Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Mittwoch, 22. November 2023

141

Ich habe selbst keine Ahnung, wie schlecht es uns eigentlich geht.
Ich stelle Probleme erst fest, wenn sie nicht mehr da sind.
Wir haben seit Jahren jeden Tag Schmerzen, aber ich dachte, uns belastet das nicht, bis wir vor zwei Jahren mal zwei Wochen lang jeden Tag Schmerztabletten genommen haben. Es ging uns plötzlich viel besser, wir hatten viel mehr Energie für den Tag.
Gerade haben wir starke Schlafstörungen, zum ersten Mal in unserem Leben. Vorher sind wir zwar jede Nacht zwischendurch aufgewacht, aber da wir immer sofort wieder einschlafen konnten und uns auch ausgeschlafen fühlten, hatte ich nicht das Gefühl, dass es ein Problem ist. Jetzt haben wir aufgrund der starken Schlafstörungen Beruhigungsmittel ausprobiert – nicht mal viel, ⅓ der auf der Packung angegebenen Dosierung (also eine Tablette der niedrigsten Dosierung, die wir finden konnten, pro Tag). Ich fühlte mich noch nie so entspannt in meinem gesamten Leben. Ich hab das Gefühl, es könnte was Schlimmes passieren und ich könnte damit umgehen wie ein normaler Mensch. Samstag ist unsere Heizung ausgefallen (schon wieder, sie ist kaputt und wir warten auf eine neue) und nach anfänglichem 20minütigen Weinen, weil alles in dieser Wohnung kaputt ist und wir das gerade echt nicht gebrauchen können, dass wir uns alle drei Tage um irgendetwas daran kümmern müssen, haben wir mit dem Techniker telefoniert und uns Kuscheldecken und Wärmeflaschen geholt und die Vermieter gefragt, ob sie uns eine portable elektrische Heizung besorgen können bis die neue Heizung geliefert wurde (was sie dann auch getan haben).
Wir wachen nachts auch nicht mehr zwischendurch auf.
Natürlich habe ich in der Vergangenheit gemerkt, wenn wir Albtraumphasen hatten, dass es uns viel schlechter geht als sonst. Normalerweise haben wir nämlich nur einen Albtraum pro Woche und dann eben plötzlich jede Nacht mehrere. Aber wie soll ich bemerken, wenn der beste Zustand, den ich im Alltag jemals erreichen konnte, mich belastet? Ich kenne kein Leben Davor.

Seitdem frage ich mich, wie doll es mich eigentlich belastet, Amnesie zu haben. Wie sollte ich das feststellen? Das Einzige, was ich dazu weiß, ist: letztes Jahr konnten wir vorübergehend ein anderes Medikament nehmen als wir normalerweise nehmen und mussten dadurch statt zwei mal am Tag (mit einem Abstand von mindestens sechs Stunden dazwischen) nur noch einmal am Tag an unsere Medikamente denken (auch wenn die Menge annährend dieselbe war). Es fühlte sich an wie ein anderes Leben. Ich fühlte mich total befreit und habe es nie vergessen, die Tabletten zu nehmen (im Gegensatz zu normalerweise, wo wir ständig die Morgensdosis vergessen bis es uns dann um 15 Uhr einfällt, aber dann ist es halt auch zu spät). Natürlich geht es uns körperlich auch besser, wenn wir nicht ständig vergessen, unsere Medikamente zu nehmen. Natürlich wusste ich das auch. Aber ich wusste eben nie, dass es mich psychisch belastet es ständig zu vergessen. Wo belastet mich das noch? Ich kann es nicht wissen.

Natürlich ist mir zumindest auch bewusst, dass ich mich im Alltag deutlich belasteter fühlen würde, wenn wir nicht den ganzen Tag Zuhause wären, sondern beispielsweise Arbeiten würden. Vielleicht würde mir dann jemand eine Aufgabe mitteilen und ich würde sie vergessen und das würde mich dann total stressen. Zumindest vergesse ich ja auch so ständig alles, was ich eigentlich machen soll und muss mir für alles Listen machen. Aber ich arbeite ja nicht, also kann ich es nicht wissen. Außerdem vergessen ja auch Menschen ohne Amnesie Dinge – ich weiß nur nie wie viel.

Dann wird mir gesagt, ich scheine wenig belastet, während ich weiß, dass, sobald ich versuche irgendetwas zu machen, es mir schlecht geht. Nicht unbedingt so schlecht, dass ich nicht damit leben kann, aber so schlecht, dass ich weiß, dass ich nicht langfristig damit leben könnte. Und in der Tagesklinik funktionierte das, weil es ja nur neun Wochen waren. Und wenn ich mich mit Freunden treffe, funktioniert das, weil ich sie ja nicht jeden Tag sehen muss und ansonsten nichts machen muss. Ich will arbeiten und ich rede mir ein: na ja, ich fang einfach damit an (sobald ich Therapie habe) und dann kann ich schon jedes aufkommende Problem irgendwie lösen und dann funktioniert das schon alles! Weil ich es so satt habe jeden Tag einen ganzen Tag zu haben, von dem ich langsam einfach nicht mehr weiß wie ich ihn füllen soll.

Das existiert alles, aber irgendwie hört es nie jemand. Und wer weiß, vielleicht geht es mir ja wirklich verhältnismäßig extrem gut. Ich dachte das selber immer. Langsam weiß ich es nur nicht mehr. Was verhältnismäßig ist oder wie es eigentlich anderen Menschen geht.
Ich weiß, dass ich nicht jeden Tag Albträume habe und dass ich mich nicht selbst hasse, meistens, und dass ich Blyth endlich seit einem Jahr nicht mehr geschrieben habe und dass ich mich nicht mehr aufschneide und dass ich nicht mehr das Gefühl habe, ich verdiene es nicht, gut behandelt zu werden und dass ich nicht morgens aufstehe und mein Leben hasse und dass ich so gut wie nie Suizidgedanken habe.
Ich weiß aber auch, dass ich seit Jahren nichts mehr Lesen kann, weil ich dabei so stark dissoziiere, dass ich danach nicht zurück in die Realität finde und dass ich gerne DMen würde, aber nicht kann, weil irgendetwas in mir so ein Problem damit hat, irgendetwas mit meiner Stimme zu machen und ich weiß nicht mal, warum, und ich weiß, dass ich mir durchgehend darüber Gedanken mache, was andere Leute über mich eventuell denken könnten, weil, wenn das was Negatives wäre, ist das ja gefährlich und dann passieren ganzschlimmedinge und ich muss das irgendwie verhindern und ich weiß, dass ich mich einsam fühle, aber keine Freundschaften schließen kann, nicht mal, weil die Leute wieder gehen, sondern es passiert einfach nicht, beziehungsweise selbst, wenn ich jemanden kennenlerne, dann habe ich einfach keine Bindung, und ich habe keine Ahnung warum, was ich eigentlich machen muss, was ich früher anders gemacht habe, weil ich mich nicht erinnere und ich vermisse Blyth immer noch und ich verstehe nicht, ob das irgendwann aufhört und ich stelle nie fest, dass ich ein Problem habe bis ich es monatelang ausgeblendet habe und es total schlimm geworden ist und so viel, was ich nicht mal ausdrücken kann und dann gehe ich zum Psychologen und selbst, wenn ich irgendwas sage, ist es die Stunde danach als hätte ich es nie gesagt, ich bin ja kaum belastet und in jeder Therapie werde ich irgendwann gefragt, warum ich überhaupt noch da bin, mir geht's doch gut, mir geht's doch gut, mir geht's doch gut und ich habe keine anderen Probleme als welche, die ohnehin jeder Mensch hätte.
Ich verstehe nicht, was ich falsch mache.

Montag, 13. November 2023

#140: abhängig

Machst du mich high?
Dämonen, denen ich nie entkomm.
Lässt du mich sein,
wenn ich wegrenn, sobald du näher kommst?

Ja, ich weiß, ich gab dir all diese Macht.
Fast schon so als wäre Leid der einzige Freund, den ich hab.

Saugst du mich aus?
Fühl ich mich deshalb so leer?
Egal, was du machst,
ohne dich atme ich nicht mehr.

Und ich weiß, ich gab dir all diese Macht.
Langsam begreif ich, dass „ich schaff das“ bloß eine Lüge war.

Als könnt ich nicht atmen.
Als wäre ich blind, seh nichts als dich.
Am Rande des Wahnsinns
bin ich von dir abhängig.
Mein Kopf wird nie leer,
wenn du nicht nimmst, was immer ich
doch nur träum. Hab längst nicht mehr
die Kontrolle über mich.
Als wär ich nicht ich.
Als wär ich nicht ich.

Bin ich verlor'n?
Ich sollte aufgeben, vielleicht.
Bin verfolgt von dir, tief in mir –
lass mich allein.

Und ich weiß, was ich fühle, ist, was mir die Wahrheit zeigt:
dass sich nie etwas ändern wird, lass ich dich nicht endlich sein.

Als könnt ich nicht atmen.
Als wäre ich blind, seh nichts als dich.
Am Rande des Wahnsinns
bin ich von dir abhängig.
Mein Kopf wird nie leer,
wenn du nicht nimmst, was immer ich
doch nur träum. Hab längst nicht mehr
die Kontrolle über mich.
Als wär ich nicht ich.
Als wär ich nicht ich.

Ich will dich, ich brauch dich, sonst halt ich's nicht aus, ich –
„nur einmal noch“, schwör ich, dann geh ich, dann geh ich.
Ich weiß, wie das geht, ich – ein letztes Mal, dann kann ich
aufhör'n. Ich halt mich nicht aus. Bloß ein wenig.

Ich will dich, ich brauch dich, sonst halt ich's nicht aus, ich –
„nur einmal noch“, schwör ich, dann geh ich, dann geh ich.
Ich weiß, wie das geht, ich – ein letztes Mal, dann kann ich
aufhör'n. Ich halt mich nicht aus. Bloß ein wenig.

Als könnt ich nicht atmen.
Als wäre ich blind, seh nichts als dich.
Am Rande des Wahnsinns
bin ich von dir abhängig.
Mein Kopf wird nie leer,
wenn du nicht nimmst, was immer ich
doch nur träum. Hab längst nicht mehr
die Kontrolle über mich.
Als wär ich nicht ich.
Als wär ich nicht ich.

Donnerstag, 9. November 2023

139

Seit du mir geschrieben hast, kann ich nicht abschalten. Ich wache auf, mitten in der Nacht, und ich kann nicht mehr schlafen, kann es nicht mal versuchen, ich denke nach und nach und nach und
ich mache mir durchgängig Gedanken darüber, was meine Probleme sind, was ich in meinem Leben schon falsch gemacht habe, weshalb ich eigentlich in Therapie gehe, wie ich das eigentlich erkläre, schreibe Text um Text um Text und komme nirgendwo an,
ich hab das ja schon aufgeschrieben, meine großen Probleme, die wichtigsten Sachen fürs Erstgespräch. Warum mache ich mir noch Gedanken? Warum starte ich immer wieder neu? Was 2013 war, ist irrelevant.
Ich zerdenke all deine Vorwürfe, wie ich mit Kritik umgehe, es war nie ein Problem für irgendjemanden außer dich, glaube ich, richtig, wie kann ich mir sicher sein, wenn ich Amnesie habe? Ich wüsste es, wenn mir das schon mal jemand gesagt hätte, richtig?

Ich suche Aufmerksamkeit, sagst du, was heißt das überhaupt? Ich hab ein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, weil ich mich gesehen fühlen will, ich struggle damit, weil ich es gleichzeitig nicht will - ich bin schlecht und wenn ich gesehen werde, erkennen das Menschen, aber gleichzeitig ist gesehen werden Sicherheit, ist der Grund, warum mir so schnell so viele Leute mitgeteilt haben, dass ich missbraucht werde.
Du wirfst mir ein Bedürfnis nach Bestätigung vor. Du verstehst nicht, wie ich denke. Mich kann nichts bestätigen, weil ich meinen eigenen Gedanken, meiner eigenen Wahrnehmung nicht vertraue. Deshalb renne ich so viel zu anderen Menschen, um ihre Meinung zu erfahren, weil ich mir selbst keine geben kann, ich habe keine Ahnung, ob ich missbraucht werde oder warum es mir in der Beziehung so schlecht geht, also frage ich und frage ich und frage ich und erst, wenn mir so viele Menschen, denen ich vertraue, sagen, dass es Missbrauch ist, kann ich das selbst für mich annehmen.
Das war mal anders. Bei Blyth habe ich meine Wahrnehmung mit allen Mitteln verteidigt: Blyth ist flauschig. Blyth missbraucht mich nicht. Ich bin kommunikationsunfähig! Ich hab den Kontakt zu jeder Person abgebrochen, die mir etwas anderes erzählen wollte, weil es so wichtig für mich war. ruru meinte, ich habe ihm mal gesagt, ich muss davon ausgehen, dass das Problem auf meiner Seite lag, weil sonst mein Leben zerbricht.

In a way wirfst du mir dasselbe vor, das Blyth mich hat glauben lassen: ich kommuniziere meine Bedürfnisse so gestört, dass kein normaler Mensch in der Lage wäre zu verstehen, was ich eigentlich will, und dann bin ich verletzt, weil diese Bedürfnisse nicht erfüllt oder Grenzen überschritten wurden, aber dadurch liegt es eben immer an mir und nicht an der anderen Person. Ich habe eben nicht deutlich genug gesagt, dass ich keinen Sex* will. Ich habe nicht deutlich genug gesagt, dass ich nur unsexuelle Nähe will. Ich habe nicht deutlich genug gesagt, dass ich krank bin und Fieber habe, habe nicht gut genug erklärt, warum ich nicht telefonieren will und Zeit für mich brauche, hab nicht verständlich genug gemacht, wovon genau ich mich manipuliert fühle.
Du beschwerst dich, dass ich unsere Beziehung mit der mit Blyth vergleiche, von „Parallelen“ spreche oder wie ich mich  genauso fühle, weil Blyth viel schlimmer ist als du.
Aber ich kann's nicht mehr sehen. Blyth lässt mich wenigstens abschließen. Blyth lässt mich wenigstens in Ruhe. Blyth weiß wenigstens ganz genau, dass er mich missbraucht hat.
Du reißt mein Leben jedes Mal wieder zurück in dieselbe Abwärtsspirale. Jedes Mal, wenn ich halbwegs abschließen konnte, stehst du vor meiner Tür oder ich erhalte eine weitere seitenlange Nachricht von dir darüber, wie gestört ich bin, wie sehr ich Hilfe brauche (deine), wie sehr ich niemandem in meinem Leben trauen kann (außer dir). Ich hasse dich. Lass mich endlich in Ruhe.
Ich schreibe diese Texte nicht für dich, ich existiere nicht für dich, verpiss dich von meinem Blog.

Samstag, 4. November 2023

#138: Meeresbiologiestudium II

Ich frage mich, wie ich dich dazu bringen kann, mich in Ruhe zu lassen. Vielleicht schreibst du mir jetzt nicht mehr, denke ich, und weiß doch selbst, wie das ist. Irgendwann ja, bestimmt. Irgendwann ja.
„Vielleicht  muss man die Wahrheit immer wieder in eure Welt hineinschreien, bis ihr sie endlich sehen könnt“, hast du geschrieben. Wie absolut hoffnungslos. Wenn du doch angekündigt hast, mir weiterhin seitenlange Briefe darüber zu schreiben, wie absolut psychisch kaputt ich bin, bis ich es endlich einsehe. Wann sehe ich es ein, deiner Meinung nach? Wenn ich mich von ruru trenne? Wenn ich wieder mit dir Kontakt haben will? Wenn ich so lange zu Therapeuten renne, bis mir irgendjemand Borderline diagnostiziert?

Ich hab mir Persönlichkeitsstörungen durchgelesen, weil ich deine Gedanken verstehen wollte, deine und die der Tagesklinik. Letztere verstehe ich jetzt besser. Scheinbar beinhaltet die Therapie von Persönlichkeitsstörungen teilweise, dass man es dem Patienten erstmal nicht sagt, weil dieser sonst die Therapie beenden würde, erstmal Vertrauen aufbaut und den Patienten dann langsam selbst zu der Erkenntnis kommen lässt, dass das eigene Verhalten nicht das Bedürfnis erfüllt, das man eigentlich hat.
Es gibt da vermutlich verschiedene Ansätze, aber das war einer, den ich gefunden hatte.

Es frisst sich in meine Gedanken.
Ich fühle mich so unglaublich belogen.
Man kann doch mit mir reden, denke ich mir.
Ich frage mich, ob alles, was meine ambulante Therapeutin jemals zu mir gesagt hat, eine Lüge war. Dass sie mich als selbstreflektiert erlebt, dass ich es merken würde, wenn ich mich missbräuchlich verhalte. Aber es war ja eine aktive Aussage, sie hätte einfach nichts sagen können, beziehungsweise einfach nur „ich finde auch nicht, dass Sie jemanden missbraucht haben“, wenn es nur um Bestätigung ginge.
Und es stimmt doch, dass ich merke, wenn ich mich missbräuchlich verhalte. Ich mache das manchmal. Ich hab dir davon erzählt, im Juni, du wolltest mir nicht glauben. „Manchmal will ich Menschen verletzen.“
Ich muss doch nicht belogen werden.

Ich verliere mich, weiß nicht, wo ich die Wahrheit herbekommen soll. Nicht von dir, deine Nachrichten sind voller Dinge, die nicht stimmen, nicht mal nur meiner Einschätzung nach, einfach so komplett random Zeug, von dem ich nicht verstehe, wie du überhaupt darauf kommst. Nicht von der Tagesklinik, die ist ja vorbei, nicht hier, mich kennt hier niemand und wenn es ohnehin Therapeuten gibt, die einen anlügen, wie soll man dann irgendjemandem vertrauen?

Aber meine ambulante Therapeutin hat ja gesagt, sie denkt, die Tagesklinik hat all diese Dinge gesagt, weil ich so unfähig bin mein Innenleben auszudrücken. Weil ich lächle und lächle und lächle und sure, ich wurde missbraucht, na ja, hier sind zwei Stichpunkte darüber und mein einziges Problem gerade ist, dass ich Aggressionsprobleme habe. Trauma-Symptome? Pfft.

Ich hab mit ihnen über chronische Schmerzen geredet, ob man eigentlich ihrer Meinung nach etwas Besseres machen kann, als alle zwei Wochen eine Voltaren zu nehmen und ansonsten damit zu leben. Woran ich merke, dass es mich so stark belastet, was genau mich so sehr belastet daran. „Ich hab nicht das Gefühl, dass es mich belastet“, meinte ich. „Aber ich habe mal zwei Wochen lang jeden Tag Schmerztabletten genommen wegen was Anderem und gemerkt, dass es mir plötzlich viel besser ging.“
Das ist mein Leben. Ich fühle mich selten allgemein belastet. Nur manchmal sind Sachen weg und ich merke, wie viel besser mein Leben plötzlich ist.

Meine Therapeutin hätte das nicht gesagt, wenn sie lügen würde, oder? Sie hätte einfach nichts sagen können. Oder „vielleicht hatten Sie einfach Pech mit der Tagesklinik“. Richtig? Richtig?

Seit Blyth habe ich das Gefühl, ich bin gefangen. Ich gehe in Therapie und ich existiere nicht. Ich bin leer, mir geht es gut und es gibt nichts zu sehen bei mir. Ich kann emotional nicht in einem Safespace funktionieren. Ich hab mal versucht, das meiner Therapeutin zu erklären, „ich kann nicht hier sitzen und Sie packen mich in Watte ein und achten darauf, mich bloß nicht zu triggern und dann gehe ich zurück in die Welt und werde getriggert, sobald ich länger als fünf Minuten mit jemandem rede und ich kann nicht lernen mit der Realität umzugehen an einem Ort, der so komplett fernab der Realität ist“. Sie hat nicht wirklich verstanden, was ich meinte.
Irgendwann habe ich sie angefleht, Verhaltenstherapie mit mir zu machen, weil mir das was bringt, weil da der Großteil der Therapie in der realen Welt stattfindet. Es hat so lange gehalten bis ich zum ersten Mal geweint habe, weil ich getriggert war. „Deswegen halte ich das nicht für sinnvoll.“
Ich hab mich so verloren gefühlt. Es hat mir doch was gebracht, ich habe doch was gelernt.
Wir waren zurück bei den Gesprächen, die ich nicht führen konnte.

Ich hab nicht das Gefühl, dass es so schwierig ist. Ich brauche diesen Safespace am Anfang, vielleicht drei Monate, weil ich so viel Angst habe. Aber entweder mir wird das nicht gegeben oder ich werde nie daraus entlassen. Vielleicht kommuniziere ich so schlecht, was ich brauche, denke ich mir. Vielleicht kann ich das lernen. Vielleicht ist es nächstes Mal anders. Jedes Mal.

Ich hab meiner Therapeutin öfter gesagt, dass die Therapie mir nichts bringt, ich wollte das erklären, was wir ändern müssen, was ich brauche. Selbst nach zwei Jahren dachte sie noch, ich mache das zur Abgrenzung. „Die Therapie hilft mir nichts, also kann ich jederzeit gehen. Sie können mich nicht missbrauchen!“
Und ich wollte doch nur Hilfe. Mehr als „ich habe gerade dieses akute Problem, was sagen Sie dazu?“ Ich wollte DIS-Therapie und Trauma-Therapie und ich verstehe nur einfach nicht, was ich dafür machen muss.
Ich hab mal in den Raum gestellt, ob ich autistisch bin, weil nahezu alle meine Freunde autistisch sind und ich ja offensichtlich ein massives Kommunikationsproblem habe gegenüber jeder Person, die nicht autistisch ist. Ich sage etwas und es wird etwas komplett anderes verstanden, bei dir, bei Therapeuten, nur bei meinen Freunden nicht.
Ein Therapeut meinte, er glaubt das nicht, aus komplett dummen Gründen, aber im Grunde glaube ich es selbst nicht. Es gibt nichts, was dafür spricht, außer das.
Als ich das letzte Mal gegenüber einem Therapeuten erwähnt habe, dass ich komplett sozial unfähig bin und irgendwie nie sagen kann, was ich meine, hat er mich gefragt, warum ich in Therapie gehe. Das wäre kein Problem für Therapie. Also hab ich das ganze Trauma aus meinem Leben aufgelistet und das war plötzlich Grund genug, um 100 Stunden bewilligt zu bekommen, obwohl ich nicht mal was über Symptome gesagt habe.

Es ist für mich unverständlich, wie ich meine Probleme so klar ausdrücken kann und sie werden trotzdem so missverstanden. Ich hab versucht daran zu arbeiten, Texte darüber geschrieben, um sie in der Therapie vorlesen zu können, in der Hoffnung, vielleicht kann ich es ja schriftlich besser. Mich gefragt, ob ich einfach zufälligerweise richtig Pech mit Therapeuten habe, dass ich niemanden finde, der mich versteht. Hab mich gefragt, ob ich autistisch bin, ob es das ist, aber jedes Mal komme ich zu dem Schluss Nein. Meine Schwester wurde vor einem halben Jahr mit ADHS diagnostiziert und daraufhin wohl meine halbe Familie, hab es mir durchgelesen und klar, Konzentrationsstörungen habe ich natürlich, aber der Rest war mir vollkommen fremd. „Vielleicht ist das die Erklärung“, denke ich, immer wieder, aber es passt nicht, überhaupt nicht. Die DIS ist das Einzige, was jemals wirklich gepasst hat. Aber auch die erklärt nicht, warum ich so kommunikationsunfähig bin.

Freitag, 27. Oktober 2023

#137: in Liebe und bitterer Enttäuschung

Ich hasse mich. Alles Negative, das jemals über mich gesagt wird, verinnerliche ich, vollkommen egal, ob es eigentlich wahr ist oder nicht. Schlimmer eigentlich, wenn es nicht wahr ist, wenn es stimmt, kann ich es ja ändern, dann muss ich mich nur für einen begrenzten Zeitraum hassen, danach kann ich „gut genug“ sein für mich.
Aber dann sagt jemand etwas, das nicht stimmt und ich weiß es, kognitiv, kann es mir selbst beweisen, aber mein Innerstes saugt es auf wie ein Schwamm, schreit mich damit an, den gesamten Tag, am meisten mitten in der Nacht.

„Erkenntnis“, hast du das genannt, meine Selbsthassgedanken. Als „Sinnkrise“ bezeichnet, was ich fühle, ich hätte endlich die „Wahrheit“ eingesehen, wie manipulativ ich bin und aufmerksamkeitssüchtig, die Tagesklinik hat Recht, ich will ja nur nicht zuhören, „wenn Therapie dir nichts bringt, dann muss es wohl an dir liegen“, nachdem ich gerade berichtet hatte, wie sehr die Tagesklinik mir geholfen hat. Wie nur der Abschlussbrief mein ohnehin extrem labiles Vertrauen in Therapeuten direkt wieder zerbrochen hat. Ich kann doch trotzdem viel besser mit Wut umgehen. Doch gerade erst vor ein paar Tagen einen Termin für ein Erstgespräch gemacht, Wartezeit neun Monate, aber bis dahin könnte ich Gruppentherapie haben.
Wie meine Ablehnung gegenüber Therapie darauf gebaut ist, dass mir unschöne Wahrheiten über mich mitgeteilt wurden. Mein „Hass“. Nie gesehen, wie ich wochenlang jeden Tag Panikattacken hab, weil ich eine neue Therapie anfange, so überzeugt davon bin, jetzt werde ich wieder missbraucht. „Hass“. Und trotzdem bin ich fast durchgängig in Therapie, seitdem Blyth gegangen ist, weil ich weiß, es kann helfen. Ich kann mich nicht einlassen, nicht das Gefühl loslassen, sobald ich eine Bindung zu dieser Person eingehe, geht alles kaputt. Jedes Mal nur ein Schritt weiter. Weißt du, wie lange ich Therapeuten gesucht hab, die genau so sind wie Blyth? Mir eingeredet hab, die Therapie bei Blyth hat mir ja geholfen, also brauche ich jemanden, der genauso ist, nur ohne Missbrauch. Niemand ist genauso. Meine letzte Therapeutin hat das ausgesprochen: nur Täter wären genauso.

Ich hab nicht verstanden, dass Blyth mich missbraucht hat. Blyth hat mich besser behandelt als ich gewohnt war. Blyth hat mir geholfen, Blyth war für mich da, wenn er mich nicht gerade vergewaltigt hat, Blyth ist weiterhin der Grund, aus dem ich mich kaum noch selbst verletze. Ich musste erst geliebt werden, um es zu lernen - wie viel besser man mich behandeln kann. Danach hab ich aufgehört zu versuchen ihn zu ersetzen und angefangen, Therapie zu machen.

„Ein spätes Erwachen“, nennst du meinen Selbsthass, und sagst, du liebst mich.
Fährst 500km, um unangekündigt vor meiner Tür zu stehe, gehst erst, als ich die Polizei rufen will. Fürsorge nennst du das. Liebe. Wohl das erste Mal, das ich geliebt wurde.
Dass ich diese „Liebe“ nicht will, interessiert dich nicht.

Freitag, 6. Oktober 2023

#136: manipulativ

Ich fühl mich verletzt, so richtig. Ich will keine Therapie mehr, ich hab plötzlich das Gefühl, ich kann mein Leben nicht erzählen, weil ich die Tagesklinik nicht erwähnen kann, dann denken die nachher die haben Recht, man kann meiner Einschätzung nicht vertrauen, ich kann nichts anderes erzählen, weil ich nicht rüberbringen kann, wie schlimm irgendwas war, wenn ich nicht "Vergewaltigung" sagen kann, klingt es einfach wie ein schlechter Tag.
Ich will nicht in Therapie. Mir wird ohnehin nur meine Wahrnehmung abgesprochen. 

Das Schlimmste ist ja, dass es funktioniert. Ich sitze hier und denke, ja gut, dann hab ich wohl keine DIS, ich hab mir das nur eingebildet, das erklärt auch, warum ich seit letztem Jahr nichts mehr wahrnehme, weil es nämlich nicht da ist.
Ich sitze hier mit denselben Gedanken wie letztes Jahr, ich wurde nicht missbraucht, ich bin die Person, die alles falsch gemacht hat, ich bin böse böse böse
fast will ich Blyth schreiben, damit er meine Wahrnehmung weiter zerstören kann, dann bin ich wenigstens nicht in diesem Zwiespalt, dann weiß ich wenigstens, dass alles falsch an mir ist

Ich kann das nicht ausdrücken. Wie es in mir ist. Ich kann sagen, dass ich mich zum ersten Mal seit Jahren wieder aufschneiden will, aber das sagt irgendwie nichts aus.
Ein Teil von mir ist so: ja. Die haben Recht. Ich habe keine DIS. Ich wurde nicht missbraucht, vielleicht von niemandem außer Blyth, weil, alle anderen Erinnerungen habe ich ja nicht und wenn ich keine DIS habe, woher soll ich sie dann wissen? Und selbst Blyth tue ich Unrecht, mit den 90% Erinnerungen, die ich nicht habe, die können also gar nicht passiert sein.
Sie haben Recht.
Sie haben Recht.
Ich sage das nur für Aufmerksamkeit.
Ich spiele das für Aufmerksamkeit.
Ich spiel ja nicht mal was, nicht mal ruru sieht momentan Unterschiede. Ich hab das früher gespielt, deswegen ist es jetzt weg.
Mit DIS hat man mehr Amnesie und wir wissen alle, dass ich das nicht habe.

Plötzlich wünsche ich, das wäre mein Leben, mit so Blackout-Amnesie und 'scheiße, wo bin ich' und random Leuten, die mich kennen, die ich nicht kenne, damit mir irgendjemand glaubt, aber das ist ja DIS-Leben und ich habe keine DIS sondern irgendeine Persönlichkeitsstörung, die mich manipulativ macht, natürlich kenne ich das nicht.
Das ist bestimmt auch manipulativ, dass ich das denke oder dass es mir so geht.

Es funktioniert.
Es funktioniert.

Kein Teil in mir erhebt Widerspruch.

Samstag, 23. September 2023

#135: Grauen

In der Klinik haben wir irgendwann einen Gefühlsstern bekommen. Wir sollten markieren, welche Gefühle uns leicht fallen auszuhalten und welche nicht. Da stand ganz viel. Zuneigung, Abneigung. Angst. Wut. Grauen.
Daran hab ich mich aufgehangen - Grauen. Vielleicht ist das das Gefühl, das andere Menschen fühlen, wenn ich ihnen mein Leben erzähle.
Ich kenne das Gefühl nicht, dachte ich mir.
Aber dann habe ich darauf geachtet: doch, ich kenne dieses Gefühl. Das ist das Gefühl, mit dem ich aus Albträumen aufwache.
Und ich glaube, es wäre angemessen, wenn ich es auch bezüglich meines Lebens haben würde, habe ich gesagt.
Es hat mir so geholfen da. Ich bin mit so viel Wut dahin gegangen, hab in den ersten zwei Wochen nur Therapeuten angefahren, jede Stunde.
Jetzt ist es fast wie vorher. Nicht ganz. Ich werde immer noch viel schneller wütend. Aber es nimmt mich nicht ein. Ich hab nicht mehr den Drang, Leute verbal zusammenzuschlagen, weil sie vielleicht wirklich einfach nur einen schlechten unüberlegten Witz gemacht haben.
Es war so eine schöne positive Erfahrung. Wie nett die Therapeuten da überwiegend waren. Wie man Kritik ansprechen konnte. So sehr nicht Blyth. Fast konnte ich aufhören zurückrennen zu wollen.
Und dann habe ich den Abschlussbericht gelesen und jedes Wort, das ich hatte, ist in mir gestorben.
Dramatisierende Persönlichkeitsakzentuierung. Die Patientin beschreibt, dissoziative Symptome zu haben. Wir konnten keine Persönlichkeitswechsel beobachten. Wir konnten keine Dissoziationen beobachten. Wir kommen zu dem Schluss, dass keine DIS vorliegt. Es gibt keine Anzeichen einer sonstigen dissoziativen Störung.
Die Inexistenz von Worten über meine Reaktion.
Grauen.
Nichts davon gegenüber mir jemals erwähnt. Keine einzige Erklärung, die ich dagegen richten konnte. Hab von Innenpersonen erzählt und so sehr den Fokus auf das System als Ressource gesetzt.
Eine DIS kann man nicht akzeptieren ohne jahrelange Therapie.

Mein Leben hat nie Sinn ergeben.
Es hat keinen Sinn ergeben vor der Diagnose.
Therapie hat nichts gebracht. Ich konnte nicht mal existieren. Es war wichtig für mich. Es gibt Dinge, die man sich nicht einbilden kann, die unser Vielesein einwandfrei belegen.
Aber nichts davon wollten sie je hören, I guess.

"Aber sie waren so nett zu mir", hab ich zu ruru gesagt.
Und dann weine ich und weine ich, weil ich keine Worte für diesen Vertrauensbruch in mir habe.
"Das passt in mir nicht zusammen", habe ich in einer anderen Therapie mal gesagt. "Wie Blyth mir erst so helfen konnte und dann so... nicht".
Das. Das. Das.
Ich wollte mich gestern zum ersten Mal seit Jahren aufschneiden. Weil da so viel Schmerz war. Ich war Schmerz.

Sonntag, 27. August 2023

#134: to let go

Ich hab ein Jahr lang darauf gewartet, weißt du? Hab mir eingeredet, dass eine Klinik irgendwie mein Leben wiederherstellen kann. Dass ich nicht anders bin durch dich, immer noch dieselbe Person, nur halt einmal zu viel traumatisiert. Wenn man das Trauma löst, kann ich wieder ich selbst sein.
Aber vielleicht ist es gar nicht, dass ich wütend bin wegen dir. Du bist nur eine Person und auch, wenn ich öfter im Alltag stehen bleibe und denke „ich hasse dich“, kann ich dich dennoch nachvollziehen. Die Welt ist nicht gefährlicher, weil du existierst. Vorher hätte es irgendjemanden anders gegeben. Die Menschen, die ich tatsächlich mochte, konnte ich schon immer an einer Hand abzählen und die Menge an Menschen, die ich wegen gefährlichen Kleinigkeiten kategorisch aus meinem Leben ausschließe, hat sich nie verändert. Mein Gehirn geht auch jetzt nicht davon aus, dass Menschen gefährlich sind. Es hat nur einfach keine Lust mehr auf den Verlust, der zwangsläufig mit neuen Freundschaften einhergeht.

Die Welt, auf die ich wütend bin, hatte es immer schon verdient. Es ist nur, andere Sachen waren wichtiger. Und ich nicht. Vielleicht ist es das: ich hab in den letzten Jahren gelernt Nein zu sagen. Aber zu dir habe ich es das erste Mal in meinem Leben auch wirklich getan. Nicht nur Nein, ich finde das nicht gut, was du machst, Nein, das verletzt mich, Nein, ich kann das (gerade) nicht. Ein richtiges Nein, das sich durch mein Leben zieht.
Ich lasse das nicht mit mir machen. Ich werde dich nicht in meinem Leben haben. Nein. Wenn du das nicht akzeptierst, setze ich es rechtlich durch.
Vielleicht hole ich einfach nach, was nie da sein durfte.
Weil, ich vermisse dich, trotz allem. Genau wie bei Blyth denke ich: wenn wir nie eine Beziehung eingegangen wären, hätten wir dann einfach eine funktionierende Freundschaft haben können? Wenn ich  mir einfach gesagt hätte, Nein, ich gehe keine Beziehungen mit Menschen ein, die ich erst seit ein paar Wochen kenne, ich fahre nicht mal eben wochenlang zu dir, ich ändere nicht mein Leben wegen dir - hätte ich dann genauso schnell die Dinge sehen können, die unsere Beziehung unmöglich gemacht haben, aber den Abstand halten, der vielleicht bewirkt hätte, dass du mich immer noch als Menschen siehst? Dieselbe Sehnsucht nach dem, was wir vielleicht, ganz zu Anfang, mal für zwei Wochen hatten. Vielleicht könnten wir das immer noch haben, auch im Nachhinein.
Sowohl bei Blyth als auch bei dir hat es immer daran gescheitert, dass ich diesen Zustand nicht haben konnte, ohne vorher alles zu klären, was schiefgelaufen ist. Obwohl es nicht klärbar ist. Aber dennoch bin ich regelmäßig zu Blyth zurückgerannt in der verzweifelten Hoffnung, dass es vielleicht doch, irgendwie, funktioniert. Jeder Versuch erneut, nur noch ein einziger. Bei dir habe ich zum ersten Mal in meinem Leben den notwendigen Selbstwert, um mir sagen zu können, dass ich es genug versucht habe, dass es nicht klärbar ist und dass, selbst wenn es jetzt, im Nachhinein, doch klärbar wäre, ich besseres verdiene als Menschen in mein Leben zurückzulassen, für die ich schon im ersten Anlauf immer nur als Bedürfniserfüllungsobjekt wichtig war. Vielleicht würde ich dir trotzdem antworten, wenn du mir schreibst.
Vielleicht darf ich einfach endlich für länger als drei Sekunden wütend sein.

Das Problem war ja auch nie die Wut, die ich spüre. Es ist immer noch so, dass ich nur wütend durch Dinge bin, die ich schon früher nicht gut gefunden hätte. Das Problem ist das nicht Loslassen können. Das ‚es jetzt klären müssen‘, vielleicht als Ersatz dafür, dass es bei dir nicht geht. „Akzeptieren können, wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt werden kann“, haben sie es in der Klinik genannt.
Akzeptieren.
Anfangen aufzugeben.

Sonntag, 5. März 2023

#133: Vom Leben selbst gehasst

„Bitte sag niemals, dass du sterben willst,
gib nie auf, solange du am Leben bist.“
Sie sagen: „Die Texte, die du schreibst, sind falsch.
Sie sollten fröhlich sein.“
Ehrlich wär's mir egal, wenn ich sterben würd,
wär nur traurig, wenn jemand, den ich liebe, stirbt.
„Ich will mich nicht so fühl'n“, sagt mein Ego.
'nen and'ren Grund gibt's nicht.

Es ist mir gleich, ob jemand stirbt, den ich nicht kenn'.
Ich hasse euch, denn das ist mittlerweile Trend.
Sie sagen: „Lasst uns trotzdem in Frieden leben.“
Als hätten wir das nie versucht.
Irgendwo, so weit weg, stirbt jemand, bildschirmnah.
Darüber schreibt jemand ein Lied, als ob's wichtig war.
Ein Junge greift ein Messer, weil diese Worte
alles war'n, was er hören wollte.

Wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst.
Wir verraten uns're Werte und was uns ausmacht,
wenn wir Lieder davon singen, wie wir selbst brutal,
jemand' töten, als wäre uns der Tod egal.
Nein, wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst,
wenn wir sagen „ich will sterben“, so als wäre das
nicht bedeutsam, als wäre dieses Leben nicht
alles, was wir haben. Ist das für uns wirklich unwichtig?

Wir haben kein Geld, also singen wir
Loblieder auf die Tatsache, dass nie etwas passiert.
Leben ist bedeutungslos, reden wir uns ein.
„Ich seh keinen Sinn, also muss es sinnlos sein.“
„Ich bin einsam.“ Dieser Satz reicht nicht,
um den Schmerz zu beschreiben, der uns innerlich auffrisst.
So schlafen wir doch lieber wortlos ein.
„Sturheit hilft.“ Nun fühlen wir uns ganz allein.

Unermüdlich schreiten wir voran,
bis wir eines Tages dann wie ein Blatt anfang'
zu verwelken, zu verrotten, hier, am Wegesrand,
bis sich schließlich niemand mehr an uns erinnern kann.
Dabei will ich doch nur, dass man mich nicht vergisst.
Will doch nur ein Leben, das mich leben lässt.
Ich will lieber träumen, wenn mir das nicht möglich ist.

Ob wir wirklich leben wollten, das war nie eine Wahl,
ob wir wirklich sterben wollen, das ist uns ganz egal.
Was wir wollen, ist falsch, machen and're Menschen klar,
ein Widerspruch,
so unsichtbar.
„Wenn dich hier nichts hält, warum bist du dann noch nicht gegang'?“
„Wenn du nicht sterben willst, dann fang endlich zu leben an!“
Red dir ruhig ein, dass Trauer dir nichts ausmacht
und dann lach weiter, allein und einsam.

Wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst,
also hassen wir, was es uns nie gegeben hat,
das Glück, von dem wir nicht wissen, was es sein soll.
Diese Welt hat uns ohnehin nie gewollt.
Nein, wir verstehen nicht, warum uns dieses Leben hasst,
wenn wir sagen „ich will gehen“, so als wäre das
nicht bedeutsam, als wäre so ein Abschied nicht
für immer. Ist unser Leben uns so unwichtig?

Das Glück und
ein Ende,
Zuwendung
und Freunde,
„das bekommt man mit Geld“, reden wir uns ein,
bis unser Leben einer Illusion gleicht.
Weißt du, morgen könnte ich sterben, einfach so.
Vielleicht ist alles, was wir tun, eh sinnlos.
Durch Tage
und Nächte,
durch Wärme
und Kälte,
unverändert stirbt irgendjemand irgendwo.
Ich brauch keine Träume oder ein' weit'ren Tag,
solang du nur weiterhin am Leben sein magst.
Das stimmt.
Das war doch
genau wofür ich diese Worte hab!

Warum nur hasst uns unser Leben so?
Sterben tun wir irgendwann doch sowieso.
Irgendwann du,
irgendwann ich,
verwelkte Blätter am Lebensrand, so unwichtig.
Trotzdem halten wir aus und uns am Leben fest,
verzweifelt ertragen wir, was immer es uns gibt.
Wir nehmen
und geben,
wehren uns
und streben,
leben, leben, leben, leben
unentwegt.

Montag, 6. Februar 2023

132

Ich war bei der Polizei, dich anzeigen. Na ja - eher aufnehmen lassen, dass du den ganzen weiten Weg von Nürnberg nach Hamburg gefahren bist, um vier Monate nach Ende der Beziehung ein Treffen und ein Gespräch zu erzwingen, das ich unmissverständlich nicht wollte. Eine Straftat ist das natürlich nicht. Das ist nur meine Absicherung, falls ich jemals durchsetzen muss, dass du mir fern bleibst.
Es war seltsam. Das Gebäude zu betreten, über das ich so oft nachgedacht habe.
„Ich möchte etwas anzeigen.“
Kurz stand ich da, während der Polizist alles aufgeschrieben hat, und habe mich gefragt, ob ich auch noch meinen Vater anzeigen sollte. Oder Blyth, wo ich schon dabei war. Es alles erzählen, in die Welt bringen, aus mir raus schreien. Ob sich die Worte dann schützend um mich legen, die ständige Erinnerung daran, dass ich nichts nichts nichts beweisen kann, endlich egal wird.
Als wäre es real geworden, weil es in irgendeinem staatlichen Computer steht.
Als hätte ich endlich Nein gesagt.

Ich hab das Gefühl, als würde ich von Innen verbrennen. Plötzlich, endlich, habe ich gelernt, wie Widerstand funktioniert. Ich hab mich vier Wochen von dir missbrauchen lassen, vier Wochen zu viel, aber es waren nur vier Wochen. Ich hab dir ein Gespräch gegeben, bin gegangen, eine Nachricht gegeben, nicht mehr und dann habe ich dir innerhalb von fünf Minuten die Tür vorm Gesicht zugeschlagen.
Unmissverständlich.
Ich will dich nie wieder in meinem Leben haben.

Vielleicht ist das der höchste Punkt, den man erreichen kann. Ein Punkt, an dem ich nicht mehr verstumme, mein Nein durchsetze, wieder und wieder und wieder und immer mehr. Vielleicht ist es für all die Neins, die ich nie gesagt habe, zu spät.
Vielleicht ist das hier Therapie. Nicht der sichere Ort der Psychologenzimmer, die Frauentraumagruppen, das Vermeidungsverhalten, in das ich gedrängt werde, das ich nie wollte. Die Welt, in der man sich selbst am allermeisten glauben muss.

Montag, 30. Januar 2023

#131: Täter

Ich dachte, September war traumatisch. Ich dachte, wie du mich behandelt hast, war traumatisch. Aber ich hab ihn nie erlebt, den Verlust von Sicherheit.
Jetzt sitze ich in rurus Wohnung. Er hat mich Samstag abgeholt, weil ich Angst hatte, die Wohnung zu  verlassen, weil ich Angst hatte, dass du immer noch da bist. Ich bin so dissoziiert, dass ich zwischendurch die Fähigkeit verliere, Sätze zu bilden. Heute morgen bin ich aufgewacht und konnte weder reden noch die Augen öffnen, wir haben mehrfach gewechselt, danach ging es.
Es ist zwei Tage her und meilenweit weg.
Wenn ich nicht stetig das Dokument mit dem Gespräch, das wir hatten, ergänzen würde, weil mir noch was einfällt, was ich vergessen habe, was gesagt wurde, falls ich es für die Polizei brauche, könnte ich mir einbilden, du wärst nie hier gewesen. Wir haben entweder eine neue Innenperson oder der Moment an sich wurde auf jemand anderen abgespalten. Bei mir ist er nicht.

Manchmal hasse ich dich und dann fühle ich nichts und irgendwie bin ich stolz auf meinen Umgang, wie schnell ich dich rausgeschmissen habe, wie schnell ich bereit war die Polizei zu rufen, wie schnell ich jeder einzelnen Person, die ich kenne, die du kennst, erzählt habe, was du gemacht hast.
Und ich sehe es fast vor mir. Wie du erklärst, dass du doch zu mir fahren musstest, weil ich dir einfach nicht zuhören wollte. Weil du mich doch einfach nicht missbraucht hast - das muss ein Missverständnis sein.

Blyth habe ich immer alles zugetraut. Aber ich kann es einschätzen, das Kühle, Berechnende. Blyth wird immer nur alles tun, was notwendig ist, und für jede andere Eventualität einen Plan haben. Aber solange wir ihn in Ruhe lassen, lässt er uns in Ruhe. Solange ich es nicht zulasse, werden wir auch nicht missbraucht.
Du hast mich nach zwei Monaten wie ein Objekt behandelt, es niemals festgestellt, kannst es immer noch nicht fassen. Wir sind seit vier Monaten getrennt, trotzdem tauchst du vor meiner Tür auf, bildest dir ein, ein Recht zu haben, zumindest auf ein paar Worte. Trotz dessen, dass wir seit zwei Monaten nicht geredet und ich dir ab November auch immer klar gemacht habe, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will.
Wie Ray, habe ich im Oktober gesagt. Menschen wie du sind die Personen, die letzten Endes gefährlich sind.

Donnerstag, 12. Januar 2023

#130: Altersunterschied

Wenn irgendjemand eine Beziehung mit großem Altersunterschied eingeht, werden oft Warnungen ausgesprochen. Dass die jüngere Person nur missbraucht werden wird, so etwas entsteht ja ohnehin nur, weil jemand Machtkomplexe hat, ...
Und ich verstehe es. Wirklich. Vermutlich ist das in den meisten Fällen so. Es war bei Blyth nicht anders.
Ich möchte trotzdem darüber reden, warum es das Gegenteil von hilfreich ist, so etwas zu hören. Warum es sogar schädlich sein kann.

Als wir mit Blyth zusammengekommen sind, hat er uns nicht missbraucht. Ich glaube, die meisten Beziehungen mit Tätern fangen so an - wenn Missbrauch schon an Tag 1 passieren würde, würde man vermutlich gehen.
Die Beziehung war schön. Ich weiß nicht genau wie lange, ungefähr drei Monate werden es gewesen sein. Dann hat Blyth Schluss gemacht, weil ihm „aufgefallen“ ist, dass es ja illegal für ihn ist, mit uns zusammen zu sein. Das war vermutlich ein Test - denke ich inzwischen. Ein Test, ob wir jetzt abhängig genug sind. Und ja, waren wir - wir haben sehr dafür gekämpft, ihn davon zu überzeugen, dass das egal ist, weil wir nicht darüber reden werden.
Direkt danach fing der Missbrauch an.

Unsere Freunde wussten alle von der Beziehung - außer natürlich die, die Blyth kannten oder jemand anderen kannten, der Blyth kannte, damit auch definitiv nichts herauskommen konnte. Und alle waren sich sehr einig: Der ist 20 Jahre älter, er wird dich missbrauchen. Das war das einzige Thema. Immer. Ich konnte Blyth nicht erwähnen. Sobald ich ihn erwähnt habe, hieß es, ich soll Schluss machen, er wird mich missbrauchen und so weiter und so fort.

Als Blyth dann tatsächlich angefangen hat, uns zu missbrauchen, hatte ich absolut keine Lust mehr über meine Beziehung zu reden. Vor allem nicht über so was. Ich dachte ja, ich hätte ein Kommunikationsproblem, aber ich wusste, ich würde gar nicht bei meinen Problemen ankommen, weil sofort ohnehin nur wieder von Missbrauch geredet werden würde. Also habe ich erstmal ziemlich lange gar nicht darüber geredet.

Nach einer besonders unschönen Situation einige Monate später, habe ich dann damit angefangen, weil ich doch irgendwie Hilfe brauchte. Ich beschrieb also meinen Freunden, wie Blyth mich missbraucht hatte und natürlich wurde das auch sofort angemerkt und gesagt, ich solle um Himmels Willen mit ihm Schluss machen.
Aber das kannte ich ja schon. Das sagten die immer. Nur weil er 20 Jahre älter war. Also hab ich es einfach ignoriert. Teilweise sogar gesagt, ich hätte Schluss gemacht. Teilweise einfach nicht mehr drüber geredet.
Selbst als ich dann selbst auf den Gedanken kam, es könnte Missbrauch sein, habe ich lieber mit komplett fremden Menschen darüber geredet. Weil meine Freunde mir einfach überhaupt nicht zugehört haben. Ich konnte nicht ein Wort über Blyth verlieren. Es ging sofort darum, wie er der schlimmste Mensch auf dem Planeten ist, weil er 40 Jahre alt ist.

Und ja, um ehrlich zu sein - wahrscheinlich hätte ich es auch dann nicht verstanden, wenn sich tatsächlich jemand mit mir hingesetzt und darüber geredet hätte. Wahrscheinlich wäre ich trotzdem ähnlich lange mit Blyth zusammen geblieben. Im Endeffekt kann man das nicht sagen.
Aber ich wäre nicht so verdammt alleine mit einer traumatisierenden Beziehung gewesen.
Dass Blyth 40 war, ist so verdammt egal.
Er hätte 25 sein können. Es wäre genauso traumatisch gewesen.

Hätte ich die ersten drei Monate haben können. Wäre Schluss gewesen, als Blyth Schluss gemacht hat.
Es wäre kein Missbrauch gewesen. Es ist mir egal, was irgendein Gesetz dazu sagt. Es wäre hilfreich gewesen. Es ist hilfreich gewesen. Es hat bis heute positive Auswirkungen, dass diese drei Monate existiert haben.
Das Gesetz existiert, weil es meistens nach diesen drei Monaten mit Missbrauch weitergeht. Weil Blyth nur wundervoll war, damit wir abhängig werden.

Aber ich bin mit Menschen befreundet und nicht mit einem Gesetz.
Es war nicht Missbrauch, weil Blyth 20 Jahre älter war. Es war auch nicht Missbrauch, weil Blyth unser Psychologe war. Es war Missbrauch, weil es Missbrauch war.
Ich wünschte, ich hätte in einer Welt gelebt, in der Menschen mir tatsächlich zugehört hätten.

Und ich hoffe, wenn eure Freunde mit euch über etwas reden wollen, hört ihr ihnen zu und stopft ihnen nicht den Mund mit Sorge um ihr Wohlergehen.