Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Mittwoch, 28. Dezember 2022

#129: from the embers

Ich will nicht diese Person sein, die schon wieder missbraucht wurde. Ich hab mir so viel eingeredet, dass es wieder anders wird, nach dem Krankenhaus, wenn wir nur reden, wenn ich nur zu dir fahre. Es war 2015 all over again. Ich will da nie wieder sein und gleichzeitig weiß ich doch selber, dass man sich wirklich aufgrund von Ausnahmesituationen so verhalten kann. Es hätte doch wirklich sein können, dass es besser wird, wenn -- aber dann war ich vier Wochen bei dir und hab mich kaputtgemacht für die Chance darauf.
Ich will jemand sein, der sagen kann: „Komm zurück, wenn du es wieder schaffst, mich wie einen Menschen zu behandeln.“
Wütend genug, dass ich es nie wieder kleinrede für dich.
Aber ich verstehe nicht, was für eine Art Mensch das ist.
Ich sehe sie nicht, die Grenze zwischen gemein und berechtigterweise wütend reagieren. Ich verstehe sie nicht. Jede nicht freundliche Reaktion von mir selber sehe ich als böse an, selbst wenn das nicht die Rückmeldung ist, die ich bekomme.

Ich denke so sehr, dass ich Menschen verstehe und sie überraschen mich, wenn sie nicht das Schlimmste von mir denken. Aber es war nur ein Zufall. Die Menschen hier sind einfach besonders nett. Es ist nicht, was meine Erfahrung sagt, es ist nicht, was meine Erfahrung sagt, es ist nicht, was meine Erfahrung sagt, und wütend reagieren bringt einen nie weiter, weil die Person, auf die man wütend ist, einen ohnehin nie ernstnehmen wird.
Aber vielleicht ist es ja wichtig für mich laut zu sein. Zumindest habe ich etwas gesagt, vielleicht denkt die Person darüber nach, auch wenn sie es mir niemals sagen wird, vielleicht hab ich mir auch einfach nur selbst gesagt, dass ich mich nicht wie einen Fußabtreter behandeln lasse.

Man kann Trauma als Waffe verwenden, manchmal. Manchmal kann man es im genau richtigen Moment in den Raum werfen, um zu sehen, wie sich jemand unglaublich schämt oder schuldig fühlt dafür, dass er sich gerade unflauschig verhalten hat.
Es ist mit Sicherheit nicht flauschig.
Manchmal eine Missbrauchstaktik.
Und ich versuche, herauszufinden, ob es jemals überhaupt angemessen ist. Und was 'angemessen' überhaupt ist.
Ob ich einfach zurückschlagen darf, wenn ich nur kann.
Und auf einen Moment hinarbeiten, an dem ich nicht mehr Angst habe davor.

Ich hab mich nie getraut, irgendetwas zu sagen. Jedenfalls nicht, solange ich nicht wusste, ob ich maximal sicher stand. Und irgendwann habe ich es ein klein wenig gelernt, nur ein winziges Bisschen, jemandem zu sagen, dass ich sein Verhalten nicht gut finde, dass ich ihn aufdringlich finde, dass ich nichts mit ihm zu tun haben möchte. Damals wurde mir gesagt, dass ich plötzlich so unflauschig geworden bin. Menschen sind gegangen. Und ich hab bis heute nicht daran geglaubt, wieder dieselbe KonfliktUmJedenPreisVerhindernde Person sein zu müssen.

Ich glaube auch jetzt nicht dran.
Aber ich bin trotzdem verloren.
Weil ich einfach nicht weiß wie Konflikte jemals gesund aussehen sollen. Und es auch nicht verstehe. Warum Menschen manchmal unflauschig sind, einfach so.
"Vielleicht hatten sie einen schlechten Tag", wird mir immer gesagt. Aber ich hatte ein schlechtes Leben und sogar als ich zu der Person, die meinen besten Freund bedroht hat, dass sie ihn umbringt, unflauschig war, hab ich mich schuldig gefühlt.
Eine richtige Erklärung ist es irgendwie nicht.

Montag, 19. Dezember 2022

#128: Why do I run back to you like I don't mind if you fuck up my life?

Ich vermisse dich, schon wieder. Ich weiß nicht mal genau warum, habe Juni noch so sehr vor Augen - wie du jedes meiner Probleme ignoriert hast, mich angelogen hast, alles, was du gesagt hast, manipulativ war. Ich frage mich, ob es jemals überhaupt anders war, vermutlich nicht, ich weiß noch, früher hast du mir auch oft nicht geantwortet, du hast keine Zeit, das weiß ich, vielleicht fiel es mir einfach erst jetzt auf, dass es immer dann ist. Warum dann? Was vermisse ich, was hast du mir gegeben, das mir immer noch fehlt?
Vielleicht irgendwie ein Zuhause, vielleicht irgendwie das Gefühl von Familie, was auch immer das ist, ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur, dass ich es niemals haben werde. Ich kann nicht mal verstehen, dass es Eltern gibt, die angeblich ihre Kinder gut behandeln. Du hast mir das weggenommen. Ich war damals so neidisch auf Rin, wie du sie behandelt hast, aber ich kann nie wieder wissen, ob du sie nicht insgeheim auch nur missbrauchst.
Dass ich mir ernsthaft Adoptionsgesetze durchgelesen habe, wegen dir. Dass ich ernsthaft nie verstanden habe, auf wie vielen Ebenen es so falsch war, als du eine Beziehung mit mir angefangen hast. Ich glaube, ich werde das nie zusammenbringen.
Ich hab überlegt zu sterben, wegen dir, ich hab überlegt mich zu verkaufen wegen dir, ich hab überlegt und überlegt und ich finde nichts, das es jemals wert gewesen wäre bei dir zu sein, nur warum kann ich dann nicht gehen? Warum hält mich alleine die Gewissheit darüber wie übergriffig es eigentlich ist, immer wieder zu gehen und zurückzukommen und zu gehen und zurückzukommen und doch wieder zu gehen, fern von dir? Die Scham darüber, was ich dir überhaupt schreiben sollte, nachdem ich dich schon wieder blockiert habe. Denn entschuldigen kann ich mich nicht.
Es ist so absurd.
Warum zur Hölle will ich zurück zu dir, wenn ich mich nicht mal entschuldigen kann dafür, dass ich dir vorgeworfen habe, dass du mich missbraucht hast, weil ich so sehr weiß, dass es wahr ist?

ruru fährt nach Weihnachten zu seiner Familie und du bist da, wo ich bald hinziehe, und ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben auf diese Weise alleine, weil ich keine Familie hatte und dann hatte ich dich und du hast mich vergewaltigt und ich werde nie wieder irgendwo so sehr hingehören.

Freitag, 2. Dezember 2022

127

Ich musste heute an Oktober denken. Es ging mir da gut.
Na ja. Irgendwie auch nicht. Ich hatte Depressionen. Aber im Vergleich zu jetzt. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte nicht die Welt anzünden. Ich wollte nicht
dich
brennen sehen.
Meine Paranoia sagt mir, dass du jedem erzählst, was ich „gemacht“ habe. Vielleicht nicht namentlich, aber sobald irgendjemand erfährt, dass wir mal zusammen waren, lebe ich in der Hölle. Die Realität ist, scheinbar, dass das nicht passiert, wurde mir gesagt. Die Realität ist auch, dass ich wünschte, ich könnte mich der Welt mitteilen,
was du gemacht hast,
was Blyth gemacht hat,
ich wünschte, es wäre mir egal,
jedes Mal, wenn ich Menschen sehe, die ihre Bedürfnisse erfüllen ohne den Rest der Welt mit einem Blick zu würdigen, wünschte ich, ich könnte nur ein wenig mehr so sein,
Menschen nur ein wenig mehr hassen,
ein bisschen weniger mich selber.
Ich habe das noch nie erlebt. Wenn ich in den Spiegel schaue, habe ich das Bedürfnis, mir die Augen auszukratzen, ein Messer in mich zu rammen, so abscheulich, abscheulich, abscheulich, ich hab dich angefasst, freiwillig, ich wurde nicht vergewaltigt,
schwanke zwischen Selbsthass, Selbsthass, Selbsthass, bis die Welt verstummt und ich nichts mehr finde außer Schreie,
ich hasse dich, „ich hasse ihn“, „ich will sein Leben zerstören“. Manchmal denke ich, ich könnte. Ich hab dich nicht „emotional vergewaltigt“, aber ich könnte.
Aber mein Leben ist schon kaputt und ich kann es nicht reparieren by dragging you down with me.

Dienstag, 29. November 2022

126

avis.
Bei all dem Denken und Denken darüber, ob ich mich missbräuchlich verhalten habe, fällst mir immer nur du ein.
2013 bist du gegangen und ich dachte: ich hab doch nichts gemacht, warum verlässt du mich dann, warum nimmst du mir weg, was mich glücklich macht? Aber - „wenn jemand gehen will, darf er gehen. Ich muss nicht die Welt dafür in Brand gesteckt haben“. Du hast mir nichts weggenommen. Du hattest einfach ein Leben, zu dem ich nicht mehr gehörte. Und warst für mich nur noch ein Objekt - so hab ich dich behandelt. Mein Antidepressivum; wenn ich dich hätte, wäre alles wieder gut.
Ich weiß nicht, ob ich 2013 irgendetwas gemacht habe, weswegen du gegangen bist und ich glaube, im Endeffekt ist es auch egal. Denn danach habe ich dir die Verantwortung für mein Leben hinterhergeschmissen. Ich hab nie gesagt, dass ich mich umbringe, wenn du gehst, but I might as well have said that. I sure as hell made it seem that way.
Das habe ich irgendwann letztes Jahr verstanden. Nie ausgesprochen, weil, warum, es ist fünf Jahre her, ich weiß nicht mal, wie du es wahrnimmst oder ob du überhaupt daran denkst. Es wäre nur für mich gewesen und du schon wieder nicht wichtig.
Aber ich hab das Gefühl, zu sagen, dass ich „nichts“ gemacht habe, dass ich niemanden missbraucht habe, übergeht dich. Und das hat auch niemand verdient.

Mittwoch, 23. November 2022

#125: you knew you knew you knew

Es frisst mich auf. Ich hab Flashbacks von Sachen, die nicht mal traumatisch waren, jede sexuelle Interaktion zwischen uns als hätte ich sie nie gewollt, fühle mich eklig, beschmutzt, violated. Meine Psychologin sagt, ich muss mir sicher in meiner Wahrheit werden, wie geht so was, wenn ich weiß, so sehr weiß, dass Menschen alles Schlechteste über mich denken, dass, wenn du sagst, ich hab dich missbraucht, dir jeder glauben wird und ich bin deine gestörte Ex, die alles umdreht, weil ich's nicht sehe und
es ist so egal, dass ich's nicht sehe, weil ich unabhängig davon, ob ich wirklich was gemacht habe oder nicht der schlimmste Mensch auf dem Planeten bin,

„es gab Fehler auf beiden Seiten“, du hast mich wie ein Objekt behandelt,
„emotionale Vergewaltigung“, dass ich es nicht mehr mitmachen wollte, obwohl du fast gestorben bist,
es ist mir scheiß egal, dass du fast gestorben bist, ich verdiene das nicht,
niemand verdient das.
Betonung auf meinem Egoismus als wäre es die Definition von heilig sich selbst aufzugeben, „wenn du dir aussuchen könntest, ob du stirbst oder tausend random Menschen“, Definition von Egoismus, dass ich in jedem Fall mich selbst rette, „mit dieser Haltung ist es einfach jemanden zu missbrauchen“,
ICH STAND VOR DIESER WAHL MEHRMALS IN MEINEM LEBEN, HOW FUCKING DARE YOU,
weißt du, wie viel Arbeit es gewesen sein muss, dass ich mich NICHT schlecht fühle, dass ich es JEDERZEIT WIEDER so entscheiden würde, weißt du, wie viele Innenkinder das Gefühl haben, dass sie böse sind deswegen,
NEIN, WEIẞT DU NICHT, WEIL DIE BLOẞE EXISTENZ VON INNENKINDERN DICH ÜBERFORDERT

Ich möchte mich übergeben, es ist so kaputt, es fällt mir immer mehr auf.

Montag, 21. November 2022

#124: eine Sammlung von Notizen

Ich wollte die Kontaktpause, weil ich dachte: vielleicht war es so, dass, dass du mich in den zwei Wochen ums Krankenhaus rum absolut beschissen behandelt hast und ich dadurch auch Depressionen bekomme habe, dazu geführt hat, dass ich alles, was du gesagt hast, irgendwie negativ interpretiert habe und dir dann mit jedem mal, wo etwas passiert ist, mehr misstraut habe, wodurch ich noch mehr negativ interpretiert habe, weshalb es immer weiter eskaliert ist.
Danach hatte ich mit jedem Tag mehr das Gefühl, klarer darüber nachzudenken zu können. Und landete trotzdem jedes mal bei dem Schluss: das ist Missbrauch. Na ja, vielleicht nicht ganz, irgendwie denke ich, Missbrauch ist etwas erst dann, wenn die betroffene Person genug „gebrochen“ wurde, dass sie Dinge mitmacht, die sie eigentlich gar nicht will. An dem Punkt war ich noch nicht. Aber das Verhalten an sich war missbräuchlich. Ich wäre dort gelandet.
Und ich denke immer noch, dass das Verhalten nicht mit Absicht passiert ist. Ich kenne die Verzweiflung, in der man sich befindet, wenn man sehr doll getriggert ist. Ich habe in solchen Situationen selbst schon Dinge gemacht, die ich als missbräuchlich bezeichnen würde.
Aber dann sehe ich doch wieder, dass das, was ich als „manipulatives Verhalten“ bezeichnet habe, subtiler geworden ist, nachdem ich es angesprochen hatte. Subtiler, damit man es weniger bemerkt, subtiler, damit man eher manipuliert wird. Es hat also offensichtlich irgendeine Art von Reflexion stattgefunden - und das Ergebnis war nicht gut.

Irgendwann, wo ich bei dir war, haben wir mal über ein Problem geredet, dass wir beide hatten und ich habe im Prinzip mit „aber bei mir ist das Problem schlimmer“ reagiert. Darüber habe ich viel nachgedacht - warum das meine Reaktion war. Weil es scheiße war und ich mich nicht erinnern kann, das sonst schon einmal gemacht zu haben. Und mir fiel auf, es war gar nicht so, dass ich tatsächlich der Meinung war, dass mein Problem schlimmer ist, sondern ich wollte unbedingt darüber reden. Und hatte das Gefühl, du nimmst mir das weg durch das Ansprechen deines Problems, also musste ich „beweisen“, dass eins schlimmer ist, damit es wichtiger sein kann in der Situation.
Und natürlich ist es vollkommen egal, wer jetzt das schlimmere Problem hat. Ich hätte stattdessen sagen sollen: „Okay, aber können wir trotzdem einfach über mein Problem reden?“
Es spielt trotzdem in eine andere Sache rein: ich fühlte mich oft überhaupt nicht gesehen. Wenn es mir schlecht ging, warst du meistens überfordert; wenn ich ein Problem hatte, hattest du auch eins - das Problem ist nicht, dass du schlimme Probleme hast, sondern dass du immer sagst „ich auch“. Es ging ständig um dich.
Als ich gesagt habe, dass ich nicht zu dir fahren kann, weil ich Depressionen habe; weil ich Hilfe brauche, die du mir nicht geben kannst, konntest du das überhaupt nicht akzeptieren, hast nur immer wieder betont: doch, du kannst mir helfen. Aber wie soll das stimmen, wenn du schon im August 50% der Zeit überfordert warst, wenn es mir schlecht ging, wo es nicht mal ein Großteil der Zeit war? Ich hatte kein Problem damit, dass du es nicht kannst - dann fahre ich eben wann anders zu dir. Aber obwohl es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wahr gewesen wäre, hast du meine Bedenken komplett dismissed.

Dismissive -- In 90% der Fälle, wo ich etwas angesprochen habe, hast du darüber geredet, wie sehr dich meine Formulierung verletzt. Dafür gibt es einen eigenen Begriff, Tone Policing. Das hast du in deiner Nachricht sogar selbst erwähnt.
Natürlich ist es nicht komplett egal, was ich sage, aber ich hab dich nie beleidigt oder schlechtgeredet, einfach nur Worte gefunden für dein Verhalten und dann zu erwarten, dass ich das „netter“ formuliere, damit du es am besten aufnehmen kannst -- es geht nicht um dich. Aber da haben wir es wieder, dass es ständig nur um dich ging.

Ich glaube, ich hätte es wissen sollen, als ich zu dir meinte, du kannst nicht sagen, dass du uns lieb hast, weil du 90% des Systems nicht kennst, und du darauf bestanden hast, dass du es trotzdem sagen kannst. Du hast es danach noch manchmal aus Versehen gesagt - weil du nur mir zuliebe damit aufgehört hast. Weil es für dich nie einen Sinn ergeben hat und nur ein Fall war von „sie möchte es nicht, also tue ich es nicht“. Aber das Problem dahinter hast du nie gesehen. Es war immer noch übergriffig.

Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr habe ich das Gefühl, dass du mich nie geliebt hast, sondern eine Idee von mir, die du in [Rehaklinik] und den zwei Monaten danach entwickelt hast. Jemand mit extrem viel Zeit, der immer für dich da ist und immer ganz viel Verständnis hat.
Dann kam der Zeitpunkt, wo klar wurde, dass ich nicht genau das bin. Dass ich ein eigenes Leben habe, dass auch progressiv mehr Zeit in Anspruch nehmen wird, weil ich eine Ausbildung machen und arbeiten möchte. Verständnis habe ich zwar, aber Grenzen ebenso. Ich lasse mich nicht zwei Wochen lang scheiße behandeln, selbst wenn ich an sich Verständnis für die belastende Situation habe. Und anstatt dich damit auseinander zu setzen, dass ich wohl doch nicht so ganz die Person bin, für die du mich gehalten hast, hast du versucht, mich zu dieser Person zu machen.

Samstag, 19. November 2022

#123: von lilablau zu monochrom

Zum ersten Mal seit vier Jahren habe ich Suizidgedanken.
Das quälende Gefühl, dass ich mich scheiße verhalte gegenüber Menschen und mir niemand was sagt. Dass ich es selber nicht merke. Dass ich, tief in mir drin, genauso bin wie Blyth oder Ray. Ich finde keine Worte dagegen.
Was du gesagt hast, was ich gemacht habe, habe ich nie, denke ich. Und dann wieder, vielleicht merke ich es wirklich nicht. Und ich rede mit Menschen über Menschen, damit mir endlich irgendjemand den Fehler erklärt, aber niemand sagt irgendetwas. Nur ich wurde missbraucht ich wurde missbraucht ich wurde missbraucht und dass du es jetzt umdrehst, ist eine Lüge.

Während ich versuche das zu verarbeiten, erzählt Blyth Menschen, dass ich geistig verwirrt bin und man mir nicht trauen kann.
Ich bin hilflos. Ich kann gar nichts. Jede einzelne Sache, die ich mir erarbeitet habe, zerschellt vor meinen Füßen.

Dienstag, 15. November 2022

#122: I do not want to be afraid. I do not want to die inside just to breathe in.

Ich habe ein Problem. Ich binde mich zu schnell an Menschen, empfinde viel, zu viel zu viel, baue meine Welt auf Versprechungen, die ich mir selber gebe, als würde ich wissen, dass diese Person, genau diese Person, für immer bleibt. Ich hab dir die Welt versprochen und ein Leben mit mir, weil das alles war, was ich wollte, ein wenig aus den Augen verloren, dass es einen anderen Teil meines Lebens gibt, der mir auch wichtig ist, wollte Meer.
Und bin an den Klippen, die du zwischen uns gebaut hast, zerschellt.
Ich hab zu oft nicht auf meine eigenen Bedürfnisse geachtet, zu oft mit dir über deine Verletzungen telefoniert, wenn ich selbst verletzt war, zu sehr gegeben, was ich nicht konnte, bis irgendetwas in mir zerbrochen ist und ich am falschen Tag, an einem viel zu späten Zeitpunkt, dir meine Gefühle vor dein Leben geworfen habe.
Ja. Das waren alles Fehler.
Aber Missbrauch war es nicht.
Ich hab dich nicht emotional vergewaltigt. Ich hab dich nicht in eine Position gebracht, in der du nichts richtig machen konntest. Ich hab angesprochen, dass du mich wie einen Gegenstand behandelst und ich mehr verdiene als das. Dann habe ich gewartet, wieder Mensch sein zu dürfen und bin gegangen, als das weniger schnell eingetreten ist als sich mein Leben zerbrochen angefühlt hat.

Trotzdem denke ich darüber nach, ständig, jeden Tag. Ich kann mir psychologisch erklären, wie du dich so dermaßen verletzt fühlen kannst, ohne dass ich tatsächlich etwas so Gravierendes falsch gemacht habe. Trotzdem bleibt in mir das nagende Gefühl, dass ich doch vielleicht einfach wie Ray bin: ich hab niemanden missbraucht, ich bin flauschig, du alleine bist Täter.
Ich rede darüber, die ganze Zeit. Es verlässt meine Gedanken nicht. Ich rede mit ruru und er sagt, dass alles, was du sagst, nur mehr Manipulation ist. Ich rede mit anderen Menschen und jeder sagt mir, dass ich eine der flauschigsten Personen in deren Leben bin. Ich rede mit meiner Psychologin und sie spricht jeden Gedanken aus, den ich habe: dass du jemanden gesucht hast, der alles für dich aufgibt, bei dem du nichts falsch machen kannst. „Aber dafür sind Eltern da und kein Beziehungspartner.“
Sie fragt mich nach deiner Version der Geschichte. Ich habe dich ausgenutzt, erst für deine sozialen Fähigkeiten, weil es mir schwer fiel, mich in eine Gruppe zu integrieren und du mir geholfen hast, dann für eine Beziehungspause mit ruru und dann, als du nicht mehr nützlich warst, weil du plötzlich eigene Probleme hattest, habe ich dich einfach weggeworfen.
Ich verstehe den Teil mit der Beziehungspause immer noch nicht. Ich hab die Beziehung beendet. Ich hab die Beziehung beendet, direkt im Juli, direkt nach der Reha, und es kann doch nicht sein, dass ich dir das nicht gesagt habe, wir haben jeden Tag stundenlang telefoniert, es kann doch nicht sein, dass ich dir nicht erzählt habe, das ich das Beste, was meinem Leben passiert ist, beendet habe. Ich dachte kurz, vielleicht habe ich „Kontaktpause“ gesagt und du hast mich falsch verstanden, aber es war keine Kontaktpause, wir haben telefoniert, wir haben geschrieben, ich hab dir davon erzählt - warum sollte ich das gesagt haben?
Sie sagt, der erste Teil hat einen Anteil an Wahrheit, weil man sich in Freundschaften grundsätzlich gegenseitig nutzt - nicht ausnutzt. Man nimmt und man gibt. Die letzten zwei Teile wären schlichtweg Lügen. Ich denke, vielleicht war der Teil mit der Beziehungspause ja ein Missverständnis. Aber wie soll ein Missverständnis darüber entstehen, dass ich mein komplettes Leben verändert und meine vierjährige Beziehung beendet habe? Wir haben doch sogar eine Zukunft geplant. Darin wäre ruru doch vorgekommen, wenn wir immer noch zusammen gewesen wären. Ich verstehe es einfach nicht.

Ich möchte dir antworten, immer wieder. Was ich alles nicht verstehe, was falsch ist, was du meinst, was ich gemacht habe, aber es bringt nichts, wir würden uns nur wieder und wieder im Kreis drehen.

Ich schlafe nicht mehr und ich glaube, ich werde krank, aber vielleicht ist das auch nur die Dissoziation, die mich einnimmt. Ich wollte heute morgen sterben und ich weiß nicht mal mehr wieso, oder dachte ich, wenn noch etwas bestimmtes passiert, will ich nicht mehr leben, oder ist das schon Tage oder Wochen her und ich musste nur daran denken? Es gab den Gedanken eine Tasche zu packen und in die Psychiatrie zu fahren, irgendwann, vielleicht bin ich einfach nur müde.

Du verstehst den Unterschied zwischen Verantwortung und etwas ausgelöst haben nicht. Meine Therapeutin sagt, das geht in beide Richtungen. Du  verstehst nicht, dass du ausgelöst haben kannst, dass ich wieder Depressionen habe, ohne verantwortlich dafür zu sein, dass sie weggehen. Du verstehst auch nicht, wie ich der Auslöser dafür sein kann, dass du retraumatisiert bist, ohne verantwortlich dafür zu sein, deine Flashbacks aufzulösen.
Ich habe Depressionen. Das ist nicht dein Problem. Dein Problem ist, dass du Menschen wie Gegenstände behandeln kannst ohne es zu merken.

Montag, 14. November 2022

#121: Andere Welten

Die Welt zerbricht vor meinen Augen.

Du bist nicht Blyth.
Blyth hat angefangen, jeder Person die es hören will, zu erzählen, dass wir geistig verwirrt sind und man uns nicht glauben kann, jedenfalls nicht so richtig.
Du hast mir nur dasselbe Gefühl von Machtlosigkeit gegeben.

Meine erste Reaktion wäre richtig gewesen: gar nichts mehr dazu zu sagen. Dann habe ich mich doch hingesetzt, dir eine Chance gegeben, um erneut meine Worte im Mund umgedreht zu bekommen.
Ich möchte schreien.
Ich habe keine Worte mehr.

Blyths Reaktionen waren immer auf eine Nachricht, die ich gar nicht geschrieben, Dinge, die ich niemals gedacht habe. Er hat sie als wahr angenommen, um mich glauben zu lassen, dass ich einfach schlecht erklären kann, dass es an mir liegt, dass er mein Nein nicht versteht, weil ich es nicht deutlich genug gesagt habe. „Kryptisch“ hat er meine Ausdrucksweise immer genannt.
Ich lege dir Worte hin und du zertrittst sie. Alles, auf das ich eingehe, hast du nie gesagt. Allem, was ich sage, wird entgegnet mit Worten, die meine nie gesehen haben.

„Ich erlebe Sie als unglaublich selbstreflektiert“, sagt meine Psychologin. „Wenn Sie sich [missbräuchlich] verhalten würden, würden Sie es merken, spätestens wenn es Ihnen jemand mitteilt.“
Ich trage diese Worte in meinem Herzen.
In unseren dunkelsten Momenten verhalten wir uns missbräuchlich, ja, aber das hast du nie gesehen. Da waren wir nie.

Ich will dir immer noch antworten. Will jedes deiner abscheulichen Worte nehmen und mich richtigstellen, nur einmal noch, bis du es verstehst. Selbst hier gibt es Worte, die ich einfach nicht so stehen lassen will. Aber ich kenne diese Situation, ich weiß, wie sie weitergehen würde - Tag für Tag würde ich eine lange Nachricht schreiben, deren Worte du nur doch wieder verdrehst. Ich wäre gefangen in diesem Gefühl von Machtlosigkeit. Immer wieder aufs Neue.

Montag, 31. Oktober 2022

The second comes, I'll pack and run -
yes, I'll forgive you but I won't trust.

Decisions have repercussions
and your wickedness brings destruction.
No, I don't wanna let you go, but I
can't heal this broken home.
You've taken my self-assurance,
feeling like all that I am is worthless.
Oh, I wanna let you in but you
can't hurt us like you did.

Dienstag, 25. Oktober 2022

#120: It's my sanity and happiness, it's not fucking about you.

Deine Schwester wirft mir vor, dass ich dich nicht repariere. Als wären wir beide Gegenstände, als könnte man Probleme auflösen, wenn man es einfach nur genug will. Du hast Depressionen, seitdem ich weg bin und ich hab das doch verursacht, also muss ich es auch lösen, ich bin schließlich Schuld und was sollst du überhaupt Schlimmes gemacht haben? Ich spreche es aus und was fällt mir eigentlich ein, so etwas zu sagen, du hättest nie etwas Negatives über mich gesagt.
„Du tust als wäre er der böseste Mensch auf der Erde.“
Ich frage mich, wie wenig Scheiße man in seinem Leben haben muss, dass „er hat mich scheiße behandelt“ nach der schlimmsten Person der Welt klingt. Aber sie ist 14, I guess, und normalerweise werden Kinder nicht vergewaltigt.
Ich bin nicht normalerweise und wenn man mir nur ein paar Worte in den Mund legt, zerbricht meine Selbstwahrnehmung. Unsere Psychologin sagt inzwischen dasselbe wie ruru: ich war nicht die Person, die du wolltest und anstatt das zu akzeptieren oder zu gehen, hast du versucht, mich in eine Form zu quetschen.
Uns.
So viele Chancen ich dir geben will, ich habe unser gesamtes System schon zu sehr verletzt.

Montag, 24. Oktober 2022

#119: Antidepressivum

Es fühlt sich an, als wäre ich auf irgendeine Weise abhängig. Von dir, von Blyth - eigentlich egal von wem. Du springst in meinen Kopf, ein Gedanke, plötzlich so unglaublich wichtig. Zum ich weiß nicht wie vielten Tag in Folge überlege ich, Blyth davon zu schreiben und denke dann jedes mal: aber es interessiert ihn nicht. Und ich fühl das, wirklich. Hab nicht mehr das quälende Gefühl, zurückrennen zu müssen. Plötzlich einfach nur das Bedürfnis, zu verstehen. Weil ich wirklich glaube, ich kann das nachempfinden. Aber auch weiß, dass ich mehr wert bin, als dein Antidepressivum oder Blyths Sexspielzeug zu sein.
Das ist etwas, was ich gelernt habe: wenn Menschen einen Witz darüber machen, dass du ein Gegenstand für sie bist, glaub ihnen.
- 19. Oktober 2022

Ich hab ein System verloren.
Ich hab unseren Kindern versprochen, dass du flauschig bist und uns nicht wehtun wirst. Jetzt lebe ich in Stille. Ich bemerke keinen einzigen Wechsel. Ich bin so dissoziiert. Und egal, wie sehr ich versuche, irgendetwas Positives zu finden, das nächste Woche alles repariert: ich habe das Gefühl, du hast mein Leben zerstört. Es ging uns so gut, im Juli. Unser Leben war endlich, endlich, endlich zumindest annährend, was wir haben wollten. Jetzt ist es in Scherben.
Warum ich mich dann trotzdem noch um Gutachten und Wohnungsbesichtigungen kümmere, anstatt mir mehr Zeit für Therapie zu nehmen, hat unsere Therapeutin gefragt. Ich dachte, mir ist das bewusst, aber dann hab ich es ausgesprochen und es ist ein wenig mehr traumatisch: denn es ist wirklich, wirklich wichtig für unser Leben, dass wir umziehen und wenn wir innehalten würden, um zu heilen, hättest du wirklich unser Leben kaputtgemacht.
Diese Macht will ich dir nicht geben.
Nach allem geht es immer noch um Kontrolle.

Freitag, 7. Oktober 2022

#118: Don't pretend it's such a mystery, think about the place where you first met me.

Es ist lächerlich. Wie einen eine einzelne Sache so zurückwerfen kann. Und natürlich war das eine wichtige Erkenntnis. Dass wir nicht sicher davor sind, missbraucht zu werden. Dass, wenn du ein bisschen weniger einfach aus deinem eigenen Bedürfnis nach Kontrolle gehandelt hättest und ein bisschen mehr geplant, nur ein bisschen mehr wie Blyth, es funktioniert hätte und wir abhängig genug gewesen wären, um zu bleiben. Vielleicht ist es auch gut, dass die Erkenntnis kam, bevor es Dinge in unserem Leben gegeben hätte, die hätten kaputtgehen können dadurch. Auch wenn es sich nicht so anfühlt. Sondern sich anfühlt, als hättest du uns unser Leben weggenommen.

Ich werde nie verstehen, warum Psychologen uns einreden wollen, wir müssten unsere DIS schlimm finden, nicht damit klarkommen, es hassen, Amnesie zu haben oder keine Kontrolle.
Ich hab so viel gedacht, dass ich dich brauche, dass es ja so viel Flauschiges gab, deine Berührungen oder unsere Gespräche oder - ich erinnere mich nicht. Es schwindet alles dahin, ich weiß nicht, worüber wir geredet haben, ich weiß noch, dass ich gesagt habe, dass ich noch nie so schön berührt wurde, aber erinnere den Moment nicht oder wie sich das angefühlt haben soll. Ich bin so viel freier dadurch. Du hast uns geschadet, aber. Es gab irgendetwas, das nicht mehr wichtig ist. Also hast du uns einfach nur geschadet, jedenfalls in den letzten fünf Wochen, jedenfalls, nachdem wir nicht mehr alles waren, was du haben wolltest. Warum ich die Tatsache, dass ich so einfacher gehen kann, schlimm finden sollte, entzieht sich meinem Verständnis.

Mittwoch, 5. Oktober 2022

#117: My heart is broken, I'm lying here.
My thoughts are choking on you, my dear.

Wenn ich nach dem Ende einer Beziehung in der Aufnahme einer Psychiatrie sitze und mit einer Ärztin darüber rede, ob ich mich einweisen sollte oder doch lieber in die Tagesklinik sollte oder was eigentlich geht - ist das nicht genug, um mir zu sagen, dass ich die Beziehung nicht führen sollte? Ist es nicht egal, ab wann etwas Missbrauch ist?

Wie du mir meine Worte im Mund umdrehst und jedes Mal, wenn ich sage, dass ich das nie gesagt habe: „Das sollte auch kein Zitat sein.“
Was soll es dann sein? Eine Lüge? Dein Wunschdenken, vor das du „du meintest“ setzt?
Was wäre, wenn wir so viele Widersprüche in unserem System hätten, dass ich mir wirklich nicht sicher sein könnte, ob jemand anders das vielleicht gesagt hat?

Meine einzige funktionierende Beziehung war dadurch gekennzeichnet, dass wir uns nahezu nie gestritten haben. Nahezu nie verletzt haben. Selten Missverständnisse hatten.
Sie ist zerbrochen wegen einem änderbaren Problem, für das wir viel zu lange die Worte nicht gefunden haben und als wir die Worte endlich gefunden hatten, hat ruru nie einen Zweifel daran gelassen, dass er daran arbeitet, es zu ändern, egal, ob wir dadurch die Beziehung reparieren können oder nicht. Weil es unabhängig davon ein Problem ist. Als ich meinte: „Ich glaube, ich fühle mich traumatisiert“, hat er mich umarmt oder sich entschuldigt, ich erinnere mich nicht, aber woran ich mich erinnere, ist, dass seine Reaktion nichts als verständnisvoll war.

Weißt du, wie viel Verständnis ich aufgebracht habe für dich, die ganze Zeit, in der ich behandelt wurde wie ein Objekt; das Verständnis, wegen dem ich nicht gegangen bin, sondern es nur immer und immer wieder angesprochen habe; vielleicht kann es endlich aufhören.
„Ich fühle mich seit Langem wieder verstanden.“

Vor vier Jahren war das einzig Unflauschige wie oft wir getriggert wurden. Und jedes Mal, wenn ich diesen Gedankengang habe, sage ich mir, dass es nicht gut ist zu vergleichen, aber
ruru ist der einzige Richtwert, den ich für eine funktionierende Beziehung habe. Ich hab sonst noch nie eine gesehen. Nicht bei mir, nicht bei Freunden, nicht innerhalb meiner Familie.
Ich wollte so sehr, dass es funktioniert.
Ich fühle mich abhängig.

Das Auf und Ab ist eine Missbrauchstaktik, das weiß ich. Gute Phase, Schlechte Phase, Gute Phase - am Anfang überwiegen die guten Phasen, die schlechten werden schleichend mehr und schleichend schlimmer und vielleicht sind wir noch nicht an dem Punkt, wo es Missbrauch wäre, vielleicht würde der nie kommen, aber wenn ich es ignoriere und es entwickelt sich so weiter, dann kann ich wirklich nicht mehr gehen.
Aber was wäre, wenn es sich gar nicht so entwickelt und alles einfach gut sein könnte, jetzt?, frage ich mich. Dann saß ich trotzdem in der Aufnahme der Psychiatrie und hab gesagt, dass ich eigentlich ganz gut mit meiner PTBS klarkomme, aber gerade retraumatisiert wurde. Aber vielleicht wurde ich retraumatisiert von meiner Erwartung, wie es weitergeht und nicht davon, dass du mich tatsächlich manipuliert hast, weil
hast du ja nicht. Ich bin nicht zu dir gefahren. Ich hab stattdessen die Beziehung beendet.

Aber es ist doch klar, dass es nicht gut für mich war. Und trotzdem wollte ich nie so sehr bei jemandem sein.

Freitag, 30. September 2022

#116: Weil du du bist, schneid ich dir mein Herz raus, damit es in dir schlägt, für mich.

Love Bombing, dachte ich mir, als ich dich kennengelernt hab, zurückdenkend an die Worte, die Selphy über Ray gesagt hat, damals, an die Beschreibung, die so Eins zu Eins zutraf. Aber auch: na ja, dafür kannst du ja nichts, wenn dein Leben vorher wirklich so viel unflauschiger war. Außerdem ging ja alles von mir aus. Außerdem wollte ich so sehr glauben. Dass die Person, die ich gesucht hatte und die Person, die ich gefunden hatte, ein und dieselbe sein könnten.
Ich hatte Angst. Nicht davor, vergewaltigt zu werden, sondern davor, dass du ohne mich nicht mehr klarkommen würdest.
Aber man kann ja nicht Chancen verpassen, weil man Angst hat. Das wäre sonst dieses Vermeidungsverhalten, das einem Psychologen immer einreden wollen. Außerdem hattest du mir geholfen, mit Blyth abzuschließen. Und du kanntest ihn und hast mir trotzdem geglaubt. Vielleicht hat es das besonders gemacht.
Oder möglicherweise auch einfach, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht das Gefühl hatte, dass Sex* wichtig ist.

Also hab ich es ignoriert, dass der zweite Text, den ich dir geschrieben habe, den Titel „I still don't know what happened, but all of my darkness evaporated beneath your touch. I didn't know I'd love you, until I loved you way too much“ trug; ein Zitat aus einem Gedicht, das ich ursprünglich an Blyth geschrieben hatte, vor Jahren. Und ich ignorierte, dass das zweite Lied, das ich mit dir verband, ein Lied über eine zu schnell eingegangene, von vornherein zum Scheitern verurteilte Beziehung war. Und dass das erste Mal, als du uns verletzt hattest, wir telefonieren mussten, weil du nicht damit klar kamst, ignorierte ich auch.
Immerhin war das kurz vor einer schlimmen Operation.
Da kann man mal überfordert sein.
Und vielleicht ignorierte ich den ein oder anderen Witz über meine Ängste gegenüber deiner Familie. Ich meine, es war doch auch lächerlich. Echt. Die innere Gewissheit, dass Familien grundsätzlich übergriffig sind.
Und möglicherweise ignorierte ich ebenso den Anfang davon, dass es bei jedem Ansprechen von Fehlverhalten deinerseits irgendwie plötzlich immer um meine Formulierung ging. Wie verletzt du warst, weil ich dich als „dismissive“ bezeichnet hatte oder
später dann „manipulativ“ oder
später dann „missbräuchlich“.

„Alles, was in den letzten vier Wochen passiert ist, hat Parallelen zu meiner Beziehung mit Blyth.“
Darüber haben wir nie geredet.
I guess, du hast mich angerufen. So wie jedes Mal, wenn ich ein Problem mit dir hatte, weil es dir schriftlich schwer fiel, darauf einzugehen. Nachdem ich dir eingerichtet hatte, dass du mich im Notfall anrufen kannst und mein Handy, das immer auf lautlos ist, tatsächlich auch klingelt. Am Anfang hast du immer gefragt, ob du mich anrufen darfst, wenn es kein Notfall war. I guess, irgendwann waren meine Grenzen weniger wichtig.
So wie das eine Mal, als du mich anschriebst, direkt nachdem ich gesagt hatte, ich würde gerne meine Ruhe haben. Oder das andere Mal, wo ich nicht zu dir fahren wollte, weil ich mich manipulativ behandelt fühlte und du mich selbst nach unserem Gespräch darüber noch mit mehr Gründen zutexten wolltest, warum es aber doch sinnvoll sein könnte, dass ich fahre.

Möglicherweise ignorierte ich auch, dass drei verschiedene Leute mir unabhängig voneinander mitteilten, dass ich missbraucht werde. Ich meine, was wussten die schon. Ich hab mich inmitten dieser traumatisierten Verzweiflung auch schon grauenvoll verhalten (nicht zwei Wochen am Stück) und habe auch schon Aussagen getroffen, die ich als „manipulativ“ werten würde (nicht wochenlang immer wieder) und überhaupt, du hattest dich ja entschuldigt (nachdem ich es mehrfach angesprochen hatte), also, kein Missbrauch hier, definitiv nicht.
Immerhin wurde ich noch nicht vergewaltigt!
Und dabei hattest du selber mal gesagt, ich solle meine Ansprüche etwas nach oben schrauben.

Nachdem ich Blyth wiedergesehen hatte, war ich mir so sicher, dass ich nie wieder missbraucht werden würde, weil ich es jetzt glasklar erkenne, wenn ich manipuliert werde. Und I guess, irgendwo hatte ich Recht, weil, ich erkenne es, ich sehe es ja klar und deutlich, hab es sofort gemerkt, als es Ausmaße angenommen hat, die für mein Leben schlecht sind, hab dir eine Chance gegeben, es zu ändern und bin dann, nachdem nichts passiert ist, nach einer Woche gegangen.
Aber warum tut es dann so weh?
Warum denke ich dann immer noch: aber vielleicht lag es ja wirklich am Krankenhaus, vielleicht war es wirklich vorübergehend, vielleicht, wenn ich noch ein mal hinfahre -
und überhaupt, du hast mich jemals nur dahingehend manipuliert, dass ich zu dir fahren soll, also, wenn ich das einfach mache, ist doch alles gut. Es ist nicht wie bei Blyth, wo alles scheiße war. Wenn ich einfach öfter bei dir bin, kann ich auch mehr von der Person haben, die ich gerne in meinem Leben gehabt hätte,
ich könnte es doch einfach ändern.

Ich bin nach [Ort] gefahren, um mit Blyth abzuschließen, damit es wieder ein bisschen mehr Zuhause sein kann und dann hab ich dich kennengelernt und warum
kann ich nicht dort sein ohne missbraucht zu werden,
warum ist das mein Leben,
unser Leben,
ich hab dir gesagt: „Ich würde dir vielleicht noch zwei Chancen geben, aber ich werde es den Innenkindern nicht antun, dass ich ihnen erst die eine Person wegnehme, die für sie Sicherheit bedeutet und dann bei jemandem bleibe, der sie scheiße behandelt.“

Warum ist es dann so schwer?

Mittwoch, 28. September 2022

#115: Milk Tea

[Original: Milk Tea von Dada.]

Es ist so lange her,
so viele Jahre vergang',
fast vergessen hatte ich;
jeder Gedanke so verschwommen daran.
An diesem einen Tag, da fing ich deinen Blick
und genauso schnell war ich
fortan nur verliebt in dich.

„Hallo, mein Name ist“, in der Schule, neben mir,
bis dann meine Lippen nachts
kaum noch ein and'res Wort formen, sodass
kein Augenblick mehr vergeht,
in dem sich nichts um dich dreht,
alles, was ich spüre, nur
flauschig, ungreifbar, voll von dir.

Jeden Tag sah ich dir nach,
immerzu, während du doch beschäftigt warst.
Mit dem Gong warst du bereits auf deinem Weg zu geh'n.
Sag, warum bliebst du an diesem Tag dann plötzlich vor mir steh'n?

Mit dir allein. Du streckst die Hand nach mir aus, nein -
„komm, nimm auch was“, sagst du, seh
in deiner Hand einen Milchtee.
Ein Schluck, so süß, etwas warm,
fast fühlt es sich danach an,
dass der Geschmack von Liebe mir
auf den Lippen verweilen wird.
Rot, Orange, die Farben, die
um uns herumwirbeln, als wir
fast die Stille bersten spür'n,
weil unser Herzschlag so laut wird.
Plötzlich mutig. „Wollen wir dann
nach Hause gehen, zusamm'?“
Als du lächelst, spüre ich:
noch nie war ich so glücklich.

Weißt du noch, jener Tag,
an dem Schnee um uns fiel, da
wo ich zum allerersten Mal
deine überraschend kalte Hand in meine nahm?
Dacht ich doch immer, dass
du so viel Wärme ausstrahlst. Ich
musst in diesem Augenblick
so sehr lachen über mich.

Ah. Du neben mir
ließ mir nichts als zu realisier'n,
dass ich will, dass du für immer mein Leben erfüllst.
Wir zusamm' war alles, was ich wollte;
erinner mich an

dein Lächeln, das dein' Wangen diese Grübchen gab,
die Art, wie du mit deinen Haar'n immerzu spieltest, wenn du nervös warst;
so sehr darin verliebt, du warst
alles, was für mich wichtig war.
Irgendwie konnt' ich damals nicht
anders als dich umarm', plötzlich.
Weißt du noch, auf jenem Berg,
jenes Feuerwerk unter den Stern';
uns're Lippen berührten sich,
war so egal, die Welt um mich.
Jede Blüte, die um uns fiel,
jenes Funkeln, das nur für uns schien,
uns're Herzen hell erleuchtet
im Glanz dieser Nacht für mich.

Ich schreck auf. Der Zug ist plötzlich am letzten Halt.
Nostalgie. Warum nur träum ich ausgerechnet jetzt davon? Ich steig
hinaus auf jenes Bahngleis, der Regen schlägt mir ins Gesicht;
alles hier ist anders und doch, fast bildlich erinnere ich mich

an dich allein. Ich blick mich um; hier wirst du nicht sein.
Und dennoch, als wär damals, geh
ich und kaufe mir einen Milchtee.
Ein Schluck, zu süß, salzig, warm,
sag, warum fühlt es sich an,
als würd ich etwas von mir
im Schneeregen lassen, hier?
Rot, wie meine Fingerspitzen frier'n,
ein Augenblick nur, in dem wir
uns in meiner Erinnerung seh'n,
als würdest du am and'ren Bahngleis steh'n.
An diesem Wintertag wünsche ich mir
nur ein Mal noch deine Wärme zu spür'n;
meine Arme sind so leer
ohne dich genau neben mir.

Nur ein Tag noch. Ich wünschte, du wärst
nicht nur in meiner Erinnerung hier,
denn sie verblasst und was ich spür
ist die Kälte, die bleiben wird.

Mittwoch, 21. September 2022

114

Und vielleicht ist doch etwas kaputtgegangen, denke ich, als ich um 23 Uhr wach liege und darüber nachdenke, ob es halten kann. Ich seh es nicht mehr. Und irgendwie tut es auch nicht unglaublich weh.
Ich fühl mich nicht sicher, hab ich heute Abend gemerkt. Vielleicht verletzt. Als hätte ich mich emotional zwei Wochen lang zertrümmern lassen, weil ich jemandem helfen wollte, obwohl ich nicht konnte. Ich sag „falls ich zu dir fahre“, als gäbe es da in meinem Kopf eine Wahrscheinlichkeit in die andere Richtung. „Ich muss schauen wie es mir Donnerstag geht.“
Es ist nicht mehr so leicht mit dir zu reden. Ich wollte so viele Sachen noch sagen und sie stapeln sich auf Notizzetteln, weil ich die Worte nicht finde oder vielleicht eher die Sicherheit nicht, um irgendetwas Negatives anzusprechen. Vielleicht, denke ich, wenn ich keine Depressionen mehr habe, kann ich dann anders denken. Vielleicht stimmt das ja. Vielleicht fühlt es sich nur so vorbei an, weil,
na ja.
Es fühlt sich eben alles irgendwie vorbei an gerade. 

Dienstag, 13. September 2022

113

Ich hab Angst, dass du stirbst, vielleicht, merke ich, weil ich anfange an das Gefühl zu denken, als Kibbi gestorben ist und ich, so voller Verzweiflung, alles in meinem Weg verletzt habe.
Das ist ein Jahr her.
Es ist immer noch schlimm, dabei war sie nur ein Pathfinder-Charakter. Aber eigentlich ist ja auch gar nicht Kibbi gestorben, sondern [redacted] und es war dasselbe Gefühl von Kontrollverlust, 15 Jahre später.
Oder, vielleicht habe ich auch keine Angst, sondern einfach nur heute zu viel „Tod gehört halt zu DnD“ gehört, als wäre das eine unumstößliche Tatsache, die nicht geändert werden kann, selbst dann nicht, wenn man Trigger hat, in keinem Szenario, nie nie nie.
Ich verstehe und verstehe gleichzeitig nicht, warum es so schlimm war.

Ich laufe auf Eis oder Scherben und jeder falsche Schritt macht, dass gleich wieder ganzschlimmedinge passieren und ich weiß, ich hatte diese grandiose Idee, mich irgendwie mit ihrem Tod beschäftigen zu müssen, in demselben Medium, das mir seitdem so viel Angst macht; vielleicht gehen Menschen eigentlich dafür in Therapie, ich hab nur immer noch nicht den Sinn verstanden und scheinbar kann es mir auch niemand erklären. Das Einzige, was jemals geholfen hat, ist die Dinge, die so viel Angst machen, trotzdem aufzusuchen, um zu merken, hey, es ist irgendwie in Ordnung. Aber Therapie ist die Abwesenheit dieser Abgründe. Therapie ist „wie können wir uns diesem Problem mit Sicherheit und Kontrolle nähern?“
Dabei hasse ich Kontrolle. Der Wunsch nach Kontrolle ist der Ursprung jeder Traumafolgestörung*. Ich will Sicherheit und Kontrolle und alles, alles verlieren und merken hey, es ist irgendwie in Ordnung heute.

Vielleicht sollte ich nicht sagen „ich will alles verlieren“, wenn ich gerade Angst habe, dich zu verlieren, sagt irgendein Teil von mir, als könnten Gedanken die Zukunft verändern. Ich hab mich mit „bis später“ von dir verabschiedet, als könnte das machen, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein Später existiert.
Es würde doch perfekt in mein Leben passen. Wenn ich mein gesamtes Leben aufgrund eines Menschen verändere, nur, damit er stirbt.
Das darfst du nicht sagen, tönt es in mir. Wenn du es sagst, wird es wahr.

* Die Aussage ist bestimmt falsch, so wie jede Verallgemeinerung, stimmt aber für uns.

Freitag, 9. September 2022

#112: Wenn das Abendlicht in genau dieser Farbe ist, dann ist ein Loch in der Luft, wo du standest.

Manchmal, ganz leise und dann plötzlich so laut, dass die Welt um meine Ohren zerspringt, vermisse ich dich. Die Welt hört auf sich zu drehen, einen Moment lang, in dem die Realität mit voller Wucht neben mir einschlägt: du wirst vermutlich nie wieder in meinem Leben sein.
Ich bin dir so lange hinterhergelaufen. Ich bin stehen geblieben und irgendwie steht ein Teil von mir immer noch an derselben Stelle. Selbst wenn ich so viel weiter in meinem Leben bin - immer noch drehe ich mich nach dir um. Und manchmal bist du da und ich zerbreche nicht mehr in Glücksmomente, von denen keiner mich je näher bei dir hat sein lassen, und manchmal bist du weg und ich zerfalle nicht mehr in tausend Stücke, weil es irgendwann, irgendwie, okay geworden ist. Nur ein kleines bisschen. Genug, dass ich deinen Namen erwähnen kann, beiläufig, ohne zu erwähnen, dass mein Leben vielleicht an irgendeinem Punkt mal ein kleines bisschen vollständiger gewesen ist. Nicht genug, um nicht zu merken, dass du dennoch fehlst.
Und hey. Wir sind andere Menschen. Und möglicherweise, sogar ganz bestimmt, würden unsere Leben mittlerweile überhaupt nicht mehr zusammen passen. Ich trage nicht mal mehr denselben Namen. Aber der Name, unter dem du uns kennengelernt hast, wird wahrscheinlich bald unser Ausweisname sein. Elf Jahre später.
So viel Zeit. Manchmal stehe ich immer noch auf diesem Parkplatz. Und hey,
ich wäre fast ans Meer gezogen. Jetzt ziehe ich nach Bayern. Und ich habe keine Ahnung, wo du bist, aber ich hoffe, irgendwo, wo du sein möchtest. Ich bin es auch.
Und trotzdem.
Sind das hier die letzten acht Minuten Licht.

Dienstag, 28. Juni 2022

#111: Broken little dreamer, born to roam, it's time to go.

„Mir ist das wirklich wichtig, das nochmal zu sagen.“ Du blickst mir in die Augen. „Du bist unglaublich oft komplett dissoziiert, stundenlang. Wenn ich irgendetwas gewollt hätte, hätte ich Stunden gehabt, um alles mit dir zu machen. Aber ich hab dich einfach nur gehalten.“
Ich weiß, dass das nicht die Wahrheit ist. Ob du weißt, dass ich das weiß, weiß ich nicht. „Es sind trotzdem Sachen passiert, die ich nicht wollte.“
„Die ein Teil von dir nicht wollte.“
„Ich hab dir manchmal gesagt, dass ich was nicht will und du hast es trotzdem gemacht.“
Und du entschuldigst dich. Du nimmst mich in den Arm und entschuldigst dich, kein Aber, kein, dass es eben eine andere Innenperson war. „Ich weiß. Ich mache auch Fehler. Aber bei jeder einzelnen Sache habe ich mir immer gewünscht, ich hätte sie nicht gemacht.“
Ich flüster. „Ich werde wahrscheinlich nie wieder hier her fahren.“
„Du musst nicht wegen mir her fahren, ich bin in ganz Deutschland unterwegs.“

„Ich glaub nicht, dass wir uns nach [der Reha] nochmal sehen werden“, denke ich, sage ich im Endeffekt nicht.
Ein Abschluss.
Es tut weh. Es tut so weh. Du hast alles bestätigt, was ich dachte, hast dich entschuldigt, trotzdem Verantwortung von dir gewiesen; in jedem anderen Szenario wären wir sofort zu dir zurückgekommen. Jetzt sehe ich nur den Scherbenhaufen. Aber wenigstens bin ich dieses mal von dir weggegangen, wenigstens konnten wir dieses eine mal fast so reden, als wäre es wichtig gewesen, irgendwann. Als hätten wir tatsächlich eine Beziehung gehabt.
Ich glaub, ich werd dich immer vermissen. Der Schmerz geht nicht weg. Bei dir habe ich mich zum ersten mal geliebt gefühlt.
Aber du konntest mir in die Augen schauen und sagen, dass du mich nur gehalten hast und wir beide wissen genau, dass das nicht stimmt.

„Ich erinnere mich an nichts“, sage ich.
„Ich weiß“, entgegnest du.
Aber es stimmt nicht. Ich erinnere mich an den Tag, an dem unsere Dissoziationsbarrieren für einen kurzen Moment aufgebrochen sind, ich still da lag, vergewaltigt und angefangen habe zu weinen. Du hast aufgehört, weil die Innenpersonen, die du wolltest, nicht geweint haben. Aber ich werde nie vergessen, dass du Sex mit mir haben konntest, während ich mich selbst verletzt habe.
Und auch, wenn ich die Erinnerungen nicht habe, werde ich die Erzählungen von schallisolierten Räumen nicht vergessen, von dem Keller da, dem, was Glow erzählt hat. Ekel.
Werde nicht das Gefühl vergessen, dir zu gehören.

Ich ließ los, ein wenig,
verliebte mich erneut,
es war süß, ein' Moment lang,
hab das noch nie bereut.
Du nanntest mich nur „Träumer“,
sagtest doch, ich werde heil'n,
ich ließ los, was ich erträumt hat,
versprach dir, dass ich bleib.

In meinem Kopf fließen diese Wünsche weiter jeden Tag.
Dann, in der Nacht, sprech ich mit mir selbst, bleib so hellwach.

Du sagtest so oft „Lass all deine Ziele sein“,
widersprach nie, die Hoffnung in mir längst vorbei.
Wander alleine, hab mich wohl in dir verlor'n.
Hab mich selbst verlor'n.

Und jetzt, wo ich dich weiterzieh'n seh, ohne mich,
plötzlich einsam durch die Stadt lauf, die mir nichts gibt...
oh, zerbroch'ner Träumer, es ist Zeit,
geh, werde frei.

Geh und werde frei.

Montag, 27. Juni 2022

-

Ein Anruf, starr das Telefon an,
weiß genau, was ich nicht sagen kann,
erinner deine Finger, auf mir,
doch so nah an mir, nah an mir.

Betäube den Schmerz, den du auf
mir noch wie ein Echo hinterließt.
Berühr mich jetzt, spür, was ich vergess.

Nur eine weit're Geschichte,
könnt dich wieder hör'n, schließ die Augen, spür.

Warum kann ich nicht geh'n,
wenn ich nicht bleiben will?
Ersticke innerlich,
bis ich dann fast vergess,
wie kalt und einsam du bist.
Zum zehntausendsten mal zerbrichst du mich.
Liebe rettet nichts.

Meine Worte gehör'n nicht dir.
Ich will bloß endlich hier raus.

Montag, 20. Juni 2022

#110: Self-inflicted Achromatic

Einen einzigen Tag wär ich gern jemand wie du.
Nur einmal jemand, der mehr „Ich“ sein kann, einfach so.
Doch wenn ich's wollte, könnte ich es doch einfach tun.
Nicht sicher, wäre dadurch dann wirklich alles gut?

Kann sich was ändern, wenn ich träume, irgendwann?
So wie ich bin wär's besser, wär ich endlich tot, verdammt.

Wenn, dass ich lebe, zehntausend Leben schlechter macht,
so unfair, dass jemand wie ich dennoch lächeln kann,
ich bin nichts, unwichtig, die Welt besser ohne mich,
wäre, was ich will, bloß einmal Realität.

Wo, wenn ich sterbe, zehntausend Leben besser sind,
ich nur ein einziges Mal dann doch endlich Freude bring,
niemand je noch versteht, wie man voller Trauer lebt,
wäre diese Welt doch bloß Realität.

Auch morgen werd ich weiter in Träumen verweil'n,
mir wünschen, einfach so könnt ich schon längst verschwunden sein.

Wenn, dass ich lebe, zehntausend Leben schlechter macht,
niemand mich überhaupt einmal registrieren kann,
ich bin nichts, unwichtig, wenn ich einfach geh,
wäre das die Welt, wäre es dann okay?

Selbst, wenn ich sterbe, gibt es nichts, was sich ändern wird,
zehntausendfach wird die Welt sich einfach weiterdreh'n,
selbst, wenn es keinen gibt, der mich wirklich hier nicht will,
wäre das weiter ein Nachteil für mich.

Im Endeffekt bricht jeder irgendwann auf dieselbe Art zusamm'.
Selbst, wenn ich's schaff, ich zu sein, wird das Bild von mir in and'ren zerfall'n.
Im Endeffekt geh'n wir alle auf dieselbe Art kaputt. Dennoch

warum, wenn ich doch leb, kann ich dann dein Lächeln seh'n?
Ein Augenblick nur, in dem ich nicht wünsche zu geh'n.
Egal, wie traurig ich bin, wie sehr ich verschwinden will; wenn ich dich so seh,
wünsche ich mir plötzlich, meine Gründe das zu wollen, würden anstelle von mir weggeh'n.

Selbst, wenn ich sterbe, gibt es nichts, was sich ändern wird,
zehntausendfach wird die Welt sich einfach weiterdreh'n,
dennoch hältst du mich fest. Warum kann ich einfach nicht
darüber lachen und verschwinden, endlich?

Dienstag, 7. Juni 2022

#109: Mein Kopf sagt „Lauf“. Mein Herz sagt „Nein“.

Weißt du, ich hab dich immer vermisst, aber gerade fühl ich mich... abhängig. Ich weiß, dass das scheiße ist, ich weiß das. Es ist einfach, ich geh den [Gang] lang und es ist falsch, dass da ein anderer Name an der Tür steht und ich bin in dem Raum und es ist falsch, dass jetzt alles klinisch steril in geraden Winkeln zur Wand steht und ich geh übers Gelände und mir fällt ein, wo wir mal auf der Burg saßen und dann muss ich da hochgehen und es ist scheiß egal, dass da ein „Betreten verboten“-Schild steht und dann lauf ich an diesem Schuppen vorbei, wo wir mal waren und ich muss da hochklettern, vollkommen egal, dass das komplett zugewachsen ist, dass da überall Mücken sind und ich allergisch und dann werd ich gefragt, ob ich in den Entspannungsraum will und alles, woran ich denken kann, ist, wo wir mal da waren und ich hab nächste Woche zwei mal irgendwas im Meditationsraum und ich weiß es nicht genau, aber gerade hab ich mich gefragt, ob das der Raum daneben ist, da waren wir auch mal und das geht nicht, ich hoffe wirklich, das ist ein anderer Raum, ich glaub, ich kann da nicht rein, ohne dich überall zu sehen. Aber ich kann das auch niemandem erklären.
Ich lauf den Waldweg lang und mir fällt ein, wir saßen da mal auf so einem Baumstumpf rum und dann muss ich den suchen und er ist nicht da und ich bin total verzweifelt, ob ich mich falsch erinnere, ob er weg ist, ob er zugewachsen ist, ob die Stelle die falsche ist. Es fühlt sich an, als würde mein Leben von diesem scheiß Baumstumpf abhängen. Aber diese Suche, dieser ganze Zwang alle Orte zu sehen, an denen wir waren, ist ja nur, weil ich am allermeisten dich sehen will.
Und dann starre ich deine Festnetznummer an und ich weiß, ich kann da natürlich nicht anrufen, aber ich starr sie trotzdem an, weil ich so sehr deine Stimme hören will, ich erinner mich nicht mal mehr.
Oder, es ist hier komplettes Besuchsverbot wegen Corona und man darf nur in verlassene Gegenden und ich bin eigentlich sehr daran interessiert, dass hier niemand Corona bekommt, mir sind Menschen ja wichtig, aber plötzlich ist es so scheiß egal, ich würde mich aus der Klinik schmeißen lassen, damit ich dich sehen kann. Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid. Ich bin komplettes Chaos, vor [der Reha] schon, aber komplett, seitdem ich hier bin. Ich hab die ersten paar Tage versucht, durchgehend was zu tun zu haben, weil ich sonst durchgehend an dich gedacht habe. Und jetzt, wo ich etwas freie Zeit habe, denke ich in jeder freien Minute an dich und dass ich dich sehen will, dass ich dich sehen will, dass ich dich sehen will.
Ich hab auch so. Ich hab mich nicht selbst verletzt seit keine Ahnung, voll lange, denke auch gar nicht drüber  nach. Ich will's jetzt auch nicht, aber es sind einfach genau diese viel zu starken Gefühle, wegen denen ich das früher gemacht hab. Und die hatte ich schon genauso lange nicht mehr. Und jetzt fühl ich diese überwältigende Sehnsucht. Ich komm nicht dagegen an.
Ich hab mir vor [Rehaklinik] so eine Liste gemacht, weißt du, mit Gründen, dir nicht zu schreiben und es interessiert mich einfach nicht. Einfach gar nicht. Ich vermisse dich so sehr. Ich kann nicht atmen.

Montag, 6. Juni 2022

#108: Am Rande des Wassers

Hier am Ufer hingefall'n,
komm nicht von meinen Knien.
Die Wahrheit, die
so sicher schien,
weit weg auf hoher See.
Sag mir ein Geheimnis
und dann tu mir damit weh.
Der Regen wie Musik, die den
Sturm zeigt, in dem wir steh'n.

Ich fang an mich zu wehr'n.
Ich brauch dich nicht, um zu lern,
wie man fliegt. Und mein Herz
schlägt im Takt eines Abschiedslieds.

Runter warfst du von mir jedes Stück,
blicktest nicht zurück,
sagen konnt ich nichts
und der Schutt, der von uns geblieben ist,
hallt noch in mir nach
heut Nacht.
Im Dunkeln hörst du mich so wie ein Geist,
mach das Licht an. Heißt
das jetzt, dass nichts verbleibt?
Werde alles für dich sein.
Ich werd dich lieben, ganz geheim.

Zeig mir, wo „für immer“ starb,
zurück zu jener Nacht.
Ich fleh dich an,
bleib bei mir, dann
mach ich alles wie verlangt.
Ich glaub, du warst für mich Daheim,
ein Ort, an dem ich bleib.
Hielt zu sehr fest,
hab mich verletzt,
die Schuld war immer mein.

Ich fang an mich zu wehr'n.
Ich brauch dich nicht, um zu lern
wie man fliegt. Und mein Herz
schlägt im Takt eines Abschiedslieds.

Runter warfst du von mir jedes Stück,
blicktest nicht zurück,
sagen konnt ich nichts
und der Schutt, der von uns geblieben ist,
hallt noch in mir nach
heut Nacht.
Im Dunkeln hörst du mich so wie ein Geist,
mach das Licht an. Heißt
das jetzt, dass nichts verbleibt?
Werde alles für dich sein.
Ich werd dich lieben, ganz geheim.

Sie sagen, es braucht Zeit,
doch kann nichts finden, was mich heilt.
Du fragst „bist du okay?“,
als gäb's noch etwas, das verbleibt.
Wir zwei lösen uns auf,
allein, wie die Nacht im Morgengrau'n.
Letztendlich
bleibe bloß ich noch.

Runter warfst du von mir jedes Stück,
nie zurück,
sagte nichts.
Du und ich -
erinner mich
jede Nacht an dich.
Kommst nie zurück,
jetzt weiß ich,
was Schmerz ist.
Erinner mich.
Geblieben ist
letztendlich nichts.

Und jetzt
lieb ich dich, ganz geheim.

Sonntag, 5. Juni 2022

#107: Bleib

Mein Blick liegt sanft auf dir,
kein Wort wäre genug.
Du drehst dich zu mir,
ich flüster: „Alles wird gut.“

Komm, vergiss doch einfach morgen,
alles um dich rum und leb
und ich zerbrech deine Sorgen,
wir finden 'nen and'ren Weg.

~

Leg meinen Kopf auf dein Kissen
weiterhin kein Wort in mir.
Bist du nah, fühle ich,
wie die Angst in mir bricht.
Ich wünschte, du bliebest hier.

Ich brauch sonst nichts,
berührst du mich.

Unser Blick zu den Sternen,
der Boden so kalt in der Nacht.
Die Stimmen in mir werden
still, gibst du sanft auf mich Acht.

Dann Explosion. Was du denkst
entfacht ein Feuer in meinem Herz.
Und um uns wirbelt der Rauch,
atme, weil du an mich glaubst.

Oh, ich verdräng meine Sorgen,
ich fliehe vor Morgen,
für nur einen weit'ren Tag.
Renne immer so weit,
doch für dich halt ich an.
Komm, zeig mir wie man bleibt.

Ich gäbe alles her
für noch mehr Zeit mit dir.

~

Es gibt bestimmt 'nen Weg.
Ich kann nicht einfach geh'n.
Für nur noch ein' Moment,
Hand in Hand, los komm, wir renn'.

Es war noch nie so falsch.
Bist du weg, wird mein Feuer kalt.
Lass mich nicht, bring mir bei,
auch wenn ich geh, noch wie man bleibt.

Es gibt bestimmt 'nen Weg.
Ich kann nicht einfach geh'n.
Für nur noch ein' Moment,
Hand in Hand, los komm, wir renn'.

Es war noch nie so falsch.
Bist du weg, wird mein Feuer kalt.
Lass mich nicht, bring mir bei,
auch wenn ich geh, noch wie man bleibt.

Ich weiß, ich werde nie heil'n,
kann ich ein' Tag noch bei dir sein?
Ich bin daheim in der Zukunft,
meiner Kunst, meinem Schmerz und
hab nie gelernt wie man bleibt.

Doch gäbe alles her
für bloß noch etwas Zeit.

Samstag, 4. Juni 2022

#106: Crying for rain

So rot, meine Flügel -
ein Schmetterling, der nichts sagen darf.
Streck sie aus. So zerbrechlich.
Weil du das attraktiver findest, nicht wahr?

Bitte
antworte oder lass mich allein hier,
hör auf zu zögern oder geh endlich von mir.
Dass du meine Worte so sehr ignorierst,
bringt dir scheinbar Frieden, auch wenn's mich zerstört.
So beiläufig wertlos.
Das, was du mir antust,
findet in keinem deiner vielen Worte Platz.
Wenn ich,
auch wenn jeder sonst vor dir wegrennt,
weiter an jedem Satz von dir festhäng,
kann es doch klappen.
Diese Hoffnung soll endlich sterben.

Ich seh Wolken aufziehen,
bitte regne nicht.

Kopieren. Einfügen. Löschen. Wiederholen. Einatmen. Ausatmen.

Ich bitte dich.
Es ist egal.
Ich bleibe hier.
Ich brauch diesen Schmerz.

Hör auf
alles, was du nie tust, zu sagen,
nach mir, meiner Liebe zu fragen.
Wär das hier nicht ernst, wär's so einfach. Wie
ernst kann es sein, wenn du doch bloß mit mir spielst?
Die Worte, die du aussprichst -
gelogen. „Du irrst dich.“
Lass uns einfach so tun als wär nichts.
Letztendlich
selbst wenn alles von vornherein feststeht,
wenn du dir deine Worte zurechtlegst,
will ich niemals wegrenn,
ich werd diese Gewohnheit brechen.

Ich fleh dich an,
fall weiterhin so kalt.

Freitag, 3. Juni 2022

#105: Let the wind carry you home.

Es gibt jetzt veganes Essen hier. Einfach regulär. Es ist keine Sonderregelung mehr für uns, weil wir keine Milch vertragen, inzwischen kann jeder es wählen.
Ich möchte dir das so sehr sagen, weil ich weiß, wie sehr du versucht hast, das durchzuboxen, als du noch hier warst, genauso wie freies Wlan, man hat jetzt vier Stunden am Tag davon, wusstest du das?
Vermutlich nicht. Du hast Hausverbot, aber es kennt nicht mal irgendjemand deinen Namen.
Ich will dich sehen, aber ich darf nicht und ich weiß, wie gut das ist, wie sehr dieses Verbot hilft dabei, nicht einfach zurückzurennen, aber es tut trotzdem so unendlich weh.

Ich bin Funktionsmodus, bin jede Veranstaltung auf der Liste ankreuzen, damit ich bloß keine Zeit für dich habe, mein Koffer ist nicht mal ausgepackt, ich hatte keine Zeit und ich sage mir, solange ich keine Zeit für den Koffer hatte, habe ich auch keine Zeit für den Wald.
Heute habe ich nur vier Termine. Ich bete auf einen Zettel in meinem Briefkasten, der mir sagt, dass das ein Fehler war, dass ich tatsächlich noch ganz viele Termine habe, sonst hab ich endlich Zeit meinen Koffer auszupacken. Und danach ganz viel Zeit für dich.

Scarlet fragt mich, ob ich Einzelgespräche haben will, ich sage, dass es zwar bestimmt ganz viel in mir gibt, aber ich wüsste nicht, was ich ihr sagen soll.
Ich warte auf den Zeitpunkt, an dem es kaputtgeht. Ich will so sehr schreien und weinen, weil du weg bist und es gibt keine Gefühle in mir.
Vielleicht, wenn Ralf nichts mehr mit dir zu tun hat, vielleicht kann ich ihm das sagen, vielleicht kann es dann irgendwer wissen, der dich kennt und uns kennt und der weiß und gesehen hat, wie wichtig du warst.
Und bist.
Und sein wirst.

Unsere Therapeutin will wissen, was in der Therapie fehlt: es ist genau das. Der Abgrund. Das Verlorengehen.
An keiner anderen Stelle kann sich so viel ändern wie hier.

Donnerstag, 2. Juni 2022

#104: Across the horizon it's coming to sweep you away.

„Ich nehm dich mal mit“, sagt Scarlet und schließt deine Bürotür auf. Natürlich. Chronischer Platzmangel. Der Raum wird auch dann genutzt, wenn die Person, die ihn eigentlich belegt, im Urlaub ist.
Mich erschlägt die Ordnung. Der Schreibtisch steht andersrum, gerade jetzt, die Wände sind leer bis auf ein Regal mit Fachbüchern und eine Pinnwand, vermutlich mit reharelevanten Dingen, ein Kalender. Der Tisch hat jetzt zwei Stühle und die Bank, die mir gerade nicht auffällt, ich bleibe kurz stehen, unentschlossen, setze mich dann reflexartig auf sie.
Ich blicke mich um. Es ist nicht mehr dein Büro, natürlich nicht. Das Zettelchaos an den Wänden ist weg. Es gibt eine andere Uhr, die die richtige Uhrzeit anzeigt. Alles steht gerade an Wänden, klinisch steril, geordnet, kalt, nichts versprüht die Wärme, die man vorher hier gefunden hat.

Was ich hier mache, will Scarlet wissen.
Mit dir abschließen.
Dich besuchen.
Ich fange an: ich wollte -
also -
wie erkläre ich das?

Ich glaub, jemand anders ist rausgekommen oder zumindest erinnere ich mich nicht. Ich weiß, dass wir ihr erzählt haben, dass wir vergewaltigt wurden, letztes mal, 2017, oder zwei Jahre, irgendwie beides. Sie kannte Blyth nicht mal.
„Letztes mal bin ich mit dem Gedanken nach Hause gefahren, dass ich bald wiederkomme und dann hat er Schluss gemacht und jetzt wollte ich unbedingt wiederkommen, damit ich dieses mal mit dem Gedanken nach Hause fahren kann, dass ich nicht wiederkommen muss.“
Wie es mir geht will sie wissen.
Gut. Ich bin so dissoziiert, dass ich rein gar nichts fühle.

Jetzt bin ich auf meinem Zimmer und du bist wieder hier. Ich will mich rausschmeißen lassen, damit ich dich sehen kann. Ich saß vorhin auf der Bank und hab es nicht mal bemerkt. Wir hatten da Sex. Nicht mal eine Vergewaltigung. Sex.
Ich ertränke mich in Terminen bis ich dich vergessen habe.

Mittwoch, 1. Juni 2022

#103: The willow, it weeps today.

„Entspannungsraum“ lese ich und muss daran denken, wie ich da mit dir war, bevor wir zusammen waren, du saßst irgendwann auf mir, ich hab dich in eine Umarmung gezogen. „Das könnte man jetzt ziemlich falsch verstehen.“
Später, in dem anderen Raum daneben, weil der Entspannungsraum belegt war, hast du versucht, mich zu beißen und dich so sehr erschrocken, weil nebenan die Tür aufgegangen ist.
Natürlich kann ich den Raum nicht betreten.

Jedes mal auf dem Weg zum Speisesaal, auf dem Weg zur Physiotherapie, auf dem Weg zu allem laufe ich an deinem Büro vorbei. Da steht jetzt ein anderer Name dran. Es hängt kein Schild mehr an der Tür, da hing früher irgendein Schild, ich erinnere mich nicht, was draufstand, aber da war eins. Ich bin froh, dass es nicht das Büro meiner Therapeutin ist und dass die Therapeutin darin gerade im Urlaub ist und ich es nicht offen sehen muss.
Alle damaligen Mitarbeiter sind weg.
Fast niemand mehr hier kennt dich.

Trotzdem will ich jedes mal weinen. Wie ich früher oft genau durch diesen Flur lief, kurz bei dir reingeschaut habe, wenn du nicht da warst, in eins der anderen Büros, ob die wissen, wann du wieder da bist, einfach nur so, einfach nur weil ich dich sehen wollte.
Ralf ist noch da. Ich hab ihn bisher nicht gesehen und ich versuche, es zu vermeiden, damit niemand nach dir fragt.

Ich frag mich, ob es auffällt, wie ich manchmal einfach stehenbleibe und die Augen schließe, Intrusion, Intrusion, Intrusion. Ich war noch nicht im Wald, am Eingang steht der Schuppen, hinter dem du uns vergewaltigt hast, ich kann das sehen, ich seh dich und ich vermisse dich mit jeder Faser meines Körpers.
Fast niemand hier kennt dich überhaupt.
Eigentlich kenn ich dich auch nicht.

Montag, 30. Mai 2022

#102: über Gewalt redet man nicht

Ich darf auf dieser Welt nicht existieren. Immer wieder merke ich das.
„Meinst du echt, man kann Medikamente nehmen lernen? Ich hab immer das Gefühl, manche Leute können das einfach und andere nicht.“
„Man kann es ziemlich sicher lernen, ich kann das auch erst, seitdem ich zehn bin oder so.“
„Aber wie lernt man das?“
„Mit... ganz viel Übung.“
Vor allem mit Gewalt.
Wir konnten nie Tabletten nehmen.
Irgendwann, als wir zehn waren oder so, haben wir es mal wieder versucht und nicht geschafft.
Und unser Vater hatte genug davon. Also hat er die Tabletten genommen, sie in unseren Mund gestopft und Wasser hinterhergekippt bis wir das Gefühl hatten zu ertrinken.
Als wir sie danach trotzdem ausgespuckt haben, hat er uns geschlagen.
Seitdem können wir Tabletten nehmen.

Aber das kann ich nicht sagen, „jedenfalls kann man es lernen, wenn man sonst geschlagen wird“ ist zu viel, vor allem, wenn ein neunjähriges Kind daneben sitzt.
Kinder sind zu klein, um von Gewalt zu erfahren.
Und erst recht nicht von mir, sondern nur von ihren Eltern, zu einem geeigneten Zeitpunkt, wenn sie reif genug sind.

Wenn sie davor von ihrem Vater geschlagen werden, haben sie eben keine Worte dafür.

rurus Schwester hat unseren Plüschoktupus genommen, als wir weg waren.
Ich verstehe das. Sie ist neun und hat ein Plüschtier gesehen und wollte es haben.
Als wir wieder da waren, meinte rurus Mutter: „Wir konnten dich leider nicht fragen.“
Im Endeffekt ist es nur ein Objekt. Das kann man einfach so nehmen, wenn um Erlaubnis fragen aufwendiger wäre, als dass man es in drei Sekunden erledigen könnte.

Mir hat nie irgendetwas gehört.
Wenn ich etwas bestimmtes essen wollte, musste ich es in meinem Zimmer verstecken. Manchmal habe ich mir abends Essen gekocht, weil ich den nächsten Tag lange Schule hatte und am nächsten Morgen war es weg, weil ich es logischerweise im Kühlschrank lagern musste.
Unsere Plüschtiere wurden regelmäßig gegen Wände geschmissen oder auf den Boden.
Yumis (Edel)Steinsammlung ist verschwunden, als wir bei unserem Vater ausgezogen sind.
Als wir uns einen Laptop gekauft haben, mussten wir ihn mit unserer Schwester teilen, vollkommen unabhängig davon, dass wir ihn komplett selbst gekauft und mehrere Jahre darauf gespart hatten.

Es klingt jedes mal übertrieben, wenn ich es sage, aber ich hasse es, wenn Leute unsere Plüschtiere anfassen, ohne nach Erlaubnis zu fragen. Unser Exfreund hat mal unsere Plüschspinne mitgenommen und es fühlte sich an, als hätte er eine Geisel genommen, damit wir nicht Schluss machen können.
Wir haben nämlich nichts.
Wir hatten lange Zeit gar keine Freunde und selbst, als wir welche hatten, sind sie fast alle spätestens nach einem halben Jahr wieder gegangen. Und selbst jetzt, wo wir es schaffen, langjährige Freundschaften zu haben, sind wir trotzdem oft alleine. Weil wir zu viel sind. Grundsätzlich. Selbst ruru geht oft, weil es ihn überfordert und dann haben wir außer unsere Plüschtiere gar nichts mehr.

Und dann hat rurus Schwester sie einfach genommen.
Wir kennen seine Schwester nicht gut, also ist alles, was wir wissen, dass sie regelmäßig Leute schlägt, um zu bekommen, was sie will. Also genau wie unsere Schwester.
Ich hab Angst, dass sie unseren Oktopus auch geschlagen hat.


„Übergriffe dürfen nur in einem sanften Tonfall, mit ausführlicher Erklärung der Grenzverletzung und einem bereitgestellten Raum, in dem die Verletzung wieder gutgemacht werden kann, angesprochen werden“, habe ich irgendwann geschrieben. Ansonsten nimmt einen niemand ernst, man wird nur gehasst - wer emotional reagiert hat keine Rechtfertigung für seine Gefühle.
Und was ist, wenn die Erklärung Gewalt ist und die Person, mit der man redet, ist neun Jahre alt und man hat nicht die Berechtigung, sie damit zu konfrontieren? Dann sagt man eben nichts. Und dann existieren wir eben nicht. Und die Kinder, die Gewalt erleben, ebenfalls nicht und dann denken sie eben, sie sind ganz alleine und erfahren nie, dass es ein Ende geben kann, weil, über Gewalt redet man nicht.
Vor allem nicht vor Kindern.

Donnerstag, 26. Mai 2022

#101: F44.81 Multiple Persönlichkeit;
6B64 Dissoziative Identitätsstörung

Unser allererster Post, der erklärt, was genau eigentlich eine dissoziative Identitätsstruktur ist, ist inzwischen unglaublich veraltet und ich hab auch das Gefühl, dass wir das damals alles selbst noch gar nicht so wirklich verstanden haben. Also folgt an dieser Stelle eine Neufassung!
Mit der Einführung des ICD-11, wurde die „multiple Persönlichkeit(sstörung)“ nun auch in Deutschland offiziell in „dissoziative Identitätsstörung“ umbenannt. Gerade, wenn man selbst betroffen ist und vielleicht gerade erst dabei ist, dies rauszufinden, fühlt sich die Beschreibung dort aber nicht wirklich nach dem an, was man empfindet. Aber der Text ist ja auch nicht für Betroffene, sondern für Psychologen. Ich glaube, um vernünftig zu erklären, wie sich eine DIS anfühlt, muss man zuerst verstehen, wie sie entsteht:

Jedes Kind hat, unabhängig von Erlebnissen, verschiedene Seins-Zustände. Ganz einfache Dinge wie „ich habe Hunger“, „ich möchte Nähe“, das hat wenig mit Persönlichkeit zu tun. Das ist einfach wie Kinder die Welt für sich einteilen, Schritt für Schritt, ein Bedürfnis auf einmal. Irgendwann (Menschen sind sich da uneinig, wann genau, aber ungefähr mit fünf Jahren) verbinden sich diese Seins-Zustände zu einer Einheit. Das nennt man Integration. Nachdem dieser Prozess abgeschlossen ist, fangen Kinder an, ein Identitätsgefühl zu entwickeln.

Manchmal, wenn ein Kind sehr viel Trauma erlebt, wird dieser Prozess unterbrochen. Das Gehirn lernt, die Seins-Zustände zu nutzen: einer der Zustände erhält beispielsweise die Erinnerungen an das traumatische Ereignis, ein anderer erhält ausschließlich die guten Erinnerungen. Ein Zustand lernt Trauma als die gesamte Normalität kennen, ein anderer ist für das alltägliche Leben zuständig. Zwischen den verschiedenen Zuständen entsteht in der Regel Amnesie, damit die Funktionalität des Kindes im Alltag sowie in der traumatischen Situation gewährleistet werden kann.
Integration passiert nie.
Kinder fangen trotzdem an, ein Identitätsgefühl zu entwickeln.
Nur dass das Kind an dieser Stelle nicht wirklich eine Einzelexistenz ist, sondern in verschiedene Fragmente aufgeteilt. Und die entwickeln, alle für sich, ein eigenes Identitätsgefühl.
Dadurch fühlt es sich dann im späteren Leben so an, als wäre man wirklich verschiedene Menschen, die alle zusammen einen einzelnen Körper bewohnen - nach außen hin werden diese Unterschiede in den allermeisten Fällen (Ausnahmen existieren) versteckt, damit man nicht auffällt. (Dass man nicht auffällt, ist Tätern meistens unglaublich wichtig.)

Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet man Menschen mit einer DIS oft als „Systeme“. Die verschiedenen Identitäten eines Systems werden mit allen möglichen Bezeichnungen benannt, in der deutschen DIS-Community ist der Begriff „Innenperson“ geläufig. Seltener gebraucht werden „Anteile“ oder „Persönlichkeiten“. Im Englischen ist der Begriff „Alter“ geläufig, den wir auch auf Deutsch schon Leute gebrauchen gehört haben.

Eine DIS wird immer von Amnesie begleitet. Dabei gibt es verschiedene Ausprägungen. Viele Systeme haben beispielsweise Amnesie zwischen den Innenpersonen. Das heißt, wenn Innenperson A morgens „draußen ist“ (Kontrolle über den Körper hat), erinnert sich Innenperson B, wenn sie nachmittags rauskommt, nicht an den Morgen. Oft hat man aber auch die sogenannte „Amnesie für die Amnesie“ - sprich, man merkt einfach nicht, dass man sich nicht erinnert. Meistens nimmt das Gehirn Momente, die in den Erinnerungen vorhanden sind, und gaukelt einem vor, diese hätten die gesamte Zeitspanne eingenommen, obwohl es vielleicht in echt so ist, dass man sich an einen Moment von zehn Minuten erinnert, obwohl fünf Stunden vergangen sind.
Manchmal besteht jedoch nicht so viel Amnesie zwischen den einzelnen Innenpersonen, sodass wichtige Details und der grobe Ablauf von Zeitspannen erinnert werden kann. Die Amnesie bezieht sich dann meistens vorrangig auf die Traumaerinnerungen an sich.
Meistens fällt Amnesie ohnehin eher in Kleinigkeiten auf: vermutlich kennt beinahe jeder Mensch das Gefühl, wenn man sich nicht sicher ist, ob man etwas geträumt hat oder es wirklich passiert ist, ob man etwas tun wollte oder es schon getan hat oder wo zur Hölle man noch gleich den Kugelschreiber hingelegt hat und wo wir schon dabei sind, was wollte ich eigentlich nochmal in diesem Raum? Stellt euch einfach diese Erlebnisse vor, aber jeden Tag, den ganzen Tag, ständig.

Neurologisch gesehen sind verschiedene Innenpersonen übrigens einfach verschiedene Gehirnaktivitätsmuster. Jeder Mensch funktioniert ein bisschen anders - benutzt verschiedene Bereiche des Gehirns öfter, andere weniger oft, es unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Bei den Innenpersonen ist das genauso. Extreme Beispiele können Sachen sein wie, dass eine Innenperson blind ist, während aber alle anderen ganz normal sehen können.
Mit diesem Hintergrund ist es relativ einfach zu erklären, dass manchmal (oder eigentlich sogar oft) nicht nur eine einzelne Innenperson im Bewusstsein anwesend ist. Manchmal gibt es ein Gefühl von „Matsch“, „Nebel“, „Blurriness“, bei dem für das System nicht klar bestimmt werden kann, welche Innenperson gerade da ist, vielleicht sind es auch zehn gleichzeitig, man weiß es nicht. Was ebenfalls oft vorkommt, ist das sogenannte „Co-Bewusstsein“, das den Zustand bezeichnet, in dem zwar eine Innenperson draußen sind, aber andere Innenpersonen relativ weit „vorne“ (im Bewusstsein) sind und somit einen Einfluss darauf haben können, was diese Innenperson fühlt, tut oder denkt. Einige Systeme hören die anderen Innenpersonen tatsächlich auch, in ihrem Kopf, und können somit miteinander reden.

Im weiteren Verlauf des Lebens, kann es bei Personen mit DIS passieren, dass neue Innenpersonen aufgrund von traumatischen oder sehr stressigen Ereignissen, entstehen. Das wird dann oft „abspalten“ genannt. Jedoch gibt es hier Uneinigkeiten darüber, ob sich Innenpersonen tatsächlich „spalten“ können oder ob es vielmehr so ist, dass es aus der Kindheit ungenutzte Seinszustände gibt, die in bestimmten Situationen „zum Leben erweckt“ werden, um mit diesen Situationen umzugehen. Darauf hat die Wissenschaft, unseres Wissens nach, bisher keine Antwort und jeder glaubt etwas anderes. Für uns persönlich fühlt es sich eher wie ein Abspalten an. (Eine These: Es könnte natürlich auch von System zu System unterschiedlich sein.)
Durch Verarbeitung des Traumas können einzelne Innenpersonen auch wieder zu einer „Gesamtperson“ verschmelzen (ebenfalls oft „integrieren“ genannt, aber von uns, wegen Streitigkeiten bezüglich des Begriffs, häufig als „zusammenblobben“ bezeichnet). Dies ist jedoch in der Regel nicht das angestrebte Ziel, sondern passiert eher einfach, weil es gerade für das Gehirn eben so Sinn ergab.

Entgegen des alten Namens, ist die dissoziative Identitätsstörung keine Persönlichkeitsstörung.
(Was genau eine Persönlichkeitsstörung ist? Ich habe keine Ahnung. Aber es ist vielen Menschen unglaublich wichtig, das klarzustellen, weshalb ich es an der Stelle zumindest mal erwähne.)

Falls ihr Fragen habt, dürft ihr uns die immer gerne stellen.