bei manchen Menschen mag das sogar stimmen. Aber viel öfter sind Täter ganz nette Menschen, von denen man es nie erwartet hat.

Und deshalb ist heute ein trauriger Tag.
Weil ich den Menschen vermisse, der mir gezeigt hat, wie schön das Leben sein kann.
Um es dann vor meinen Augen zu zerreißen.

and that's the thing about illicit affairs
and clandestine meetings
and longing stares:
they're born from just one single glance,
but it dies and it dies and it dies,
a million little times.

Wir hatten mal sehr große Probleme. Traumasymptome, ohne Traumaerinnerungen. Dissoziationssymptome, ohne Worte dafür.
Kein Psychologe hat verstanden, was genau falsch bei uns ist.
Und dann haben wir einen Psychologen bekommen, der sehr überzeugt war: das ist eine PTBS. Selbst wenn wir uns nicht erinnern. Es ist eine PTBS mit Albträumen statt Flashbacks.

Also haben wir Trauma-Stabilisationstherapie gemacht. Richtige Traumatherapie geht natürlich schlecht, so ganz ohne Erinnerungen.
Und Skye hat aufgehört, sich aufzuschneiden. Und ich habe gelernt, mit Menschen zu reden. Und wir haben schließlich auch gelernt, dass man uns besser als Müll behandeln kann und sollte und haben uns dann von Skyes Freund getrennt und im Endeffekt sogar den Kontakt beendet.
Wir haben gelernt, dass Berührungen grenzunüberschreitend sein können. Und dann schön.
Ein ganzer perfekter Monat.
Voller Wunder.
Nach einem ganzen Jahr Therapie.

take the words for what they are:
a dwindling, mercurial high,
a drug that only worked
the first few hundred times.

Jetzt sitze ich vor einem Scherbenhaufen.
Denn in meinen Gedanken sind dieser Therapeut und die Person, die uns vergewaltigt, gefoltert und belogen hat, zwei verschiedene Menschen.
Aber manchmal trifft mich die Erkenntnis: dass all das bloß ein Mensch in sich vereinen kann. Und dann weine ich um vier Uhr morgens schlaflos in den Armen meines Freundes, der mich viel zu sehr liebt, um mir jemals wehzutun und weiß nicht mehr, ob er mich nicht auch einfach missbrauchen wird.
Und in die Stille frage ich, ob Blyth mich jemals lieb hatte. Aber das kann mir niemand beantworten.
Aber wie sollte jemand Liebe für jemanden empfinden, den er missbraucht, nur um ihn wegzuwerfen und abzustreiten, dass es jemals mehr als eine einfache Freundschaft gab?
Nur wie kann es denn sein. Dass mir jemand so sehr geholfen hat, so viel Zeit aufgewandt hat, nur damit es mir besser geht, wenn er mich nicht zumindest ein bisschen lieb hatte.
Egal wie ich es drehe und wende, ich verstehe es einfach nicht.

and that's the thing about illicit affairs
and clandestine meetings
and stolen stares:
they show their truth one single time,
but they lie and they lie and they lie,
a million little times.

Also vermisse ich den Blyth, den ich kannte, bevor er anders geworden ist. Der mein Lieblingslied gelernt hat auf Gitarre zu spielen und mir ein ganzes, eigenes Konzert gegeben hat.
Und ja. Ich weiß, auch das ist kein Therapeutenverhältnis.
Aber die richtige Geschichte wäre viel zu lang für diesen Text.
Sagen wir einfach, das Verhältnis war etwas zwischen Therapie und Freundschaft - vor dem Missbrauch.

and you wanna scream:
don't call me kid,
don't call me baby.
look at this godforsaken mess that you made me.
you showed me colours you know i can't see
with anyone else.

Viel zu oft will ich ihn anschreiben.
Am Anfang dachte ich wirklich, der Missbrauch war ein Versehen. Ich dachte wirklich, er wusste einfach nur nicht, dass ich das nicht wollte und wenn ich ihm jetzt erzähle, dass ich davon traumatisiert bin, bricht seine Welt zusammen.
Aber seitdem hat er abgestritten, dass jemals etwas zwischen uns war. Dass ich mir das einbilde, weil ich wollte, da wäre etwas gewesen; das hat er gesagt.

you taught me a secret language i can't speak
with anyone else.

Also bin ich traurig.
Weil ich einen Menschen verloren und einen Albtraum bekommen habe.
Und ich immer noch zurück will.

and you know damn well
for you i would ruin myself,
a million little times.

Montag, 3. August 2020

#9: Systeme außerhalb der DIS

Wir reden oft über DIS und Systeme als wäre das ein Synonym, aber die Wahrheit ist, dass es mehr Systeme gibt als nur DIS-Systeme.
Wir reden über die DIS, weil das ist, was wir haben, aber ganz am Anfang unserer Diagnose war uns nicht bewusst, dass wir Amnesie erleben, also haben wir diese DIS-Videos gesehen und dachten: das ist genau, was wir haben! Nur ohne Amnesie.
Gibt es das denn ohne Amnesie?

Ich weiß nicht mehr wie lange wir googlen mussten, um darauf eine Antwort zu erhalten, aber definitiv zu lange. Aber ja: sie existiert. Sie läuft momentan noch unter dem großen Katalog der 'dissoziativen Störungen, nicht näher spezifiziert' und ist dort Teil der DSNNS1, welche allerdings noch ein weiteres Störungsbild umfasst; was uns zum ICD-11 führt.
Das ICD-11 ist eine überarbeitete Version des gerade geltenden Diagnosekatalogs (ICD-10) und wird 2022 eingeführt. Im ICD-11 ist Amnesie kein notwendiges Merkmal für die DIS mehr. Stattdessen lauter der Wortlaut nun: Typischerweise gibt es Episoden von Amnesien, die schwergradig sein können.
Das lese ich als: meistens gibt es Amnesien, aber nicht immer.

Zusätzlich wird die 'partielle dissoziative Identitätsstörung' eingeführt, welche momentan ebenfalls in der DSNNS1 enthalten ist. Der Begriff der DSNN1 ist somit hinfällig und wird abgeschafft.
Bei der partiellen DIS ist die Spaltung zwischen den Identitätszuständen weniger ausgeprägt als bei der DIS. Während es bei der DIS mehrere Anteile/Innenpersonen gibt, die abwechselnd die Kontrolle über den Körper übernehmen, gibt es bei der partiellen DIS einen "Hauptanteil", der von anderen, abgespaltenen, Anteilen beeinflusst wird - diese übernehmen jedoch nicht die Kontrolle über den Körper.
Leider wissen wir nicht viel darüber, da wir kaum Betroffene kennen, allerdings empfinden wir es trotzdem als wichtig, darüber zu sprechen, um zu verdeutlichen, dass Systemsein nicht automatisch bedeutet, eine DIS zu haben.

Von diesen Störungen abgesehen, gibt es Menschen, die sagen, man könne ein System sein ohne Trauma erlebt zu haben (sogenannte endogene Systeme). Ich finde jedoch, diese Thematik verdient ihren eigenen Post, deshalb belassen wir es vorerst bei der Erwähnung.