Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Dienstag, 29. November 2022

126

avis.
Bei all dem Denken und Denken darüber, ob ich mich missbräuchlich verhalten habe, fällst mir immer nur du ein.
2013 bist du gegangen und ich dachte: ich hab doch nichts gemacht, warum verlässt du mich dann, warum nimmst du mir weg, was mich glücklich macht? Aber - „wenn jemand gehen will, darf er gehen. Ich muss nicht die Welt dafür in Brand gesteckt haben“. Du hast mir nichts weggenommen. Du hattest einfach ein Leben, zu dem ich nicht mehr gehörte. Und warst für mich nur noch ein Objekt - so hab ich dich behandelt. Mein Antidepressivum; wenn ich dich hätte, wäre alles wieder gut.
Ich weiß nicht, ob ich 2013 irgendetwas gemacht habe, weswegen du gegangen bist und ich glaube, im Endeffekt ist es auch egal. Denn danach habe ich dir die Verantwortung für mein Leben hinterhergeschmissen. Ich hab nie gesagt, dass ich mich umbringe, wenn du gehst, but I might as well have said that. I sure as hell made it seem that way.
Das habe ich irgendwann letztes Jahr verstanden. Nie ausgesprochen, weil, warum, es ist fünf Jahre her, ich weiß nicht mal, wie du es wahrnimmst oder ob du überhaupt daran denkst. Es wäre nur für mich gewesen und du schon wieder nicht wichtig.
Aber ich hab das Gefühl, zu sagen, dass ich „nichts“ gemacht habe, dass ich niemanden missbraucht habe, übergeht dich. Und das hat auch niemand verdient.

Mittwoch, 28. September 2022

#115: Milk Tea

[Original: Milk Tea von Dada.]

Es ist so lange her,
so viele Jahre vergang',
fast vergessen hatte ich;
jeder Gedanke so verschwommen daran.
An diesem einen Tag, da fing ich deinen Blick
und genauso schnell war ich
fortan nur verliebt in dich.

„Hallo, mein Name ist“, in der Schule, neben mir,
bis dann meine Lippen nachts
kaum noch ein and'res Wort formen, sodass
kein Augenblick mehr vergeht,
in dem sich nichts um dich dreht,
alles, was ich spüre, nur
flauschig, ungreifbar, voll von dir.

Jeden Tag sah ich dir nach,
immerzu, während du doch beschäftigt warst.
Mit dem Gong warst du bereits auf deinem Weg zu geh'n.
Sag, warum bliebst du an diesem Tag dann plötzlich vor mir steh'n?

Mit dir allein. Du streckst die Hand nach mir aus, nein -
„komm, nimm auch was“, sagst du, seh
in deiner Hand einen Milchtee.
Ein Schluck, so süß, etwas warm,
fast fühlt es sich danach an,
dass der Geschmack von Liebe mir
auf den Lippen verweilen wird.
Rot, Orange, die Farben, die
um uns herumwirbeln, als wir
fast die Stille bersten spür'n,
weil unser Herzschlag so laut wird.
Plötzlich mutig. „Wollen wir dann
nach Hause gehen, zusamm'?“
Als du lächelst, spüre ich:
noch nie war ich so glücklich.

Weißt du noch, jener Tag,
an dem Schnee um uns fiel, da
wo ich zum allerersten Mal
deine überraschend kalte Hand in meine nahm?
Dacht ich doch immer, dass
du so viel Wärme ausstrahlst. Ich
musst in diesem Augenblick
so sehr lachen über mich.

Ah. Du neben mir
ließ mir nichts als zu realisier'n,
dass ich will, dass du für immer mein Leben erfüllst.
Wir zusamm' war alles, was ich wollte;
erinner mich an

dein Lächeln, das dein' Wangen diese Grübchen gab,
die Art, wie du mit deinen Haar'n immerzu spieltest, wenn du nervös warst;
so sehr darin verliebt, du warst
alles, was für mich wichtig war.
Irgendwie konnt' ich damals nicht
anders als dich umarm', plötzlich.
Weißt du noch, auf jenem Berg,
jenes Feuerwerk unter den Stern';
uns're Lippen berührten sich,
war so egal, die Welt um mich.
Jede Blüte, die um uns fiel,
jenes Funkeln, das nur für uns schien,
uns're Herzen hell erleuchtet
im Glanz dieser Nacht für mich.

Ich schreck auf. Der Zug ist plötzlich am letzten Halt.
Nostalgie. Warum nur träum ich ausgerechnet jetzt davon? Ich steig
hinaus auf jenes Bahngleis, der Regen schlägt mir ins Gesicht;
alles hier ist anders und doch, fast bildlich erinnere ich mich

an dich allein. Ich blick mich um; hier wirst du nicht sein.
Und dennoch, als wär damals, geh
ich und kaufe mir einen Milchtee.
Ein Schluck, zu süß, salzig, warm,
sag, warum fühlt es sich an,
als würd ich etwas von mir
im Schneeregen lassen, hier?
Rot, wie meine Fingerspitzen frier'n,
ein Augenblick nur, in dem wir
uns in meiner Erinnerung seh'n,
als würdest du am and'ren Bahngleis steh'n.
An diesem Wintertag wünsche ich mir
nur ein Mal noch deine Wärme zu spür'n;
meine Arme sind so leer
ohne dich genau neben mir.

Nur ein Tag noch. Ich wünschte, du wärst
nicht nur in meiner Erinnerung hier,
denn sie verblasst und was ich spür
ist die Kälte, die bleiben wird.

Freitag, 9. September 2022

#112: Wenn das Abendlicht in genau dieser Farbe ist, dann ist ein Loch in der Luft, wo du standest.

Manchmal, ganz leise und dann plötzlich so laut, dass die Welt um meine Ohren zerspringt, vermisse ich dich. Die Welt hört auf sich zu drehen, einen Moment lang, in dem die Realität mit voller Wucht neben mir einschlägt: du wirst vermutlich nie wieder in meinem Leben sein.
Ich bin dir so lange hinterhergelaufen. Ich bin stehen geblieben und irgendwie steht ein Teil von mir immer noch an derselben Stelle. Selbst wenn ich so viel weiter in meinem Leben bin - immer noch drehe ich mich nach dir um. Und manchmal bist du da und ich zerbreche nicht mehr in Glücksmomente, von denen keiner mich je näher bei dir hat sein lassen, und manchmal bist du weg und ich zerfalle nicht mehr in tausend Stücke, weil es irgendwann, irgendwie, okay geworden ist. Nur ein kleines bisschen. Genug, dass ich deinen Namen erwähnen kann, beiläufig, ohne zu erwähnen, dass mein Leben vielleicht an irgendeinem Punkt mal ein kleines bisschen vollständiger gewesen ist. Nicht genug, um nicht zu merken, dass du dennoch fehlst.
Und hey. Wir sind andere Menschen. Und möglicherweise, sogar ganz bestimmt, würden unsere Leben mittlerweile überhaupt nicht mehr zusammen passen. Ich trage nicht mal mehr denselben Namen. Aber der Name, unter dem du uns kennengelernt hast, wird wahrscheinlich bald unser Ausweisname sein. Elf Jahre später.
So viel Zeit. Manchmal stehe ich immer noch auf diesem Parkplatz. Und hey,
ich wäre fast ans Meer gezogen. Jetzt ziehe ich nach Bayern. Und ich habe keine Ahnung, wo du bist, aber ich hoffe, irgendwo, wo du sein möchtest. Ich bin es auch.

Montag, 27. Juni 2022

-

Ein Anruf, starr das Telefon an,
weiß genau, was ich nicht sagen kann,
erinner deine Finger, auf mir,
doch so nah an mir, nah an mir.

Betäube den Schmerz, den du auf
mir noch wie ein Echo hinterließt.
Berühr mich jetzt, spür, was ich vergess.

Nur eine weit're Geschichte,
könnt dich wieder hör'n, schließ die Augen, spür.

Warum kann ich nicht geh'n,
wenn ich nicht bleiben will?
Ersticke innerlich,
bis ich dann fast vergess,
wie kalt und einsam du bist.
Zum zehntausendsten mal zerbrichst du mich.
Liebe rettet nichts.

Donnerstag, 26. Mai 2022

#101: F44.81 Multiple Persönlichkeit;
6B64 Dissoziative Identitätsstörung

Unser allererster Post, der erklärt, was genau eigentlich eine dissoziative Identitätsstruktur ist, ist inzwischen unglaublich veraltet und ich hab auch das Gefühl, dass wir das damals alles selbst noch gar nicht so wirklich verstanden haben. Also folgt an dieser Stelle eine Neufassung!
Mit der Einführung des ICD-11, wurde die „multiple Persönlichkeit(sstörung)“ nun auch in Deutschland offiziell in „dissoziative Identitätsstörung“ umbenannt. Gerade, wenn man selbst betroffen ist und vielleicht gerade erst dabei ist, dies rauszufinden, fühlt sich die Beschreibung dort aber nicht wirklich nach dem an, was man empfindet. Aber der Text ist ja auch nicht für Betroffene, sondern für Psychologen. Ich glaube, um vernünftig zu erklären, wie sich eine DIS anfühlt, muss man zuerst verstehen, wie sie entsteht:

Jedes Kind hat, unabhängig von Erlebnissen, verschiedene Seins-Zustände. Ganz einfache Dinge wie „ich habe Hunger“, „ich möchte Nähe“, das hat wenig mit Persönlichkeit zu tun. Das ist einfach wie Kinder die Welt für sich einteilen, Schritt für Schritt, ein Bedürfnis auf einmal. Irgendwann (Menschen sind sich da uneinig, wann genau, aber ungefähr mit fünf Jahren) verbinden sich diese Seins-Zustände zu einer Einheit. Das nennt man Integration. Nachdem dieser Prozess abgeschlossen ist, fangen Kinder an, ein Identitätsgefühl zu entwickeln.

Manchmal, wenn ein Kind sehr viel Trauma erlebt, wird dieser Prozess unterbrochen. Das Gehirn lernt, die Seins-Zustände zu nutzen: einer der Zustände erhält beispielsweise die Erinnerungen an das traumatische Ereignis, ein anderer erhält ausschließlich die guten Erinnerungen. Ein Zustand lernt Trauma als die gesamte Normalität kennen, ein anderer ist für das alltägliche Leben zuständig. Zwischen den verschiedenen Zuständen entsteht in der Regel Amnesie, damit die Funktionalität des Kindes im Alltag sowie in der traumatischen Situation gewährleistet werden kann.
Integration passiert nie.
Kinder fangen trotzdem an, ein Identitätsgefühl zu entwickeln.
Nur dass das Kind an dieser Stelle nicht wirklich eine Einzelexistenz ist, sondern in verschiedene Fragmente aufgeteilt. Und die entwickeln, alle für sich, ein eigenes Identitätsgefühl.
Dadurch fühlt es sich dann im späteren Leben so an, als wäre man wirklich verschiedene Menschen, die alle zusammen einen einzelnen Körper bewohnen - nach außen hin werden diese Unterschiede in den allermeisten Fällen (Ausnahmen existieren) versteckt, damit man nicht auffällt. (Dass man nicht auffällt, ist Tätern meistens unglaublich wichtig.)

Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet man Menschen mit einer DIS oft als „Systeme“. Die verschiedenen Identitäten eines Systems werden mit allen möglichen Bezeichnungen benannt, in der deutschen DIS-Community ist der Begriff „Innenperson“ geläufig. Seltener gebraucht werden „Anteile“ oder „Persönlichkeiten“. Im Englischen ist der Begriff „Alter“ geläufig, den wir auch auf Deutsch schon Leute gebrauchen gehört haben.

Eine DIS wird immer von Amnesie begleitet. Dabei gibt es verschiedene Ausprägungen. Viele Systeme haben beispielsweise Amnesie zwischen den Innenpersonen. Das heißt, wenn Innenperson A morgens „draußen ist“ (Kontrolle über den Körper hat), erinnert sich Innenperson B, wenn sie nachmittags rauskommt, nicht an den Morgen. Oft hat man aber auch die sogenannte „Amnesie für die Amnesie“ - sprich, man merkt einfach nicht, dass man sich nicht erinnert. Meistens nimmt das Gehirn Momente, die in den Erinnerungen vorhanden sind, und gaukelt einem vor, diese hätten die gesamte Zeitspanne eingenommen, obwohl es vielleicht in echt so ist, dass man sich an einen Moment von zehn Minuten erinnert, obwohl fünf Stunden vergangen sind.
Manchmal besteht jedoch nicht so viel Amnesie zwischen den einzelnen Innenpersonen, sodass wichtige Details und der grobe Ablauf von Zeitspannen erinnert werden kann. Die Amnesie bezieht sich dann meistens vorrangig auf die Traumaerinnerungen an sich.
Meistens fällt Amnesie ohnehin eher in Kleinigkeiten auf: vermutlich kennt beinahe jeder Mensch das Gefühl, wenn man sich nicht sicher ist, ob man etwas geträumt hat oder es wirklich passiert ist, ob man etwas tun wollte oder es schon getan hat oder wo zur Hölle man noch gleich den Kugelschreiber hingelegt hat und wo wir schon dabei sind, was wollte ich eigentlich nochmal in diesem Raum? Stellt euch einfach diese Erlebnisse vor, aber jeden Tag, den ganzen Tag, ständig.

Neurologisch gesehen sind verschiedene Innenpersonen übrigens einfach verschiedene Gehirnaktivitätsmuster. Jeder Mensch funktioniert ein bisschen anders - benutzt verschiedene Bereiche des Gehirns öfter, andere weniger oft, es unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Bei den Innenpersonen ist das genauso. Extreme Beispiele können Sachen sein wie, dass eine Innenperson blind ist, während aber alle anderen ganz normal sehen können.
Mit diesem Hintergrund ist es relativ einfach zu erklären, dass manchmal (oder eigentlich sogar oft) nicht nur eine einzelne Innenperson im Bewusstsein anwesend ist. Manchmal gibt es ein Gefühl von „Matsch“, „Nebel“, „Blurriness“, bei dem für das System nicht klar bestimmt werden kann, welche Innenperson gerade da ist, vielleicht sind es auch zehn gleichzeitig, man weiß es nicht. Was ebenfalls oft vorkommt, ist das sogenannte „Co-Bewusstsein“, das den Zustand bezeichnet, in dem zwar eine Innenperson draußen sind, aber andere Innenpersonen relativ weit „vorne“ (im Bewusstsein) sind und somit einen Einfluss darauf haben können, was diese Innenperson fühlt, tut oder denkt. Einige Systeme hören die anderen Innenpersonen tatsächlich auch, in ihrem Kopf, und können somit miteinander reden.

Im weiteren Verlauf des Lebens, kann es bei Personen mit DIS passieren, dass neue Innenpersonen aufgrund von traumatischen oder sehr stressigen Ereignissen, entstehen. Das wird dann oft „abspalten“ genannt. Jedoch gibt es hier Uneinigkeiten darüber, ob sich Innenpersonen tatsächlich „spalten“ können oder ob es vielmehr so ist, dass es aus der Kindheit ungenutzte Seinszustände gibt, die in bestimmten Situationen „zum Leben erweckt“ werden, um mit diesen Situationen umzugehen. Darauf hat die Wissenschaft, unseres Wissens nach, bisher keine Antwort und jeder glaubt etwas anderes. Für uns persönlich fühlt es sich eher wie ein Abspalten an. (Eine These: Es könnte natürlich auch von System zu System unterschiedlich sein.)
Durch Verarbeitung des Traumas können einzelne Innenpersonen auch wieder zu einer „Gesamtperson“ verschmelzen (ebenfalls oft „integrieren“ genannt, aber von uns, wegen Streitigkeiten bezüglich des Begriffs, häufig als „zusammenblobben“ bezeichnet). Dies ist jedoch in der Regel nicht das angestrebte Ziel, sondern passiert eher einfach, weil es gerade für das Gehirn eben so Sinn ergab.

Entgegen des alten Namens, ist die dissoziative Identitätsstörung keine Persönlichkeitsstörung.
(Was genau eine Persönlichkeitsstörung ist? Ich habe keine Ahnung. Aber es ist vielen Menschen unglaublich wichtig, das klarzustellen, weshalb ich es an der Stelle zumindest mal erwähne.)

Falls ihr Fragen habt, dürft ihr uns die immer gerne stellen.

Dienstag, 26. April 2022

#93: Alle Zeit der Welt

„Ich hab das Gefühl, Psychologen sind immer so 'Vermeidungsverhalten - ja, hm, das ist eigentlich nicht so gut, das wollen wir eigentlich weg haben'. Aber dann machen sie es selber.
Wenn ich jetzt in die Bahn gehe und die erstbeste Person anspreche, werde ich in dem Gespräch wahrscheinlich zehn mal aus Versehen getriggert und fünf mal ist es überfordernd. Und hier ist es so, Sie achten die ganze Zeit darauf, dass ja nichts zu viel ist, dass ja nichts überfordernd ist. Es soll ein sicherer Ort sein, aber was es vor allem ist, ist ein Ort fernab jeglicher Realität.“

„Sie wollen also, dass ich mehr meine Reaktionen auf das, was Sie sagen, zeige.“
„Es ist verletzend für mich, wenn Sie mir jede zweite Stunde sagen, dass Sie eigentlich gar nicht hier sein wollen, dass Sie eigentlich lieber zu wem anders wollen. Ich schlucke das herunter, weil ich glaube, dass Sie das brauchen.“
„Und ich glaube, ich habe jetzt besser verstanden, warum. Sie brauchen das, um sich zu distanzieren, damit Sie auch gehen könnten.“

Ich verstehe es nicht.
Drei Jahre Kommunikationspsychologie und ich verstehe immer noch nicht, was an unseren Worten so anders ist, dass das daraus wird.
Wie aus „ich will nicht wie eine Schneeflocke behandelt werden“ wird, dass ich will, dass unsere Psychologin mehr von ihren Gefühlen zeigt.
Wie aus dem simplen Fakt, dass die Therapie uns nicht hilft, den wir aussprechen, damit sich vielleicht Dinge ändern können, wird, dass wir uns emotional distanzieren wollen. Distanzieren wovon? Von der Bindung, die nicht existiert? Die wir nicht aufbauen können, weil uns kein Raum gegeben wird, mal mehr zu fühlen als das absolute Minimum, weil wir nicht überfordert sein dürfen, weil Überforderung angeblich böse schlecht und traumatisch ist?

„Ich glaub, ich brauch eigentlich einen autistischen Psychologen“, sage ich. „Aber die behandeln vermutlich nicht DIS.“
„Neurotypische Kommunikation funktioniert eher so, Sie sagen A und ich frage, ob Sie X meinten, weil ich das verstanden habe, bis wir irgendwann bei dem A landen, das Sie meinten. Autistische Menschen machen das eher nicht so, Sie verstehen direkt A und reagieren dann darauf.“
In welchem Universum sie lebt, möchte ich gerne wissen. „Neurotypische Menschen verstehen B, wenn ich A sage und antworten mir dann auf B und dann muss ich in meinem Kopf aufdröseln, was da gerade schiefgelaufen ist. Und dann sag ich 'nein, das ist nicht, was ich meinte, ich meinte A' und dann fühlen sie sich manipuliert, weil ich ja eindeutig gerade B gesagt hatte und jetzt versuche ich plötzlich, etwas anderes zu behaupten. Autistische Menschen sind die Einzigen, die jemals nachfragen würden, weil sie die Einzigen sind, denen überhaupt in den Sinn kommt zu denken, dass sie vielleicht etwas falsch verstanden haben könnten, weil sie das so gewohnt sind.“

Ich wünschte, neurotypische Menschen würden mal nachfragen, was ich meine. Und nicht davon ausgehen, dass der einzige Weg, wie man Gefühle fühlen kann, Empathie ist. Wenn unsere Psychologin mir sagt, dass es sie verletzt, wenn ich ihr klar mache, dass ich Verhaltenstherapie brauche und ich mir unsicher bin, ob ich einfach für immer weiter suchen soll (Verhaltenstherapie und DIS gibt es irgendwie nicht) oder ob wir das irgendwie in die Psychoanalyse gequetscht bekommen, dann frage ich mich in erster Linie, ob sie mir eigentlich überhaupt zuhört. Warum wird mir nicht einfach auf meine Frage geantwortet?
Ach ja, weil jedes mal, wenn ich mit Verhaltenstherapie ankomme, vielleicht eine Stunde darauf eingegangen wird, bevor sich wieder irgendein Grund findet, warum das definitiv doch keine gute Idee ist. Wie zum Beispiel, dass ich dabei was gefühlt habe. So was wie Panik. Das geht ja nicht. Gefühle sind böse. BÖSE.
Dass ich mehr Panikattacken im Jahr habe als Therapiesitzungen ist egal - in der Therapie wird nicht gefühlt! Na ja, irgendwie schon, also, ich soll schon was fühlen, aber halt nicht so. Halt gemäßigter. Sonst ist das ja überfordernd und wir wissen ja alle, sobald man jemals überfordert wird, ist das voll traumatisierend. Deshalb hab ich regelmäßig Flashbacks von meinem alltäglichen Leben. /s

Ich hab keine Lust mehr auf diese Scheiße.
Es gibt einfach nichts Gutes an Therapie.

Und doch trotzdem, wenn ich andere Menschen von ihrer Therapie reden höre, wünsche ich mir das auch. Und wenn ich mich erinnere, an Blyth, vor 2015 und wie zum ersten mal in unserem Leben irgendjemand zugehört hat. Ich glaube nicht, dass Blyth jemals mitgefühlt hat. Aber es ging immer um Gefühle. Um mehr Fühlen. Selbstbestimmter Fühlen. Mehr Jetzt fühlen.
Es ging nie darum, nicht überfordert zu sein. Wir waren so überfordert, dass wir direkt nach zwei Wochen wieder weggerannt sind und er hat uns gehen lassen und alles, was er gesagt hat, war, dass wenn wir wiederkommen wollen, wir das dürfen.
Es ging unglaublich viel um Dürfen. Fühlen dürfen. Existieren dürfen. Platz und Raum und Zeit einnehmen dürfen.
Und ich glaube, dass er uns missbraucht hat, ist eigentlich gar nicht das Schlimmste. Es macht mir Angst, weil ich diesen Menschen, den ich liebe, nicht einschätzen kann, weil das einzig interessante an uns für ihn im Endeffekt die Frage war, wie sehr man einen Menschen kontrollieren kann. Das Schlimmste ist, dass wir etwas Gutes gefunden hatten und dann hat er es weggenommen. Und jede einzelne Therapiestunde bei jedem einzelnen Therapeuten erinnert mich daran, wie unglaublich selten es ist, gehört zu werden, wie unglaublich besonders 2014 war und jede Stunde erweckt mehr den Eindruck in mir, dass es das, was wir hatten, vielleicht in unserem Leben niemals wieder geben kann.

Montag, 18. April 2022

#92: Bachelor of Gaslighting

Disclaimer: das „ihr“ am Ende des Textes bezieht sich ausschließlich auf (Psycho)Therapeut*innen.

Vielleicht haben wir gar keine DIS,
denke ich manchmal, wenn ich mit anderen Systemen rede.
Wenn ich mit anderen Innenkindern rede, die denken, fühlen, sprechen wie ein tatsächliches Kind - während es bei uns ziemlich offensichtlich ist, dass die Innenkinder mit einem 25 Jahre alten Gehirn leben. Sie drücken sich vielleicht einfacher aus, haben eine kindlichere Tonlage, aber:
„Wir können alle Lesen und Schreiben und Sachen durch 3 teilen. Sachen durch 3 teilen ist überlebenswichtig für unser Leben. Aber das zu erklären ist kompliziert, also möchte ich nicht. Ich könnte bestimmt auch eine Kurvendiskussion machen, wenn ich wollte. Ich find, es klingt nur komisch, dass man Kurven diskutieren muss und dass das überhaupt was mit Zahlen zu tun hat. [...] Ich möchte lieber mit Plüschtieren kuscheln und Malbücher ausmalen und Pokemon schauen - die Erwachsenenserien mag ich einfach nicht. Und die Erwachsenensachen auch nicht.“

Unsere Therapeutin stellt uns irgendeine DIS-Theorie vor, nach der der Host sozusagen eine „Phobie“ vor den anderen Innenpersonen hat. Man lehnt es ab, mit diesen in Kontakt zu treten, weil man dadurch auch erfährt, was im eigenen Leben passiert ist, von all dem Trauma, das man erlebt hat.
Ich verneine. Das ist überhaupt nicht mein Erleben. Ich bin dankbar für jede Information, für jedes „ach deshalb ist das so; deshalb habe ich mit x Probleme“. Vor der Diagnose habe ich sehr oft gesagt, dass ich mich viel zu traumatisiert fühle für das bisschen Trauma, das ich erlebt habe.
Es passte einfach nicht zusammen.
Manchmal habe ich gesagt: „Ich will mich vergewaltigen lassen, damit ich endlich einen Grund haben kann, warum es mir so schlecht geht.“
Es gab nichts Negatives an der Diagnose.
Es gab nichts Negatives daran, dass ich Dinge erfahren habe.
Es hat plötzlich alles so unglaublich viel Sinn ergeben. Als hätte ich mein Leben lang etwas gesucht und es endlich gefunden.

Ich hab das erklärt.
Skye hat einen Text dazu geschrieben.
Ich habe es nochmal in Skyes Worten erklärt.

Und trotzdem, immer wieder, wurde es mir vorgeworfen: dass ich mich selbst anlüge. Wie bei einem Verhör musste ich immer wieder beteuern, dass ich Interesse daran habe, die innere Kommunikation zu verbessern.
Letztes mal wollte ich nicht mehr darüber reden und bin der Frage dazu ausgewichen. Das wurde angemerkt. Ein Beweis dafür, dass es stimmt, dass ich es in echt gar nicht will.
„Nein. Es ist nur einfach frustrierend, dass ich jedes mal, wenn ich irgendetwas sagen möchte, einen Essay schreiben und dann dreißig Stunden darüber reden muss, bevor mir geglaubt wird.“
„Hatten Sie das Gefühl, Sie mussten dieses mal einen Essay schreiben?“
„Ja. Ich rede seit einem halben Jahr darüber. Ich beantworte ständig dieselben Fragen. Aber geglaubt wird mir erst, wenn ich anfange zu weinen und es offensichtlich ist, dass es mir richtig schlecht geht damit; es reicht nie, wenn ich einfach nur etwas sage.“

Ich wollte so sehr. Mich nicht mehr so verdammt alleine auf dieser Welt fühlen.
Wir haben versucht, andere Systeme kennenzulernen. Aber es wird immer wieder so verdammt offensichtlich. Dass gefühlt jeder viel näher an dem Bild ist, dass Therapeut*innen von Systemen haben als auch nur ansatzweise nahe unserer Erfahrungswelt.
Es fühlt sich an wie Gaslighting. Mit schlechteren Bedingungen, würde ich nur noch die ganze Zeit mich fragen, ob ich es vielleicht einfach nicht erklärt habe. Ob ich mich falsch erinnere, nie etwas gesagt habe, es vielleicht erklären wollte, aber dann eben doch nichts gesagt habe; ob ich mir die DIS ausgedacht habe; ob ich mir mein Leben ausgedacht habe. Zum Glück schicke ich ruru oft nach der Therapie eine Sprachnachricht, wo ich erzähle, wenn ich etwas erklärt habe und was die Therapeutin dazu gesagt hat. Zum Glück schreibe ich an vielen Tagen auf, was an dem Tag passiert ist. Zum Glück haben wir vor einigen Wochen angefangen aufzuschreiben, worüber wir in der Therapie reden [among other things].
Wir können uns selbst beweisen, was wir versucht haben.

Ich habe keine Lust mehr auf DIS-Therapeut*innen.
Am Anfang unserer Therapiesuche haben wir jede*n Therapeut*in gefragt, ob si*er sich mit der DIS auskennt. Die meisten haben Nein gesagt. Bei den anderen hatten wir Vorgespräche oder standen auf Wartelisten.
Inzwischen möchte ich sagen: „Bitte, wenn Sie 'Ahnung von der DIS' haben, behandeln Sie uns nicht. Das Wissen, was Sie haben, ist kompletter Müll. Es betrifft uns nicht. Ich möchte nicht all meine Zeit damit verbringen, gegen Ihre Vorstellungen anzureden, wenn wir auch einfach jemanden finden könnten, der uns glaubt.“

Im UKE wurde uns damals gesagt, wir sollen uns stationär aufnehmen lassen, um unsere Diagnose zu bestätigen. Warum?
„Weil man Sie dann über einen längeren Zeitraum beobachten kann.“
Dass wir uns geweigert haben, fühlt sich fast an wie ein Zugeständnis dazu, sich alles nur auszudenken. Terrified, irgendjemand könnte uns unsere Diagnose wieder wegnehmen, weil wir zu unauffällig sind. Man sollte den Gedanken entertainen können, dass es nicht stimmt.
Aber ich werde nicht.
Weil es so unglaublich arrogant ist zu denken, man könnte uns ein paar Wochen lang beobachten und wüsste besser über uns Bescheid, als wir selbst. Uns hat nie irgendjemand zugehört. Immer, wenn wir versucht haben, Dinge - die im Nachhinein betrachtet klar Symptome von Dissoziation/der DIS sind - zu beschreiben, wurde uns gesagt, das wären „normale Erlebnisse, die jeder Mensch hat“.
Und dann sind wir endlich angekommen.
Und plötzlich wollte man uns angeblich zuhören.
Aber wenn wir in Therapie gehen, tut es ja auch niemand.
Ich muss ein halbes Jahr erklären, dass ich keine Angst vor Informationen zu Gefühlen habe, die ich ohnehin schon fühle. Erklären und erklären, dass es mein Leben nicht schlimmer macht von Kinderpornographieringen und Blyth, Blyth, Blyth zu wissen, sondern besser, weil ich mich mein Leben lang davor nur gefragt habe, warum, und keine Antwort hatte. Und am Ende ist es trotzdem nicht genug. Am Ende muss ich weinen und schreien, um gehört zu werden.
Aber ich will nicht mehr Weinen und Schreien.
Weil ich nicht muss. Ich hätte von Anfang an nie müssen sollen.
Von Anfang an hätte man uns einfach zuhören können.
Von Anfang an hätte man uns einfach glauben können.
Von Anfang an hätte man einfach akzeptieren können, dass wir uns selbst kennen und nein, natürlich nicht perfekt, natürlich haben wir Missverständnisse oder erinnern uns falsch, aber in jedem Fall, in jedem einzelnen fiktiven Szenario auf diesem ganzen Planeten, hätten wir immer noch mehr Ahnung von uns selbst als irgendeine fremde Person es jemals haben könnte, selbst wenn wir Amnesie haben und unter ihren Augen eingesperrt wären.
Es wäre so einfach gewesen, uns einfach nur zu glauben.
Dass es nicht passiert ist, entstand aus derselben Arroganz, aus der unser Erleben jetzt nicht valide sein kann, bevor es nicht von irgendjemandem, der studiert hat, bestätigt wurde.
Ich scheiße auf euer Gaslighting-Diplom. Bachelor of Manipulation.
Ihr seid alle nicht anders als Blyth.
But go on.
Redet euch ein ihr würdet helfen, weil ihr nicht unseren Körper sondern nur unsere Gedanken fickt.
*

Mittwoch, 2. Februar 2022

#90: Überforderung ist wichtig

Alle Psychologen sind immer furchtbar bedacht darauf, dass niemand bloß jemals überfordert wird. Überfordert sein ist schlimm. Überfordert sein ist Trauma. Wir reden nicht hierdrüber oder da drüber, das könnte alles überfordernd sein und hier sind Übungen, hier sind Ressourcen gegen Stress; bloß nie, nie, nie, nie, nie wieder Überforderung. Es kommt mir vor wie ein verdammter Witz. Mein ganzes Leben ist überfordernd. Wenn ich nie wieder Überforderung will, muss ich Suizid begehen. Daran wird keine kleine Stunde Gespräch pro Woche irgendwas ändern. Dass ich überfordert bin, ist nicht das verdammte Problem.
Das Problem ist, dass unser Gehirn hundertausende Male in traumatischen Situationen überfordert war und jetzt denkt, überfordert sein heißt, dass gleich etwas GanzSchlimmes passiert. Aber wenn wir dann einfach für immer machen, dass wir nicht überfordert sind, wie soll unser Gehirn dann genau lernen, dass Überforderung nicht gleich GanzSchlimmeDinge ist? Es macht überhaupt keinen Sinn. Da beschweren sich Psychologen immer über etwaiges Vermeidungsverhalten und dann machen sie es selber.
Es kann mir auch niemand sagen, wenn ich nur genug Stressbewältigungsstrategien habe, dass ich nie wieder überfordert sein werde. Das ist nicht wie die Welt funktioniert. Das ist nicht wie Leben funktioniert. Und dass wir alleine so viel Fortschritte in unserer Traumaverarbeitung machen, liegt ganz bestimmt nicht daran, dass wir uns von jeglicher Überforderung fernhalten und bloß nie wieder zu viel fühlen; sonst hätten wir keine Freundschaften, wir hätten keine Beziehung, keine Therapie, kein gar nichts, wir würden einsam und alleine in unserer Wohnung sitzen und traurig sein und selbst dann wären wir noch überfordert, weil wir alle drei Monate zum Arzt müssen und Untersuchungen machen, die uns triggern.  Also könnten wir nicht zum Arzt gehen. Ziemlich sicher, das wäre auch eine Form von Suizid.

Ich fühl mich wie ein verdammtes Schneeflöckchen (behandelt). Ich darf schon wieder nichts fühlen. Fühlen ist schlecht. Fühlen ist Trauma. Und wenn wir Trauma besiegen wollen, dann beinhaltet das, dass wir ein „normales“ Level von Fühlen erreichen. Ich will kein scheiß „normales Level von Fühlen“. Ich mag mich wie ich bin. Mit Gefühlsvielfalt. Gefühls(zu)vielheit. Ja, das ist überfordernd. Die Lösung ist nicht BloßNieWieder überfordert zu sein.

Wenn wir überfordert sind, denkt unser Gehirn, es passiert jetzt EtwasGanzSchlimmes. Also was denken die, was passiert, wenn dann nichts Schlimmes passiert? Wenn sogar was Gutes passiert? Wenn plötzlich jemand da ist, den es kümmert, der versucht, irgendwie zu helfen, der sofort aufhört mit WasAuchImmer? Klar, beim ersten mal denkt man vielleicht so „hm, seltsam, das war bestimmt eine Ausnahme oder die Person hat das nur gemacht, damit sie mich am Ende noch mehr verletzen kann“ oder oder oder, aber nach drei Jahren sieht das schon anders aus. Und natürlich kann man dreizehn Jahre Trauma nicht mit drei Jahren überschreiben, in denen man gut behandelt wurde. Aber es hilft. Überfordert sein hilft. Man muss sich „nur“ ein Umfeld schaffen, in dem es aufgefangen wird (ich weiß selbst, wie verdammt schwierig das ist, so was zu finden).

Ich versteh diese ganze „Traumaarbeit“ nicht. Vielleicht ist es einfach nichts für mich. Es geht die ganze Zeit so sehr um Sicherheit; also könnte das Leben jemals sicher sein. Es ist nicht sicher. Ich will damit umgehen, nicht in irgendeiner Fantasiewelt leben.
Ich versteh Therapie nicht.
Ich hab das Gefühl, ich lebe in einer komplett anderen Welt als alle anderen Menschen, die in Therapie gehen.