Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Montag, 24. Mai 2021

#57: Konfetti und Liebe

Vielen Menschen, die wir kennen, die traumatisiert sind, fällt Vertrauen unglaublich schwer.
„Wenn du erst einmal richtig verletzt wirst“, hat unsere Mutter immer gesagt, „dann wirst du auch misstrauischer werden.“ Wie wenig Ahnung sie hatte. Von all den Verletzungen.
„Du bist viel zu gutgläubig“, sagten (fast) alle unsere Freunde. „Irgendwann wird dir jemand deswegen wehtun.“ Irgendwann. Als wäre das nicht alles schon geschehen.

Es gibt misstrauische Innenpersonen hier.
Ránne denkt, jeder Mensch wird „ihr“ Kind verletzen - sie beschützt ein bestimmtes, traumafreies Innenkind bei uns. Rinea vertraut ohnehin niemandem und hält alle auf Abstand. Skye sucht Distanz zu Menschen, weil sie meint, dass sie ohnehin niemand mag, dauerhaft, ein Beschützer hatte Ti (irgendwann letztes Jahr) in der Innenwelt eingesperrt, weil er der Meinung war, mein Freund würde sie sonst vergewaltigen. Sehr viele Personen hier haben sehr oft Angst, von irgendjemandem vergewaltigt zu werden.
Und dann bin da ich.
Verletzt und verletzt und verletzt und unerschütterlich schmeiße ich jedem mein Herz entgegen, der es haben will. Wirklich jedem? Nein. Bei manchen Menschen habe ich ein so ungutes Gefühl, dass ich einen großen Bogen um sie mache. Es gibt Menschen, die nicht mal kleine Grenzen beachten. Wie sollten sie dann unsere Grenzstummheit verstehen, selbst wenn es ihnen nicht einfach egal ist?
Aber das sind einige, wenige. Alle anderen bekommen mein Herz und was ich sonst noch alles an metaphorischen Dingen zu bieten habe.
Dawn macht mit. Ja. Dawn, unsere Beschützerin. Schmeißt ihr eigenes Herz jedem Menschen hin, den sie einigermaßen mag und lässt jeden hier, der möchte, dasselbe tun.
All die Kinder vertrauen nicht blind.
Viele haben gelernt: wem Melanie, jetzt Lana, vertraut, der ist in Ordnung, andere nicht.
Andere Kinder aus anderen Systemteilen haben vermutlich andere Vertrauensvorbilder.

Jede zwischenmenschliche Beziehung hier ist ein Vertrauensüberfluss.
Aber warum? Warum, warum, nach all den Schmerzen?
Genau gegen die Schmerzen.
Menschen sind nämlich nicht böse. Die allermeisten Menschen würden einem niemals absichtlich ernsthaft wehtun. Klar, sie sagen vielleicht mal was Unflauschiges, aber sie würden einen nicht plötzlich psychisch kaputtmachen oder missbrauchen. Wenn ich verletzt werde, trage ich das Trauma, aber es war nur eine von hundert Personen, die mein Vertrauen nicht ausgenutzt haben.
Ich kann die Menschen nicht abzählen, denen ich schon vertraut habe. Aber verletzt, absichtlich und ernsthaft, wurden wir davon von kaum jemandem.

Zu gutgläubig.
Wie gutgläubig kann ich sein, wenn ich so gut den schlechten Menschen in meinem Leben ausweiche?

Zu nett.
Auch wenn ich weiß, was damit gemeint ist, möchte ich jeden anschreien, der diesen Satz sagt: Ach ja? Soll ich lieber gemein werden? Ein grauenvoller Mensch sein? Dich den ganzen Tag vergewaltigen?
Denn zu nett existiert nicht.
Grenzen nicht verteidigen können hat nichts mit nett sein zu tun.

Zu positiv.
Ach ja. Die Ironie in diesem Satz. Ich habe mir geschworen, mit der nächsten Person, die das sagt, werde ich nur noch über alles Negative in meinem Leben reden. Bin ich dann negativ genug?
Wozu brauchen wir das überhaupt? Entschuldigung, dass ich ein Stück Licht in dein Leben bringe.

Jeder Mensch ist im Grundsatz vertrauenswürdig.
Ich möchte, dass die Welt eines Tages aufhört, mich wie eine aussätzige Überlebende zu behandeln.
Oh Gott, sie wurde vergewaltigt und kann noch vertrauen. Eindeutig verwirrt dieses Kind, wir müssen ihr helfen.
Selbst eine Psychologin hat mich gefragt, ob ich allen ernstes ein erwachsener Anteil bin. „Aber Sie wirken so kindlich!“ Was für ein trauriges Geständnis an die Welt. Wenn nur Kinder lächeln und vertrauen dürfen, trotz des Traumas.

Ich will auf etwas hinaus.
Vertrauen ist nicht inhärent falsch, nur weil man verletzt wurde. Das weiß jeder, der trotzdem mindestens einen Freund oder eine Freundin hat.
Vertrauen ist auch nicht inhärent schwierig. Vertrauen ist Übungssache.
Und viele traumatisierte Personen beschließen, dass Vertrauen schlecht für sie ist und machen es nur noch ganz selten und dadurch wird es schwierig. Und das ist vollkommen in Ordnung! Wirklich. Ich verstehe jeden, der nach so viel Trauma misstrauisch wird.

Aber es gibt eine andere Seite von Traumareaktion.
Auf der man verzweifelt jedem Menschen seine Liebe, sein Vertrauen, sein Alles schenkt, um bloß einmal jemanden zu treffen, der einem nicht wehtut.
Und ich habe getroffen. So, so viele Menschen. Die anderen waren immer dabei.
Und deshalb wissen wir eine unerschütterliche Wahrheit: nicht jeder Mensch ist böse.
Vertrauen ist in Ordnung.
Es ist kein Widerspruch. So viel Leid noch Hoffnung entgegenzustellen.

Montag, 17. Mai 2021

#56: Lebensupdate

Momentan haben wir vier Termine pro Woche.
Zwei mal Physiotherapie für unser Knie, einmal Physiotherapie aufgrund von CF, dann noch irgendeiner der vielen, vielen Arzttermine, Psychologentermine, Amtstermine, von denen wir im Jahr im Durchschnitt bestimmt 26 haben. Man sollte meinen, drei Stunden pro Woche, das bekommen wir doch hin.
Andere Leute arbeiten mehr als das zehnfache.
Andere Leute wurden nicht fünfzig mal vergewaltigt.
(Oder auch fünf mal. Oder einmal. Andere Leute hatten flauschige Eltern. Andere Leute haben keinen Gendefekt. Andere Leute haben nicht durchgehend Schmerzen, keine Albträume, keine Flashbacks, keine Intrusionen.)

Es ist zu viel.
Wir haben eine Liste an Sachen, die wir jede Woche machen (Wohnung putzen, Wäsche waschen und so was), von der die Hälfte jetzt ruru macht, weil wir es nicht mehr hinbekommen. Wegen drei Stunden Terminen pro Woche.
Wir Dissoziieren beim Duschen, weil die Lautstärke des Wassers Reizüberflutung ist. Die Hälfte des Tages laufen wir mit Noise Cancelling Kopfhörern durch die Gegend, aber die vertragen leider kein Wasser. [Dieser Wohnblock ist zu laut. Es ist zu hell. In einer Großstadt wohnen ist ein Experiment, das wir nicht wiederholen werden, für kein ruru der Welt.]
Wir machen trotzdem weiter, weil alles andere schlimmer ist.

Vor neun Monaten sind wir eine Treppe runtergefallen und haben uns diverse Verletzungen zugezogen. Wir konnten ein halbes Jahr nicht (nur unter starken Schmerzen und mit Stützbandage) laufen.
Als wir im Februar wieder laufen konnten, war ich überglücklich. Dass unser Knie weiterhin durchgehend wehtat, war egal. Dass wir weiterhin wegen der Schmerzen nicht vernünftig schlafen konnten auch. Wir haben jeden Tag Sport gemacht (natürlich nicht viel, aber wir konnten uns wieder bewegen!).
Unser Arzt hat uns dann Physiotherapie verschrieben, weil wir es verlangt haben.
(Damit vielleicht endlich mal der Rest heilt.)
Daraufhin hatten wir die schlechteste Physiotherapie, die wir jemals hatten, die dazu geführt hat, dass unser linkes Knie auch noch kaputtgegangen ist, wegen Überbelastung. Jedes mal, wenn wir es belasten, fühlt es sich an, als würden wir Messer hineinrammen. (Die Sehnen sind komplett entzündet von der Überbelastung.)
Zur Diagnose (vom Arzt) meinte die Physiotherapeutin übrigens so: 'Das kann eigentlich nicht sein, Sie haben ja gar nichts gemacht.' (Also, außer so zwei mal Physiotherapie pro Woche mit Kniebeugen und was weiß ich nicht was nach über einem halben Jahr quasi kompletter Nicht-Belastung.)
Mittlerweile sind wir bei einer deutlich, deutlich besseren Physiotherapeutin.
(Eigentlich will ich das nicht mal 'besser' nennen, sie macht einfach nur ihren Job vernünftig, wie jede:r andere Physiotherapeut:in, die wir bisher kennenlernen durften, auch. Ich weiß nicht, wie die Physiotherapeutinnen, wo wir vorher waren, es geschafft hat, so unglaublich unfähig zu sein. Das sage ich nicht nur wegen der Fehleinschätzung davon, wie belastbar wir sind, sondern auch wegen diverser anderer Dinge, die da falsch gelaufen sind, die aber diesen Post sprengen würden.)

Na ja, jedenfalls wollen wir wieder laufen können. Momentan fahren wir sogar das eine Stockwerk zu unserer Wohnung mit dem Fahrstuhl, weil Treppenlaufen so sehr wehtut. Das ist momentan wichtiger als wie es uns psychisch geht.
(Unser linkes Knie wird seit der neuen Physiotherapie besser. Vermutlich können wir im Sommer wieder Spazierengehen.)
2022 werden wir auch auf Reha fahren. (Zumindest ist das der Plan, wenn es nicht klappt, wird es 2023.) Nachdem irgendjemand Blyth angeschrieben hat und ich ihn dann blockiert habe, damit er uns niemals, niemals wieder antworten können wird, hab ich das Gefühl, vielleicht können wir das. Vielleicht, ganz vielleicht können wir den wunderschönen Ort zurückbekommen, an dem wir zu oft vergewaltigt wurden. (Vielleicht auch nicht und dann fahren wir nach zwei Wochen nach Hause und das ist dann auch okay. Aber wir wollen es zumindest ausprobieren.)

Irgendwann im Sommer fangen wir den nächsten Versuch einer Psychotherapie an (momentan haben wir nur so einmal im Monat einen Termin). Das fand ich erst fast zu unwichtig, um es zu sagen, aber es fiel mir gerade noch so ein. Davon werden wir dann vermutlich auch mehr schreiben, wenn wir dann tatsächlich jede Woche Therapie haben.

Ich glaube, das ist momentan alles, was ich sagen wollte.

Freitag, 14. Mai 2021

#55: Umgang mit Zweifeln/Leugnen

Neulich wurden wir gefragt, wie wir mit Zweifeln und dem Leugnen umgehen. Das wollten wir an dieser Stelle einmal beantworten.

Auf die DIS bezogen, ist das hier tatsächlich ein sehr kleines Thema. Soweit ich weiß, betrifft das eigentlich nur mich (Lana) und einige Innenkinder. Wobei es bei ihnen etwas anders ist. Bei uns war irgendwann Tätern bekannt, dass wir eine DIS haben und dann haben sie teilweise Innenkindern sehr unflauschige Dinge erzählt. Dadurch ist es nicht so, dass sie die DIS leugnen würden, sondern sie haben einfach ein sehr falsches Bild davon.

Bei mir ist es so, wenn jemand anders draußen war und ich habe die Erinnerungen davon noch, dann kann ich ganz klar sehen, dass die DIS existiert, weil ich mich an Sachen erinnere, die ich nie so sagen/machen/was auch immer würde. Ich sehe dann ganz genau, dass das jemand anders war. Aber manchmal ist tagelang niemand außer mir da und dann fang ich schon öfter an zu denken, dass ich mir das bestimmt nur eingebildet habe, vielleicht hatte ich einfach eine seltsame Phase, und so weiter. Da hilft dann aber auch nichts, außer dass irgendwann wieder jemand anders draußen ist, wonach es sofort weg ist.
Natürlich kann es auch sein, dass noch mehr Innenpersonen Probleme mit dem Leugnen haben, das sind aber die einzigen Sachen, die ich weiß.

Missbrauch leugnen ist hier sehr viel verbreiteter (vor allem bei bestimmten Dingen, die uns passiert sind - bei anderen nicht so). Zum einen gibt es natürlich viele traumatisierte Innenpersonen, die gar nicht verstehen, dass sie missbraucht wurden, die sagen, dass sie das alles so gut fanden oder die denken, sie hätten das verdient gehabt. Da hilft erkennen, dass man auch anders behandelt werden kann. Es gibt bei uns einige Innenpersonen, die diese Gedanken nicht mehr (so stark) haben, weil sie Zeit mit ruru verbringen konnten.
Im Alltagsteam leugnet niemand, dass wir missbraucht wurden. So viel ist offensichtlich. Es war schon offensichtlich bevor wir davon wussten. Nur unsere Vorstellung von dem, was eventuell passiert sein könnte, war sehr anders. Teilweise werden bestimmte Details des Ursprungstraumas geleugnet oder zumindest in Frage gestellt, aber das ist im Prinzip nicht so wichtig, da es nichts an den Tatsachen ändert. Zum Beispiel denke ich manchmal so: "Vielleicht war unser Vater ja gar nicht involviert." Das ist natürlich Schwachsinn, da andere Innenpersonen gesagt haben, dass sie sich daran erinnern. Zudem wäre es aus verschiedenen Gründen für jemanden anders auch gar nicht (so) machbar gewesen.
Aber da ist mein Gedankengang dann immer folgender: wenn er so ein schlechter Vater ist, dass die gesamte Familie inklusive mir ihm ohne mit der Wimper zu zucken sofort zutrauen würde, dass er Kinder missbraucht, wäre es dann wirklich so schlimm, wenn die Erinnerung falsch wäre? Er ist ein grauenvoller Mensch und wenn er wirklich nichts damit zu tun hätte, würde das absolut nichts an irgendetwas ändern.

Ein größeres Problem ist Blyth. (Den wir mittlerweile wieder aus unserem Leben entfernt haben, so als kleines, wichtiges Update am Rande.) Das liegt an dem Zwiespalt zwischen 'er hat uns extrem geholfen' und 'er hat uns missbraucht'. Da denke ich (und auch andere Innenpersonen) dann doch wieder oft: "Vielleicht war es meine Schuld, vielleicht habe ich nicht gut genug erklärt, dass ich das nicht wollte, ..." (Diejenigen, die tatsächlich Erinnerungen an Missbrauch haben, leugnen das nicht, nur ich hab die Erinnerungen da eben nicht, beziehungsweise nur sehr begrenzt Erinnerungen an Dinge, die definitiv auch Missbrauch waren, aber in einem anderen Zusammenhang auch ein Versehen hätten sein können.)
Zum Glück schreiben wir sehr viel Tagebuch. Wir haben ein bestimmtes Tagebuch, das wir benutzt haben zu einer Zeit, in der wir für längere Zeit in seiner Nähe waren. (Es war eine Fernbeziehung.) Ich nenne es immer liebevoll "Missbrauchsdokumentationsbuch". Der Name ist selbsterklärend. Wenn ich zweifle, lese ich es. Danach zweifle ich nicht mehr. Ich weiß, dass niemand von uns in Tagebüchern lügen würde, weil wir die nur selbst lesen. Zudem habe ich manchmal, wenn ich sie lese, Intrusionen von einzelnen Momenten der Tage, über die da geschrieben wird. So was denke ich mir nicht aus.
Generell ist hier aber das größte Problem auch nicht das Leugnen sondern das 'nicht zusammenbringen Können'. Selbst wenn wir nicht leugnen, wird es nicht verstanden, wie Blyth uns einerseits so sehr helfen konnte und andererseits dann so sehr schaden. Und dann wird sich oft gefragt, mochte er uns jetzt wirklich und hat uns dann deshalb missbraucht, weil er uns dann "haben wollte", oder hat er das alles vorgespielt, damit wir ihm vertrauen, weil er von Anfang an erkannt hat, was unser Problem ist, und wusste, wie wundervoll man das ausnutzen kann. (Aber letzteres passt dann wieder nicht zu Dingen, die andere Innenpersonen erzählt haben. Aber ersteres ergibt für mich einfach keinen Sinn.)

Ich wünschte, ich könnte an der Stelle irgendwelche Tipps geben, weil mir natürlich bewusst ist, dass wir verhältnismäßig wenig Probleme mit so was haben, aber ich hab das Gefühl, das ist etwas so grundlegendes, dass es da nichts bestimmtes gibt, was wir gemacht haben, dass wir uns selbst besser glauben können. Es ist einfach so.
Vielleicht liegt es daran, dass unsere Erziehung nicht komplett grauenvoll war. Wir haben immer gelernt, uns selbst am meisten zu glauben, weil niemand sonst unser Leben so gut einschätzen kann wie wir.
Das hängt hauptsächlich mit unserer Krankheit zusammen. Man muss sehr stark an sich selbst Glauben, wenn man sich durch die Schichten von Ärzten kämpfen möchte, die einen nicht ernstnehmen, um irgendwen zu finden, der einem hilft. Ohne funktionierende Selbsteinschätzung wären wir wahrscheinlich schon gestorben. Also war es wichtig für unser Überleben. Demnach gibt es da keine einzelnen Tipps, die ich geben kann, mit denen man dasselbe Ergebnis erreichen könnte.

Dienstag, 11. Mai 2021

#54: Fragen

Neulich haben wir auf Instagram und Discord gefragt, ob es eigentlich irgendwelche Fragen an uns gibt, die wir jetzt mit diesem Post beantworten wollten.

1. Warum postet ihr auf Instagram nichts mehr?
Es ist nicht unser Medium. Fast niemand hier macht gerne Bilder, aber fast alle schreiben gerne Texte und auf Instagram hat man eine Zeichenbegrenzung für diese Texte. Unsere waren aber immer länger und dann mussten wir sie extrem verkürzen oder die Texte in den Kommentaren weiterschreiben, was dann aber wiederum Menschen, die Instagram nicht haben, nicht lesen können - im Gegensatz zu hier. Ein Blog eignet sich deshalb für uns einfach besser.

2. Wird der Blog immer von einer Person geschrieben?
Nein. Am PC kann man sogar bei den meisten Texten sehen, wer den Post geschrieben hat (es steht unter dem Post, unter 'geschrieben von Cirrus Floccus'). Am Handy kann man das, soweit ich weiß, leider nicht sehen, allerdings findet sich oben unter 'Cirrus Floccus' eine kleine Übersicht von Innenpersonen, die hier auf dem Blog schon Texte verfasst haben oder irgendwo erwähnt wurden.
Teilweise steht es bei Posts nicht bei, weil entweder die Person nicht genannt werden wollte, die sie geschrieben hat oder weil es einfach nicht ersichtlich war, für die Person, die den Post auf unseren Blog getan hat (wir schreiben vieles auf dem Handy und dann liegen da manchmal so Texte rum für den Blog, von denen niemand genau weiß, wer sie eigentlich geschrieben hat).

3. Gibt es Innenpersonen, die ihr lieber mögt/außen habt als andere?
Also. Genauso wie man manche Menschen mehr und manche Menschen weniger mag, mögen wir natürlich auch die Innenpersonen teilweise mehr und teilweise weniger. Da kommt es dann aber natürlich auf die jeweilige Innenperson an, wenn sie mehr/weniger mag.
Das ist aber nicht dasselbe wie 'bestimmte Innenpersonen lieber draußen haben', denn alle Innenpersonen sind ja Innen genauso existent. Manchmal kommt es vor, dass man schon lange nichts mehr von einer bestimmten Innenperson gehört hat und sich dann so denkt 'ich hoffe, sie taucht mal wieder auf'.
Natürlich gibt es aber in bestimmten Situationen Innenpersonen, die wir lieber draußen haben, weil gerade die Kinder zum Beispiel oft von Arztterminen oder Ähnlichem überfordert sind und es ihnen dann sehr schlecht geht, obwohl für andere Innenpersonen ein Arzttermin gar nichts besonderes ist.
Es gibt auch Innenpersonen, die nicht gerne draußen sind, denen wünsche ich dann natürlich auch, dass sie nicht oft draußen sein müssen.
Ich kann sagen, dass ich persönlich (Lana) mir momentan wünsche, weniger draußen zu sein, weil ich momentan fast die gesamte Zeit da bin, wodurch ich mich komplett alleine um den gesamten Alltag kümmern muss, was früher nicht so war und früher hat es auch besser funktioniert. Das hat allerdings auch Gründe, warum ich gerade so viel da bin. Aber ich käme jetzt nie auf die Idee zu sagen "ich wünschte, x wäre besonders viel draußen und y sehr wenig". Das klingt auch irgendwie sehr gemein.

4. Ist es für andere immer ersichtlich, welche Person gerade draußen ist?
Wir haben ein kleines Programm von ruru, wo wir versuchen, immer einzutragen, wer draußen ist, aber da Wechsel ja auch oft durch Trigger passieren und man dann erstmal mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist (oder Innenpersonen draußen sind, die keine Ahnung davon haben), ist es nicht supergenau. Es ist aber zumindest eine einigermaßen richtige Annährung.
Dadurch ist es auf Discord in der Regel einzusehen, zumindest eben, wenn wir gerade online sind. (Wenn wir anderweitig beschäftigt sind, ändern wir es natürlich auch nicht.)
Davon abgesehen ist es aber nicht wirklich ersichtlich. Als wir noch dachten, wir wären ein sehr kleines System, hatten wir mal ausprobiert, sozusagen Erkennungs-Ringe zu haben (indem man immer den Ring der Innenperson trägt, die gerade draußen ist), aber erstens haben wir das die ganze Zeit selbst vergessen und zweitens funktioniert das bei der Menge an Innenpersonen, die mittlerweile bekannt sind, natürlich ohnehin nicht.
Wenn man uns sehr gut kennt, dann kann man teilweise an der Stimmlage, Sprechweise und Wortwahl erkennen, wer draußen ist, aber das kann, soweit ich weiß, nur ruru. Und selbst er liegt da nicht immer richtig.

5. Wie geht ihr mit Zweifeln/dem Leugnen um?
Die Antwort auf diese Frage gibt es im nächsten Post! (Also... sie war einfach so lang, dass das einen eigenen Post wert ist.)

Freitag, 7. Mai 2021

#53: Amnesie

Wir hatten mal eine beste Freundin, in der fünften Klasse. Sie war damals neu nach Hannover gezogen und da wir auch keine Freunde hatten, machten wir viele Schularbeiten zusammen und freundeten uns schließlich an.
Ich erinnere mich noch genau an den ersten Tag der sechsten Klasse, nach den Sommerferien. Wir hatten uns die ganzen Ferien nicht gesehen und sie war auch nicht da. Ganz dunkel meinte ich mich zu erinnern, dass sie gesagt hätte, dass sie wegzieht, aber um ehrlich zu sein fühlte es sich eher an, als hätte ich das geträumt. Da unsere Lehrerin ebenfalls nicht wusste, wo sie war und dann davon ausging, dass sie wohl krank sei, sagte ich mir, dass ich das wohl wirklich nur geträumt hatte, sonst wüsste die Schule ja Bescheid.
Als sie die ganze Woche nicht auftauchte, rief ich sie an, um zu fragen, wie es ihr ging und ihr zu sagen, was wir in der Schule so gemacht hatten und welche Hausaufgaben wir hatten. Kein Anschluss unter dieser Nummer.
Ich fragte in der nächsten Woche dann unserer Lehrerin, die dann wiederum mit dem Schulleiter sprach und schließlich erfuhr, dass sie weggezogen war. Niemand wusste wohin, ich hatte keine Möglichkeit, sie zu erreichen.
An Weihnachten erhielt ich eine Karte von ihr.
Ich schrieb ihr einen sehr wütenden Brief darüber zurück, dass sie mir nichts von dem Umzug gesagt hatte und dass ich mich die ganze Zeit gefragt hatte, wo sie ist und dass ich jetzt so sauer auf sie war, dass ich nie wieder von ihr hören wollte. (Ich war elf, als Entschuldigung.)
Ich wusste nicht, dass ich Amnesie hatte.
(Sie hatte mir höchstwahrscheinlich von dem Umzug erzählt und ich hatte es vergessen.)

Ein Jahr später (oder so) schrieb sie mich auf Schülervz an und wir freundeten uns wieder an und ich verbrachte sogar die Sommerferien bei ihr. Ich erinnere mich sogar noch daran, dass sie durch Zufall im Fernsehen irgendeinen veralteten Schwachsinn über meine Krankheit hörte und mich danach total besorgt anschrieb, weil sie dachte, ich würde in zehn Jahren sterben. (Die Lebenserwartung mit Mukoviszidose ist für uns momentan etwa 65 Jahre, es gibt allerdings oft veraltete Informationen, in denen gesagt wird, dass die Lebenserwartung 25 ist.)
Und dann erinnere ich mich an nichts.
Ich weiß, dass ich 2014 den Kontakt zu fast allen Menschen abgebrochen habe, mit denen wir damals Kontakt hatten, aber ich erinnere mich nicht daran, dass wir zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch Kontakt zu ihr hatten.
Das fiel mir vor ein paar Tagen auf. Ich hatte einfach vergessen, dass sie existierte.

Es so unglaublich viele mögliche Gründe, warum wir keinen Kontakt mehr haben könnten.
Vielleicht haben wir doch 2014 den Kontakt zu ihr abgebrochen und erinnern uns einfach nur nicht mehr.
Vielleicht haben wir vorher den Kontakt abgebrochen, weil sie irgendetwas Unflauschiges gemacht hat.
Vielleicht haben wir etwas Unflauschiges gemacht und sie hat deshalb den Kontakt abgebrochen.
Vielleicht kam sie nicht mit all den psychischen Problemen klar, die wir plötzlich hatten, die immer schlimmer wurden und wollte deswegen keinen Kontakt mehr zu uns haben.
Vielleicht hat sie uns nicht mehr geschrieben, weil sie selbst psychische Probleme hatte und wir haben einfach vergessen, dass sie existiert.
Vielleicht ist sie gestorben und wir haben uns nie gefragt, wo sie ist, weil wir vergessen haben, dass sie existiert.
Ich habe keine Ahnung. Ich werde es vermutlich auch nicht mehr rausfinden. Ich könnte zwar theoretisch bestimmt ihre Adresse rausfinden, da ich ihren Wohnort und Namen weiß, aber vielleicht wäre es auch einfach etwas seltsam, nach zehn Jahren (2010 ist der letzte Kontakt, an den ich mich erinnern kann) anzukommen und zu sagen: 'Hey, ich hab Amnesie und vergessen, warum wir keinen Kontakt mehr haben.'

Es war nur einfach sehr schockierend, verwirrend, offenbarend für mich, dass ich so absolut keine Ahnung habe. Vielleicht weiß es ja auch jemand anders aus dem System.
Und ja. Dass ich einfach vergesse, dass Menschen existieren, kommt nicht selten vor. Manchmal vergesse ich, Freunden auf Nachrichten zu antworten und wenn ich es lang genug vergesse, vergesse ich, dass sie existieren und wenn ich Glück habe, schreiben sie mich dann an, um mich zu erinnern, dass ich noch antworten wollte und dann fällt es mir wieder ein und wenn ich Pech habe, merke ich nach drei Jahren, dass ich sie einfach aus Versehen geghostet habe. (Wobei ich es erst dann Ghosten nennen würde, wenn man wirklich mehrfach die Nachrichten von jemandem ignoriert.)

Ich erinnere mich daran, dass ich irgendwann (ich habe keine Ahnung mehr wann) durch unseren Wohnort lief und von einem etwas jüngeren Mädchen angesprochen wurde. Es war wohl offensichtlich, dass ich keine Ahnung hatte, wer sie war, denn sie fragte, ob ich mich denn nicht an sie erinnern würde.
"Nein, tut mir leid. Von wo kennen wir uns denn?"
Sie sagte es mir und die Worte wurden zu Matsch in meinem Gehirn.
Sie wiederholte es, wieder und wieder, aber es war, als würden die Worte aus meinen Gedanken gelöscht, sobald ich sie gehört hatte.
Heutzutage würde ich sagen: "Tut mir leid, ich hab so eine Störung im Gehirn, die macht, dass ich manchmal nicht mehr richtig höre. Könntest du das aufschreiben?"
Vielleicht wäre dann gewechselt worden. Mir fällt mittlerweile natürlich der offensichtlichste Grund ein, warum ich einen bestimmten Ort nicht aufnehmen können sollte, während ich den Rest des Gesprächs problemlos verstehe. Ein Ort, von dem ich nicht wissen sollte, dass er existiert.
Ich meinte, sie müsste mich verwechseln, aber sie war sich hundert Prozent sicher, dass sie mich kannte. Am Ende tat ich so, als würde ich mich erinnern und sagte mir, dass sie bestimmt die kleine Schwester einer meiner Freundinnen war. Es war vermutlich offensichtlich, dass ich lüge.

Solche Erinnerungen ziehen sich durch mein Leben.
Eine Person, mit der ich mich während der Reha angefreundet habe, bei der ich mir sicher bin, ich hatte sie nach Kontaktdaten gefragt, aber danach weiß ich nichts.
Vielleicht hatte sie mir ihre Kontakdaten nicht gegeben.
Vielleicht hatte ich sie verloren.
Vielleicht hab ich die Freundschaft vergessen und ihr nie geschrieben.

Wie viele Menschen ich wohl vergessen habe, von denen ich absolut gar nichts mehr weiß?

Ja. Auch das ist Trauma. Auch das ist Dissoziation und eine dissoziative Identitätsstruktur und alles dazwischen. Wir haben keine magische Filmamnesie, wo die Erinnerungen ausgerechnet dann zurückkommen, wenn man sich das gerade wünscht. Irgendjemand von uns hat die Erinnerungen wahrscheinlich, aber wir können nur sehr erschwert danach suchen. Manchmal ist es das nicht wert. Vielleicht hängt da Trauma dran. Keine Ahnung. Ich kann es nicht wissen.
Ich schreib das nur, weil Amnesie in meiner Vorstellung früher sehr anders aussah als das, was wir haben. Anderen Leuten geht es da vermutlich ähnlich.
Amnesie ist sehr viel mehr als das, aber es war eine Sache, die mir gerade sehr auffiel und wichtig für mich war.

Dienstag, 4. Mai 2021

#52: innere Kommunikation

Uns wurden neulich einige Fragen zum Thema Kommunikation innerhalb des Systems und innere Welt gestellt, welche wir durch diesen Post beantworten wollten.

Erst einmal: eine innere Welt ist eine Art innerer Ort, den viele (nicht alle!) Systeme haben. Die Leute unter euch, die visualisieren können, können sich bestimmt gedanklich einen Wald oder irgendetwas vorstellen - so ähnlich ist das hier, nur dass dieser Ort so im Gedächtnis gespeichert ist, dass er immer existiert, ohne, dass wir ihn absichtlich erschaffen haben.
Dieser Ort kann einfach ein Raum sein. Bei vielen Systemen ist es wohl, soweit ich weiß, ein Haus. Bei uns sieht es eher aus wie ein sehr zusammengewürfeltes Land, nur in Miniaturformat. Wir kennen auch Systeme, die ganze Galaxien als innere Welt haben - ich glaube, das hängt vermutlich oft mit der Größe des Systems zusammen. Wenn es 500 Innenpersonen gibt, kann man sich diese vermutlich weniger gut in einem einzigen Raum vorstellen.
Unsere Idee ist, dass das Gehirn versucht, die dissoziative Identitätsstruktur zu visualisieren, um den Umgang damit zu erleichtern. Es gibt allerdings auch Systeme, bei denen die inneren Welten spezifisch von den Tätern aufgebaut wurden. Das ist bei uns nicht der Fall.
Als wir klein waren, haben wir versucht, ein Buch zu schreiben und haben uns dafür eine eigene Welt ausgedacht, die gewissermaßen ein sicherer Ort für uns war, weil wir sehr viel Zeit mit Schreiben und Lesen verbracht haben und das die einzigen Momente waren, in denen wir uns tatsächlich halbwegs sicher fühlten. Darauf hat sich unsere innere Welt scheinbar aufgebaut, zumindest sieht sie ähnlich aus wie die Welt, die wir uns damals ausgedacht haben (wenn auch nicht genauso).

In dieser inneren Welt befinden sich alle Innenpersonen, die gerade nicht draußen sind, wobei man sich tatsächlich auch absichtlich in die innere Welt hinein dissoziieren kann. Manche von uns können das besser, andere wiederum überhaupt nicht.
In der inneren Welt passiert bei uns nicht wirklich viel. Eigentlich fast nichts. Man ist entweder draußen oder es ist nichts. Die innere Welt existiert für die Person, die draußen ist, um das System, beziehungsweise eigentlich das gesamte Gehirn, visualisieren zu können.
An der Stelle möchte ich anmerken, dass dies je nach System sehr unterschiedlich ist. Manche Systeme haben keine innere Welt, manche Systeme haben eine ganze parallele Welt in ihrem Kopf, wo genauso viele Sachen passieren, wie in der Außenwelt auch.

Unser Systeme ist in Teile [Traumata; Zeitabschnitte] aufgeteilt, dessen zugehörige Innenpersonen sich jeweils in einem anderen Teil der inneren Welt befinden. In der Theorie könnte ich an jeden Ort in unserem Kopf gehen und mit den jeweiligen Personen sprechen, wobei wir dort meistens nicht tatsächlich uns gegenseitig als wirkliche Personen sehen, sondern mehr als Energieströme spüren können.
In der Praxis kommt nahezu niemand von uns in jeden Teil der inneren Welt überhaupt rein, sondern nur in sehr bestimmte Teile. Teilweise hab ich auch einfach das Gefühl, dass ich da nicht hin sollte. Ich weiß gar nicht, ob es theoretisch ginge, weil es mir einfach so sehr widerstrebt, dort überhaupt hinzugehen.
Vieles an der inneren Welt ist auch ohne Worte. Viele Kommunikationen, die dort stattfinden, laufen ohne Worte ab. Ich kann selbst nicht sehr gut beschreiben, wie das funktioniert. Es passiert auch nicht oft. Wir verbringen allgemein sehr wenig Zeit in der inneren Welt.

Wir nutzen mehr äußere Kommunikation (also, Kommunikation in der Außenwelt).
Wir haben sehr wenig Amnesie. Das bedeutet, wenn jemand anders draußen ist, erinnern wir uns in der Regel an 90% von dem, was passiert ist, was nicht auf irgendeine Weise mit Trauma zu tun hatte (wenn wir Flashbacks haben oder ähnliches, dann ist es für jede andere Person, die später draußen ist, in der Regel komplett weg). Wir erinnern uns dann nicht an die Gefühle, die die andere Person hatte und meistens auch nicht an die Gedanken, aber eben an alles, was passiert ist. Das bedeutet, wenn wir etwas an eine andere Innenperson weitergeben wollen, müssen wir es meistens nur laut aussprechen oder aufschreiben und dann erinnern sich alle Personen, die in den nächsten paar Tagen draußen sind, auch daran. Erst wenn Dinge länger als ein oder zwei Wochen her sind, wird es meistens problematisch. (Und es unterscheidet sich auch von Innenperson zu Innenperson. In der Regel haben die Innenpersonen, die viel Trauma haben, auch deutlich mehr Amnesie - also, sie erinnern sich eben nur an ihr Trauma.) Dafür arbeiten wir momentan an Lösungen.
ruru hat uns ein kleines Programm geschrieben, in das wir eintragen können, wer gerade draußen ist und bald wird dieses Programm eine Funktion bekommen, in der man sagen kann, dass eine bestimmte Innenperson eine bestimmte Nachricht erhalten soll, wenn sie sich einträgt. Das wird sehr nützlich sein! (ruru ist toll.)

Jedes 'in der Regel', das ich hier schreibe, bezieht sich übrigens auf unser System - verschiedene Systeme funktionieren sehr unterschiedlich.
Manchmal reden wir für einander. Sprich, manchmal sagt jemand von uns, dass jemand anders irgendeine Meinung zu einer bestimmten Sache hat oder etwas ähnliches. Das funktioniert aus verschiedenen Gründen. Manchmal entsteht dies tatsächlich aus innerer Kommunikation. Dann sagt jemand Innen irgendetwas und derjenige, der draußen ist, leitet es einfach nur weiter.
Allgemein ist es aber so, dass wir darauf hinarbeiten, dass wir einander so gut kennen, dass jeder einzelne von uns für die Gesamtheit sprechen und Entscheidungen treffen kann. Das klingt einfach sehr nützlich, weil man dann keine Entscheidungslisten mehr braucht, bei denen jeder einzeln gefragt werden muss und die Leute, die in der Zeit bis zur Entscheidung nicht draußen waren, haben keine Möglichkeit, irgendwie an der Entscheidung mitzuwirken. Stattdessen würde dann jeder möglichst berücksichtigt werden und wenn man jemanden vergisst, bekommt man hoffentlich eine Beschwerde von dieser Person und macht es beim nächsten mal besser.
Dafür versuchen wir uns kennenzulernen. Da innere Kommunikation bislang nicht sonderlich gut funktioniert, funktioniert dies hauptsächlich übers Außen. Dadurch, dass wir wenig Amnesie haben, können wir natürlich untereinander gut unsere Verhaltensweisen beobachten und dadurch die anderen Innenpersonen verstehen lernen.
Dadurch werden automatisch Innenpersonen mit mehr Trauma ausgeschlossen, da diese in der Regel weniger draußen sind und zudem mehr Amnesie besteht. Es ist also bei Weitem keine perfekte Lösung, sondern eben nur die, die uns momentan am sinnvollsten erscheint.

Ich hoffe, das erklärt einigermaßen gut, wie bei uns die inneren Abläufe sind.

Sonntag, 2. Mai 2021

#51: Vielesein ist positiv

Viele sein ist nichts schlimmes. Da, ich hab's gesagt. Das sagen wir auch allgemein. Von Anfang an (nach der Diagnose) haben wir gesagt, dass das Vielesein für uns eher positiv ist als negativ. Ja, sogar, dass wir dankbar sind dafür, kam ein paar Monate später hinzu. Wo gibt's denn so was?
Ich kann nicht zählen, wie viele negative Reaktionen wir deswegen bekommen haben, und noch viel weniger kann ich zählen, wie oft unser Erleben in Texten von anderen Systemen kleingemacht wurde, in denen es aber nicht spezifisch um uns ging, sondern allgemein um diese "definitiv gelogenen Systeme", die meinen, es wäre ja eigentlich echt nice ein System zu sein. Das könnte man gar nicht so empfinden, wenn man wirklich eine DIS hat.

Mittlerweile habe ich, zumindest glaube ich das, herausgefunden, was das Problem ist.
Manchmal haben Menschen monatelang Schmerzen, rennen von Arzt zu Arzt zu Arzt ohne Erklärung und dann bekommen sie endlich Krebs diagnostiziert und dann weinen sie erstmal und hassen ihr Leben, weil sie jetzt Krebs haben und das ist ziemlich schrecklich. Das ist eine ziemlich normale Reaktion.
Bei uns ist das nur komplett anders. Wir würden eher den Arzt anlächeln und sagen: "Ja, wunderbar, dann können wir jetzt ja endlich was dagegen machen!" Denn den Krebs hatte man ja vorher schon. Nur gibt es endlich eine Therapiemöglichkeit, weil eine Diagnose existiert.
Nun ist eine DIS kein Krebs und auch generell keine Krankheit, aber ich hoffe, der Ausgangspunkt meines Gedankengangs ist klar geworden.

Viele sein ist nichts schlimmes. Es ist nicht besser oder schlechter als Einzeln sein. Wenn man das Trauma, das zur Entstehung geführt hat, rausnimmt (denn das ist aus Gründen eine komplett separate Diagnose), dann ist es erstmal nur ein anderer Seinszustand.
Viele Systeme kommen am Anfang nicht mit ihrer Diagnose klar, soweit ich das beurteilen kann. Zumindest der Host und/oder das Alltagsteam. Das liegt aber, wie uns das erklärt wurde, hauptsächlich daran, dass eine DIS-Diagnose gleichbedeutend ist mit der Aussage: "Du hast in deiner Kindheit sehr viel Trauma erlitten." Woran sich aber gar nicht erinnert wird.
Das ist die Stelle mit dem Krebs-Beispiel. Für viele Menschen ist es extrem schlimm zu erfahren, dass sie Trauma erlebt haben.
Für uns war es das nicht. Das Trauma war ja schon da. Der Gedankengang war eher: "Ach, deswegen geht es mir so schlecht. Jetzt, wo ich das weiß, kann ich endlich was dagegen machen!"

Wir empfangen "neue" (unbekannte) Systemmitglieder grundsätzlich mit offenen Armen. Von Anfang an. Neulich haben wir gelesen, dass das gar nicht geht, weil mehr Systemmitglieder ja zwangsläufig auch mehr Trauma heißt und das kann man ja nicht positiv finden.
Und ja. Trauma kann man nicht positiv finden. Deshalb ist es auch vollkommen verständlich, wenn die erste Reaktion ist, Systemmitglieder abzulehnen. Man will nicht traumatisiert sein. Wirklich nicht. Niemand will das.
Nur ist das nicht unsere Lebensrealität. Das Trauma ist ja nicht da, weil man jetzt dieses Systemmitglied kennengelernt hat. Es war schon viel früher da. Deshalb existiert dieses Systemmitglied ja überhaupt. Und das fühlen wir eben, so in uns drinnen. Andere Menschen fühlen es eben nicht, weil es (noch) wichtiger für sie ist, möglichst weit weg von ihrem eigenen Trauma zu sein.
Und ja. Auch wir fühlen und denken manchmal Sachen wie: "Ich bin gar nicht wirklich traumatisiert. Und die DIS bilde ich mir auch nur ein. Genau wie das gesamte Trauma." Aber gleichzeitig ist seit Jahren der größte Punkt, an dem wir arbeiten, unsere Trauma-Akzeptanz. Andere Menschen haben andere Prioritäten. Das hier war unsere.

Wir sind nicht unser Trauma. Wir sind durch Trauma entstanden, aber dass wir jetzt da sind, zeigt nicht mehr Trauma auf, das eigentlich nicht schon vorhanden war. Es ist alles schon passiert. Wir können genauso gut mit den Folgen leben.
Und ja. Vielleicht ist das für andere Menschen schwieriger und das ist vollkommen okay. Das möchte ich immer wieder betonen. Ich möchte nicht erreichen, dass Menschen sich schlecht fühlen, weil sie (noch) viel mit Akzeptanz zu kämpfen haben. Ich möchte erreichen, dass Systeme aufhören, sich gegenseitig ihre Existenz abzusprechen, nur weil ein System anders ist als sie.

Ja. Wir haben weniger Amnesie.
Ja. Wir lieben uns gegenseitig. So gut wie man relativ fremde Menschen eben lieben kann.
Ja. Vielleicht entspricht unser Erleben nicht der Norm.
Aber wir haben trotzdem eine DIS und wir stigmatisieren nichts oder romantisieren Trauma, nur weil das für uns in Ordnung ist.

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.