Als wir mit der DIS diagnostiziert wurden, waren wir sehr enthusiastisch darüber, endlich zu verstehen, warum wir teilweise so verschieden sind und das nun einfach Menschen sagen zu können, anstatt es zu verstecken und eine konsistente Person zu spielen, mit der niemand sich so richtig wohlfühlt. Dadurch, dass wir so offen darüber waren, wurden wir aber auch ziemlich schnell mit dem Problem konfrontiert, dass andere Menschen nie wissen können, wer draußen ist, es aber auch irgendwie unangenehm ist, durchgehend gefragt zu werden und es ständig von sich aus zu sagen nicht funktioniert, weil wir schlichtweg vergessen, dass es eine wichtige Information ist.
Daraufhin haben wir verschiedene Wege ausprobiert, es subtiler mitzuteilen und sind im Endeffekt dabei gelandet, dass es immer auf unserem Discordserver steht. ruru hat uns einen kleinen Bot geschrieben, dem man sagen kann, wer draußen ist, der dann unseren Namen auf dem Server ändert (und Statistiken darüber erstellt, weil Statistiken toll sind) und wir haben das sehr aktiv genutzt. Man muss dazu sagen, dass zu dem Zeitpunkt 98% unserer Freunde auf diesem Server waren, also auch jederzeit die Möglichkeit hatten, nachzugucken (und in privaten Discord-Nachrichten wird es sogar auch angezeigt, solange die Person auf dem Server ist). Da wir eh selten irgendwen treffen und unser halbes Leben auf Discord stattfindet, war das also perfekt.
Mit der Zeit haben wir aber immer mehr realisiert: für uns selbst ist es komplett egal, wer wann draußen ist. Es ist halt wie es ist und es hat keinen Vorteil, durchgehend darüber nachzudenken, wer gerade draußen ist und wer ansonsten vielleicht noch so da ist. Zumindest haben wir keinen gefunden. Dass die Information dort also immer richtig ist, ist eigentlich nur für andere Menschen relevant. Wir haben dann angefangen, es nur noch dann zu ändern, wenn es „relevant“ war, also, wenn wir beispielsweise mit jemandem geschrieben haben oder Ähnliches - weil es ja verwirrend ist, wenn derjenige denkt, dass zum Beispiel Skye draußen ist, aber in echt ist Yu draußen.
Aber weil wir aufgehört haben, konstant darüber nachzudenken, haben wir dann irgendwie auch verlernt, das so richtig zu merken. Wer wann genau da ist, ist ja selten so einfach wie „ausschließlich Dawn ist da und alle anderen sind im Innen und bekommen nichts mit“. Aber gleichzeitig fehlt auch die Wichtigkeit, um es wieder zu lernen. Ich mein, wenn wir jetzt unsere Wohnung putzen oder Einkaufen gehen oder Genshin spielen, für wen ist das dann wirklich relevant, wer das gerade tut? Oder ob man zwischendurch drei Wechsel hatte? Man denkt ja nicht durchgehend über seine Identität nach und solange man nicht wechselt und Blackout-Amnesie hat (was wir quasi nie haben, wenn nicht gerade etwas tatsächlich traumatisches passiert), warum sollte es dann überhaupt in erster Linie auffallen?
Aber es macht natürlich Probleme. Wenn niemand von uns irgendetwas spürt, was weiter als 0.5 Millimeter von „Außen“ entfernt ist, macht das die innere Kommunikation zunichte. Und wenn man die ganze Zeit in diesem verschwommenen Zustand ist, hat auch niemand mehr die Chance so wirklich er selbst zu sein. Man lebt einfach ein Leben. Natürlich muss man sich nicht mehr verstellen. Aber nach Außen ist man trotzdem eine Person.
Und ich glaube, das ist, was mich am meisten frustriert. Alle leben in ihrer schönen, einfachen identitätsintegrierten Welt und wenn man Viele ist, muss man trotzdem irgendwie reinpassen. Ob das nun ist, dass man eine Person spielt oder ob es ist, dass man immer konkret beantworten kann, wer genau zu welcher Zeit da ist und wenn es nicht eine Person genau ist, dass man zumindest so etwas sagen kann wie „90% Yu hier, aber Dawn ist auch da“. Alles andere wird nicht verstanden, alles andere ist fremd; das ständige Gefühl von dissoziativer Verschwommenheit kann man niemandem erklären. Und natürlich versteh ich das auch. Wenn es so weit von allem entfernt ist, was man jemals erlebt oder gelernt hat, dann braucht es einfach sehr viel Zeit (und Mühe) etwas zu verstehen und die Zeit hat nicht jeder und die Energie vielleicht auch nicht und vielleicht ist es auch manchmal einfach zu kompliziert.
Ich glaube tatsächlich inzwischen, dass es schädlich ist, so viel Fokus darauf zu legen, offen mit allem zu sein. Nicht, weil Offenheit gefährlich ist - ich bleibe bei meiner Meinung, dass es für Täter unglaublich egal ist, was man ihnen über sich selbst erzählt und was nicht. Einfach, weil es den Fokus, der da sein sollte, verschiebt. Zu verstehen, wer draußen ist, wer vielleicht zuhört, wer komplett abwesend ist, passiert nicht mehr mit dem Gedanken, die innere Kommunikation zu verbessern. Es passiert mit dem Gedanken, das eigene Sein nachvollziehbar für andere zu machen. Aber im Endeffekt führt es nicht mal dazu, dass wir mehr als System wahrgenommen werden. Wir werden als Einzelpersonen wahrgenommen, die sich irgendwie ein Leben teilen - und ich weiß, dass der Unterschied kaum sichtbar ist, vielleicht auch eine der Sachen, die man nicht verstehen kann, wenn man keine DIS hat, aber er existiert eben. Wir sind sowohl Eins als auch getrennt. Und nur getrennt gesehen zu werden fühlt sich auf jeden Fall besser an, als eine konsistente Person sein zu müssen, weil Menschen sonst erstens nicht wissen, wie sie mit einem umgehen sollen und zweitens durchgehend verletzende Sachen sagen. Davon abgesehen, dass es einfach extrem unangenehm ist, die ganze Zeit eine Rolle zu spielen. Aber am Ende des Tages ist es trotzdem nicht unser Leben.
Was ist ein Zwischenraum? Was die Alternative? Ich weiß es nicht. Vielleicht sich Gedanken darüber zu machen, wie andere Menschen einen ansprechen sollen, wenn man gerade einfach Viele ist. Und nicht spezifisch eine Innenperson. Zumindest scheint das ein großes Problem für andere Menschen zu sein. Und ja - mir ist auch bewusst, dass es da schon wieder um andere Menschen geht und schon wieder weniger um uns. Aber unser Leben funktioniert (noch) nicht ohne das.
Was ich aber weiß ist, dass unsere Innenkommunikation unabhängig von anderen Menschen sein sollte. Dass wir nicht andere durchgehend darüber informieren müssen, wer da ist - und sie das auch aushalten können, für uns. Sondern dass wir es merken, für uns, wenn es eben wichtig ist.