Seit Ewigkeiten liegt hier ein Post rum, dessen einziger Inhalt ist „Kontaktabbruch Eltern = Leben besser“, im Prinzip ist das nur ein Notizzettel, weil ich irgendwann darüber schreiben wollte. Und wir haben hier zwar gerade eine Menge (fast) fertige Posts zu diversen Themen rumliegen, aber es ist Weihnachten und es fühlte sich seltsam an, diese Tatsache einfach zu ignorieren, vor allem, da wir dieses Jahr selbst deswegen etwas Probleme haben.
Vor 3.5 Jahren sind eine Menge Dinge passiert, die dazu geführt haben, dass wir endlich etwas gelernt haben, Nein zu sagen, unsere Grenzen zu kommunizieren und auch unsere Grenzen/Bedürfnisse durchzusetzen. Wir hatten eine kleine Familie, für eine kurze Zeit, die uns das beigebracht hat. Wir haben ruru kennengelernt. Wir haben realisiert, dass Blyth uns missbraucht hat.
Irgendwann im Herbst ist unsere Tante gestorben (wir kannten sie kaum), aber unsere Mutter hat uns angeschrieben und uns mitgeteilt, wann die Beerdigung ist, damit wir da nach Hannover fahren können. Da es uns aber gerade so schlecht ging und wir wirklich nicht nach Hannover fahren wollten, haben wir nicht geantwortet und so getan, als hätten wir die Nachricht nicht gesehen - was dazu führte, dass wir mit Nachrichten von allen Familienmitgliedern bombadiert wurden, Telefonanrufe, was auch immer, einfach aufgrund der Tatsache, dass wir nicht innerhalb von 48 Stunden geantwortet haben. Nach vier Tagen oder so (wo die Beerdigung auch schon vorbei war) haben wir uns dann gemeldet und gesagt, wir wären bei ruru gewesen und hätten unser Handy Zuhause vergessen gehabt. (Oder irgendetwas ähnliches - es war und ist absoluter Standard bei uns, unsere Familie anzulügen.)
Uns wurde gesagt, wir müssten ja erreichbar sein, also, vielleicht nicht unbedingt sofort, aber eben schon innerhalb von 24 Stunden, man müsse dann unbedingt der Familie rurus Nummer geben, falls wir mal wieder unser Handy Zuhause vergessen, es könnte ja einen Notfall geben und außerdem würde man sich ja auch Sorgen machen, wir hätten tot sein können, das kann man ja nicht wissen, wenn man uns vier Tage lang nicht erreicht.
Wir waren zu dem Zeitpunkt an einem Punkt, wo wir gemerkt haben, dass wir auch unser Handy und unser Festnetztelefon abschaffen könnten und nur noch per Brief erreichbar sein könnten und es wäre okay - und unsere Familie müsste sich damit abfinden. Weil es unser Leben ist und nicht ihrs.
Ich weiß nicht mehr genau, was für Gespräche wir danach geführt haben, aber wir haben auf jeden Fall unserer gesamten Familie gesagt, dass sie unsere Privatsphäre gefälligst zu respektieren haben und wenn sie das nicht wollen, können sie gehen. In dem Zusammenhang haben wir direkt auch noch gesagt, dass wir Weihnachten mit ruru verbringen werden.
Unsere Mutter hat dann (wie immer, wenn wir so etwas geäußert haben) angefangen, uns Schuldgefühle einzureden von wegen, dass es ja vielleicht das letzte Weihnachten für unsere Großeltern ist, vielleicht sterben sie ja bald und leider hat das ein bisschen funktioniert, zumindest haben wir uns darauf geeinigt, dass wir Anfang Dezember für ein Wochenende dort hinfahren und dann eine kleine Mini-Weihnachtsfeier mit der Familie machen.
Aber eigentlich wollten wir gar nicht dorthin und dass wir die heftigste depressive Episode seit Jahren hatten, hat auch nicht unbedingt geholfen. Im Endeffekt hat ruru uns hingebracht, aber wir haben schon Tage davor nur darüber geredet, dass wir da nicht hin wollen, wie schlecht es uns gehen wird, wenn wir da sind, wie scheiße wir immer behandelt werden und so weiter und so weiter. Wir waren dann irgendwann da und unsere Mutter musste den Abend nochmal weg, zu einer Freundin oder so, also saßen wir dann alleine in der Wohnung, wo wir nicht sein wollten und haben geweint, weil es so scheiße ist, dass wir diese Familie haben, die uns nicht gut behandelt und weil es scheiße ist, dass wir trotzdem da sein müssen und sie trotzdem sehen müssen und es für immer so sein wird und plötzlich fiel uns auf: moment mal, das muss es ja gar nicht. Das ist alleine unsere Entscheidung!
Und dann sind wir nach Hamburg gefahren. Zu ruru.
Und haben unserer Familie gesagt, dass wir sie erstmal (als harte Grenze) das gesamte Jahr 2019 nicht sehen wollen. Weil sie immer nur wollen, dass wir Rücksicht auf jeden und alles nehmen und unser ganzes Leben dafür aufwenden, dass es niemandem schlecht geht, aber wie es uns geht, ist nicht wichtig und Rücksicht auf uns selbst dürfen wir nie nehmen.
Ein paar Monate später haben wir den Kontakt zu unserem Vater abgebrochen, was uns jahrelang von unserer Mutter ausgeredet worden war. Und dann haben wir den Kontakt zu unseren Großeltern väterlicherseits abgebrochen, weil sie darüber gelästert haben, dass unsere Cousine seit dem Tod ihrer Mutter unzuverlässig geworden ist.
Und dann ist neulich passiert.
Wir haben unsere Familie 2019 nicht gesehen und 2020 dann den Kompromiss gefunden, dass wir nicht mehr nach Hannover fahren, aber sie uns in Hamburg besuchen können oder wir uns in einer Stadt in der Mitte treffen.
Neulich schrieb unsere Mutter uns dann, unser Opa kam jetzt zu dem Schluss, dass er diese Strecke nicht mehr schafft, es ginge ihm in letzter Zeit auch echt schlecht und ob wir nicht doch wieder nach Hannover kommen könnten.
Es war schon wieder so nah an: „Hey, ignorier doch bitte deine Grenzen für die Familie, immerhin könnten deine Großeltern bald sterben.“
Und trotzdem hab ich mir Gedanken gemacht. Weil es ja vielleicht wahrscheinlicher ist, dieses mal. Und ich dachte: ich hab zwar keine Bindung zu dieser Familie, genau wie jede Innenperson, die ich kenne, aber vielleicht existiert ja Innenperson X, die eine Bindung hat und wenn ich jetzt nicht hinfahre und dann unsere Großeltern sterben, ist diese Innenperson vielleicht sehr traurig. Und dann saß ich da, alleine mit zerbrochenen Gedanken und keiner Möglichkeit, einen Kompromiss zu finden.
Bis unsere Psychologin uns darauf hingewiesen hat, dass wir mal wieder überhaupt nicht mitgedacht wurden. Weil, erstens hatten wir eine harte Grenze gesetzt, dass wir nie wieder nach Hannover fahren, weil die Stadt uns triggert - und es wurde nicht mal gefragt, wie man vielleicht machen könnte, dass es weniger schlimm für uns ist, wenn wir hinfahren. Zweitens könnten wir das gesamte letzte Jahr auch nicht wirklich (nur unter Schmerzen) laufen und das ist zwar in den letzten paar Monaten besser geworden, aber es wurde überhaupt nicht danach gefragt. Und drittens saßen wir jetzt alleine mit der Aufgabe da uns einen Kompromiss zu überlegen, über den unsere Familie sich schon vorher hätte Gedanken machen können, weil sie ja (theoretisch) wissen, wie schlimm es für uns ist, in Hannover zu sein. (Zumindest wissen sie, was unser Vater gemacht hat.)
Also hab ich das angesprochen.
Und bekam nur Schuldzuweisungen. Man würde sich ja den ganzen Tag Gedanken darüber machen, wie es uns geht, aber nicht nachfragen, weil man nicht nerven möchte. „Ich versuche ja nur eine gute Mutter zu sein.“ Worauf ich tatsächlich unserer Mutter sagte, dass sie eben nicht unsere Mutter ist, der Zug ist abgefahren, aber sie kann gerne versuchen, ein Mensch zu sein, den wir nicht hassen, in unserem Leben zu haben. Und es kam gar nichts. Keine Einsicht, keine Entschuldigung, nichts, nur mehr Schuldzuweisungen, mehr „ich weiß, dass ich viel falsch gemacht habe, aber das ist ja Vergangenheit“, als würden wir nicht immer noch scheiße behandelt werden, als würde nicht weiterhin auf unsere Grenzen getrampelt werden. „Es ist nicht wirklich eine große Leistung, dass du aufgehört hast, mich zu missbrauchen“, habe ich gesagt.
Und dann habe ich beschlossen: ich will diesen Kontakt nicht mehr.
Noch besteht er, weil wir gerade sehr viele behördliche Dinge zu klären haben, für die wir teilweise Unterlagen von unserer Mutter brauchen. Außerdem sind ein paar unserer Sachen noch dort, weil sie in unserer kleinen Hamburger-1-Zimmer-Wohnung keinen Platz fanden, aber es ist geplant, dass wir 2022 umziehen, wo wir diese Sachen dann zu uns holen werden (selbst wenn sie keinen Platz in der Wohnung finden, es gibt Abstellräume). Es ist nur notwendig für uns, den Kontaktabbruch gegenüber unserer Familie geheim zu halten bis er passiert (und demnach alles, was bis dahin geklärt sein muss, unter anderem Vorwänden wie einem Umzug zu klären), damit wir nicht aus unserer Entscheidung hinaus manipuliert werden.
Seit 2019 ist dennoch so vieles besser geworden. Weil es Vergangenheit ist, dass unsere Grenzen durchgehend mit Füßen getreten werden. Dass wir behandelt werden wie ein Objekt, dessen Liebe man einfordern kann, indem man nur genug Übergriffigkeiten in es hineinstopft.
In dieser Familie sind wir kein Mensch. Wir sind die Idee einer Tochter, einer Schwester, einer Enkelin, und wir durften nie Zeit oder Raum haben, darüber hinaus zu existieren.
Aber wir verdienen Zeit und Raum - das haben wir gelernt. Wir nehmen sie uns. Und trotzdem bleibt es zurück, dass wir an demselben unsichtbarmachenden Ort sind, wann immer wir mit unserer Familie reden. Aber je weniger wir es tun, desto sichtbarer werden wir.
Je weniger wir es tun, desto mehr können wir heilen.
Umso weiter wir rennen, umso näher kommen wir einem Ort, an dem wir existieren können.
Ganz. Und ehrlich. Wichtig und richtig und als mehr als die Idee einer Person, die wir nie sein werden.
Und hoffentlich können wir 2023 sagen, dass wir keine Familie mehr haben. (Außer ruru.)
Ich wollte das schreiben, weil so viele Menschen, gerade an Weihnachten, immer sagen, dass man seine Familie lieben muss. Dass man da sein muss, zumindest an Weihnachten und an Geburtstagen oder an was auch immer für Tagen im Jahr man irgendetwas feiert. Egal wie man behandelt wird. Egal wie viel Missbrauch passiert ist. Egal wie viel Kleinreden und Nichtbeachten und Verletztwerden und Unsichtbarsein jedes mal passiert, wenn man da ist.
Aber es ist nicht so.
Ich liebe meine Familie nicht. Ich habe sie nie geliebt. Niemand von uns hat eine Bindung zu diesen Menschen. Innenperson X existiert wahrscheinlich nicht. Und wir sind gegangen oder werden noch gehen und die Welt ist nicht untergegangen, wir sind nicht für immer alleine und traurig geblieben, wir hatten ein paar Wochen noch schlimmere Depressionen als vorher schon und nächstes Jahr, wenn wir ganz gehen, werden wir vermutlich auch Depressionen und Schuldgefühle und Suizidgedanken und alles, was man haben könnte, haben, aber es wird vorbeigehen. So wie wir letztes mal schon nicht einsam und traurig waren, sondern endlich alleine und danach glücklich.
Und frei. Frei. Frei. Frei.
Man ist niemandem seine Liebe schuldig. Oder seinen Kontakt. Oder seine Zuneigung, seine Worte, seine Zeit, seine Nähe, sein Irgendetwas. Ihr nicht und wir nicht und auch niemand sonst.