Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Dienstag, 15. Februar 2022

#91: Innere Kommunikation & Offenheit

Als wir mit der DIS diagnostiziert wurden, waren wir sehr enthusiastisch darüber, endlich zu verstehen, warum wir teilweise so verschieden sind und das nun einfach Menschen sagen zu können, anstatt es zu verstecken und eine konsistente Person zu spielen, mit der niemand sich so richtig wohlfühlt. Dadurch, dass wir so offen darüber waren, wurden wir aber auch ziemlich schnell mit dem Problem konfrontiert, dass andere Menschen nie wissen können, wer draußen ist, es aber auch irgendwie unangenehm ist, durchgehend gefragt zu werden und es ständig von sich aus zu sagen nicht funktioniert, weil wir schlichtweg vergessen, dass es eine wichtige Information ist.
Daraufhin haben wir verschiedene Wege ausprobiert, es subtiler mitzuteilen und sind im Endeffekt dabei gelandet, dass es immer auf unserem Discordserver steht. ruru hat uns einen kleinen Bot geschrieben, dem man sagen kann, wer draußen ist, der dann unseren Namen auf dem Server ändert (und Statistiken darüber erstellt, weil Statistiken toll sind) und wir haben das sehr aktiv genutzt. Man muss dazu sagen, dass zu dem Zeitpunkt 98% unserer Freunde auf diesem Server waren, also auch jederzeit die Möglichkeit hatten, nachzugucken (und in privaten Discord-Nachrichten wird es sogar auch angezeigt, solange die Person auf dem Server ist). Da wir eh selten irgendwen treffen und unser halbes Leben auf Discord stattfindet, war das also perfekt.

Mit der Zeit haben wir aber immer mehr realisiert: für uns selbst ist es komplett egal, wer wann draußen ist. Es ist halt wie es ist und es hat keinen Vorteil, durchgehend darüber nachzudenken, wer gerade draußen ist und wer ansonsten vielleicht noch so da ist. Zumindest haben wir keinen gefunden. Dass die Information dort also immer richtig ist, ist eigentlich nur für andere Menschen relevant. Wir haben dann angefangen, es nur noch dann zu ändern, wenn es „relevant“ war, also, wenn wir beispielsweise mit jemandem geschrieben haben oder Ähnliches - weil es ja verwirrend ist, wenn derjenige denkt, dass zum Beispiel Skye draußen ist, aber in echt ist Yu draußen.
Aber weil wir aufgehört haben, konstant darüber nachzudenken, haben wir dann irgendwie auch verlernt, das so richtig zu merken. Wer wann genau da ist, ist ja selten so einfach wie „ausschließlich Dawn ist da und alle anderen sind im Innen und bekommen nichts mit“. Aber gleichzeitig fehlt auch die Wichtigkeit, um es wieder zu lernen. Ich mein, wenn wir jetzt unsere Wohnung putzen oder Einkaufen gehen oder Genshin spielen, für wen ist das dann wirklich relevant, wer das gerade tut? Oder ob man zwischendurch drei Wechsel hatte? Man denkt ja nicht durchgehend über seine Identität nach und solange man nicht wechselt und Blackout-Amnesie hat (was wir quasi nie haben, wenn nicht gerade etwas tatsächlich traumatisches passiert), warum sollte es dann überhaupt in erster Linie auffallen?

Aber es macht natürlich Probleme. Wenn niemand von uns irgendetwas spürt, was weiter als 0.5 Millimeter von „Außen“ entfernt ist, macht das die innere Kommunikation zunichte. Und wenn man die ganze Zeit in diesem verschwommenen Zustand ist, hat auch niemand mehr die Chance so wirklich er selbst zu sein. Man lebt einfach ein Leben. Natürlich muss man sich nicht mehr verstellen. Aber nach Außen ist man trotzdem eine Person.
Und ich glaube, das ist, was mich am meisten frustriert. Alle leben in ihrer schönen, einfachen identitätsintegrierten Welt und wenn man Viele ist, muss man trotzdem irgendwie reinpassen. Ob das nun ist, dass man eine Person spielt oder ob es ist, dass man immer konkret beantworten kann, wer genau zu welcher Zeit da ist und wenn es nicht eine Person genau ist, dass man zumindest so etwas sagen kann wie „90% Yu hier, aber Dawn ist auch da“. Alles andere wird nicht verstanden, alles andere ist fremd; das ständige Gefühl von dissoziativer Verschwommenheit kann man niemandem erklären. Und natürlich versteh ich das auch. Wenn es so weit von allem entfernt ist, was man jemals erlebt oder gelernt hat, dann braucht es einfach sehr viel Zeit (und Mühe) etwas zu verstehen und die Zeit hat nicht jeder und die Energie vielleicht auch nicht und vielleicht ist es auch manchmal einfach zu kompliziert.

Ich glaube tatsächlich inzwischen, dass es schädlich ist, so viel Fokus darauf zu legen, offen mit allem zu sein. Nicht, weil Offenheit gefährlich ist - ich bleibe bei meiner Meinung, dass es für Täter unglaublich egal ist, was man ihnen über sich selbst erzählt und was nicht. Einfach, weil es den Fokus, der da sein sollte, verschiebt. Zu verstehen, wer draußen ist, wer vielleicht zuhört, wer komplett abwesend ist, passiert nicht mehr mit dem Gedanken, die innere Kommunikation zu verbessern. Es passiert mit dem Gedanken, das eigene Sein nachvollziehbar für andere zu machen. Aber im Endeffekt führt es nicht mal dazu, dass wir mehr als System wahrgenommen werden. Wir werden als Einzelpersonen wahrgenommen, die sich irgendwie ein Leben teilen - und ich weiß, dass der Unterschied kaum sichtbar ist, vielleicht auch eine der Sachen, die man nicht verstehen kann, wenn man keine DIS hat, aber er existiert eben. Wir sind sowohl Eins als auch getrennt. Und nur getrennt gesehen zu werden fühlt sich auf jeden Fall besser an, als eine konsistente Person sein zu müssen, weil Menschen sonst erstens nicht wissen, wie sie mit einem umgehen sollen und zweitens durchgehend verletzende Sachen sagen. Davon abgesehen, dass es einfach extrem unangenehm ist, die ganze Zeit eine Rolle zu spielen. Aber am Ende des Tages ist es trotzdem nicht unser Leben.

Was ist ein Zwischenraum? Was die Alternative? Ich weiß es nicht. Vielleicht sich Gedanken darüber zu machen, wie andere Menschen einen ansprechen sollen, wenn man gerade einfach Viele ist. Und nicht spezifisch eine Innenperson. Zumindest scheint das ein großes Problem für andere Menschen zu sein. Und ja - mir ist auch bewusst, dass es da schon wieder um andere Menschen geht und schon wieder weniger um uns. Aber unser Leben funktioniert (noch) nicht ohne das.
Was ich aber weiß ist, dass unsere Innenkommunikation unabhängig von anderen Menschen sein sollte. Dass wir nicht andere durchgehend darüber informieren müssen, wer da ist - und sie das auch aushalten können, für uns. Sondern dass wir es merken, für uns, wenn es eben wichtig ist.

Mittwoch, 2. Februar 2022

#90: Überforderung ist wichtig

Alle Psychologen sind immer furchtbar bedacht darauf, dass niemand bloß jemals überfordert wird. Überfordert sein ist schlimm. Überfordert sein ist Trauma. Wir reden nicht hierdrüber oder da drüber, das könnte alles überfordernd sein und hier sind Übungen, hier sind Ressourcen gegen Stress; bloß nie, nie, nie, nie, nie wieder Überforderung. Es kommt mir vor wie ein verdammter Witz. Mein ganzes Leben ist überfordernd. Wenn ich nie wieder Überforderung will, muss ich Suizid begehen. Daran wird keine kleine Stunde Gespräch pro Woche irgendwas ändern. Dass ich überfordert bin, ist nicht das verdammte Problem.
Das Problem ist, dass unser Gehirn hundertausende Male in traumatischen Situationen überfordert war und jetzt denkt, überfordert sein heißt, dass gleich etwas GanzSchlimmes passiert. Aber wenn wir dann einfach für immer machen, dass wir nicht überfordert sind, wie soll unser Gehirn dann genau lernen, dass Überforderung nicht gleich GanzSchlimmeDinge ist? Es macht überhaupt keinen Sinn. Da beschweren sich Psychologen immer über etwaiges Vermeidungsverhalten und dann machen sie es selber.
Es kann mir auch niemand sagen, wenn ich nur genug Stressbewältigungsstrategien habe, dass ich nie wieder überfordert sein werde. Das ist nicht wie die Welt funktioniert. Das ist nicht wie Leben funktioniert. Und dass wir alleine so viel Fortschritte in unserer Traumaverarbeitung machen, liegt ganz bestimmt nicht daran, dass wir uns von jeglicher Überforderung fernhalten und bloß nie wieder zu viel fühlen; sonst hätten wir keine Freundschaften, wir hätten keine Beziehung, keine Therapie, kein gar nichts, wir würden einsam und alleine in unserer Wohnung sitzen und traurig sein und selbst dann wären wir noch überfordert, weil wir alle drei Monate zum Arzt müssen und Untersuchungen machen, die uns triggern.  Also könnten wir nicht zum Arzt gehen. Ziemlich sicher, das wäre auch eine Form von Suizid.

Ich fühl mich wie ein verdammtes Schneeflöckchen (behandelt). Ich darf schon wieder nichts fühlen. Fühlen ist schlecht. Fühlen ist Trauma. Und wenn wir Trauma besiegen wollen, dann beinhaltet das, dass wir ein „normales“ Level von Fühlen erreichen. Ich will kein scheiß „normales Level von Fühlen“. Ich mag mich wie ich bin. Mit Gefühlsvielfalt. Gefühls(zu)vielheit. Ja, das ist überfordernd. Die Lösung ist nicht BloßNieWieder überfordert zu sein.

Wenn wir überfordert sind, denkt unser Gehirn, es passiert jetzt EtwasGanzSchlimmes. Also was denken die, was passiert, wenn dann nichts Schlimmes passiert? Wenn sogar was Gutes passiert? Wenn plötzlich jemand da ist, den es kümmert, der versucht, irgendwie zu helfen, der sofort aufhört mit WasAuchImmer? Klar, beim ersten mal denkt man vielleicht so „hm, seltsam, das war bestimmt eine Ausnahme oder die Person hat das nur gemacht, damit sie mich am Ende noch mehr verletzen kann“ oder oder oder, aber nach drei Jahren sieht das schon anders aus. Und natürlich kann man dreizehn Jahre Trauma nicht mit drei Jahren überschreiben, in denen man gut behandelt wurde. Aber es hilft. Überfordert sein hilft. Man muss sich „nur“ ein Umfeld schaffen, in dem es aufgefangen wird (ich weiß selbst, wie verdammt schwierig das ist, so was zu finden).

Ich versteh diese ganze „Traumaarbeit“ nicht. Vielleicht ist es einfach nichts für mich. Es geht die ganze Zeit so sehr um Sicherheit; also könnte das Leben jemals sicher sein. Es ist nicht sicher. Ich will damit umgehen, nicht in irgendeiner Fantasiewelt leben.
Ich versteh Therapie nicht.
Ich hab das Gefühl, ich lebe in einer komplett anderen Welt als alle anderen Menschen, die in Therapie gehen.