Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Dienstag, 28. Juni 2022

#111: Broken little dreamer, born to roam, it's time to go.

„Mir ist das wirklich wichtig, das nochmal zu sagen.“ Du blickst mir in die Augen. „Du bist unglaublich oft komplett dissoziiert, stundenlang. Wenn ich irgendetwas gewollt hätte, hätte ich Stunden gehabt, um alles mit dir zu machen. Aber ich hab dich einfach nur gehalten.“
Ich weiß, dass das nicht die Wahrheit ist. Ob du weißt, dass ich das weiß, weiß ich nicht. „Es sind trotzdem Sachen passiert, die ich nicht wollte.“
„Die ein Teil von dir nicht wollte.“
„Ich hab dir manchmal gesagt, dass ich was nicht will und du hast es trotzdem gemacht.“
Und du entschuldigst dich. Du nimmst mich in den Arm und entschuldigst dich, kein Aber, kein, dass es eben eine andere Innenperson war. „Ich weiß. Ich mache auch Fehler. Aber bei jeder einzelnen Sache habe ich mir immer gewünscht, ich hätte sie nicht gemacht.“
Ich flüster. „Ich werde wahrscheinlich nie wieder hier her fahren.“
„Du musst nicht wegen mir her fahren, ich bin in ganz Deutschland unterwegs.“

„Ich glaub nicht, dass wir uns nach [der Reha] nochmal sehen werden“, denke ich, sage ich im Endeffekt nicht.
Ein Abschluss.
Es tut weh. Es tut so weh. Du hast alles bestätigt, was ich dachte, hast dich entschuldigt, trotzdem Verantwortung von dir gewiesen; in jedem anderen Szenario wären wir sofort zu dir zurückgekommen. Jetzt sehe ich nur den Scherbenhaufen. Aber wenigstens bin ich dieses mal von dir weggegangen, wenigstens konnten wir dieses eine mal fast so reden, als wäre es wichtig gewesen, irgendwann. Als hätten wir tatsächlich eine Beziehung gehabt.
Ich glaub, ich werd dich immer vermissen. Der Schmerz geht nicht weg. Bei dir habe ich mich zum ersten mal geliebt gefühlt.
Aber du konntest mir in die Augen schauen und sagen, dass du mich nur gehalten hast und wir beide wissen genau, dass das nicht stimmt.

„Ich erinnere mich an nichts“, sage ich.
„Ich weiß“, entgegnest du.
Aber es stimmt nicht. Ich erinnere mich an den Tag, an dem unsere Dissoziationsbarrieren für einen kurzen Moment aufgebrochen sind, ich still da lag, vergewaltigt und angefangen habe zu weinen. Du hast aufgehört, weil die Innenpersonen, die du wolltest, nicht geweint haben. Aber ich werde nie vergessen, dass du Sex mit mir haben konntest, während ich mich selbst verletzt habe.
Und auch, wenn ich die Erinnerungen nicht habe, werde ich die Erzählungen von schallisolierten Räumen nicht vergessen, von dem Keller da, dem, was Glow erzählt hat. Ekel.
Werde nicht das Gefühl vergessen, dir zu gehören.

Ich ließ los, ein wenig,
verliebte mich erneut,
es war süß, ein' Moment lang,
hab das noch nie bereut.
Du nanntest mich nur „Träumer“,
sagtest doch, ich werde heil'n,
ich ließ los, was ich erträumt hat,
versprach dir, dass ich bleib.

In meinem Kopf fließen diese Wünsche weiter jeden Tag.
Dann, in der Nacht, sprech ich mit mir selbst, bleib so hellwach.

Du sagtest so oft „Lass all deine Ziele sein“,
widersprach nie, die Hoffnung in mir längst vorbei.
Wander alleine, hab mich wohl in dir verlor'n.
Hab mich selbst verlor'n.

Und jetzt, wo ich dich weiterzieh'n seh, ohne mich,
plötzlich einsam durch die Stadt lauf, die mir nichts gibt...
oh, zerbroch'ner Träumer, es ist Zeit,
geh, werde frei.

Geh und werde frei.

Montag, 27. Juni 2022

-

Ein Anruf, starr das Telefon an,
weiß genau, was ich nicht sagen kann,
erinner deine Finger, auf mir,
doch so nah an mir, nah an mir.

Betäube den Schmerz, den du auf
mir noch wie ein Echo hinterließt.
Berühr mich jetzt, spür, was ich vergess.

Nur eine weit're Geschichte,
könnt dich wieder hör'n, schließ die Augen, spür.

Warum kann ich nicht geh'n,
wenn ich nicht bleiben will?
Ersticke innerlich,
bis ich dann fast vergess,
wie kalt und einsam du bist.
Zum zehntausendsten mal zerbrichst du mich.
Liebe rettet nichts.

Meine Worte gehör'n nicht dir.
Ich will bloß endlich hier raus.

Montag, 20. Juni 2022

#110: Self-inflicted Achromatic

Einen einzigen Tag wär ich gern jemand wie du.
Nur einmal jemand, der mehr „Ich“ sein kann, einfach so.
Doch wenn ich's wollte, könnte ich es doch einfach tun.
Nicht sicher, wäre dadurch dann wirklich alles gut?

Kann sich was ändern, wenn ich träume, irgendwann?
So wie ich bin wär's besser, wär ich endlich tot, verdammt.

Wenn, dass ich lebe, zehntausend Leben schlechter macht,
so unfair, dass jemand wie ich dennoch lächeln kann,
ich bin nichts, unwichtig, die Welt besser ohne mich,
wäre, was ich will, bloß einmal Realität.

Wo, wenn ich sterbe, zehntausend Leben besser sind,
ich nur ein einziges Mal dann doch endlich Freude bring,
niemand je noch versteht, wie man voller Trauer lebt,
wäre diese Welt doch bloß Realität.

Auch morgen werd ich weiter in Träumen verweil'n,
mir wünschen, einfach so könnt ich schon längst verschwunden sein.

Wenn, dass ich lebe, zehntausend Leben schlechter macht,
niemand mich überhaupt einmal registrieren kann,
ich bin nichts, unwichtig, wenn ich einfach geh,
wäre das die Welt, wäre es dann okay?

Selbst, wenn ich sterbe, gibt es nichts, was sich ändern wird,
zehntausendfach wird die Welt sich einfach weiterdreh'n,
selbst, wenn es keinen gibt, der mich wirklich hier nicht will,
wäre das weiter ein Nachteil für mich.

Im Endeffekt bricht jeder irgendwann auf dieselbe Art zusamm'.
Selbst, wenn ich's schaff, ich zu sein, wird das Bild von mir in and'ren zerfall'n.
Im Endeffekt geh'n wir alle auf dieselbe Art kaputt. Dennoch

warum, wenn ich doch leb, kann ich dann dein Lächeln seh'n?
Ein Augenblick nur, in dem ich nicht wünsche zu geh'n.
Egal, wie traurig ich bin, wie sehr ich verschwinden will; wenn ich dich so seh,
wünsche ich mir plötzlich, meine Gründe das zu wollen, würden anstelle von mir weggeh'n.

Selbst, wenn ich sterbe, gibt es nichts, was sich ändern wird,
zehntausendfach wird die Welt sich einfach weiterdreh'n,
dennoch hältst du mich fest. Warum kann ich einfach nicht
darüber lachen und verschwinden, endlich?

Dienstag, 7. Juni 2022

#109: Mein Kopf sagt „Lauf“. Mein Herz sagt „Nein“.

Weißt du, ich hab dich immer vermisst, aber gerade fühl ich mich... abhängig. Ich weiß, dass das scheiße ist, ich weiß das. Es ist einfach, ich geh den [Gang] lang und es ist falsch, dass da ein anderer Name an der Tür steht und ich bin in dem Raum und es ist falsch, dass jetzt alles klinisch steril in geraden Winkeln zur Wand steht und ich geh übers Gelände und mir fällt ein, wo wir mal auf der Burg saßen und dann muss ich da hochgehen und es ist scheiß egal, dass da ein „Betreten verboten“-Schild steht und dann lauf ich an diesem Schuppen vorbei, wo wir mal waren und ich muss da hochklettern, vollkommen egal, dass das komplett zugewachsen ist, dass da überall Mücken sind und ich allergisch und dann werd ich gefragt, ob ich in den Entspannungsraum will und alles, woran ich denken kann, ist, wo wir mal da waren und ich hab nächste Woche zwei mal irgendwas im Meditationsraum und ich weiß es nicht genau, aber gerade hab ich mich gefragt, ob das der Raum daneben ist, da waren wir auch mal und das geht nicht, ich hoffe wirklich, das ist ein anderer Raum, ich glaub, ich kann da nicht rein, ohne dich überall zu sehen. Aber ich kann das auch niemandem erklären.
Ich lauf den Waldweg lang und mir fällt ein, wir saßen da mal auf so einem Baumstumpf rum und dann muss ich den suchen und er ist nicht da und ich bin total verzweifelt, ob ich mich falsch erinnere, ob er weg ist, ob er zugewachsen ist, ob die Stelle die falsche ist. Es fühlt sich an, als würde mein Leben von diesem scheiß Baumstumpf abhängen. Aber diese Suche, dieser ganze Zwang alle Orte zu sehen, an denen wir waren, ist ja nur, weil ich am allermeisten dich sehen will.
Und dann starre ich deine Festnetznummer an und ich weiß, ich kann da natürlich nicht anrufen, aber ich starr sie trotzdem an, weil ich so sehr deine Stimme hören will, ich erinner mich nicht mal mehr.
Oder, es ist hier komplettes Besuchsverbot wegen Corona und man darf nur in verlassene Gegenden und ich bin eigentlich sehr daran interessiert, dass hier niemand Corona bekommt, mir sind Menschen ja wichtig, aber plötzlich ist es so scheiß egal, ich würde mich aus der Klinik schmeißen lassen, damit ich dich sehen kann. Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid. Ich bin komplettes Chaos, vor [der Reha] schon, aber komplett, seitdem ich hier bin. Ich hab die ersten paar Tage versucht, durchgehend was zu tun zu haben, weil ich sonst durchgehend an dich gedacht habe. Und jetzt, wo ich etwas freie Zeit habe, denke ich in jeder freien Minute an dich und dass ich dich sehen will, dass ich dich sehen will, dass ich dich sehen will.
Ich hab auch so. Ich hab mich nicht selbst verletzt seit keine Ahnung, voll lange, denke auch gar nicht drüber  nach. Ich will's jetzt auch nicht, aber es sind einfach genau diese viel zu starken Gefühle, wegen denen ich das früher gemacht hab. Und die hatte ich schon genauso lange nicht mehr. Und jetzt fühl ich diese überwältigende Sehnsucht. Ich komm nicht dagegen an.
Ich hab mir vor Tannheim so eine Liste gemacht, weißt du, mit Gründen, dir nicht zu schreiben und es interessiert mich einfach nicht. Einfach gar nicht. Ich vermisse dich so sehr. Ich kann nicht atmen.

Montag, 6. Juni 2022

#108: Am Rande des Wassers

Hier am Ufer hingefall'n,
komm nicht von meinen Knien.
Die Wahrheit, die
so sicher schien,
weit weg auf hoher See.
Sag mir ein Geheimnis
und dann tu mir damit weh.
Der Regen wie Musik, die den
Sturm zeigt, in dem wir steh'n.

Ich fang an mich zu wehr'n.
Ich brauch dich nicht, um zu lern,
wie man fliegt. Und mein Herz
schlägt im Takt eines Abschiedslieds.

Runter warfst du von mir jedes Stück,
blicktest nicht zurück,
sagen konnt ich nichts
und der Schutt, der von uns geblieben ist,
hallt noch in mir nach
heut Nacht.
Im Dunkeln hörst du mich so wie ein Geist,
mach das Licht an. Heißt
das jetzt, dass nichts verbleibt?
Werde alles für dich sein.
Ich werd dich lieben, ganz geheim.

Zeig mir, wo „für immer“ starb,
zurück zu jener Nacht.
Ich fleh dich an,
bleib bei mir, dann
mach ich alles wie verlangt.
Ich glaub, du warst für mich Daheim,
ein Ort, an dem ich bleib.
Hielt zu sehr fest,
hab mich verletzt,
die Schuld war immer mein.

Ich fang an mich zu wehr'n.
Ich brauch dich nicht, um zu lern
wie man fliegt. Und mein Herz
schlägt im Takt eines Abschiedslieds.

Runter warfst du von mir jedes Stück,
blicktest nicht zurück,
sagen konnt ich nichts
und der Schutt, der von uns geblieben ist,
hallt noch in mir nach
heut Nacht.
Im Dunkeln hörst du mich so wie ein Geist,
mach das Licht an. Heißt
das jetzt, dass nichts verbleibt?
Werde alles für dich sein.
Ich werd dich lieben, ganz geheim.

Sie sagen, es braucht Zeit,
doch kann nichts finden, was mich heilt.
Du fragst „bist du okay?“,
als gäb's noch etwas, das verbleibt.
Wir zwei lösen uns auf,
allein, wie die Nacht im Morgengrau'n.
Letztendlich
bleibe bloß ich noch.

Runter warfst du von mir jedes Stück,
nie zurück,
sagte nichts.
Du und ich -
erinner mich
jede Nacht an dich.
Kommst nie zurück,
jetzt weiß ich,
was Schmerz ist.
Erinner mich.
Geblieben ist
letztendlich nichts.

Und jetzt
lieb ich dich, ganz geheim.

Sonntag, 5. Juni 2022

#107: Bleib

Mein Blick liegt sanft auf dir,
kein Wort wäre genug.
Du drehst dich zu mir,
ich flüster: „Alles wird gut.“

Komm, vergiss doch einfach morgen,
alles um dich rum und leb
und ich zerbrech deine Sorgen,
wir finden 'nen and'ren Weg.

~

Leg meinen Kopf auf dein Kissen
weiterhin kein Wort in mir.
Bist du nah, fühle ich,
wie die Angst in mir bricht.
Ich wünschte, du bliebest hier.

Ich brauch sonst nichts,
berührst du mich.

Unser Blick zu den Sternen,
der Boden so kalt in der Nacht.
Die Stimmen in mir werden
still, gibst du sanft auf mich Acht.

Dann Explosion. Was du denkst
entfacht ein Feuer in meinem Herz.
Und um uns wirbelt der Rauch,
atme, weil du an mich glaubst.

Oh, ich verdräng meine Sorgen,
ich fliehe vor Morgen,
für nur einen weit'ren Tag.
Renne immer so weit,
doch für dich halt ich an.
Komm, zeig mir wie man bleibt.

Ich gäbe alles her
für noch mehr Zeit mit dir.

~

Es gibt bestimmt 'nen Weg.
Ich kann nicht einfach geh'n.
Für nur noch ein' Moment,
Hand in Hand, los komm, wir renn'.

Es war noch nie so falsch.
Bist du weg, wird mein Feuer kalt.
Lass mich nicht, bring mir bei,
auch wenn ich geh, noch wie man bleibt.

Es gibt bestimmt 'nen Weg.
Ich kann nicht einfach geh'n.
Für nur noch ein' Moment,
Hand in Hand, los komm, wir renn'.

Es war noch nie so falsch.
Bist du weg, wird mein Feuer kalt.
Lass mich nicht, bring mir bei,
auch wenn ich geh, noch wie man bleibt.

Ich weiß, ich werde nie heil'n,
kann ich ein' Tag noch bei dir sein?
Ich bin daheim in der Zukunft,
meiner Kunst, meinem Schmerz und
hab nie gelernt wie man bleibt.

Doch gäbe alles her
für bloß noch etwas Zeit.

Samstag, 4. Juni 2022

#106: Crying for rain

So rot, meine Flügel -
ein Schmetterling, der nichts sagen darf.
Streck sie aus. So zerbrechlich.
Weil du das attraktiver findest, nicht wahr?

Bitte
antworte oder lass mich allein hier,
hör auf zu zögern oder geh endlich von mir.
Dass du meine Worte so sehr ignorierst,
bringt dir scheinbar Frieden, auch wenn's mich zerstört.
So beiläufig wertlos.
Das, was du mir antust,
findet in keinem deiner vielen Worte Platz.
Wenn ich,
auch wenn jeder sonst vor dir wegrennt,
weiter an jedem Satz von dir festhäng,
kann es doch klappen.
Diese Hoffnung soll endlich sterben.

Ich seh Wolken aufziehen,
bitte regne nicht.

Kopieren. Einfügen. Löschen. Wiederholen. Einatmen. Ausatmen.

Ich bitte dich.
Es ist egal.
Ich bleibe hier.
Ich brauch diesen Schmerz.

Hör auf
alles, was du nie tust, zu sagen,
nach mir, meiner Liebe zu fragen.
Wär das hier nicht ernst, wär's so einfach. Wie
ernst kann es sein, wenn du doch bloß mit mir spielst?
Die Worte, die du aussprichst -
gelogen. „Du irrst dich.“
Lass uns einfach so tun als wär nichts.
Letztendlich
selbst wenn alles von vornherein feststeht,
wenn du dir deine Worte zurechtlegst,
will ich niemals wegrenn,
ich werd diese Gewohnheit brechen.

Ich fleh dich an,
fall weiterhin so kalt.

Freitag, 3. Juni 2022

#105: Let the wind carry you home.

Es gibt jetzt veganes Essen hier. Einfach regulär. Es ist keine Sonderregelung mehr für uns, weil wir keine Milch vertragen, inzwischen kann jeder es wählen.
Ich möchte dir das so sehr sagen, weil ich weiß, wie sehr du versucht hast, das durchzuboxen, als du noch hier warst, genauso wie freies Wlan, man hat jetzt vier Stunden am Tag davon, wusstest du das?
Vermutlich nicht. Du hast Hausverbot, aber es kennt nicht mal irgendjemand deinen Namen.
Ich will dich sehen, aber ich darf nicht und ich weiß, wie gut das ist, wie sehr dieses Verbot hilft dabei, nicht einfach zurückzurennen, aber es tut trotzdem so unendlich weh.

Ich bin Funktionsmodus, bin jede Veranstaltung auf der Liste ankreuzen, damit ich bloß keine Zeit für dich habe, mein Koffer ist nicht mal ausgepackt, ich hatte keine Zeit und ich sage mir, solange ich keine Zeit für den Koffer hatte, habe ich auch keine Zeit für den Wald.
Heute habe ich nur vier Termine. Ich bete auf einen Zettel in meinem Briefkasten, der mir sagt, dass das ein Fehler war, dass ich tatsächlich noch ganz viele Termine habe, sonst hab ich endlich Zeit meinen Koffer auszupacken. Und danach ganz viel Zeit für dich.

Scarlet fragt mich, ob ich Einzelgespräche haben will, ich sage, dass es zwar bestimmt ganz viel in mir gibt, aber ich wüsste nicht, was ich ihr sagen soll.
Ich warte auf den Zeitpunkt, an dem es kaputtgeht. Ich will so sehr schreien und weinen, weil du weg bist und es gibt keine Gefühle in mir.
Vielleicht, wenn Ralf nichts mehr mit dir zu tun hat, vielleicht kann ich ihm das sagen, vielleicht kann es dann irgendwer wissen, der dich kennt und uns kennt und der weiß und gesehen hat, wie wichtig du warst.
Und bist.
Und sein wirst.

Unsere Therapeutin will wissen, was in der Therapie fehlt: es ist genau das. Der Abgrund. Das Verlorengehen.
An keiner anderen Stelle kann sich so viel ändern wie hier.

Donnerstag, 2. Juni 2022

#104: Across the horizon it's coming to sweep you away.

„Ich nehm dich mal mit“, sagt Scarlet und schließt deine Bürotür auf. Natürlich. Chronischer Platzmangel. Der Raum wird auch dann genutzt, wenn die Person, die ihn eigentlich belegt, im Urlaub ist.
Mich erschlägt die Ordnung. Der Schreibtisch steht andersrum, gerade jetzt, die Wände sind leer bis auf ein Regal mit Fachbüchern und eine Pinnwand, vermutlich mit reharelevanten Dingen, ein Kalender. Der Tisch hat jetzt zwei Stühle und die Bank, die mir gerade nicht auffällt, ich bleibe kurz stehen, unentschlossen, setze mich dann reflexartig auf sie.
Ich blicke mich um. Es ist nicht mehr dein Büro, natürlich nicht. Das Zettelchaos an den Wänden ist weg. Es gibt eine andere Uhr, die die richtige Uhrzeit anzeigt. Alles steht gerade an Wänden, klinisch steril, geordnet, kalt, nichts versprüht die Wärme, die man vorher hier gefunden hat.

Was ich hier mache, will Scarlet wissen.
Mit dir abschließen.
Dich besuchen.
Ich fange an: ich wollte -
also -
wie erkläre ich das?

Ich glaub, jemand anders ist rausgekommen oder zumindest erinnere ich mich nicht. Ich weiß, dass wir ihr erzählt haben, dass wir vergewaltigt wurden, letztes mal, 2017, oder zwei Jahre, irgendwie beides. Sie kannte Blyth nicht mal.
„Letztes mal bin ich mit dem Gedanken nach Hause gefahren, dass ich bald wiederkomme und dann hat er Schluss gemacht und jetzt wollte ich unbedingt wiederkommen, damit ich dieses mal mit dem Gedanken nach Hause fahren kann, dass ich nicht wiederkommen muss.“
Wie es mir geht will sie wissen.
Gut. Ich bin so dissoziiert, dass ich rein gar nichts fühle.

Jetzt bin ich auf meinem Zimmer und du bist wieder hier. Ich will mich rausschmeißen lassen, damit ich dich sehen kann. Ich saß vorhin auf der Bank und hab es nicht mal bemerkt. Wir hatten da Sex. Nicht mal eine Vergewaltigung. Sex.
Ich ertränke mich in Terminen bis ich dich vergessen habe.

Mittwoch, 1. Juni 2022

#103: The willow, it weeps today.

„Entspannungsraum“ lese ich und muss daran denken, wie ich da mit dir war, bevor wir zusammen waren, du saßst irgendwann auf mir, ich hab dich in eine Umarmung gezogen. „Das könnte man jetzt ziemlich falsch verstehen.“
Später, in dem anderen Raum daneben, weil der Entspannungsraum belegt war, hast du versucht, mich zu beißen und dich so sehr erschrocken, weil nebenan die Tür aufgegangen ist.
Natürlich kann ich den Raum nicht betreten.

Jedes mal auf dem Weg zum Speisesaal, auf dem Weg zur Physiotherapie, auf dem Weg zu allem laufe ich an deinem Büro vorbei. Da steht jetzt ein anderer Name dran. Es hängt kein Schild mehr an der Tür, da hing früher irgendein Schild, ich erinnere mich nicht, was draufstand, aber da war eins. Ich bin froh, dass es nicht das Büro meiner Therapeutin ist und dass die Therapeutin darin gerade im Urlaub ist und ich es nicht offen sehen muss.
Alle damaligen Mitarbeiter sind weg.
Fast niemand mehr hier kennt dich.

Trotzdem will ich jedes mal weinen. Wie ich früher oft genau durch diesen Flur lief, kurz bei dir reingeschaut habe, wenn du nicht da warst, in eins der anderen Büros, ob die wissen, wann du wieder da bist, einfach nur so, einfach nur weil ich dich sehen wollte.
Ralf ist noch da. Ich hab ihn bisher nicht gesehen und ich versuche, es zu vermeiden, damit niemand nach dir fragt.

Ich frag mich, ob es auffällt, wie ich manchmal einfach stehenbleibe und die Augen schließe, Intrusion, Intrusion, Intrusion. Ich war noch nicht im Wald, am Eingang steht der Schuppen, hinter dem du uns vergewaltigt hast, ich kann das sehen, ich seh dich und ich vermisse dich mit jeder Faser meines Körpers.
Fast niemand hier kennt dich überhaupt.
Eigentlich kenn ich dich auch nicht.