Auf diesem Blog geht es um Trauma, Traumafolgestörungen und unser Leben damit.
Bitte achtet auf eure Grenzen beim Lesen der Texte.

Samstag, 23. September 2023

#135: Grauen

In der Klinik haben wir irgendwann einen Gefühlsstern bekommen. Wir sollten markieren, welche Gefühle uns leicht fallen auszuhalten und welche nicht. Da stand ganz viel. Zuneigung, Abneigung. Angst. Wut. Grauen.
Daran hab ich mich aufgehangen - Grauen. Vielleicht ist das das Gefühl, das andere Menschen fühlen, wenn ich ihnen mein Leben erzähle.
Ich kenne das Gefühl nicht, dachte ich mir.
Aber dann habe ich darauf geachtet: doch, ich kenne dieses Gefühl. Das ist das Gefühl, mit dem ich aus Albträumen aufwache.
Und ich glaube, es wäre angemessen, wenn ich es auch bezüglich meines Lebens haben würde, habe ich gesagt.
Es hat mir so geholfen da. Ich bin mit so viel Wut dahin gegangen, hab in den ersten zwei Wochen nur Therapeuten angefahren, jede Stunde.
Jetzt ist es fast wie vorher. Nicht ganz. Ich werde immer noch viel schneller wütend. Aber es nimmt mich nicht ein. Ich hab nicht mehr den Drang, Leute verbal zusammenzuschlagen, weil sie vielleicht wirklich einfach nur einen schlechten unüberlegten Witz gemacht haben.
Es war so eine schöne positive Erfahrung. Wie nett die Therapeuten da überwiegend waren. Wie man Kritik ansprechen konnte. So sehr nicht Blyth. Fast konnte ich aufhören zurückrennen zu wollen.
Und dann habe ich den Abschlussbericht gelesen und jedes Wort, das ich hatte, ist in mir gestorben.
Dramatisierende Persönlichkeitsakzentuierung. Die Patientin beschreibt, dissoziative Symptome zu haben. Wir konnten keine Persönlichkeitswechsel beobachten. Wir konnten keine Dissoziationen beobachten. Wir kommen zu dem Schluss, dass keine DIS vorliegt. Es gibt keine Anzeichen einer sonstigen dissoziativen Störung.
Die Inexistenz von Worten über meine Reaktion.
Grauen.
Nichts davon gegenüber mir jemals erwähnt. Keine einzige Erklärung, die ich dagegen richten konnte. Hab von Innenpersonen erzählt und so sehr den Fokus auf das System als Ressource gesetzt.
Eine DIS kann man nicht akzeptieren ohne jahrelange Therapie.

Mein Leben hat nie Sinn ergeben.
Es hat keinen Sinn ergeben vor der Diagnose.
Therapie hat nichts gebracht. Ich konnte nicht mal existieren. Es war wichtig für mich. Es gibt Dinge, die man sich nicht einbilden kann, die unser Vielesein einwandfrei belegen.
Aber nichts davon wollten sie je hören, I guess.

"Aber sie waren so nett zu mir", hab ich zu ruru gesagt.
Und dann weine ich und weine ich, weil ich keine Worte für diesen Vertrauensbruch in mir habe.
"Das passt in mir nicht zusammen", habe ich in einer anderen Therapie mal gesagt. "Wie Blyth mir erst so helfen konnte und dann so... nicht".
Das. Das. Das.
Ich wollte mich gestern zum ersten Mal seit Jahren aufschneiden. Weil da so viel Schmerz war. Ich war Schmerz.