Unser erster Freund hat uns sehr oft gesagt, dass wir hübsch sind. Ich glaube, das ist etwas normales in Beziehungen - sowohl, dass man seinen Partner hübsch findet, als auch, dass man es oft sagt. Für mich war es das erste mal, dass irgendjemand das regelmäßig zu mir gesagt hatte.
Ich fühlte mich nie hässlich und hatte nie Probleme mit meinem Aussehen. Wir haben das Privileg, in einem Körper zu leben, der sehr nah am gesellschaftlichen Schönheitsideal ist. Unser Aussehen wurde vor der Beziehung aber nie kommentiert - weder positiv noch negativ. Vielleicht eine handvoll Male, die sind aber nicht im Gedächtnis geblieben.
Ich war sehr verwirrt darüber, was das sein soll: Schönheit. Ich weiß, es klingt Klischee, weil jeder zweite das sagt, ohne es wirklich zu meinen - aber ich habe tatsächlich keine Aussehenswahrnehmung. Ich finde Menschen nicht schön oder hässlich und ich verstehe auch nicht, was das eigentlich sein soll. Der einzige Messwert, der bestimmt, wie gerne ich Menschen anschaue, ist, wie sehr ich sie mag. Aber ich glaube, das ist etwas sehr anderes.
Ich glaube tatsächlich, dass es entweder einen biologischen Grund hat oder es einfach, aus welchem Grund auch immer, komplett dissoziiert wurde. Es mag erstmal wie eine wundervolle Gabe klingen, aber tatsächlich ist es in einer Welt, in der so viel Wert auf Schönheit und Attraktivität gelegt wird, in erster Linie frustrierend. Menschen verstehen mich nicht und ich verstehe sie nicht. Obwohl ich sie so gerne verstehen würde.
Inzwischen weiß ich zumindest, was das gesellschaftliche Schönheitsideal eigentlich ist und kann dann auch beurteilen, ob Menschen dem eher entsprechen oder nicht. Nicht, dass es mir sonderlich viel bringen würde. Aber ich verstehe dann besser, wovon andere Menschen reden.
In der Beziehung waren wir also plötzlich hübsch.
Jeden Tag. Immer wieder. So ganz zwischendurch.
Es war plötzlich wichtig.
Vermutlich war es in erster Linie sozialisiert - man sagt seinem Partner eben, dass man ihn hübsch findet, möglichst oft. Aber trotzdem erscheinen Dinge, die sehr oft gesagt werden, erstmal auch sehr wichtig.
Also fingen wir an, Probleme zu haben. Weil es ja wichtig war, dass wir schön sind - zumindest für unseren Freund. Manche Innenpersonen mehr als andere. Wir entsprachen nämlich eben nicht 1:1 dem Schönheitsideal. Da war noch Raum nach oben. Und dass wir diesen Raum nicht nutzten, war definitiv schlecht, weil unser Aussehen ja nun wichtig geworden war, also sollte man definitiv etwas damit machen.
Irgendwann hörte er auf, das zu sagen. Möglicherweise, weil er gemerkt hatte, wie schlimm das für uns war - ich weiß es nicht. Aber da drehten sich die Gedanken dann plötzlich um: vielleicht sind wir nicht hübsch genug. Deshalb sagt er das nicht mehr. Vielleicht findet er uns nicht mehr schön und jetzt wird er Schluss machen, ganz definitiv.
Nach einer Weile gingen diese Gedanken wieder weg und in unserer zweiten Beziehung tauchten sie nicht auf. Dafür sahen wir unseren Freund zu wenig. Er wollte zwar immer Bilder von uns haben, aber die machten wir nie, also hatte er wenig Anlässe, uns zu sagen, wie hübsch wir waren auch wenn er das so empfand. Ich gehe zwar davon aus, die Fotos wollte er, weil er uns hübsch fand, aber "darf ich ein Bild von dir haben?" ist eben eine sehr andere Aussage als "ich finde dich schön".
Außerdem sagte er uns viel lieber, was für ein tolles Sexspielzeug wir waren.
Seitdem wir mit ruru zusammen sind, ist es wieder genau das Gleiche.
Wir sind hübsch. Jeden Tag. Immer wieder. Ganz zwischendurch.
Es ist plötzlich wieder wichtig.
Neulich habe ich ihn gefragt, warum er das sagt. Ob es etwas ändern würde, wenn ich nicht hübsch wäre. Ob er dann Schluss machen würde. Ob er Schluss machen würde, wenn ich einen Unfall hätte und plötzlich ganz anders aussehen würde und halt nicht mehr attraktiv für ihn.
Und er konnte nicht sofort sagen, dass es definitiv keine Rolle spielen würde.
Er konnte nicht mal sagen, dass es keine Rolle spielen würde, nachdem er darüber nachgedacht hatte.
Während ich mit unerschütterlicher Gewissheit weiß, dass, ob ich mit ihm zusammen bin oder nicht, absolut nichts damit zu tun hat, wie er aussieht.
Also fühlte ich mich ungeliebt.
Und er meinte, er wäre viel lieber so wie ich, was das angeht, aber es ist irgendwie biologisch und er kann da nichts gegen machen. Und das weiß ich irgendwie auch. Ich weiß, dass zum Beispiel blinde Menschen auch ein Attraktivitätsempfinden haben, obwohl sie ja oft nichts sehen können. Da bezieht sich dieses Empfinden dann einfach auf andere Sachen, wie beispielsweise die Stimme.
Ich glaube ihm das. Wirklich. Ich habe mit unglaublich vielen Menschen darüber gesprochen und bei den meisten scheint es irgendwie ähnlich zu sein.
Aber im Endeffekt sagt es doch trotzdem nur, dass ich weniger geliebt werde, würde ich anders aussehen, als ich es tue. Selbst wenn ich nicht weniger liebenswert bin.
In meiner Wahrnehmung sind "Du bist schön" und "Du bist hässlich" haargenau derselbe Satz. Beides sagt für mich: "Es ist mir wichtig, wie du aussiehst." Dabei will ich lieber wichtig sein. So ganz ohne Aussehen. Weil ich flauschig bin oder nett oder hilfsbereit oder direkt oder gefühlsüberladen.
Meine DNA habe ich nicht ausgesucht. Mein Verhalten schon. Und ich verstehe nicht, wie die Wertung über meine DNA ein Kompliment sein kann. Vollkommen unabhängig davon, wie man meine DNA nun findet. Man hat all die tollen Dinge gesehen, die ich bin und sich dafür entschieden, die eine Sache zu kommentieren, für die ich absolut nichts kann.
Und weil es vorhin falsch verstanden wurde:
Es gibt einen Unterschied zwischen DNA-Aussehen und Dingen wie Make up, Kleidungsstil und Frisuren. Weil das alles Sachen sind, die man sich aussucht. Und wenn Menschen spezifisch meine Kleidung zum Beispiel komplimentieren wollten, haben sie das auch immer deutlich gemacht.
"In diesem Kleid siehst du toll aus."
"Kurze Haare stehen dir voll."
Aber mein Körper ist einfach der Ort, an dem ich lebe. Und wir würden ja auch nicht den Geburtsort eines Menschen bewerten und das ist doch irgendwie genau dasselbe.
Jedenfalls für mich.
Ich verstehe es einfach nicht.
Die Sache ist, ich will nicht mal erreichen, dass niemand das mehr sagt. Ich weiß, dass sich viele Menschen trotzdem darüber freuen und es ist immer toll, wenn Menschen glücklich sind.
Aber für mich ist es traurig, dass es in Beziehungen plötzlich so viel mehr Raum einnimmt als in Freundschaften. Und ich gehe einfach davon aus, dass es Menschen gibt, die das genauso empfinden wie ich, auch wenn ich noch nie mit jemandem geredet habe.
Ich finde, es ist irgendwie wichtig zu wissen, warum man das sagt. Was das für einen selbst bedeutet, dass man es so empfindet. Was für einen Einfluss das auf die Beziehung hat. Ob es andere Gründe für die Beziehung gibt als "mein:e Partner:in ist schön" und wenn ja, warum diese Sachen dann nicht viel mehr Gesprächsthema sind. Und wenn nein, warum man die Beziehung dann überhaupt hat. Wenn man sofort weg wäre, nur weil sich ein Aspekt ändert. Ob man das nicht vielleicht zumindest offen kommunizieren sollte.
Es gibt einfach so viele wichtigere Sachen als Aussehen und ich glaube, da sind wir uns alle einig.
Bitte seid nicht der Grund, aus dem es für eine andere Person wichtig wird.