Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Mittwoch, 17. Februar 2021

#41: Ein schönes Leben


Vor einigen Wochen (Monaten?) hatten wir mit jemandem ein Gespräch über unsere Hobbys, in dem wir erwähnten, dass wir teils sehr viel Zeit in diese investieren, einfach, da wir sonst nichts anderes zu tun haben. In diesem Gespräch fiel der Satz, dass wir ein sehr schönes Leben hätten und es toll sei, dass wir uns nicht mit unflauschigem Kram wie Arbeit oder Schule beschäftigen müssten.
Seitdem spukt uns dieser Satz immerzu im Kopf rum.
Ein schönes Leben. Haben wir das?
Darauf mit 'Nein' zu antworten, fühlt sich unglaublich undankbar an. Wir haben eine funktionierende Beziehung und einen unglaublich tollen Freundeskreis. Wir haben eine eigene Wohnung und genug Geld, um problemlos durch den Monat zu kommen (und falls es doch mal knapp werden sollte, würde unsere Mutter uns Geld geben). Wir haben viele Plüschtiere und einen milden Krankheitsverlauf, was unseren Gendefekt angeht. Momentan dürfen wir ein neues Medikament ausprobieren, welches diesen höchstwahrscheinlich, nach ein paar Monaten Symptomverschlimmerung, fast vollkommen unbemerkbar machen wird, insofern wir es langfristig vertragen. Wir haben keine wirklichen Streitigkeiten im System und beinahe alle geben sich Mühe, was innere Kommunikation betrifft, auch wenn wir es noch nicht so gut hinbekommen. Wir haben sogar mittlerweile einen Therapieplatz gefunden.
Trotzdem hinterlässt die Äußerung einen bitteren Nachgeschmack.

Denn unser Leben ist nicht schön. Es fühlt sich nicht toll an, dass wir nicht arbeiten können, weil wir nichts machen können. Unser gesamtes Leben ist darauf ausgerichtet, dass wir möglichst keinen Stress haben, weil wir durch unser Trauma so dauergestresst sind, dass jedes zusätzliche Bisschen Stress Überforderung bedeutet und im schlimmsten Fall direkt eine depressive Episode.
Wir kommen nie hinter all dem Behördenzeug hinterher, um das wir uns kümmern müssen. Erst vor zwei Wochen haben wir einen Brief abgeschickt, für den wir eine Frist hatten, die Mitte Dezember abgelaufen war. So etwas passiert ständig. Zum Glück war es bisher nie schlimm, wir mussten höchstens mal sagen, was wir haben und im Notfall würden wir auch sagen, was uns passiert ist, weil unsere Erfahrung ist, dass die meisten Menschen sich gar nicht trauen, kein Verständnis zu haben, wenn man ihnen solches Trauma ins Gesicht klatscht.
Eigentlich würden wir gerne eine Assistenz oder so beantragen, die uns bei dem ganzen Behördenkram hilft, aber ... hahaha. Wenn wir es nicht mal schaffen, einen Zettel rechtzeitig auszufüllen und abzuschicken, wie wollen wir dann irgendetwas beantragen?

Wir versuchen regelmäßig, neue Dinge zu lernen, seitdem wir das Studium abgebrohen haben. Aber in den letzten 2.5 Jahren haben wir es nie geschafft, das irgendwie zu regulieren. Wir beschäftigen uns dann sieben Stunden pro Tag mit etwas; nach zwei Monaten bekommen wir Depressionen und fassen es für das nächste Jahr nicht mehr an, weil es alles zu stressig ist. Gerade ist das erste mal, dass wir etwas lernen, wo wir es halbwegs hinbekommen, es tatsächlich aufzuteilen und das funktioniert auch nur, weil es ein in Wochen aufgeteilter Kurs ist, bei dem gar nicht die Möglichkeit besteht, schon mal in die nächste Woche reinzugucken. Ich bin mir sicher, bestünde diese Möglichkeit nicht, wären wir nach drei Wochen schon mit 80% des Kurses 3-Monats-Kurses durchgewesen und hätten den Rest komplett ignoriert, weil wir so überfordert gewesen wären.
Dadurch, dass unsere Energie für stressige Sachen unglaublich begrenzt ist, können wir die meiste Zeit des Tages nicht viel mehr machen als Serien schauen, irgendwelchen Hobbys nachgehen (von denen die Hälfte gerade wegen Corona/Verletzung nicht gehen) und ab und zu mal unsere Wohnung aufräumen.
Niemand wünscht sich das.

Unsere Situation klingt, vom Trauma abgesehen, für viele Menschen irgendwie wahnsinnig erstrebenswert, aber die allermeisten Menschen würden sich nach ein paar Wochen bis Monaten langweilen. Wir sitzen jetzt seit fast drei Jahren Zuhause. Es ist nicht schön, aber notwendig. Wir wollen nicht mehr sterben, wir sind nicht mehr suizidal, wir verletzen uns kaum noch selbst. Das war früher alles Alltag.
Unser Leben ist besser als früher, schöner als früher, ja, wir werden nicht mehr missbraucht und wollen nicht mehr jeden Tag sterben. Aber das ist nicht, was 'schön' bedeutet. Wir sind immer noch jeden Tag des Jahres traumatisiert. Wir können nicht mal Therapie machen, ohne unser Leben in einen Albtraum zu verwandeln. Und wo wir bei Albträumen sind: wir haben ungefähr 30% der Nächte Albträume. Nur sind 25% davon sehr konzentriert auf wenige Wochen im Jahr.

Irgendjemand anders ist wütend.
Ein schönes Leben? Ja? Ja. Es ist so unglaublich schön, mit so viel Trauma leben zu müssen, dass sich unser Bewusstsein gespalten hat. Es ist schön, ständig wochenlang jeden Tag Albträume zu haben. All die Flashbacks sind wunderschön. Es ist echt toll, nicht zum Frauenarzt gehen zu können, obwohl wir eventuell seit zwei Jahren irgendwelche hormonellen Probleme haben. Vielleicht ist es aber auch nur psychisch - hoffentlich. Es ist wunderschön, regelmäßig die Therapie für die eigene chronische Erkrankung zu vergessen, weil man Amnesie hat oder zu vergessen, ob man zu einem Essen schon Tabletten genommen hat und wenn ja wie viele, und dann jedes mal unter- oder über zu dosieren und in jedem Fall am nächsten Tag Bauchschmerzen zu bekommen. Es fühlt sich brilliant an, Therapie machen zu müssen, aber so viel Trauma mit Therapie zu haben, dass das bloße Anwesendsein dort schon Trauma-Aufarbeitung ist und die Therapeuten dann trotzdem die ganze Zeit erwarten, das man noch dies oder das macht, schließlich machen sie das mit ihren anderen Patienten die nicht zwei Jahre lang von ihrem Therapeuten vergewaltigt wurden ja auch. Es ist richtig geil, in jeder neuen Freundschaft (wegen der DIS) erstmal erklären zu müssen, dass man traumatisiert ist, wie sich das auswirkt und warum das wichtig ist, dann 500 Fragen zu beantworten, um sich dann anzugucken, wie ungefähr 50% der Leute wieder gehen, weil sie so was Kaputtes nicht in ihrem Leben haben wollen.
Es ist echt fantastisch, 99% von dem, was man gerne machen würde, nicht machen zu können, weil man einfach nicht die mentale Energie dafür zur Verfügung hat. Ja, man. Ich freu mich so, dass ich nicht arbeiten muss, es ist echt angenehm, sich durchgehend total beschissen zu fühlen.

Nein. Unser Leben ist wirklich vieles, aber schön ist es nicht. Wir reden nicht unglaublich viel über unsere Probleme, aber das heißt nicht, dass sie uns nicht durchgehend einschränken. Wir geben uns die meiste Zeit über sehr viel Mühe, uns auf positive Sachen zu konzentrieren und das findet sich dann auch in dem, was wir sagen, wieder - aber dadurch wird unser Leben nicht angenehm. Es wird nur weniger schrecklich. Und ja. Wir sind nicht unzufrieden. Jedenfalls nicht andauernd. Aber schön? Schön ist etwas anderes.

Freitag, 5. Februar 2021

#40: Trauma: Therapie V

Ich bin enttäuscht, realisiere ich. Das Gefühl, etwas lang und breit zu erklären, von dem im Endeffekt nichts verstanden wird, ist nur allzu gut bekannt. Ja. Eigentlich will ich gar keine Therapie mehr. (Natürlich keine Möglichkeit.)
Es wäre so einfach an einen Ort zu gehen, an dem man einfach verstanden wird. Aber vermutlich wäre das auch nur für dieses eine, begrenzte Thema. Andere Dinge müsste man wieder erklären. Mehrfach. Wer sagt denn, dass es jemals anders wird? Also kann man doch gleich dahin gehen, wo es gerade wehtut. Schließlich ist das doch hilfreich für eine Therapie. Hat man so gehört. Wenn es wehtut und man da durcharbeitet.

"Hallo, wir würden gerne bei Ihnen in Therapie gehen", fange ich einen Brief an. Und dann eine Mail: "Ich würde hier gerne einfach die letzte Mail, die ich geschrieben habe, einfügen, aber mir ist bewusst, dass Sie davon kein einziges Wort verstanden haben."
Ich lösche die Mail wieder. Dann starre ich den Brief an und stelle fest, dass ich heute auf jeden Fall nicht in Therapie gehen möchte. Also fahre ich den Computer runter.
Wenn man bei jemandem in Therapie geht, der über 70 ist, wie wahrscheinlich ist es dann, dass die Person mitten in der Therapie stirbt? Wenn man zu jemandem geht, der nicht zu verstehen scheint, was man braucht, selbst wenn man es ausspricht, wie wahrscheinlich ist es dann, dass die Therapie funktionieren kann, wenn man nur genug erklärt?

Ich fühle mich leer. Dieselbe Leere wie am Ende des Gesprächs, als ich nicht mehr sprechen konnte. Dieselbe Dunkelheit.
Ich werde nie irgendetwas finden, das nicht auf irgendeine Weise falsch ist.

Irgendwann starre ich Blyths Instagram-Profil an.
Hey,
ich dachte, du wolltest mir helfen. Weißt du dann, wie viel du zerstört hast?
Weil ich es nicht verstehen kann. Wie er das verstehen kann, aber trotzdem so handeln. Ich frage mich weiterhin, ob er uns von Anfang an missbrauchen wollte oder ob irgendein Teil davon ehrlich war.
Er wollte Schluss machen, irgendwann, am Anfang. Ich hab ihn überredet, das nicht zu machen. War das eine Lüge, damit ich mir einbilden konnte, es interessiert ihn?
Einmal, ganz am Anfang, hatte ich einen Flashback und seine Reaktion war die beste, die ich jemals von irgendjemandem (gegenüber mir) gesehen habe. (Natürlich. Er hat das studiert.) War das nur, damit ich ein falsches Gefühl von Sicherheit entwickle?
Er wollte das Therapieverhältnis beenden. Ich erinnere mich und gleichzeitig erinnere ich mich nicht. Wir haben ihn angefleht. Ich erinnere keine Worte. Kein einziges Gefühl. Aber es war da. Das quälende Gefühl, abgeschoben zu werden. Nicht mehr gewollt zu werden.
Ich hätte mir so sehr gewünscht, nur ein einziges mal nicht alleine zu sein.

Vielleicht ist das, wie ich mich fühle. Alleine. Ich habe keinen Zugriff mehr darauf. Ich habe so sehr das Bedürfnis, es nochmal zu erklären. Nochmal und nochmal, weil ich nicht verletzt sein will. Ist das sinnvoll? Ich weiß es nicht. Ich schwanke so sehr, die ganze Zeit, zwischen Weggehen und Bleiben, im einen Moment macht es unglaublich viel Sinn, alles nochmal zu erklären, im nächsten ist nichts weiter von mir entfernt. Im nächsten schreibe ich einen zweiseitigen Brief an die eventuell neue Therapeutin, wo ich ganz genau erkläre, was wir in der Therapie brauchen, wie wir uns das vorgestellt hatten, dass wir jetzt aber erstmal Pause brauchen, vielleicht kann man dann im April in Ruhe besprechen, wie die Therapie dann funktioniert, definitiv nach Corona. Vielleicht weiß man dann auch, wann das ungefähr sein wird.

Es tut so weh.
Jede schlechte Erfahrung mit einem Therapeuten hat automatisch mit Blyth zu tun. Ich kann es nicht aus meinem Herzen streichen.

So beiläufig wertlos.
Das, was du mir antust
findet in keinem deiner vielen Worte Platz.
Wenn ich,
auch wenn jeder sonst vor dir wegrennt,
weiter an jedem Satz von dir festhäng,
kann es doch klappen...
diese Hoffnung soll langsam sterben.

Mittwoch, 3. Februar 2021

#39: Trauma: Therapie IV

Es fühlt sich an, als würde ich aufgeben, stelle ich fest. Wie jedes mal in meinen Beziehungen. Wenn ich nicht alles versuche - und hier bin ich mir sogar sicher, dass es mit genug Zeit funktionieren würde -, dann kann ich etwas auch nicht beenden. Dabei geht es hier ja gar nicht um Aufgeben. Es geht eigentlich darum, dass ich nicht meine gesamte Zeit mit Erklärungen für Dinge verbringen will, die zehn Schritte vor allem sind, was ich jetzt gerade tun könnte. Und warum das alles so weit weg für mich ist. Und dass ich eigentlich gar nicht verstehe, was ich in erster Linie überhaupt erklären soll. Für mich ist es so klar. Für Psychologen scheinbar nicht. Dennoch weiß ich nicht, warum es so weit weg ist, dass und wie Missbrauch innerhalb von Psychotherapie sich hinsichtlich einer neuen therapeutischen Beziehung so sehr unterscheidet von Missbrauch durch die Eltern oder etwas Ähnlichem. Es geht einfach nicht in meinen Kopf, dass es nicht klar ist. Ich verstehe es nicht.
Deshalb klingt es so sinnvoll, einfach zu jemandem zu gehen, der das alles schon verstanden hat. Der nicht jede Entscheidung, die ich treffe, in Frage stellt, weil, vielleicht sehen andere Anteile das anders. Denn ja: vielleicht sehen andere Anteile das anders. (Als hätte ich das nicht bedacht.) Aber es funktioniert einfach nicht. Man kann nicht als Therapeut bei jemandem, dessen einzige langfristige Erfahrung mit Therapie jahrelanges Gaslighting ist, ständig sagen: "Aber vielleicht wäre eine andere Entscheidung besser." Ich kann noch so sehr wissen, dass das eigentlich gut gemeint ist, in einer Therapie sinnvoll ist, was auch immer. Deshalb habe ich ja gesagt, wir brauchen keine Therapie. Wir brauchen Schadensbegrenzung. Wir brauchen eine Erfahrung, in der unsere Wahrnehmung mehr wert ist, alles wert ist. Jede Entscheidung von uns und für uns und definitiv nicht von einem Therapeuten, der potentiell (in unserer Wahrnehmung) jeden Satz dafür benutzen könnte, uns hinreichend dahin zu manipulieren, dass wir es wieder nicht mehr merken, wenn uns unsere Wahrnehmung dann komplett abgesprochen wird.

Und ich verstehe nicht warum, wenn wir doch endlich erkannt haben, was wir brauchen, es dann doch wieder weggenommen wird. "Erfahrungsgemäß ist das nicht so."
Entschuldigung, aber erfahrungsgemäß ist jede Einschätzung dazu, was wir brauchen von einer außenstehenden Person, kompletter Müll. Selbst wenn wir selbst vielleicht nicht richtig liegen, liegen wir auf jeden Fall 100% richtiger als irgendetwas was irgendjemand anders jemals einschätzen könnte.
Bestimmt könnte man das erklären. Wieder und wieder. Bis es verstanden wurde. Wenn jemand sich tatsächlich Mühe gibt, zu verstehen, dann funktioniert das bestimmt auch. Aber es ist einfach einfacher an einen Ort zu gehen, an dem man sich nicht erst stundenlang erklären muss. Das muss ich vermutlich niemandem erklären. Es wäre natürlich etwas anderes, wenn man schon eine ernsthafte therapeutische Beziehung hätte, schon mehrere Monate bei jemandem gewesen wäre, dann sollte man sich vermutlich lieber mehrfach überlegen, ob man das wirklich wegwerfen möchte (insofern die Therapeutin flauschig ist), nur weil eine andere Therapeutin in fünf Vorgesprächen etwas erfahrener und verständnisvoller gewirkt hat. Aber wir hatten eben gerade erst zwei Sitzungen (regulärer Therapiestunden, davor natürlich Vorgespräche). Da kann man, ohne jedes Problem, wechseln. (Von der Krankenkasse abgesehen erstmal.) Das muss ich vermutlich niemandem erklären.
Außer mir.
Für mich ist das so schwierig. Ich kann Beziehungen nicht einfach beenden, wenn nichts schlimmes passiert ist. Was für eine Rechtfertigung habe ich denn? Dass ich keine brauche, verstehe ich nicht, fühle ich jedenfalls nicht. Deshalb schreibe ich jetzt auch so viel dazu. Um mich vor mir selbst (oder vielleicht auch vor anderen Innenpersonen, who knows) zu rechtfertigen.

Montag, 1. Februar 2021

#38: Trauma: Therapie III

(Wir haben unserer Therapeutin eine ziemlich lange Mail geschrieben, in der wir im Prinzip alles aus den letzten zwei Posts und mehr aufgeschrieben haben, nur in geordneter, worüber wir dann in der Therapie reden wollten. Was heute war. Danach hab ich es, so gut es ging zumindest, aufgeschrieben.)

Wenn ich so zurückblicke, wurde, dass wir mehr Stunden wollen, wieder mit 'erfahrungsgemäß' begegnet. Erfahrungsgemäß ist es, gerade weil wir Angst haben, sinnvoller, nur eine Stunde Therapie pro Woche zu haben, weil es sonst überfordernd ist.
Sonst überfordernd? Als würde es eine Rolle spielen, wie oft wir da sind. Es ist dauerhaft schlimm. Wenigstens kommt man irgendwo an, wenn man sich damit auseinandersetzt.
Ich rechne ihr vor, warum es nicht funktioniert, Vertrauen zu jemandem aufzubauen, zu dem man einmal pro Woche 50 Minuten Kontakt hat. "Aber Vertrauen baut sich ja nicht schneller auf, nur weil man mehr Zeit mit jemandem verbringt", erklärt sie mir Vertrauen. Als hätte ich in meinem Leben nicht genug Menschen vertraut. Zeit ist das Einzige, was hilft.
30 Stunden in einem Jahr sind in jedem Fall nicht genug.
Dass es sinnlos ist, drei Stunden pro Woche zu haben, weil einen das nicht weiterbringt, sagt sie. Erfahrungsgemäß. Mehr als zwei Stunden bringt nichts. Redet sie von Therapie. Der Unterschied zwischen Therapie und 'Vertrauensverhältnis aufbauen', wurde immer noch nicht verstanden. Wir wollen gar keine Therapie (erstmal).
"Aber es ist wichtig, dass Sie wissen, wie Sie sich fühlen, damit man gemeinsam gucken kann, was man verbessern kann." Dabei kann man gemeinsam nichts verbessern. Außer, indem man genug Zeit miteinander verbringt, dass unser Gehirn sieht, dass wir nicht in Gefahr sind, weil nichts Schlimmes passiert. Das können wir aber in keiner Minute, die ich nicht da bin, sehen. Wir können es uns nicht aktiv erzählen. Man kann nicht aktiv Vertrauen aufbauen - jedenfalls nicht durch Stressbewältigungstherapie.

Ich bin verloren.
Sie sagt irgendetwas von Angst und Abschiedsgesprächen, die niemand hier haben will. "Ich weiß auf jeden Fall, dass ich die Entscheidung per Mail mitteilen muss, weil ich das sonst nicht sagen kann und ob Abschiedsgespräch oder nicht, muss ich mir bis dahin überlegen."
Ja. Das können wir nicht. Wenn wir Therapie haben, stecken wir fest. Wir können sie nicht beenden. Bisher haben wir das Ende immer per Mail mitgeteilt oder gelogen. "Ich ziehe weg." (Eigentlich erst in über einem halben Jahr.) "Die Therapie hat voll gut geholfen, jetzt brauche ich sie nicht mehr." (Das war ein monatelanger Prozess von Vortäuschen, dass es uns besser geht.)
Ich sage: "Dann würde ich jetzt einfach alle Termine streichen und ich melde mich dann."
Ich. Meine Kontrolle. (Unsere.)
"Alle Termine streichen?"
"Ja, also, momentan sind wir ja immer montags hier und die Termine würde ich erstmal streichen und mich dann halt melden, ob ich dann wiederkomme oder nicht oder ob man ein Abschiedsgespräch macht oder -"
"Aber Sie müssen das doch gar nicht alleine entscheiden."
Mein Kopf wird schlagartig leer. Ich senke den Blick und fange an, an dem Pflaster rumzukratzen, das ich extra auf meine Hand geklebt habe, damit ich nicht anfange, meine Finger aufzukratzen. Sie sagt irgendetwas zum Thema Begleitung beim Entscheidungsprozess, wiederholt im Prinzip, was Sie gerade gesagt hat.
'Nein', denke ich. 'Aber ich will doch.' Meinen Mund verlassen keine Worte mehr, also kann ich weiter dabei zuhören, wie sie mich damit zutextet, dass ich das ja nicht alleine entscheiden muss, dass Therapie ja auch dafür da ist oder so, ich weiß keinen einzigen Satz mehr.
'Hör auf zu reden', schreit es in meinem Kopf. Ja. Das ist doch gar nicht das Problem. Ich will alleine Entscheidungen treffen. War das nicht gerade der Punkt der gesamten Mail? Dass wir einfach erstmal alleine alle Entscheidungen treffen wollen, um zu lernen, dass kein weiterer Therapeut über uns hinweg bestimmen und Zweifel in jeden Gedankengang säen kann? Dass man mit allem anderen, dem 'erfahrungsgemäß' und den Widersprüchen anfangen kann, wenn das Vertrauensverhältnis da ist? Mir wird auf einmal sehr schlecht.
Sie schlägt vor, dass wir erstmal die Stunde nächste Woche stehen lassen und ich sie aber jederzeit absagen kann, auch ohne Absagefrist und so. Ich würge ein 'Okay' heraus. Ja. Ich denke, das ist okay. Ich denke nicht, dass ich nach dem Gespräch noch absagen kann, aber ich kann ja ruru fragen, ob er für mich absagt. Das macht er bestimmt. Das klingt sehr okay.
Ich wische meine Tränen weg und kann wieder reden.

Sie fragt, ob sie noch irgendwas machen kann, damit ich besser gehen kann. (Mir fällt der Wortlaut nicht mehr ein. Eben, damit es mir besser geht, damit ich gehen kann.)
Ich hasse diese Frage. Das weiß sie nicht. Ich hasse sie, weil es klingt, als wäre ich zu lebensunfähig, um ein Haus zu verlassen, nur weil ich weine. Wir haben schon Häuser verlassen, nachdem wir vergewaltigt wurden. Warum zur Hölle sollte es jetzt so unmöglich sein zu gehen?
"Ähm", mache ich. Ich könnte natürlich sagen, dass Sie die Stunden streichen soll. Das würde helfen. Das kann ich mit Sicherheit nicht sagen. 'Nichts, worüber ich gerade reden kann', klingt nach einer geeigneten Antwort.
Meine Stimme will schon wieder nicht mehr antworten.
Das Ticken der Uhr zeigt mir eindrucksvoll, dass wir schon zwei Minuten überzogen haben wegen meiner Unfähigkeit zu reden. 'Warum ist hier eigentlich eine tickende Uhr?', frage ich mich plötzlich. Das hält doch jedem dauerhaft vor, dass die Stunde gleich vorbei ist. Wegen so was sind zwei Stunden pro Woche wichtig. Und generell, für Leute mit Filterproblemen ist das auch nicht gut.
Sie sagt irgendwas, das ich nicht höre. Ich höre nur Tick, Tack und die wachsende Verzweiflung darüber, dass ich schon wieder nicht mehr reden kann. Ich will doch nur gehen. Es war doch vorhin okay. Warum stellt sie mir Fragen?
Sie redet weiter. Irgendwas. Keine Ahnung. Ich finde es erstaunlich, dass nie jemand merkt, wenn ich nichts mehr hören kann, obwohl alle wissen, dass es vorkommt. "Wir können die Stunden auch streichen", schafft es wieder in meine Ohren. Ich schaffe es, zu nicken. Dann ist alles weg. (Wir sind gegangen. Ich erinnere mich nur eben nicht.)

Jetzt sind wir Zuhause und haben unsere gesamte To-Do-Liste abgearbeitet, um nicht über die Therapie nachdenken zu müssen. Aber im Endeffekt muss man sich ja damit beschäftigen. Da ist gerade so ein Gefühl von "wir haben so unglaublich viel gesagt, eine so unglaublich lange Mail geschrieben, wo wir beim Schreiben auch mehrmals gewechselt sind, weil es so unglaublich stressig war und es wurde einfach nichts davon verstanden". In der gesamten Mail ging es darum, wie es sich von normalem Missbrauch unterscheidet, wenn man von seinem Therapeuten missbraucht wird (im Bezug auf Therapie jedenfalls). Und dann meinte Sie, sie behandelt es ganz genauso. Missbrauch ist Missbrauch. Kaputtes Vertrauensverhältnis ist kaputtes Vertrauensverhältnis. Als hätte die Mail einfach nie existiert.
Sie ist so nett damit umgegangen, dass jedes Wort, das wir geschrieben haben, einfach komplett unverständlich für sie ist. Ich wünschte, sie hätte uns angeschrien oder gesagt, dass wir ganz definitiv keine vernünftigen Entscheidungen treffen können oder dass sie total enttäuscht oder wütend oder sonst irgendetwas auf uns ist, wo man hätte sagen können: "Ja. Das ist kein gutes Verhältnis."
Es ist ein gutes Verhältnis.
Nur eben keins, in dem tatsächlich verstanden wird.
Dabei scheint es so offensichtlich für mich. Dass alles anders sein muss, wenn die Erfahrungen mit Therapie Gaslighting und sexueller Missbrauch sind. Nur ist es das scheinbar nicht. Und das ist nichts, was ich auch nur ansatzweise erklären kann.