Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Dienstag, 27. Juli 2021

#69: Was ist rituelle Gewalt?

Nachdem wir nun einen ganzen Post über rituelle Gewalt verfasst haben, fühlt es sich nur richtig an, zu erklären, was das eigentlich genau ist. Wir wussten es nämlich, als wir unsere Diagnose bekommen haben und zum ersten mal so wirklich mit diesem Begriff konfrontiert wurden, nicht. Und dann war lange Zeit unser Verständnis davon falsch, weil es einfach gefühlt tausende Definitionen gibt, die im Prinzip etwas ähnliches meinen, aber das teils so missverständlich ausdrücken, dass es wie etwas ganz anderes klingt. Eine wirklich einheitliche Definition gibt es aber auch nicht, also ist das hier im Prinzip wieder nur unser jetziges Verständnis.

Rituelle Gewalt findet in organisierten Gewaltstrukturen statt und bezeichnet den systematischen Missbrauch von Menschen mit dem Ziel, diese für die bestehende Struktur gefügig zu machen und auszunutzen. Häufig geschieht dies unter dem Deckmantel irgendeiner Ideologie.
Betroffene sind in der Regel von Geburt an massiver psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt. In der Regel sind die Eltern selbst involviert, da es ansonsten nur schwer möglich ist, ein Kind so durchgängig und viel zu missbrauchen. Oft findet rituelle Gewalt generationenübergreifend innerhalb von Familien statt.
Durch verschiedenste Manipulationstechniken werden Betroffene an die Gruppe gebunden. Ihnen werden Schweigegebote auferlegt (sie werden durch Folter dazu konditioniert nicht über das Geschehene zu reden) und die Erlebnisse werden so für sie dargestellt, dass es schwierig bis unmöglich für sie wird, überhaupt darüber zu sprechen. Eine Vergewaltigung ist dann eben keine Vergewaltigung sondern eine feierliche Zeremonie und Missbrauch ist nicht Missbrauch sondern Liebe. Ihnen wird schlichtweg keine Möglichkeit gegeben, Wörter zu erlernen, durch die sie das Geschehen richtig einordnen könnten.
Es werden Techniken verwendet, die unter dem Begriff „Mind Control“ zusammengefasst werden. Insgesamt geht es dabei darum, den Betroffenen durch massive Konditionierung beizubringen, dass ihre Wahrnehmung grundsätzlich falsch ist, niemand ihnen glaubt, sie für jedes Fehlverhalten (zum Beispiel darüber reden) bestraft werden und sie niemandem außerhalb der Gruppe vertrauen können.
Damit der Außenwelt nichts von dem Missbrauch auffällt, wird häufig weiße Folter angewandt. Weiße Folter ist ein Oberbegriff für Foltertechniken, die kaum bis keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Ich werde an dieser Stelle keine Beispiele dafür aufzählen, aber im Wikipedia-Artikel zu weißer Folter finden sich einige davon.
Häufig (nicht immer!) entwickeln Betroffene eine dissoziative Identitätsstörung. Hierbei kann es sich um eine reaktive oder eine programmierte DIS handeln.

Während eine reaktive DIS eine DIS bezeichnet, die jemand „einfach so“ (ohne äußeren Einfluss) als Reaktion auf Missbrauch entwickelt, wird eine programmierte DIS von Tätern systematisch bei Betroffenen erzeugt (daher auch der Name).
Da man für die Entwicklung einer DIS eine gewisse Neigung zu Dissoziation braucht, werden die Kinder in solchen Strukturen nach der Geburt auf ihre Dissoziationsfähigkeit geprüft. Danach werden dann durch gezielten Missbrauch bestimmte Innenpersonen erschaffen, bestimmte Hierarchien innerhalb des Systems (DIS-Systems), die innere Welt wird in der Regel von den Tätern gestaltet und es werden gezielt Innenpersonen abgespalten, deren einzige Aufgabe es ist, das System zu überwachen, für bestimmtes Verhalten zu bestrafen oder an bestimmten Tagen zu bestimmten Orten zu gehen, sodass das System der Gruppe nie (nur sehr schwierig) entfliehen kann, da es eben viele Innenpersonen gibt, die immer wieder zurücklaufen. Solche Systeme sind häufig polyfragmentiert - das heißt, sie haben über 100 Innenpersonen.

Das ist alles, was mir momentan zusammenhängend zu diesem Thema einfällt. Ich verlinke an dieser Stelle einmal die Definition von ritueller Gewalt des Vielfalt e.V., sowie eine Reportage über ein betroffenes System von ritueller Gewalt.

Freitag, 23. Juli 2021

#68: Missbrauch und Leugnen

Content Note: Leugnung von ritueller Gewalt.

Rituelle Gewalt existiert nicht. Das wurde mir neulich gesagt. Zum Glück stellte sich schon nach einer Minute heraus, dass es ein Missverständnis war und die Person eigentlich etwas anderes gemeint hatte. Trotzdem kräuselte sich, in dieser einen Minute, alles bei mir.
Wir sind nicht von ritueller Gewalt betroffen, aber kennen natürlich viele Systeme, die es sind. Da die meisten Systeme nicht so direkt über ihre Traumata reden, wissen wir es bei denen, die wir persönlich kennen, nicht, aber es gibt natürlich zahlreiche Systeme auf Instagram und Youtube, die betroffen sind und davon berichten.
Ich weiß, dass rituelle Gewalt existiert. Ich weiß es, weil ich weiß, wie grauenvoll Menschen sind und sein können. Ich weiß es so sehr, dass ich nie auf die Idee käme, einen Funken davon anzuzweifeln. Und dann gibt es Menschen, die einfach so nicht daran glauben. Auch wenn es hier nur ein Missverständnis war, wurde es mir dadurch zum ersten mal so richtig, richtig bewusst.

Ich weiß nicht, was ich fühle. Wut, Trauer, ich habe keine Ahnung. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, wie schön die Welt von jemandem sein muss, dass er sich nicht vorstellen kann will, dass etwas so grauenvolles existiert.
Und dann denke ich mir aber auch, ich kann es der Person ja nicht beweisen. Wenn ich sage, ich weiß das, dann klingt das vollkommen an den Haaren herbeigezogen. Ich hab ja nicht mal etwas erlebt. Vermutlich fühlt es sich an wie die eine Person, die ich vor Jahren getroffen habe, die mir weismachen wollte, dass unser Gendefekt heilbar ist. Die „wusste“ das bestimmt auch.
Das macht mich verzweifelt.
Für mein Leben spielt es keine Rolle. Ich bin nicht betroffen. Niemand bestreitet meine Lebensrealität. Aber das ekelhafte Gefühl davon, wenn man etwas erlebt hat und niemand glaubt es, das kenne ich. Und ich will nicht, dass irgendjemand das erleben muss.

Ich hab irgendwann einen Entschluss gefasst. Wenn ich denke, dass Menschen über Ereignisse lügen, dann spreche ich es nicht an, wenn ich nicht mit 100% Genauigkeit beweisen kann, dass sie es tun. Wenn die Ungewissheit zu schlimm für mich ist, gehe ich aus ihrem Leben. Aber ich werde nie, nie, nie, niemals jemanden einer Lüge bezichtigen, die ich nicht beweisen kann. Weil die Chance besteht, dass es die Wahrheit ist. Weil es, wenn es wirklich die Wahrheit ist, viel zu schlimm wäre.
Andere Menschen handhaben das nicht so. Sie reden einfach. Es ist ja nur eine Meinung. Das kann man ja ansprechen, wenn es berechtigte Zweifel gibt.
Aber es ist keine Meinung. Es ist das Absprechen einer Existenz, es ist ein metaphorisches Messer in die Seele oder ins Herz oder meinetwegen ins limbische System der betroffenen Person.
Man hat keinen Nachteil davon, einfach nichts zu sagen. Keinen einzigen. Ich werde nie verstehen, warum man dann jemandem ins Gesicht sagt, dass er lügt.
Würde man sich nur eine Sekunde vorstellen, man erzählt jemandem sein Leben und derjenige sagt 'Nein'.
Einfach so.
Hört man auf zu existieren.

Blyth hat uns gesagt, wir hätten uns alles nur eingebildet. Den Missbrauch. Das nennt man Gaslighting. Dass man jemanden dazu bringt, an seinen eigenen Erinnerungen zu zweifeln. An seiner eigenen Wahrnehmung. An seinem eigenen Leben.
Jemandem zu sagen, das, was er erlebt hat, würde nicht existieren, ist nichts anderes. Es ist derselbe Missbrauch. Es ist dieselbe Gewalt.

Gewalt ist keine Meinung.

Donnerstag, 1. Juli 2021

#61: get out while you can

In einer anderen Welt habe ich Ja gesagt, als du gefragt hast, ob du vorbeikommen kannst und vielleicht wären wir dann immer noch befreundet. Das ist ein Gedanke, der meinen Kopf nicht verlässt. Ich lebe immer noch in einer Welt, in der du fehlst, obwohl du doch gar nicht weit weg bist.
Die Antwort ist vermutlich Nein. Du warst immer weg, noch bevor du überhaupt gegangen bist. Dass ich Teil deiner realen Welt geworden wäre, hätte nichts daran geändert.
Weißt du, es hat eigentlich auch gar nicht so viel mit dir zu tun. Mein Gehirn hängt sich nur an jeden Fetzen Verlassen als wäre es das Wichtigste, was jemals passiert ist. Ich kann Menschen jedes Jahr Nachrichten schreiben, weil ich mir Sorgen mache, dass sie tot sein könnten und wenn sie mir nach sechs Jahren antworten, bin ich trotzdem enttäuscht, dass ich die Freundschaft nicht wiederhaben kann.

Ich hätte nicht mehr viel darüber nachgedacht, dass du irgendwie hier bist, aber eben irgendwie auch nicht, wenn ich nicht geträumt hätte, dass du mir geschrieben hast. So etwas träume ich oft. Manchmal vergesse ich aber auch Sachen und denke, ich habe sie geträumt, aber später merke ich, dass sie real passiert sind und ich einfach nur Amnesie habe. Deshalb hab ich gesucht und gesucht. Es war ein Traum, dessen bin ich mir inzwischen sicher. Auch wenn ich es erst nicht komplett ausgeschlossen hatte, dass es tatsächlich passiert ist, weil es definitiv Beschützer hier gibt, die dich nicht in unserem Leben haben wollen würden. Als wärst du die einzige Person, die wegrennt.
Du bist nur unbeständig genug, um wiederzukommen. Wenn wir rennen, dann ist das nie nur vorübergehend. Dass ich dasselbe Gefühl in anderen Menschen auslöse wie du in mir, das ist mir trotzdem in all den neun Jahren nie aufgefallen. Wie absolut grausam, nicht war? Ich kann Herzen zerstückeln ohne es überhaupt wahrzunehmen.
Du könntest jederzeit zurückkommen und ich denke, das ist gut so. Ich glaube, ich könnte nie zurückkehren. Ich habe mir selbst schlichtweg keine Möglichkeit gelassen.
Manchmal zerbreche ich mein eigenes Herz.

Aber die Wahrheit ist auch, dass es nichts an meiner chronischen Einsamkeit geändert hätte, wäre 2014 anders verlaufen und ich hätte niemanden verloren. Ich konnte ohnehin nie irgendetwas halten. Wenn Menschen stattdessen mich verlassen, fühlt es sich nur eben unfertig an. Und ich frage mich oft, ob sie dasselbe Gefühl haben von Zurückgehen wollen und wir haben unsere Telefonnummer geändert und unseren gesamten Namen und niemand wird uns jemals wiederfinden können. Selbst wenn irgendjemand hier wäre - niemand von uns ist mehr Melanie und erst Recht nicht [Ausweisname], unser Blog heißt 'Cirrus Floccus' und nichts hier spricht wirklich darüber, dass es irgendwann mal anders war. Wir können nicht zurückgehen und niemand wird jemals zu uns zurückkehren können. Manchmal macht mich das unendlich traurig.
Als ich diesen Text hier angefangen habe, habe ich versucht, eine Liste zu schreiben mit Blognamen, die wir im Laufe der Zeit hatten. Das ist witzlos, wenn man Amnesie hat, habe ich festgestellt. Ich habe keine Ahnung. Es würde auch nicht besser machen, dass ich einfach nur erklären will, was ich 2014 nicht erklären konnte, wofür ich mir selbst jede Möglichkeit genommen habe. Ich fand es nur interessant, rede ich mir selbst ein. Weil das besser macht, dass ich vor meinem Leben davongerannt bin.